Zuweilen ist ein wenig Polemik nützlich, besonders wenn sie ernst gemeint ist – wie in diesem Falle: Man muß sich die causa hübsch langsam ins Gehirn schieben, damit man sie auch versteht – und dabei richtig Deutsch und nicht die typische Camouflage-Sprache der Politik sprechen: Da fälscht ein Land Jahr für Jahr, also systematisch, alle seine volkswirtschaftlich relevanten Daten, um endlich einen Platz am Tisch der Reichen zu ergattern. „Die Reichen“, das sind hier die Mitglieder der Euro-Zone, die in einem Stabilitätspakt (!) miteinander verbunden sind. Plötzlich fliegt der Schwindel auf. Was passiert normalerweise, wenn sich jemand mit einem gefälschten Abitur-Zeugnis einen Studienplatz oder mit gefälschten Zeugnissen einen attraktiven Job erschwindelt? Fliegt der Betrug auf, wird der Student exmatrikuliert und der Arbeitnehmer fristlos entlassen. (Im Falle Guttenberg wurde das gerade plastisch vorexerziert.) So ist das Leben eben. Anders aber im Falle Griechenland.
Der mediterrane Staat mußte zwar den Betrug gestehen, aber mit welcher Konsequenz? Die gute Tante €uropa hob mahnend den Zeigefinger, sagte mit strengem Blick: „Du, Du, Du, das tut man nicht!“, verlangte ein paar Besserungsmaßnahmen und belohnte den Delinquenten anschließend mit einem „Schutzschirm“, der diesem (und anderen Gefährdeten) eine Sicherheit von 750 Milliarden Euro verspricht. Das versteht – außer Politikern – niemand, der noch an Seriösität und Anstand glaubt. Es ist doch klar: Nur wenn ein Eintreten von fremder Hilfe für Schulden anderer Länder konsequent ausgeschlossen ist, wird die unsolide Haushaltspolitik eines Landes durch höhere Zinsen auf dem Kapitalmarkt bestraft, seine Kreditwürdigkeit sinkt. Wenn aber zu erwarten ist, daß die anderen Staaten einem gestrauchelten Land zu Hilfe eilen, dann würde die unsolide Haushaltspolitik nicht nur das betroffene Land, sondern auch die Hilfe-Staaten treffen. Die Zinsen würden künstlich niedrig gehalten.
Stabilitätspakt passé
De facto ist der Rettungsschirm eine prima Einladung an die Mitgliedsstaaten, getrost über ihre Verhältnisse zu leben, natürlich auf Kosten anderer. „Europa“ wird schon helfen, wenn´s ´mal schief geht. Zwar versicherten Merkel, Sarkozy und andere „Gut-Europäer“ mit Dackelblick, der Rettungsschirm würde schon nicht in Anspruch genommen. Das würde aber voraussetzen, daß z. B. Griechenland seine Schulden aus eigener Kraft zurückzahlen würde, was offensichtlich gar nicht möglich ist, da sich die Gesamtschulden dieses Landes heute schon auf 150 (!) Prozent des griechischen Bruttosozialprodukts belaufen. Und die Horrornachrichten reißen nicht ab. Hinzu kommen die gigantischen Schulden weiterer Staaten – vor allem Portugals -, die im Prinzip ebenfalls pleite sind. Wenn der Euro-Rettungsschirm sich erst einmal als „Rundum-Sorglos- Paket“ herumgesprochen hat, kann sich die €uro-Gemeinschaft von dem hehren Prinzip einer Stabilitätsgemeinschaft und von ausgeglichenen Haushalten verabschieden. Der viel versprechende „Stabilitätspakt“ ist praktisch futsch. Das Kanzlerin Merkel-Wort „alternativlos“ gehört seitdem aber zum geflügelten Politiker-Vokabular. Und die fatale Konsequenz? Zum einen: Aus der einmal gewesenen europäischen Solidargemeinschaft wird mit zunehmender Geschwindigkeit eine Transfer-Union, in deren Folge eine beängstigende Inflationswelle droht. Aus der Gemeinschaft bisher finanziell autonomer Staaten – gegründet auf dem Versprechen einer stabilen Währung und auf soliden Staatsfinanzen – ist eine Haftungsgemeinschaft geworden, der riesige Transferzahlungen ins Haus stehen. Wer´s strenggläubig will: Ökonomisch gesehen verstößt das Hilfspaket gegen Artikel 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der explizit den €uro-Staaten die Haftung für Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten verbietet („no-bail-out“). So befindet sich ganz Europa also auf dem Weg zu griechischen Verhältnissen.
Versagen der EZB
Sagen wir es deutlich: In der Krise hat die EZB ihre Prinzipien verraten. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sprach zwar gebetsmühlenartig von der Unabhängigkeit seines Institutes („vollständig und zutiefst unabhängig“), was ihn aber nicht hinderte, nach großem Druck aus der Politik Staatspapiere der Pleitestaaten zu kaufen. Das hatte zumindest den Geruch politischer Unterwürfigkeit. Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass die EZB bei der Frage der Staatsanleihen-Käufe eine absolute Kehrtwende hingelegt hat, ohne sie auch nur im Ansatz zu erklären. Dem klaren Nein zu diesen Geschäften folgte ein baldiges Ja zum Kauf griechischer Staatsanleihen mit Ramsch-Rating. Seien wir auch ´mal selbstkritisch: Das ach so stabile Deutschland ist schon heute kaum in der Lage, seine Schulden – einschließlich der nicht ausgewiesenen Lasten z. B. für die Pensionen der Beamten – zu bewältigen. Die nachfolgenden Generationen werden um ihre Zukunft betrogen; denn sie sollen einmal die Schulden von heute bezahlen und werden noch neue machen müssen.
Realpolitischer Wahnsinn
Dieser Wahnsinn hat Methode: Strengt sich ein „Schuldenland“ nicht an und macht sogar noch höhere Schulden, als es seine Lage eigentlich zuläßt, wird es gleichsam „belohnt“. Die anderen zahlen. Strengt sich ein Land aber an, weniger Schulden zu machen, wird es „bestraft“ und muß als „Belohnung“ für die „Schwachen“ eintreten. Dieser Mechanismus ist realpolitischer Wahnsinn. Die eigentlich gewollte Solidarität verkommt zu einem Akt der puren Umverteilung. Wer mehr hat als der Durchschnitt, muß abgeben, auch wenn das nehmende Land seine Misere selbst verschuldet hat. Dieses Prinzip bietet selbstredend den über ihre Verhältnisse lebenden Staaten nicht nur keinerlei Anreiz zu soliderer Haushaltsführung, sondern ist eher ein System organisierter Verantwortungslosigkeit.