Der Papstrücktritt Benedikts des XVI. hat viele auf die Probleme, mit denen das Papsttum und die Kirche zu kämpfen haben, aufmerksam gemacht. Hier mein Versuch, das alles ´mal in einfachen Worten und laienhaft zu erläutern. Ich fuße die folgende Darstellung auch auf meine – in aller Bescheidenheit: hochgelobte – Würdigung des Papstrücktritts (im Internet der Deutschen Konserva-tiven) vom 24. Februar d. J., die von vielen Publikationen und Internet-Plattformen übernommen wurde und mehrere hunderttausend Leser erreicht hat.
a.) Zunächst: Der Papst
Er ist Staatsoberhaupt (Vatikan-Staat) und (noch wichtiger) Oberhaupt der katholischen Kirche – nach katholischem Selbstverständnis also Oberhaupt „der Christen“ schlechthin; denn außer der katholischen erkennt „Rom“ keine andere Kirche an („una sancta catholica et apostolica ecclesia“, oder, wie ich als Kind schon lernte: „Wir (Katholiken) sind im wahren Christentum! Oh Gott, wir danken Dir!“). So werden Protestanten z. B. nach der katholischen Lehre wie Sekten behandelt – eines der größten Ärgernisse unserer Zeit, aus Sicht der Kritiker – aus Sicht der Katholiken aber nur konsequent. Der Vatikan ist die älteste absolute Monarchie der Welt, es gibt keinerlei Gewaltenteilung: Der Papst ist Staatsoberhaupt, Regierungschef und Oberster Richter, ein Parlament gibt es nicht – also keine Spur von Demokratie, was ein weiteres Ärgernis für die „Reformer“ darstellt.
Leider kann ich hier keinen theologischen Exkurs leisten, aber ich muß – ob ich persönlich damit übereinstimme oder nicht – dieses „Rollenverständnis“ in der Kirche akzeptieren: Unser Glaube ist dogmatisch, also in den wesentlichen Zügen unverrückbar festgelegt. Jedes „demokratische Element“ würde Dogmen zur Disposition stellen. Da es aber (nach kath. Auffassung) nur eine Wahrheit gibt, kann ich sie nicht „demokratisieren“, gar zur Mehrheitsabstimmung stellen. (Hinkender, aber plastischer Vergleich mit dem Militär: Warum gilt „Befehl und Gehorsam“? Weil ich einen Befehl nicht demokratisieren, zur Abstimmung stellen, kann!) Also, unser Glaube ist nicht „beliebig“, sondern „in ehernen Bahnen“ festgefügt. Nachteil und Vorteil dabei liegen auf der Hand. Der Nachteil: Diese dogmatische Haltung verprellt viele „modernen“ Gläubigen (?), besser: Zweifelnden, die bei allem mitreden, mitbeteiligt werden wollen. Der Vorteil: Dieses Festhalten an den Kern-Dogmen hat die katholische Kirche über 2.000 Jahre stabil gehalten, ohne Dogmen wäre die Kirche längst zerbrochen.
Zu diesem Themenkreis gehört noch ein weiteres, oft mißverstandenes Dogma: das der Unfehlbarkeit des Papstes. Natürlich ist der Papst (im natürlichen Sinne) nicht unfehlbar, sondern wie jeder Mensch fehlbar. Nur in „Glaubensfragen“ kommt wieder die absolutistische Rolle des Papsttums zum Ausdruck: „ex-cathedra“ verkündet der Papst die absolute (besser: absolut bindende) Wahrheit, womit er im Umkehrschluß also „unfehlbar“ ist. Das würden die „Reformer“ am liebsten sofort abschaffen. (Der „gemeine Mensch auf der Straße“ versteht´s eh nicht.) Aber auch hier sind wir beim Glaubenskern: Kein Papst ist so vermessen, lauthals aus dem Fenster zu rufen: „Sehet, ich verkündige Euch eine (neue) Wahrheit!“ Solche „Glaubens- und Verkündigungsfragen“ bearbeitet (bisher) jeder Papst nach langer, gründlicher Vorbereitung und stets nach Anhörung des Episkopates. Dann trifft er (als absoluter Herrscher) die Entscheidung und „verkündet“ sie. Und da sie nicht einspruchsfähig ist, ist sie eben „unfehlbar“.
