Die Grünen nach dem Parteitag in Hannover
Hannover, 16.-18. November, dunkle Limousinen der Oberklasse rollen zuhauf heran, Fahrer steigen behend aus, öffnen die Tür des Fonds, Tagungsteilnehmer im feinen, gedeckten Zwirn steigen aus – Minister, Staatssekretäre, Oberbürgermeister viele von ihnen – und schreiten unter dem Blitzlichtgewitter der Medienvertreter mit staatstragender Mine zum Konferenzort. Eine Szene, wie man sie von Kongressen der Arbeitgeberverbände oder der Industrie kennt. Es ist jedoch nicht der BDA oder der BDI, der hier Hof hält, es sind „Die Grünen“, die ehemals als naturbelassene Müslis starteten. Auch die passenden – ehedem z. T. erbittert bekämpften – Sponsoren sind da: vom Verband der Privaten Krankenversicherung über den Sparkassenverband, den DGB, die Autobahnraststellenbetreiber und den Immobilienverband bis hin zum Verband der Stahlindustrie. Nur eine Interessenvertretung fehlt auffallend: die Atom-Industrie. Na ja, vielleicht beim nächsten Mal.
Aber wo sind die Bärtigen, die Zottel von einst? Wo die Wallegewänder grüner Feministinnen? Ataché-Köfferchen statt Strickzeug, Budapester Schuhwerk statt Jesus-Latschen, Frauen in Chic statt grüner Emanzen – wie Teilnehmerinnen einer grünen Fashion Week usw., usw. Fürwahr, die Grünen scheinen im (gehobenen) Bürgertum angekommen zu sein, ja sie beanspruchen gar die „gesellschaftliche Mehrheit“ (Trittin). Camouflage, wohin man schaut. Ein Segen, daß Baldur Springmann selig das nicht mehr erleben muß.
Auch drin in der Halle von „Sponti“ keine Spur. Alles professionell organisiert und dekoriert, inklusive passender Accessoirs für die Delegierten – von Schals in bester Qualität (selbstverständlich mit Wollsiegel) bis zu jeder Menge Bonbons (Candy) – in Anspielung auf den „Candystorm“ nach der für Roth blamabel ausgegangenen Spitzenduo-Urwahl. Eine clevere Parteitagsregie hat für eine Mischung aus Debatten, Emotionen, Blumen, Tränen der Rührung, Umarmungen, Zuckerguß und „Gefühl“ gesorgt, als wolle sie die Delegierten – oder die Kritiker? – einlullen. Die „Anmutung“ paßte, hatte Erfolg – als hätte Rosamunde Pilcher das Drehbuch dazu geschrieben.
Daß die Zahl der Schals für die hinteren Ränge nicht ausreicht, interessiert vorne niemanden. Die Kameras stehen vorne, und wenn die Schals mit beiden Händen in die Höhe gehalten werden und der Aufdruck „Grün gewinnt“ gut zu lesen ist, stimmen die Bilder, die abends in die Wohnstuben gesendet werden. Die dahinten sieht man nicht. Eine neue grüne Flimmerwelt – von einer ehemaligen Basisbewegung zum politischen Zirkus denaturiert – inklusive Dompteur bzw. Zirkusdirektor. Dazu später.
Es werden Resolutionen verabschiedet, Parteitagsbeschlüsse gefaßt und Reden gehalten, davon jede Menge – säuberlich verteilt nach Flügel- und Geschlechterproporz. Jede Richtung darf sich artikulieren. Auffallend haben fast alle zwei Hauptthemen: die Absage an eine Koalition mit der CDU/CSU und die Beschwörung einer rot-grünen Allianz, da man den Schwerpunkt beim „Sozialen“ sieht. Programmatisch setzt man sich intensiv mit CDU und CSU auseinander, da kommen die Sozis kaum vor. Irgendjemand hat irgendwann einmal festgestellt, daß die „Schnittmenge“ zwischen Grün und SPD groß und die zur Union klein ist. Das muß man doch nicht argumentativ unterlegen. Basta.
Steuerprogramm aus der sozialistischen Mottenkiste
Daß sie sich gerne bürgerlich geben und der Union Stimmen wegnehmen wollen, steht wiederum in krassem Gegensatz zu ihrem Programm und zu den in Hannover gefaßten Beschlüssen. Um das „Soziale“ finanzieren zu können, greifen die Grünen zu alten sozialistischen Rezepten: Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, Aufhebung der Beschränkungen für Asylbewerber, massive Steuererhöhungen. Einkommensteuer-Erhöhung auf 49 Prozent – schon ab einem Bruttoeinkommen von 80.000 Euro (für Alleinstehende) –, eine auf zehn Jahre gestreckte Vermögensabgabe von 1,5 Prozent (ab 1 Million/Alleinstehende), Erhöhung der Erbschaftsteuer, Abschmelzung des Ehegattensplittings, (selbstverständlich) Abschaffung des Betreuungsgeldes und der „Rente mit 67“, ein gesetzlicher Mindestlohn (8,50 €) und letztlich die Einführung einer Bürgerversicherung. Alles Pläne, die auch einen Parteitag der „Linken“ schmücken könnten, die aber auf scharfen Widerstand der CDU – zumindest der CSU – treffen müßten. Nur zur „Rettung des Euro“ bleiben die Grünen die Antwort schuldig. Ist ja auch ein schwieriges Thema, das nicht gerade vom Hocker reißt.
