„Gott schütze mich vor meinen Freunden…“

oder: Was sich so alles „konservativ“ nennt…

Offensichtlich ist das Lesen der Bibel etwas aus der Mode gekommen. Jedenfalls scheint der „Ecclesiasticus“ (Jesus Sirach) des Alten Testamentes kaum noch bekannt zu sein. Dort (Buch Sirach 6.13.) steht ein bemerkenswerter Satz: „Ab inimicis tuis separare, et ab amicis tuis attende“ („Halte Dich von Deinen Feinden fern, und hüte Dich vor Deinen Freunden“). Johann Manlius hat diesen Satz 1578 in seinen „loci communi“ eingängiger gefaßt, und der (weiland) französische Staatsfeind Nr. 1, Jacques Mesrine, hat ihn in seiner Autobiographie „L´Instinct de mort“ (Der Todestrieb) regelrecht populär gemacht: „Gott schütze mich vor meinen Freunden, mit meinen Feinden werde ich schon selbst fertig!“

Klingt zum Thema „Konservative“ weit hergeholt, ist es aber nicht. Der grüne Deutungs-Bazillus hat weite Teile der Union erfaßt. Rekapitulieren wir: Als die „68er“ merkten, daß sie mit Gewalt und Terror diesen Staat und diese Gesellschaft nicht verändern konnten, verlegten sie sich auf den langen „Marsch durch die Institutionen“. Mit Hilfe neuer Begriffsinterpretationen camouflierten sie ihre wahre Absicht – die Systemveränderung. Aus Bürgern wurden Bürgerinnen und Bürger, aus Lehrlingen Auszubildende, aus Studenten Studierende, statt Ehe hieß es nun „Lebenspartnerschaft“ usw. So trieben sie mit der deutschen Sprache Schabernack – und ihre Strategie auf sprachlichen Samtpfötchen weiter. Die schlafenden „Bürgerinnen und Bürger“ merkten viel zu spät, was um sie herum geschah. Plötzlich stellten sie fest, daß es hinfort Bürger zweier Geschwindigkeiten gab: Hie die (verpennten) Bürger alten Schlages, da die „neuen Bürger“, irgendwie modern und weltoffener als die alten Muffbürger. In nicht einmal dreißig Jahren war es den grünen Gesellschaftszerstörern gelungen, den Begriff „Bürgerlichkeit“ neu zu besetzen. Flugs behaupteten sie, sie verträten die „neue Bürgerlichkeit“, und übernahmen die Hoheit über die Begriffsbestimmung.

Wer sich nicht der neuen Sprachregelung – die eigentlich eine neue Inhaltsbestimmung ist – unterordnet, ist reaktionär, aus dem Zeitgeist gefallen, von gestern und – horribile dictu – rechts. Die Konservativen merken noch immer nichts. Nun ist es fast zu spät. Und was passiert? Ein vielstimmiges Geschrei vereinzelter Rest-Konservativer erhebt weinerlich Klage gegen die „neue Bürgerlichkeit“ und verlangt Rückbesinnung auf die alten Werte. Ja wie denn, wo denn, was denn? Wo ist der Sprecher der Konservativen, wo sind die Vertreter der „alten Werte“? Stimmt ja schon: Sie wurden weitgehend von Merkel vergrault, weggeschubst, ins Abseits gestellt. Von einer einigen, starken „Truppe“ ist allerdings derzeit im konservativen Lager auch nichts zu sehen. Und wo sind die konservativen CDU-Mitglieder, die an der Basis das Maul aufmachen und den Funktionären die Meinung geigen? Zuhause bleiben ist keine tatkräftige Alternative!

Umso schlimmer, daß sich – grad´ wie zu unserer Verhöhnung – nun einige in der CDU aufmachen, angesteckt vom grünen Bazillus, uns weiszumachen, was „konservativ“ ist. Sie schwenken die bürgerliche Fahne, singen aber das Lied der „Moderne“. (Und wer ihnen nicht folgt, gehört zum Alteisen; aber das kennen wir ja schon.) Ein Beispiel der ganz besonderen Sorte gibt ein gewisser Strobl, Thomas Strobl MdB, CDU-Landesvorsitzender Baden-Württemberg. Er springt von der Resterampe der Konservativen in die Zukunft verheißende neue Bürgerlichkeit. Obwohl, ja eigentlich konnte man ihn bisher nicht bei den Konservativen verorten, was ihn aber nicht hindert, in einem ganzseitigen (!) Beitrag in der FAZ den „Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlichster Lebensentwürfe“ zu erklären, was „konservativ“ heißt. Jedenfalls Strobls Konservatismus.(Nebenbei bemerkt, hat sich bei mir schon einer aus den Reihen der Konservativen verabschiedet, der mehrfach in einem einzigen Artikel von  „Bürgerinnen und Bürgern“ plappert. Da geht mir das Messer in der Tasche auf. Aber Schwamm drüber und zurück zur Sache:)