Ehe ich jetzt ein Theologie-Seminar über das Papsttum beginne, sollte es mit diesen wenigen Sätzen zum Thema Papst ´mal genügen. Ich wollte kein Standardwerk schreiben, sondern – möglichst neutral, was mir als Katholiken nicht leichtfällt – das Für und Wider der Kirchenproblematik aufzeigen.
b.) Kleiner Einblick in den Zustand der katholischen Kirche:
Mit seiner Rücktrittsankündigung vom 11. Februar 2013 – und erst recht mit seinem am 28. Februar vollzogenen Rücktritt – überraschte Papst Benedikt Freund und Gegner. Der Mensch Joseph Ratzinger landete damit einen Befreiungsschlag, der kirchengeschichtlich praktisch einmalig ist.
Des Papstes Schritt zur Abdankung war nicht etwa eine Kapitulation vor gewissen kirchlichen Kräften und den von ihnen inszenierten Intrigen, sondern starker Ausdruck der Erkenntnis über die Endlichkeit des Menschen, der seine Hinfälligkeit rechtzeitig erkennt und öffentlich bekennt. Er hatte sich, wie jedermann weiß, nicht um dieses Amt beworben, aber dann mit äußerster Disziplin ausgefüllt. Sein Rücktritt war also nur konsequent.
Nach seinen eigenen Worten seien für sein Amt „sowohl die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes notwendig, eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, dass ich mein Unvermögen erkennen muß, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen…“ Den Rücktritt darf man durchaus als Ausdruck außergewöhnlichen Mutes, innerer Stärke und Größe betrachten, aber auch als Resignation (siehe unten). In seiner letzten Messe im Petersdom am 13. Februar d. J. fand er nochmals deutliche Worte: „Das Gesicht der Kirche wird manchmal von Sünden gegen die Einheit der Kirche und Spaltung zwischen den Geistlichen geschädigt.“ Dabei werde „das Zeugnis“ der Kirche „umso bedeutsamer sein, umso weniger wir unseren Ruhm suchen.“
Tiefe Betroffenheit, aber auch Dank und höchste Anerkennung erfuhr der Papst in den letzten Tagen in aller Welt. Nur sein Heimatland Deutschland tritt wieder einmal mit vielen Kritikern auf, die diesem Papst und unserer Kirche ein anderes Verständnis aufdrücken wollen. Dazu gehören die Aktivisten der sogenannten „Reformgruppen“, die im Lichte des Hl. Geistes betrachtet eher Reaktionäre sind, wie z. B. „Wir sind Kirche“ oder „Kirche von unten“, die die (kath.) Kirche ganz anders begreifen als etwa die Traditionalisten, nämlich als „Gemeinschaftsveranstaltung zur Hebung des Seelenheils“ (Helmes), in der alle Schranken des Respektes vor Gott und dem Priestertum entfallen (verkörpert eben durch den Ausruf „Wir sind Kirche!“)
Die Kirche ist aber kein Markt, keine Marketing-Veranstaltung, bei der die Gläubigen zu Kunden und die Kirche zu einem Sozialverein mutieren und somit den Glauben letztlich zur bloßen Ethik herunterziehen. Bei seinem Besuch in Freiburg (2011) mahnte denn auch Benedikt: Um frei zu sein für die Welt, dürfe die Kirche nicht selbst „Welt“ sein. Sie dürfe nicht der „Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zur Offenheit“ geben. Dahinein gehört auch seine Mahnung, die „Institution Papst“ nicht zu einem sakralen „Führungslogo“, zu einer „Trademark“, aufzublasen. So wollte Papst Benedikt XVI. nicht enden. Dirk Schümer brachte es in der FAZ (12.2.) auf den Punkt: „…es ist beileibe kein Zufall, dass es dieser kühle, scheue Intellektuelle aus Bayern jetzt tat – und