Bei allen Programmvorschlägen und Debatten schielt die Selbstgerechtigkeit der Grünen durch. Sie stehen nicht nur moralisch auf der richtigen Seite, nein, sie sind die Moral schlechthin. Wer nicht so ist und denkt wie sie, ist unmoralisch und nicht gesellschaftsfähig. Ihr wichtigstes Opfer ist das „Bürgertum“. Die Grünen reklamieren für sich die „neue Bürgerlichkeit“ und erklären die Anderen für nicht reformfähig und von gestern. Sie beschließen das krudeste linke Zeugs und drücken ihm einfach den Stempel „bürgerlich“ auf. Die „neue Bürgerlichkeit“ ist eine linke Gesellschaft. „Mitte“ gibt es nicht mehr! Sie schaffen es, den Eindruck entstehen zu lassen, daß ihr Lebensmodell nicht die Ausnahme ist, sondern neue gesellschaftliche Norm. Jeder, der nicht so denkt wie die Grünen, ist nicht (mehr) bürgerlich, sondern reaktionär, notabene rechts, aus dem Zeitgeist gefallen. (Private Bemerkung: Und just da fühle ich mich zuhause.) Wer nicht die Gedanken der Grünen zum Thema Integration teilt, ist unchristlich, also ein Rassist. Flugs ist die (echte) Mehrheit der Bürger moralisch disqualifiziert und desavouiert. Wie lange lassen wir uns das noch gefallen?!
Rotes Personal
Es ist keine Frage mehr, wer die Grünen auch in den Jahren 2012/2013 sind und wofür sie stehen. Sie sind klassisch links und haben bei Lenin gelernt, wie man Tarnen und Täuschen erfolgreich betreibt. Wie glaubwürdig ist eine Partei, die mit sozialistischen Rezepten arbeiten, aber Stimmen der Bürgerlichen gewinnen will? Und man darf dann doch fragen: Wie kann es angehen, daß die bisherige Vorsitzende Roth mit nur einem Viertel Stimmenanteil der Basis-Mitglieder aus dem Rennen geschmissen, aber von den Delegierten mit 88 Prozent als Vorsitzende wiedergewählt wird? Roth soll die Partei führen – aber eben nicht in den Wahlkampf, weil man ihr das nicht zutraut. Ein Meisterstück der Camouflage. Da klafft ein Riesenloch zwischen Basis und Führungsschicht. Die grüne Funktionärsclique kümmert sich einen Dreck um die Meinung auf dem Lande, die vielbeschworene Basis. Und wieder grüßt Wladimir Iljitsch Lenin. Die Programme sprechen für sich, das Personal wird jedoch strategisch zur Tarnung vorangeschickt:
Der Altstalinist Trittin frißt bergeweise weiße Kreide und gibt sich seit zwei, drei Jahren als glühender Marktwirtschaftler und solider Finanzpolitiker, der umsichtig den „Circus verde“ dirigiert und bei Bedarf den Dompteur über unwillige Genossen spielt. Der neugewählte Stuttgarter OB Fritz Kuhn und Ministerpräsident Winfried Kretschmann agieren als brave Bürgerliche, jedem linken Gedanken abhold. Claudia Roth darf weiter mitspielen. Verkauft wird die Personalie mit dem Hinweis, sie halte die Linksaußen bei Laune. In Wirklichkeit hätte ein Sieg des Frl. Roth bei der Urabstimmung die Trittinsche Strategie der „neuen Bürgerlichkeit“ erheblich gefährdet. Sie ist einfach zu schrill und nervig. Das kommt beim linksgrünen Publikum an, läßt sich aber den bürgerlichen Wählern nicht vermitteln, sie nervt. Statt des Bürgerschrecks Roth mußte also ein rechtes Gegenstück aus dem Zylinder gezaubert werden.
