Grün-alternative Gebäudeverschandelung

Als die Grünen vor wenigen Jahren im Stadtparlament von Marburg durchsetzten, daß jedes Haus der Stadt alternative Energiequellen nutzen müßten, war selbst bei grün-angehauchten Menschen die Verwunderung groß. Sollte der Plan der Grünen etwa bedeuten, daß Marburgs alte Bausubstanz und das herrliche historische Stadtbild in Zukunft von Solardächern bestimmt werden könnte? Ja, den Grünen geht´s ums Prinzip, nicht nur in Marburg.

Nun darf man sich schon einmal fragen, warum – abgesehen von gelegentlichem Murren –  diese landesweite Verschandelung unserer Architektur durch unsinnige Wärmedämmungs-Maßnahmen widerspruchslos akzeptiert wird. Es müßte eigentlich sogar ein Aufschrei über die mit energetischen Ausreden beschönigte Zerstörung unseres Architekturerbes durch die Bevölkerung gehen. Der bleibt aber weitgehend aus.

Haben wir nicht mehrfach schon kostbarste Architektursubstanz verloren? Nach der oft grauenhaften Zerstörung unserer Städte durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs setzte nach Kriegsende vielerorts eine zweite Welle der Zerstörung historischer Bausubstanz durch Abriß und anschließenden Neubau niveauloser Geschäfts- und Privatbauten ein. Selbst in Städten wie Nürnberg, dessen Wiederaufbau noch vergleichsweise gut bewerkstelligt wurde, wurden von 1950 bis jetzt mehr historische Bauten vernichtet als durch Kriegszerstörung. Und derzeit erleben wir leider eine dritte Welle an sinnloser Zerstörung von Architekturgut, angeblich unvermeidlich und energetisch sinnvoll vor dem Hintergrund möglichst effektiver Energienutzung und Ressourcenbewahrung beziehungsweise durch Reduzierung der Energieverluste von Heizwärme.

Mußten wir nicht schon bereits weitgehend auf die seit über hundert Jahren vertrautes, warmes Licht spendende Glühlampe verzichten, zugunsten von energiesparenden Scheußlichkeiten, die unsere Wohnungen verunstalten und bei Bruch auch noch die Umwelt mit Quecksilbergasen verseuchen?

Jetzt kommen die Fassaden und Dächer unserer Häuser an die Reihe. Solaranlagen mögen ja noch zu ertragen sein, aber auf historischen Gebäudedächern sind sie wirklich nicht akzeptabel. Beispiele von zerstörten Fassaden,  Profilleisten, Simsen oder figürlichem Fassadenschmuck gibt es genügend. Und was die Fassadendämmung angeht, ist noch nicht einmal geklärt, wie schädlich sich im Inneren der so „zwangsgeschützten“ Wohnungen aufgrund der absoluten Abdichtung die zwangsläufig entstehenden Schimmel-pilzentwicklungen und der Mikrobenbefall auf die Gesundheit der Bewohner auswirken.

Historische Fassaden verschwinden

Aber was sich mittlerweile die Energieschützer für historische Hausfassaden ausdenken, um wenigstens pro forma die Auflagen des Denkmalschutzes zu erfüllen, hat kürzlich in Nürnberg eine an Schilda erinnernde Maßnahme offenbart, die durch ihren vorgeblichen „Modell-Charakter“ angeblich bundesweit Beachtung gefunden haben soll: In der historischen Gartenstadt von Nürnberg, die in den Jahren zwischen 1808 und 1921 nach dem Vorbild der Hellerau in Dresden von Architekten wie Richard Riemerschmid, Heinrich Lotz, Hans Lehr und Konrad Leubert erbaut worden ist, sind die Fassaden der Häuser mit einem unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten schützenswerten und einzigartigen „Löffelputz“ versehen, der durch horizontales Verstreichen des Putzes mit Löffeln entstanden ist.

Diese einmalige Besonderheit stand natürlich einer 2008 vom Verein „Gartenstadt Nürnberg e.G.“ beschlossenen „energetischen und baulichen Sanierung“ der Gartenstadt, wie sie die neuen Bauverordnungen vorschreiben, aus denkmalpflegerischen Gesichtspunkten diametral entgegen. Eine Innendämmung wurde aus Kostengründen abgelehnt. Erst auf ausdrückliche Interventionen der städtischen Denkmalschutzbehörde konnte folgender Kompromiß geschlossen werden: Durch Abstandshalter von zwei Zentimetern Abstandslänge wurde die Dämmschicht (Hartschaumplatten) berührungsfrei über dem Löffelputz montiert und darüber eine mit Bierflaschen dem original Löffelputz angenäherte horizontale Struktur in eine neue, gegenüber dem Original allerdings dünnere Putzschicht eingedrückt.

Urteil der Denkmalschutzbehörde: „Aus der Ferne erkennt man kaum einen Unterschied zum Original.“ Ist das nicht wahrhaft echter deutscher Erfindungsgeist?

Ein Land, das mit paranoider Gründlichkeit seine Bausubstanz ohne Rücksicht auf unwiederbringliche Kulturdenkmal-Verluste hinter Dämmplatten als gesichtslose normierte Einheitsplatte verschwinden läßt, ist schlichtweg nicht ganz dicht und auf dem besten Weg in eine Dämmokratie. Wohlan denn! Der „Marsch durch die Institutionen“ weist zuweilen absonderliche Züge auf.

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Conservo-Redaktion