Von Waldemar Pabst | 5.Juli 2013
Während Mursis Stunde in Ägypten schlug, demonstrieren nach wie vor täglich Menschen in der Türkei gegen Erdogan und dessen Traum als großer Führer der Türken und des Islam in die Geschichte einzugehen. Die säkular fühlenden Menschen beider Schlüsselstaaten des Orients stehen gegen den Versuch ihrer Regierungen auf, die Länder in religiös dominierte Gesellschaften zu verwandeln. Mögen deutsche Medien dies auch eher widerwillig wahrnehmen, zu gewöhnt hatten sich diese daran, den radikalen Islameinführern kopfnickend zu folgen, uns zu vermitteln, sie stünden für das Wollen ihrer Völker, die Sympathie der Menschen in Deutschland gehört natürliche denen, die aufbegehren, ihr Leben einsetzen.
Ganz so einfach freilich ist es nicht. Es ist Revolte gegen demokratisch gewählte Regierungen und gegen die von ihnen geschaffenen Verfassungen. Sicher sind die Wahlen dort nicht zu 100% mit hiesigen Standarts zu vergleichen, gleichwohl bezweifelt niemand, dass ihre Ergebnisse der Ausdruck des Willens der Mehrheit der Wähler war. Selbst heute noch soll nicht ausgeschlossen werden, dass die Demonstrierenden nur eine Minderheit hinter sich vereinen könnten. Wer es bei uns für selbstverständlich hält, dass, wie lautstark Minderheiten auch immer für ihre Überzeugungen auftreten mögen, diese sich natürlich dabei an Recht und Gesetz zu halten haben (Stuttgart 21 war das Musterbeispiel dafür, wie weit der tatsächliche Wille der Menschen von den Demonstrationen entfernt gewesen ist), der sollte kurz innehalten, bevor er seiner Begeisterung über die Ereignisse in Kairo freien Lauf lässt, schon gibt es Occupy Freunde, die meinen, Istanbul mit Frankfurt vergleichen zu können, weil es rein in der Form doch dasselbe wäre.
Lässt man beiseite, dass natürlich eine Einkesselung zum Zwecke der Personalienfeststellung, wie unverhältnismäßig sie eventuell gewesen sein mag, schwerlich mit den Prügelorgien der Erdoganpolizei, den Massenfestnahmen und auch Toten vergleichbar ist, dann bleibt doch, hier wie da, Aufbegehren gegen die legale Ordnung, nicht wie ’89 die Revolution gegen die verbrecherische Diktatur. Um Mursis Ende und den Kampf gegen Erdogan zu unterstützen, bedarf es einer subjektiven, einer inhaltlichen Begründung des Ausnahmefalles.
Nicht nur die Rechtmäßigkeit des Machterwerbs begründet die Berechtigung einer Regierung, sondern auch ihr Umgang mit den Grundrechten. Das Grundgesetz beinhaltet sogar ein Widerstandsrecht gegen jeden, der es unternimmt, die freiheitliche Ordnung zu zerstören. Was das ist, wann es beginnt, hängt natürlich von der persönlichen Wahrnehmung des einzelnen ab, weshalb die praktische Erprobung dieses Widerstandsrechtes hoffentlich nie erfolgen wird. Soweit bestand in Deutschland bislang Konsens, dass keine Regierung seit Bestehen der Bundesrepublik sich dagegen vergangen hätte. Die Verankerung des Widerstandsrechts ist jedoch ein Signal, dass ein verfassungsmäßiges Zustandekommen keine Staatsführung berechtigt, an der Abschaffung von Demokratie und Rechtsstaat zu arbeiten. Natürlich hat dies seine Ursachen, sie liegen in der Regierungsübernahme Adolf Hitlers, der ihr folgenden brutalen Beseitigung der Demokratie aus der Legalität von Regierungsgewalt und Reichstagsmehrheit, dem hilflosen Zusehen der Demokraten sowie der Kollaboration der Institutionen.