damit in im mühsamen Update des uralten Papsttums nun doch noch zur historischen Figur wird…“. Die Kirche ist für den Pontifex – ganz im Gegensatz zu den „Reformern von unten“ – kein Gesprächszirkel z. B. zur Klimarettung oder zu (geistigen oder geistlichen) Unterhaltungsprogrammen. „Die Kirche ist nicht irgendeine Vereinigung, die sich um die religiösen Bedürfnisse der Menschen kümmert, aber eben ihr beschränktes Vereinsziel hat. Nein, sie bringt den Menschen in Berührung mit Gott und so mit dem Ursprung aller Dinge. Deshalb geht Gott uns als Schöpfer an, und deswegen tragen wir Verantwortung für die Schöpfung“ (Benedikt in der Osternacht 2011). Die Kirche, meint Benedikt, dürfe sich nicht zuerst um alles Mögliche kümmern und dann nur noch ein bißchen um den Glauben. Ich ergänze: Sie ist keine „Caritas- oder Rote-Kreuz-Organisation mit geistlichem Beistand“.
c.) Zur Weltkirche
Es bleibt zu hoffen, daß die gerade in Deutschland verbreiteten „Basis-Katholiken“ auch in Zukunft keinen größeren Einfluß auf die Weltkirche nehmen können. Wer die katholische Kirche ausschließlich aus dem deutschen Blickwinkel sieht, verkennt die weltumspannende Rolle der Kirche. Rücksicht auf deutsche Befindlichkeit wird auch dem neuen Papst nicht Richtschnur seines Handelns sein (können). Der Vatikan, und nicht das ZK der Deutschen Katholiken, ist das Zentrum der Weltkirche mit rund 1,2 Milliarden Gläubigen. Die Kirchen (wo erlaubt) in den Ländern Asiens, Afrikas und besonders Lateinamerikas sind voll, die deutschen jedoch immer leerer. Die Bindekraft der katholischen Kirche schwindet in Deutschland und in einigen „weltlichen“ Ländern Europas, während sie in der alten „Dritten Welt“ rasant wächst. Man darf fragen, woran das wohl liegen kann.
Anders ausgedrückt: Wir Europäer, vor allem die Deutschen und die Italiener, betrachten nach wie vor „Rom“ als natürlichen Mittelpunkt der (christlichen) Welt. Sie erwarten – unausgesprochen –, der Papst möge sich nach unseren Sorgen und Meinungen ausrichten. Von daher erklären sich viele Spannungen in der katholischen Kirche. Ich will versuchen, die verschiedenen Flügel aufzuzeigen:
Die kirchliche Macht zeigt sich (neben dem Papst) in ihren Bischöfen (Episkopat) und ihren Kardinälen.
1.) Wir haben da natürlich die zahlenmäßige Übermacht des europäischen Episkopates und (rd. 40 %) bei den Kardinälen. Dies entspricht schon lange nicht mehr der Realität: In Europa schmilzt die Zahl der Gläubigen dramatisch, in Lateinamerika (und Afrika!) nimmt sie rasant zu. Aber die Zahl bzw. die geographische Verteilung der Bischöfe ist nicht ausgewogen, nämlich Europa-lastig. Das gebiert Spannungen zw. Europa und der III. Welt.
2.) Gerade Papst Benedikt, aber vorher auch schon Joh. Paul II. (der Pole) haben Bischöfe und vor allem neue Kardinäle ernannt, die halbwegs „auf Linie“ sind. Das schuf Spannungen zw. den „Modernisierern“ und den Traditionalisten. Das derzeit größte Problem im Klerus; denn das pflanzt sich fort bis zum einfachen Klerus, wobei die Deutschen, Österreicher und Schweizer in beiden Lagern die führende Rolle spielen. Gerade hier in Deutschland halten sich die „Blockierer“ und die „Modernisten“ die Waage. (Von daher auch meine Klage, daß die Deutsche Bischofskonferenz nicht mal die Spur einer kleinen Dankesanzeige an Papst Benedikt veröffentlichte.)
