Die Spannung in den USA steigt von Tag zu Tag. Die amerikanische Präsidentschaftswahl geht in ihre entscheidende Phase. Der vor Jahresfrist als nahezu unschlagbar geltende Amtsinhaber zeigt deutliche Schwächen (siehe auch letzter Absatz) und sein republikanischer Herausforderer gewinnt von Tag zu Tag an Profil. Sein „running mate“ Paul Ryan (Vizepräsidentschaftskandidat) ist ihm dabei eine große Unterstützung. Aber noch ist nicht klar, ob es reichen wird, Obama abzulösen.
Die Umfragen zur Wahl am 6. November ergeben derzeit kein klares Bild, mal hat Präsident Barack Obama einen hauchdünnen Vorsprung, mal ist Mitt Romney knapp vorne. Manche Auguren sagen allerdings einen erdrutschartigen Sieg des Republikaners voraus. Woher kommen diese unterschiedlichen Bewertungen?
Das amerikanische Wahlsystem unterscheidet sich sehr grundlegend vom deutschen. Gewählt wird nach Bundesstaaten. Wer einen Staat auch nur mit einer Stimme Vorsprung gewinnt, bekommt alle Wahlmännerstimmen zugesprochen. Somit sind alle Gliedstaaten, die eine klare traditionelle Parteipräferenz aufweisen, von vorneherein als unwichtig anzusehen. Während Obama kaum einen Cent ausgeben muß, um in z. B. Kalifornien zu gewinnen (und Romney dort auch kein Wahlkampfgeld verschwendet), gilt das umgekehrt unter anderem für Oklahoma oder Tennessee.
Daher kann man alle Umfragen getrost vergessen, die die nationale Beliebtheit der Kandidaten ermitteln wollen. Es spielt kaum eine Rolle, ob 52% aller Amerikaner für Obama oder Romney sind, wichtig ist, was die Wähler in den Swing-States meinen, also dort, wo nicht sozusagen von Anfang an feststeht, wer dort gewinnt. Um es einmal auf deutsche Verhältnisse zu übertragen: In Bayern könnte – Mehrheitswahlrecht vorausgesetzt – die SPD noch so viel Wahlkampf betreiben, sie würde die CSU kaum überholen, daher bräuchten dort weder die CSU noch die SPD Wahlkampf zu betreiben. Es würde sich viel mehr lohnen, in Schleswig-Holstein um jede Stimme zu kämpfen.
Dann kommt eine weitere Unsicherheit bei der Meinungsforschung in den USA hinzu. Wählen darf in den USA nur, wer sich zuvor hat für die Wahl registrieren lassen. In Amerika gibt es keine Einwohnermeldeämter, die Wahlbenachrichtigungen verschicken, hier muß sich jeder Wähler vor jeder Wahl an seinem Wohnort in das Wählerverzeichnis eintragen. Das tun längst nicht alle US-Bürger. Repräsentative Umfragen sind daher naturgemäß sehr schwierig. Zu befragen gilt es lediglich registrierte Wähler, die auch zur Wahl gehen wollen.
Bei seiner Wahl im Jahr 2008 hatte Barack Hussein Obama eine große Begeisterung z. B. unter der schwarzen Bevölkerung und unter Jugendlichen ausgelöst. Bereits Wochen vor der Wahl läßt sich eindeutig feststellen, daß diese Begeisterung im Jahre 2012 bei weitem nicht im gleichen Maße besteht. In Universitätsstädten zum Beispiel, wo der Obama-Hype besonders ausgeprägt war, wird von einem spürbaren Rückgang der Wählerregistrierung ausgegangen.
Hohe Mobilsierung
Die gängigen Meinungsumfragen gehen fast alle von einer ähnlichen Wahlbeteiligung und einer ähnlichen Mobilisierung der demokratischen Basis aus wie vor vier Jahren. Diese Annahme wird mit Fug und Recht bezweifelt. Einigermaßen neutrale Beobachter sehen daher alle Umfragen, in denen Obama eine leichte Führung hat, äußerst skeptisch.
Ein weiterer wichtiger Faktor sind die unentschiedenen Wähler, also Bürger, die noch kurz vor den Wahlen unentschlossen sind, wem sie die Stimme geben sollen. Die Geschichte der modernen amerikanischen Präsidentschaftswahlen zeigt, daß diese Gruppe in ihrer deutlichen Mehrheit fast immer dem Herausforderer den Vorzug vor dem Amtsinhaber gegeben hat. Man könnte es so formulieren: Hat ein Präsident nicht über vier Jahre die Zeit genutzt, um eine Mehrheit der Bevölkerung von der Richtigkeit seiner Politik zu überzeugen, so wird er das auch in den letzten Tagen des Wahlkampfes nicht mehr schaffen.
Den Wahlausgang werden also vermutlich die noch unentschlossenen Wähler der Swing-States entscheiden, die tatsächlich zur Wahl gehen und sich auch rechtzeitig haben registrieren lassen. Diese Gruppe demoskopisch zu erfassen, ist äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich.
