Eine Satire von Thomas Böhm
Vor einigen Tagen lebte einmal ein Herr Kaiser, den nannte man den Herrn der Mode. Kein Mensch im Lande wusste so gut wie er, wo sich der rote Faden durchzieht. Was er trug, galt als die neueste Masche und wurde Modegesetz. Sämtliche Zeitschriften befragten ihn regelmäßig nach den neuesten Trends, um ja nicht den Faden zu verlieren, und auch wenn vielen sein Geschmack über die Hutschnur ging, versuchten ihn alle nachzuäffen. Keine internationale Modenschau lief ohne ihn über den Laufsteg.
Entsprachen die Entwürfe nicht seinen Vorstellungen, so konnten die Designer gleich ihren Hut nehmen. Die meisten Macher hatten Manschetten vor ihm. Kein Modemeister wagte es, ihm den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Wer sich Herrn Kaiser widersetzte oder sich mit ihm in die Wolle kriegte, riskierte Kopf und Kragen.
Viele Karrieren in der Modebranche hingen von seinen Launen ab und somit meist an einem seidenen Faden. Finanziell war er ein gemachter Mann, gut betucht, wie man so sagte, beruflich bekleidete er einen hohen Posten. Er war bei seinen Eltern wohlbehütet aufgewachsen. Privat galt Herr Kaiser als etwas versponnen und zugeknöpft, der sich gerne einmal heimlich einen hinter die Binde goss, politisch galt er gar als ‘rote Socke’. Selten aber, dass Herr Kaiser aus dem Nähkästchen plauderte.
Eines Morgens nun kamen zwei Herren, namentlich Herr Hinz und Herr Kunz, auf leisen Sohlen bei Herrn Kaiser vorbei und stellten sich als renommierte Modemacher aus dem Ausland vor. Herr Kaiser, immer auf der Hut, befand nach längerer Prüfung, sie hätten eine weiße Weste und ließ sie zu sich auf sein Modeschloss kommen.
Herr Hinz und Herr Kunz waren aber in Wirklichkeit zwei halbseidene und gerissene Geschäftemacher, die sich mit fadenscheinigen Argumenten bei Herrn Kaiser eingeschlichen hatten und diesen nun nach Strich und Faden abledern wollten.
Ohne sich zu verhaspeln oder in Widersprüche zu verstricken, erzählten sie ihm, dass sie es verstünden, den schönsten Stoff zu weben und zu schneidern, den man sich denken könne. Die Farben und das Muster wären schon ungewöhnlich schön, die daraus gefertigten Kleider besäßen zusätzlich die wunderbare Eigenschaft, dass sie für Menschen unsichtbar wären, die unverzeihlich dumm seien und nichts von Mode und Zeitgeist verstünden.
Herr Kaiser war richtig von den Socken. Das wären ja prächtige Kleider, dachte er sich, wenn ich die trüge, könnte ich dahinterkommen, wer von den vielen Speichelleckern tatsächlich etwas von Mode und Zeitgeist versteht. Außerdem könnte man endlich die Dummen von den Klugen unterscheiden.
Herr Kaiser gab den beiden viel Geld und überließ ihnen einen großen Raum im Schloss, damit sie dort ungestört anfangen könnten zu arbeiten. Herr Hinz und Herr Kunz taten so, als ob sie einen Stoff aus ihrem Koffer holten und fingen an, durch die Luft zu schnippeln und zu schneidern. Dann nahmen sie erstmal eine Mütze voll Schlaf.
In der Zwischenzeit erzählte Herr Kaiser allen wichtigen Modemenschen von diesem neuen, einzigartigen Stoff, und bald wusste das ganze Land davon.
Nach einigen Wochen meinte Herr Kaiser, einmal nachsehen zu müssen, was aus den neuen Kleidern geworden sei. Zwar war er der festen Überzeugung, er könne es sehen, aber dennoch wollte er erstmal lieber andere vorschicken. So rief er den Chefredakteur der wichtigsten Modezeitschrift und den Verantwortlichen im Sinne des Pressegesetzes eines großen Zeitgeistmagazins zu sich, sie sollten sich doch einmal sein neues Kleid betrachten. Die beiden Berufenen betraten den Arbeitsraum und sahen nichts außer zwei Herren, die ihnen stolz einen leeren Kleiderbügel entgegenhielten.
