Lichtschlag, Putin und der Paläolibertarismus

zar2Eine Entgegnung von Waldemar Pabst

Am 5. März brachte conservo einen Artikel aus der Feder von Waldemar Pabst, der sich kritisch und ironisch mit der Politik des russischen Präsidenten auseinandersetzte. Das führte, wie nicht anders zu erwarten, zu Protesten, auch gegen conservo. Wir wollen aber dieses blog nicht zensieren, solange die hier geäußerte Meinung auf dem Boden des Grundgesetzes bleibt.

In einem Artikel in „eigentümlich frei“ hat Autor Axel Kraus wiederum Pabst angegriffen (http://ef-magazin.de/2014/03/11/5054-entgegnung-kleine-fakten-fuer-korporatistenversteher-und-massenmordleugner). Im folgenden Beitrag setzt sich Pabst mit der Krauss-Kritik auseinander.

Lesen bildet. Zum Beispiel weiß ich jetzt, dass es den Paläolibertarismus gibt. Zwar noch nicht, was das ist, schon der Begriff libertär sagt mir nicht viel, ich bin nicht einmal liberal, egal. Paläolibertär soll das ef-Magazin des André F. Lichtschlag sein. Über die Jahre hat dort eine stattliche Anzahl von Autoren veröffentlicht, bekannte, geschätzte, auch virtuell befreundete dabei, dazu eher grenzwertige. Da die offene Gesellschaft von der Meinungsvielfalt lebt, haben auch paläolibertäre (das Wort ist einfach rattenscharf) Magazine ihre Existenzberechtigung, solange man nicht gezwungen ist, sie zu mögen oder zu lesen. Zu letzterem allerdings reizt es, wenn eigene Texte darin Erwähnung finden.

Diese Ehre widerfuhr den kleinen Fakten für Putinversteher, einem Axel Krauss scheinen sie nicht gefallen zu haben, weshalb er sich frei und durchaus eigentümlich darüber erbrach. Vordergründig ist es eine wunderbare Bestätigung, auf der richtigen Seite zu stehen, wenn ein kleiner Text eines Gelegenheitsbloggers ausreicht, dass ein Amerikahasser, 9/11 Truther, Assadfan und Wallstreetverschwörungsideologe einen tiefen Einblick in seine hasserfüllte Gedankenwelt gibt, sich vom “gesprengten” WTC über Syrien, der “wahnsinnigen” Hillary Clinton, Uranmunition, dem unvermeidlichen Geld- und Finanzsystem in Rage schreibt. Wer Spaß daran hat, lese es selber nach, das ganze Verschwörungsprogramm zusammengefasst.

Okay, zur Krim eher weniger, natürlich wurde mit keinem Wort auf die eigentliche Aussage eingegangen, dass es niemals Akzeptanz finden dürfe, wenn eine Garantiemacht zum Annektieren einmarschiert, da dies das gesamte internationale Vertragssystem und Staatengefüge in Frage stellte. Wer solche Leute gegen sich hat, kann gar nicht falsch liegen. Umgekehrt sollte jeder, der noch meint, “differenziert” betrachten zu müssen und Appeasement damit meint, darüber nachdenken, wer neben ihm im moskowiter Boot sitzt.

Allerdings wirft die Tatsache, dass derartige Ausbrüche zu diesem Thema in einem bislang für seriös gehaltenen Magazin der demokratischen Rechten erscheinen können, sehr grell und unübersehbar das Licht auf den schmerzlichen Bruch, der das konservative Lager teilt, der so tief und grundsätzlich ist, dass schwerlich eine Brücke wieder herzustellen sein wird und früher oder später niemand, der sich auf dieser Seite des politischen Spektrums wähnt, der Positionierung prowestlich oder antiamerikanisch wird entgehen können. Das, was Lichtschlags Schlaglicht wirklich anstrahlt, ist im Unterschied zu den Zeilen von Herrn Krauss nicht mehr lustig, führt weg vom kruden Autor und der paläolibertären (ich liebe es) Ausrichtung des Magazins.

Konservativ war Reagan, konservativ der rechte Flügel der Union, der sich ebenso zu überkommenen Werten wie zur Westeinbindung bekannte, grundsätzlich atlantisch orientiert war, marktwirtschaftlich bis auf die Knochen, im Kalten Krieg eine klare Position hatte, unbeirrt gegen die Friedensbewegung, die Nachgiebigkeit gegen die roten Diktaturen stand und schließlich 1989 Recht behielt.

Das Ende des Sowjetimperiums hat nie ein Ende der Bedrohung der freien Welt bedeutet, spätestens 9/11 war es nicht mehr zu verleugnen. Der Zusammenschluss der Staaten des Westens, ideell wie institutionell, ist nicht minder aktuell als in den Jahrzehnten zuvor. Daran ändern weder verkrustete antidemokratische EU Bürokratien noch Versager als US-Präsidenten etwas. Besonders nicht in Zeiten, da eine autokratische russische Führung den Versuch beginnt, das alte Reich wieder herzustellen.