Strobl zeichnet ein ganz neues „konservatives“ Leitbild, das man nicht unkommentiert lassen darf. Seine Botschaften sind so zart verpackt, daß man die Umetikettierung unserer bisherigen Wertemaßstäbe kaum erkennen kann. Sehr säuberlich notiert Strobl, der Staat habe den „Bürgerinnen und Bürgern“ keine „Tätigkeiten vorzuschreiben, sie zu belehren oder zu erziehen, sie anders oder besser zu machen…“ Das klingt doch gut, echt konservativ. Und, einmal in konservativem Geschwindigkeitsrausch, legt Strobl nach, läßt aber gleichzeitig erkennen, woher bei ihm der Wind tatsächlich weht, nämlich aus der Zeitgeist-Ecke: „…Politisches Handeln (solle) sich in kluger Selbstbescheidung darauf beschränken, den Bestand unserer Welt und einer Ordnung zu gewährleisten, in deren Rahmen die Bürgerinnen und Bürger (sic!) ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen mit einem Minimum an Enttäuschung und Frustration nachgehen können. Damit wäre der Respekt vor der Unterschiedlichkeit menschlicher Lebensentwürfe die Signatur des Konservatismus…“

Das verschlägt einem die Sprache. Man liest „unterschiedliche Lebensentwürfe“, aber nirgends ein Bekenntnis z. B. zur Familie, zur Achtung der Eltern usw. Die alte Gesellschaft kriegt auch gleich noch eins übergebraten, wenn es um die Frage der Energiegewinnung geht. Strobl rechnet ab: „…Den Konservativen leitet die Einsicht, daß man nie die Zukunft und die Folgen seines Handelns ganz überblicken kann. Dieser Einsicht entspricht eine höchst praktische Vorsicht (…) Angesichts dieses (konservativen, d. Verf.) Gespürs für die Ambivalenz des Fortschritts wundert man sich, daß die CDU lange Zeit das zerstörerische Potential, das wirtschaftliches Wachstum für die Natur bergen kann, nicht deutlicher herausgestellt hat. Der Partei ging es nur um die Quantität von Wachstum, nicht aber auch um dessen Qualität…“ (Wenn der geneigte Leser solcher Passagen glaubt, er habe sich in ein Grundsatzpapier der Grünen verirrt, hier zur Erinnerung: Dies schreibt der Vorsitzende eines der größten Landesverbände der CDU.)

Einmal in Rage, ballert Strobl weiter: „…Angesichts des konservativen Wissens um einen eben nur scheinbar alles bedenkenden menschlichen Intellekt wundert man sich auch, mit welcher Verve manche Konservative in den vergangenen Monaten die beschleunigte Abkehr von der zivilen Nutzung der Atomenergie beklagt haben…“ Strobl klagt weiter, die deutschen Konservativen würden der Nutzung der Atomenergie nachtrauern, statt sich „tatkräftig der Energiewende anzunehmen“.

Auch im gesellschaftspolitischen Teil seines Artikels kann Strobl nur schwer sein nicht-konservatives Weltbild verschleiern. Er stellt dar, wieviel verschiedene „Lebensentwürfe“ es gibt – auch das scheint eines seiner Lieblingsvokabeln zu sein – und endet, na klar, bei den „gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften“. Kein Wort z. B. zu Abtreibung bzw. dem Schutz des ungeborenen Lebens, kein Wort zur Verteidigung des natürlichen Sterbens oder der genetischen Manipulation am Menschen, kein Wort zum Vorrang der elterlichen Selbstbestimmung bei der Erziehung und Bildung. Vollends inakzeptabel ist sein Fazit dieser Entwicklung: „…Dieser Pluralismus der Formen des Zusammenlebens…“ – als ob es diesen Pluralismus zu feiern gelte! – „…steht in einem engen Zusammenhang damit, wie sich die Beziehung zwischen Frau und Mann entwickelt hat…“ Und jetzt läßt Strobl die Katze aus dem Sack:

„…Ein Konservatismus, der die vorrangige Aufgabe der Politik nicht darin sieht, menschliche Lebensentwürfe zu bewerten, stellt sich auf den Boden dieser Tatsache und wird sich entschlossen für den Ausbau der frühkindlichen Betreuung und der Ganztagsschule einsetzen…“ Salvatorisch ergänzt er, daß die Betreuungsleistung durch Eltern oder Verwandte nicht geringzuschätzen sei. Der Konservative wolle kein eigenes Familienmodell festschreiben. Sein Schlußsatz ist nicht frei von Zynismus: „Mit einem solchen Konservatismus wäre die Union für die Zukunft gerüstet.“ (Jetzt wissen die staunenden Leser wenigstens, warum die CDU um die 30 Prozentmarke herum dümpelt. Mit „konservativ“ hat das alles nichts zu tun, paßt aber in die „neue“ CDU.)

Die CDU Sachsen-Anhalt will in ihrem Grundsatzprogramm die CDU nicht mehr als christliche, sondern als „religionsfreundliche“ Partei darstellen. In Schleswig-Holstein wollte der CDU-Spitzenkandidat de Jager gleich Nägel mit Köpfen machen und behauptete: „Wir sind keine konservative Partei mehr.“ Recht hat er – und einen neuen Mitstreiter hat er jetzt auch: Thomas Strobl. Wie sagte noch Johann Manlius: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde zu fürchten.

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