„Verflixt und zugenäht, bin ich denn dumm?“, fragte sich der Chefredakteur. „Ich sehe ja nichts.“
„Mir reißt doch glatt der Faden“, dachte der Verantwortliche i.S.d.P., „verstehe ich denn nichts von Mode und Zeitgeist?“
Da ihnen aber das Hemd näher als die Hose war, fingen beide an zu klatschen, waren voll des Lobes und beglückwünschten Herrn Hinz und Herrn Kunz zu den ausgefallenen Ideen. Anschließend gingen sie zu Herrn Kaiser und schwärmten von der fantastischen Haute Couture und kauften einige Exklusivgeschichten ein.
Da freute sich Herr Kaiser und beschloss, mit diesem neuen Kleid eine Modenschau zu arrangieren, so groß, so bedeutend, wie es die Welt noch nie erlebt hatte. Da er sich selber schon immer als einen stattlichen Mann betrachtete, wollte er selber das Kleidungsstück auf dem Laufsteg der Weltöffentlichkeit präsentieren.
So ging er zu seinen beiden Modemachern, um das gute Stück zu betrachten und nach seinen Maßen fertigen zu lassen. Voller Ernst zeigten ihm die Herren Hinz und Kunz den besagten Kleiderbügel. Herrn Kaiser war zumute, als ob ihm jemand etwas vor den Latz geknallt hätte, er drohte aus den Pantinen zu kippen.
„Bei meiner Nachtjacke! Ich sehe ja nichts!“ schrie er in sich hinein. „Ist das alles nur ein Hirngespinst? In was habe ich mich da verstricken lassen?“ Erst wollte er den beiden an die Wäsche gehen, weil er sich auf den Schlips getreten fühlte. Aber dann überlegte er: Vielleicht ist das ja ein Kleidungsstück, dass ich nicht sehen kann, weil ich einfach zu dumm bin, um die Genialität zu erkennen. Also bloß nichts anmerken lassen. Es wäre ja entsetzlich, wenn die anderen erfahren würden, dass ich nichts von Mode und Zeitgeist verstünde.
Also sagte er sich: „Alles Jacke wie Hose“ und fing vor Freude an zu weinen. Dann ließ er sich das Nichts maßschneidern, probierte es ein paar Mal an und zeichnete die beiden mit hohen Graden aus.
So kam der Tag der Schau. Herr Kaiser hatte die Mode- und Gesellschaftselite nach Paris geladen. Via Satellit sollte die Modenschau live in über 60 Länder übertragen werden. Sämtliche Zeitschriften und Zeitungen hatten auf das Ereignis aufmerksam gemacht, ihre Fachleute geschickt.
So starrte die Welt gebannt auf den hell erleuchteten Laufsteg, als Herr Kaiser, untermalt durch Wagners Rheingold-Ouvertüre, splitterfasernackt dem auserwählten Publikum entgegenschwebte.
Nach einigen tödlich stillen Schrecksekunden brach dann das Getöse los. Die Leute sprangen von den Stühlen, trampelten auf den Boden und ergingen sich in Ovationen. „Was für ein Stoff!“ heulte ein Textilgroßhändler, „welch farbenprächtiges Schnittmuster!“ jubelte ein Chefdesigner. „Haben, haben, haben“, schrien andere und rissen sich in offensichtlicher Ekstase die Kleider vom Leib.
Da schaute des Pförtners Knabe Hans zur Tür herein und quiekte mit heller Fistelstimme:
„Herr Kaiser ist ja nackt!“
Und auch die Menschen vor ihren Fernsehern fingen an zu lachen und riefen: „Die spinnen, die Modemacher!“, tranken noch ein Bier und gingen zu Bett. Das Kamel aber sprang durchs Nadelöhr und dachte sich: „Die spinnen, die Modemacher.“ (http://journalistenwatch.com/cms/2014/08/03/herrn-kaisers-neue-kleider/)