Die Republik war nicht hilflos, es gab einen guten Polizeiapparat, eine Armee, demokratische Parteien und einen paramilitärischen Verband, das Reichsbanner. Warum sie sich nicht gewehrt hätten, nicht aufgestanden wären, sind die Angehörigen der Letzteren später oft gefragt worden, ihre Antwort war nicht selten, dass sie nicht erwartet hätten, dass Hitler eine legale Regierung bildete, sie gegen das Gesetz hätten aufstehen müssen, was sie lähmte. Ihnen sei zugute gehalten, dass sie sich zwar der Diktatur ergaben, jedoch nicht ansatzweise ahnen konnten, wohin die Nazis Land, Kontinent und die Welt bringen würden. Das nämlich weiß man vorher nie. Die Reichswehrführung debattierte und tat nichts. Wer heute dem General Abdel Fattah Al-Sis vorhält, einen Militärputsch durchgeführt zu haben, der möge niemals Hammerstein, Schleicher und Bredow dafür kritisieren, am 30.01.1933 nicht Hindenburg an der Ernennung Hitlers gehindert zu haben.
Dass die Regierung Erdogan ebenso demokratisch gewählt wurde, wie die Regierung Mursi, gibt beiden selbst dann nicht das Recht, die Demokratie offen oder schleichend in eine religiös dominierte Staatlichkeit umzuwandeln, wenn die Mehrheit der Bevölkerung ihnen folgt. Die Relativisten, die hierzulande warm und trocken davon faseln, dass die eigene Gesellschaftsordnung nicht anderen Völkern aufgedrängt werden solle, können von den Protestierenden in Kairo, Istanbul und anderswo lernen, dass die Werte der freien Welt universell sind, Werte sind, für die es sich lohnt zu kämpfen und aufzustehen, wenn die Führungen antreten, sie ihren religiösen Überzeugungen zu unterwerfen, an ihre Stelle Auslegungen von Religionsschriften der letzten 1500 Jahre setzen zu wollen. Unterdrückung und Freiheit sind nicht gleichwertig, Wo Religion in Staatlichkeit eingreift, beschneidet sie die Freiheit all derer, die nicht an sie glauben, nicht ihre Werte teilen. Sie macht Andersgäubige, wie Ungläubige zu Menschen zweiter Klasse, sogar jene, die glauben, aber nicht ihr Leben nach den Gesetzen lange verblichener Propheten ausrichten möchten.
Es ist eine bunte Mischung, die sich dagegen zusammengefunden hat. Weit links stehende unter ihnen sind Gegner unseres Systems, doch die Meinungsfreiheit gilt für jeden, wer sie ihnen nehmen will, wird es morgen auch bei anderen tun. Schwule, Transvestiten, Prostituierte, Hedonisten oder Trinker, sie haben dieselben Rechte, wie alle anderen Bürger. Unter dem Druck der Entdemokratisierung durch Tugendgesetze, haben sich in Istanbul alle laizistisch Denkenden aller gesellschaftlichen Schicht und politischen Ausrichtungen solidarisch zusammen gefunden. Ihr Protest ist berechtigt, ihr Ziel, der Sturz Erdogans so legitim wie ihre Mittel, denn es geht um die Bewahrung ihrer Grundrechte, die auch die Mehrheit der Minderheit niemals entziehen können darf. Was für die Türkei aber gilt, gilt für Ägypten erst recht, wo zuletzt der Mordaufruf an Hamed Abdel-Samad den unterstützenden Händedruck des Präsidenten zur Folge hatten.
Diese Bewegung in Ägypten und der Türkei ist noch mehr. Sie ist beispielgebend für die gesamte Region, die seit jenem finsteren “Frühling” dabei war, in einen Gottesstaat nach dem anderen zu treiben, wo Eiferer blutige Massaker an Andersdenkenden anrichtend, Frauen entrechtend, die Sharia einführend die Region in Brand zu setzen suchten. Niemand von uns kann mehr behaupten, er hätte nicht gewusst, dass dies nicht der Einheitswille dieser Völker wäre, niemand sich dahinter verschanzen, dass er nur deren angebliche Kultur respektieren würde, wenn er Moslembrüder, Salafisten, AKP und Gülen-Bewegung als einzige Repräsentanten akzeptiert.
Ein Militärputsch ist nie etwas Schönes. Die Westerwelles und Obamas aber, deren Amtseid sie verpflichtet, die eigenen Werte ihren Völkern zu erhalten, müssen aufhören, um formaler Prinzipien willen, andere Völker der Gottesstaatsidee auszuliefern.