Mit dieser Sozialisation ist es nicht ganz leicht zu erfassen, dass es eine wachsende Strömung gibt, deren Konservatismus sich in eine antiwestliche, dezidiert antiamerikanische deutschnationale Denke der Vorhitlerzeit zurück entwickelt hat, die sie ins 21. Jahrhundert transferiert. Wer genau hinsah, bemerkte seit längerem, wie es sich ausbreitete, erst als Bauchgefühl, deutlich, seit beim Thema Syrien Junge Freiheit und Junge Welt identische Artikel schrieben. Wirklich konzeptioneller Vordenker wurde dann Alexander Gauland. Für die AfD schrieb er ein außenpolitisches Thesenpapier, das aber weit über den eigentlichen Anlass hinausging.

Gauland hat sehr vorsichtig formuliert, bewusst in seiner Aufzählung deutsch-russischer Sternstunden auf die Erwähnung Rapallos und des Hitler-Stalin-Paktes verzichtet, zwischen den Zeilen wird allerdings sehr deutlich, was er gemeint hat. Seine Anhänger haben ihn genau verstanden, posten es täglich alle Netzwerke rauf und runter. Der Gedanke ist schlicht: Deutschland verschiebt seinen Schwerpunkt aus der Westbindung, verweigert jede internationale Verantwortung, es sei denn, die Probleme bestünden unmittelbar vor der eigenen Haustür, und igelt sich als identitäre europäische Mittelmacht ein, das Ganze im Bündnis mit Russland und von diesem abgesichert, daher der Hinweis auf Bismarck, es ist die Rückversicherungsvorstellung, die in die Gedanken kommen sollte.

Fast 70 Jahre nach Kriegsende muss es eine gewisse Vergesslichkeit sein, die auf solche Ideen kommen lässt. Tatsächlich ist der Entwurf schon unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts und einer aufblühenden deutschen Großmacht mit Bismarcks Abgang grandios gescheitert. Um es für deutschnationale Herzen sehr verkürzt, aber verstehbar auszudrücken: Deutschland ist zu groß, um nicht als Solitär den Argwohn seiner Nachbarn zu wecken (von seiner Geschichte im 20. Jahrhundert als Alptraum des Kontinents ganz zu schweigen) und zu klein, um sich dennoch durchsetzen zu können. Das ist, wie es ist, und es ist nicht zu ändern. Auch nicht, wie das Beispiel des Kaiserreichs zeigt, mit russischer Rückversicherung. Auch der verbiestertste Nationalist, der sich nun Patriot nannte, hatte dies in den Trümmerwüsten deutscher Moral und deutscher Städte am Ende des verlorenen, selbst begonnenen Vernichtungskrieges begriffen, um auf die Idee der Westintegration zu setzen, mit beispielloser Erfolgsgeschichte: Rückkehr in den Kreis der zivilisierten Nationen, Wirtschaftswunder, Frieden in Freiheit, Aufstieg zu einer der ersten Wirtschaftsnationen, schließlich Wiedervereinigung, europäische Führungsmacht.

Natürlich sind die Bedingungen im Jahre 2014 noch ganz andere als in der guten alten Zeit. Eine globalisierte Ökonomie lässt sich auch in der Wagenburg nicht abschaffen. Gründeutschland als Macht ist eine Lachnummer, besonders für den Rückversicherer. Interessenwahrnehmung ist das neue Lieblingswort der Gaulandjünger. Danach gefragt, was das denn wäre, kommt reflexhaft: Die Loslösung aus der angeblichen “amerikanischen Abhängigkeit”, wahlweise auch Knechtschaft genannt, womit oben erwähnte Erfolgsgeschichte gemeint ist und, ja was eigentlich noch? Vielleicht steht dahinter ein bildungsbürgerlicher Kulturantiamerikanismus, Hollywood, McDonalds und Mickeymaus gegen die tiefschürfende europäische Lebensart, vielleicht der Minderwertigkeitskomplex jener, die sich lieber generationenübergreifend als die ewigen Verlierer des 2. Weltkrieges fühlen wollen denn als die großen Sieger der Nachkriegszeit durch radikale Umkehr aus den Irrwegen der jüngsten Vergangenheit. Was eine sich vom Rest der Welt abkoppelnde Festung Deutschland, die bis dato vom Handel lebte, unter dem Protektorat einer aggressiven, labilen und autoritär geführten Ex-Supermacht mit der Wahrnehmung deutschen Interesses zu tun hat, verstehen wahrscheinlich nicht einmal die zahlreichen Protagonisten dieser Richtung.

Das aber hindert sie nicht, wie Gläubige ihren Platz an der Sonne in Moskau zu suchen und in treuer Eintracht mit den letzten Bolschewisten dieses Landes jeden putinschen Propagandamüll, wie durchschaubar auch immer, in die Welt zu posaunen, als wäre es das Evangelium. Das einzig Positive an der Krimkrise ist, dass sich bei den Konservativen die antiamerikanische Spreu vom Weizen trennt. Zum Heilsbringer deutscher Rechter ist ein ehemaliger subalterner KGB-Resident geworden, der sich halbnackt durch die Tundra reitend abbilden und seine rostende Armee in das destabilisierte Nachbarland einmarschieren lässt.

Die schärfsten Satiren schreibt immer das Leben.

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Conservo-Redaktion