Die „Theologin“ Göring-Eckardt
Voilà, a star is born: Katrin Göring-Eckardt, die neue, kometenhaft aufgestiegene Lichtgestalt der Grünen. Sie vermochte die linke Roth brutal zu marginalisieren und sich als neues konservatives Gesicht der Grünen zu zeigen – die „neue Rechte“ der Grünen sozusagen, vermeintlich. (Sage mir niemand, bei dieser gekonnten Inszenierung hätte der Zirkusdirektor Trittin nicht seine Hände im Spiel gehabt.) Auf den ersten Blick macht Göring-Eckardt tatsächlich einen bürgerlichen Eindruck. Sie ist Präses der Evangelischen Kirche Deutschlands, „Theologin“ und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer schreibt unübertrefflich süffisant (15.11.12):
„Wer aus der Tatsache, daß jemand Präses in der Synode der Evangelischen Kirche ist, auf eine konservative Grundhaltung im klassischen Sinne schließt, hat lange keinen evangelischen Kirchentag mehr besucht. Oder einen Gottesdienst in einer beliebigen Gemeinde der ehemals Nordelbischen Kirche. Alles, was den Grünen am Herzen liegt, findet hier seinen Platz und Segen, vom Tränenpazifismus über die etwas angejahrte Dritte-Welt-Romantik bis zu den Vorstellungen einer Wirtschaftsordnung, in der immer die anderen das Geld verdienen, das wir dann alle gemeinsam ausgeben.“
Das paßt generaliter zu Göring-Eckardt. Es wird kolportiert, daß sie gerne das Lied singt „Macht hoch, die Tür, die Tor´ macht weit…“ Leider nicht nur zu Weihnachten, sondern das ganze Jahr über: Wir brauchen mehr Immigranten, Asylanten, vorzugsweise muslimischen Glaubens; denn es sind alles unsere Brüder und Schwestern. Deshalb „die Tor´ macht weit“. Wem das nicht reicht, sei auf das Familienbild der Dame hingewiesen. Göring-Eckardt steht für alles, was das konservative Bild der Familie untergräbt – von der Homoehe über die „Regenbogenfamilie“ bis zur Freiheit „jede(r) darf mit jeder/m – auch Geschwister untereinander“. Das höchst merkwürdige Familienprogramm der EKD trägt ihre Unterschrift. An ihrer Grundeinstellung läßt sie keinen Zweifel. Bei ihrer Rede auf dem Parteitag ruft sie in den Saal: „Grün oder Merkel, darum geht´s.“ (…) „Wir wollen mit grüner Politik schwarze Wähler gewinnen, aber mit euch regieren wollen wir nicht!“ Das werden wir uns merken.
Merken sollten wir uns auch die zufällige (?) Übereinstimmung der Lebensentwürfe der beiden Führungsdamen der Grünen, Claudia Roth und Katrin Göring-Eckardt – was praktisch in keiner Zeitung zu lesen ist: Beide haben keine abgeschlossene Berufsausbildung, beide haben ihr Studium abgebrochen, und beide sind „zum Ausgleich“ in die Politik gegangen, haben früh dort Fuß (und Diäten) gefaßt und außer Politik keine „bürgerliche“ Existenzgrundlage. Das hindert die gleichgeschalteten Medien nicht daran, die eine als „Dramaturgin“ zu bezeichnen und die andere als „Theologin“. Claudia Roth hat ihr Dramaturgiestudium bereits am Ende des 2. Semesters (!) abgebrochen, Göring-Eckardt ihr Theologiestudium einige Semester später. Sowohl die Bezeichnungen „Dramaturgin“ als auch „Theologin“ gaukeln eine abgeschlossene Ausbildung (mit Studium) vor. (Es gehe auch um…) „so ein paar ganz normale Grundtugenden wie Anstand, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit (…) (wir haben…) vergessen, wie man sich benimmt…“, ruft – ausgerechnet – bezeichnete Katrin Göring-Eckardt in den Saal. Oh Herr, höre ihre Worte!
Wir sollten uns nichts vormachen lassen. Es reicht, daß der nordrhein-westfälische Vorzeigemigranten-Willkömmling Armin Laschet den Grünen bereits auf den Leim gekrochen ist. „Vom Lebensgefühl standen uns die jungen Grünen näher als manche aus der eigenen Partei“, erklärt Laschet (in der Wams) seine frühere Zugehörigkeit zur schwarz-grünen „Pizza-Connection“ in Bonn. Nach dem Umzug habe man sich weiter „in einem französischen Restaurant in Kreuzberg „Le Cochon bourgeois“ getroffen“, also im „Bürgerlichen Schwein“. Irgendwie paßt das doch! Auf die Frage, welchen Grünen er sich heute noch nahe fühle, antwortet Laschet (WamS 18.11.12): „Cem Özdemir und ich sind sogar schon im Karneval zusammen aufgetreten. Aber es gibt noch andere Freunde…“ Paßt auch! Und auch das sollten wir uns merken.
Die Grünen sind sich treu geblieben. Sie machen´s heute nur noch cleverer als früher, professioneller, american styled sozusagen. Wie ätzten schon vor einiger Zeit ehemalige Combattanten des grünen Obervaters Joschka Fischer: „Die wollten nur an die Fleischtöpfe.“ Da sind die Grünen wahrlich angekommen. Die Intonierung ihrer Lagerdebatte ist nichts anderes als ein Schaukampf – begleitet von geneigten Medien: Rot-Grün muß es sein – oder gar nichts!