3.) Nun kommt das dritte Problem: Es gibt nicht nur (weltweit) die derzeit rd. 180 Kardinäle aus den verschiedenen Ländern (darunter rd. 130 Papstwahl-berechtigte), sondern darunter finden sich auch die „Kurien-Kardinäle“. (Die „Kurie“ ist die vatikanische Behörde, die Ämter; ein „Kurienkardinal“ ist also im Prinzip sowas wie ein Minister in einer Staatsregierung.) Jedem Kurienkardinal ist ein Amt, eine “Kurie“, zugeordnet. Z. B. war Ratzinger als Kurienkardinal „Präfekt“ der Glaubenskongregation, der wichtigsten Behörde des Vatikans. Kleiner Ausflug: Die Glaubenskongregation ist ebenso absolutistisch mächtig wie der Papst: Sie beobachtet und „verfolgt“ die Glaubensfragen (der Kath.) in der ganzen Welt. Wenn sie feststellt, daß jemand von der reinen Lehre abweicht, kann diese Kongregation nicht nur anklagen, sondern gleich auch bestrafen – sogar mit dem Kirchenrausschmiß (siehe Küng). Diese Stellung ist nahezu allen Papstkritikern ein Dorn im Auge.
4.) Es herrscht zwischen den Kardinälen eine fast unübersichtliche „Gemengelage“:
– zwischen den verschiedenen Nationen,
– zwischen den verschiedenen Alterszugehörigkeiten,
– zwischen „Modernierern“ und Konservativen,
– zwischen den italienischen Kardinälen (in der Überzahl) und fast allen anderen Kardinälen,
– zwischen (natürlich anonymen) Homosexuellen und „Anständigen“,
– zwischen „Gangstern“ und Braven,
– zwischen den Braven und der Vatikanbank (Geldwäsche) etc.
Wahrscheinlich müßte ich morgen noch tippen, wollte ich Ihnen alle Konfliktlinien aufzeigen. (Erst vor wenigen Tagen hat Papst Franz besorgt auf die „Schwulen-Mafia“ im Vatikan hingewiesen.) Zu beachten ist auch, daß es schließlich nicht nur um die Kardinäle in der Kurie alleine geht; jede Kurie hat natürlich ihren eigenen, meist dem Kurienkardinal treu ergebenen „Apparat“: Beamte (Bischöfe, Priester, Weltliche), die alle an ihre Karriere denken (müssen) und stets ein offenes Ohr für Intrigen aller Art haben – bis hin zum Mord.
Kircheninterne Hinterlistigkeiten
Schwer zu schaffen machten Benedikt deshalb diese vielen Intrigen in der Kirche selbst, und vor allem im Vatikan. Diese z. T. hinterfotzigen Streitereien, Durchstechereien und Querelen machten den Papst mürbe und schadeten in erheblichem Maße seiner Gesundheit. Er hatte (zeitlebens) nicht die Kraft, dagegen vorzugehen. Er war ein viel zu „lieber Mensch“, um entsprechend aufzutreten – insofern war er kurientechnisch gesehen eine klare Fehlbesetzung. Zu allem Übel sah er sein Amt ausschließlich aus dem Blickwinkel der Religion und hatte keinen Blick für solch weltliche Dinge. Darüber ist er letztlich gescheitert (siehe auch „Vatileaks“).Mit seinem Rücktritt ist gewiß auch sein Wunsch verbunden, einen neuen Anfang für die Kirche zu erzwingen. Er selbst sah sich wegen seiner schwindenden Kräfte dazu nicht mehr in der Lage. Der neue Papst Franz wird die Möglichkeit haben, eine neue Kurie zusammenzustellen. Nimmt er diese Chance nicht wahr, gehen die Intrigen weiter – zum Schaden der Kirche und der Gläubigen.