Einigermaßen sicher ist jedoch: Die Wahlbeteiligung, zumal unter Demokraten, wird 2012 niedriger sein als 2008. Die Zahl der unentschiedenen Wähler ist immer noch so groß, daß sie, wenn sie zu 60 % dem Herausforderer zufallen (was historisch fast immer der Fall war), das Pendel zugunsten von Mitt Romney ausschlagen lassen werden.
Von herausragender Bedeutung ist auch die Richtung, in die sich die Umfragen bewegen. 2008 lag der damalige republikanische Bewerber, Senator John McCain, 6 Wochen vor den Wahlen etwa im gleichen Bereich wie Romney 2012. Während jedoch die Zahlen 2008 für Obama immer besser wurden, legt in diesem Wahljahr sein republikanischer Konkurrent kontinuierlich zu.
Das hatte 2008 auch damit zu tun, daß die Fernsehdebatten (in den USA ein TV-Großereignis ersten Ranges) gut für Barack Obama liefen. Das ist 2012 völlig anders. Die erste Fernsehdebatte wurde nach Ansicht aller Beobachter klar und eindeutig von Mitt Romney gewonnen. Ihm gelang es, seine Positionen in Sachlichkeit zu verdeutlichen und persönlich sympatisch aufzutreten, während Obama lustlos, arrogant und schlecht vorbereitet wirkte. Vor allem jedoch: Mitt Romney hat es in knapp zwei Stunden geschafft, alle gegen ihn verbreiteten Vorurteile auszuräumen. Diese Vorurteile zu schüren, ließ sich die Obama-Wahlkampfleitung rund 200 Millionen kosten, die in negativen Fernsehspots nutzlos verpulvert wurden.
Noch zwei Fernseh-Duelle
Auch die zweite Debatte zwischen den beiden Bewerbern um die Vizepräsidentschaft (Biden gegen Ryan) brachte keine Entlastung für das demokratische Lager. Vizepräsident Biden zeigte zwar große Kampfeslust, trat dabei jedoch mit abschreckender Arroganz auf.
Weitere zwei Debatten werden folgen und können natürlich noch große Auswirkungen haben. Ebenso können weltpolitische Ereignisse auftreten, die dem Wahlkampf noch eine unerwartete Wendung geben können. Unter politischen Beobachtern in den USA wird gemutmaßt, daß Präsident Obama noch ein außenpolitischer Erfolg beschieden sein könnte, wenn der Iran (der ein eigenes Interesse an der Verhinderung Romneys hat) plötzlich zu Konzessionen bei seinem Atomprogramm bereit sein könnte. Die US-Arbeitslosenzahlen weisen auch eine (manipulierte?) Tendenz nach unten auf.
Gewiß ist: Die Amerikaner haben eine klare Wahlentscheidung zu treffen. Wollen sie einen Weg gehen, der dem europäischen Marsch in den unfinanzierbaren Wohlfahrtsstaat gleicht, oder wollen sie der Regierung Schranken anlegen? Soll eine allmächtige Bürokratie in das Leben der Menschen hineinregieren oder soll individuelle Freiheit und das Recht auf das „Streben nach dem eigenen Glück“ , wie es die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vorgibt, weiterhin die Richtschnur staatlichen Handels sein? Am 6. November werden wir mehr wissen.
Skandal beim Parteitag der Obama-Demokraten
Die amerikanischen Südstaaten sind für ihre Gastfreundschaft bekannt, ebenso für ihre tiefe Verankerung im christlichen Glauben und für ihre patriotische Einstellung. So war es für die Bürger von Charlotte, der Hauptstadt North Carolinas, eine große Auszeichnung, daß der große Parteitag der Demokraten erstmalig dort zusammenkam.
Am Sonntag vor dem Kongreß versammelten sich mehr als 9.000 Menschen, um für das Gelingen der Veranstaltung zu beten. 56 verschiedene Kirchengemeinden nahmen an einer Aktion teil „adopt-a-delegation“, wollten also sozusagen die Patenschaft übernehmen über die Delegation eines Bundesstaates. Für jeden der vielen tausend Delegierten wurde ein Präsentkorb erstellt, u. a. mit berühmten Pralinen aus North Carolina und mit dem Angebot, bei Transport, Kinderbetreuung oder Fragen der geistlichen Betreuung behilflich zu sein.
Die mit Mühe hergestellten Präsentkörbe durften jedoch auf Anweisung der Parteiführung – das sind ausgesuchte Mitarbeiter Obamas – nicht verteilt werden. Offizielle Begründung: Die Kirchengemeinden würden Werte vertreten, die nicht im Einklang stünden mit dem Wahlprogramm der Partei Obamas.
Es kommt noch schlimmer: Während des Parteitages fanden sich auch 200 Moslems ein, um für den Parteitag zu beten. Sie wurden mit offenen Armen empfangen, und im Fernsehen wurde ausführlich berichtet.
Übrigens: Der Parteitag der Obama-Demokraten fand sozusagen am Vorabend des 11. September statt.
von Claus Dehl, unser Washington-Korrespondet