Das hatte sie sich fein ausgedacht, jene handverlesene „Elite“ von Abgeordneten und Regierung, die in Hinterstübchen Verhandlungen führen und Verträge aushandeln – am Parlament vorbei. Selbstverständlich haben sie auch eine wohlfeile Begründung dafür:
ESM-Entscheidung verschieben!
Nach der Devise: „Die Regierung allein weiß, was gut ist für Deutschland“ finden europäische Verhandlungen zwischen den Regierungen, insbesondere in einer so schwierigen Materie wie z. B. dem Euro etc., zunehmend in „vertraulichen“ Runden, statt – mit der Begründung, sie bedürften der besonderen Vertraulichkeit und verlangten eine Flexibilität, die im mühsamen Räderwerk des Bundestages nicht zu erreichen sei. Falsch, ruft nun (erneut) das BVG in Karlsruhe und zeigt der Regierung durch sein Urteil vom 19. Juni die rote Karte. Beim ESM (Europäischen Stabilitätsmechanismus) geht es – wie beim „Fiskalpakt“, beim ESFS und wie die europäischen „Weichenstellungen“ auch alle (möglichst unverständlich) genannt werden – um Schritte zu einer weiteren europäischen Integration, im Klartext: um mehr Europa und weniger nationale Eigenständigkeit. Das Urteil des BVG muß deshalb aber auch eine Verschiebung der Beschlußfassung über ESM und Fiskalpakt zur Folge haben, damit die Beratungen darüber in einem rechtsförmigen Verfahren erfolgen kann. Das ist die dringendste Konsequenz aus dem Karlsruher Urteil. Es ist der Bundestag, der die Finanzhoheit besitzt – eines seiner Grundrechte. Die Bundestagsabgeordneten müssen sich dafür verantworten. Wie könnten sie das, wenn sie nicht rechtzeitig mitreden dürften? BVG-Präsident Andreas Voßkuhle kann nur zugestimmt werden: „Demokratie hat ihren Preis. Bei ihr zu sparen, könnte aber sehr teuer werden.“
Nein zu Geheimniskrämerei
Aber, sagt das BVG, für das, was bei solchen Verträgen in Europa beschlossen wird, gelten die gleichen Grundsätze, die auch in der Bundesrepublik Deutschland bindend sind. Selbstverständliche nationale Rechte dürfen nicht einfach – schon gar nicht am Parlament vorbei – an die europäische Exekutive abgegeben werden. Das Argument, die Euro-Rettung sei sehr kompliziert und schwierig zu verstehen, darf nicht zum Aushebeln der Volksvertretung führen, sondern erfordert geradezu die Beteiligung der Abgeordneten als den gewählten Vertretern der Bevölkerung und eine Information der Bürger. Legitimierung des Regierungshandelns erfolgt in einer Demokratie grundsätzlich durch das Parlament, was eben voraussetzt, daß das Parlament auch Einfluß nehmen können muß.
„Rettungsschirme“ und „Pakte“, die zur Zeit über Europa gespannt werden (sollen), bedeuten ein Mehr an Souveränitätsabgabe vom Einzelstaat zur Brüsseler Kommission. Damit entsteht durch die Hintertür ein anderes Europa, als das, was ihre Väter gewollt hatten. Ein Entweder/Oder-Prinzip darf gar nicht erst Raum greifen: Entweder Einhaltung der demokratischer Prozesse – oder Stabilisierung des Euro; entweder Beteiligung des Parlamentes – oder Rettung des Euro. So ähnlich hatten sich das Wohl Merkel, Schäuble & Co. ausgedacht. Aber das BVG lehnt eine solche Geheimniskrämerei zu Recht ab. Und im übrigen gilt gerade an diesem Beispiel: Ohne Beteiligung der Parlamente und ohne Information der Bürger kann kein Vertrauen entstehen, schon gar nicht in den Euro. Das Parlament ist nicht der Abnickverein der Regierung – die Bürger sind nicht (nur) das Stimmvieh, das ansonsten das Maul zu halten hat.