Eine Satire von Thomas Böhm *)
Hallo Geliebte!
Haha. Ich kann’s mir so richtig vorstellen, wie Du eben gerade den Briefkasten aufgemacht und zwischen den Wurfsendungen und Reklamezetteln diesen Brief gefunden hast. Nanu, denkst Du jetzt bestimmt, was soll das nun wieder? Ein Brief von DEM?!
Und vor allen Dingen diese Ansprache: „Hallo Geliebte!“ Will der etwa einen Comeback-Versuch starten?
Von wegen: „Hallo Geliebte!“ – Da hat er sich aber gewaltig in den Schritt geschnitten, sagst Du Dir bestimmt.
Aber keine Panik. Mit diesem Brief will ich keineswegs irgendwelche unter den Teppich gefegten Gefühle hervorkehren. Nein, der Brief hat einen anderen Grund. Ich wollte Dir lediglich mitteilen, dass es mir gelungen ist, eine Lösung für eines der größten zwischenmenschlichen Probleme zu finden. Eine endgültige Lösung aller zwischenmenschlichen Probleme sozusagen. Eine Lösung, die die ewigen, sich ständig wiederholenden, unproduktiven, hässlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen überflüssig machen.
Du weißt, wovon ich spreche, wir haben das alles durchexerziert: Deine Vorwürfe, ich hätte zu wenig in unsere Beziehung investiert, Du hättest mehr gegeben als bekommen – eigentlich das, was ich irgendwann immer zu hören bekomme, und was Du von anderer Seite bestimmt auch schon mal gehört hast. Einer hat ja meistens das Gefühl, mehr zu lieben als geliebt zu werden, und macht dann als Beweis irgendwelche, kaum nachvollziehbare Rechnungen auf, wer wie was wann geleistet, geschenkt hat, wer mehr Orgasmen gehabt hat, all diesen Blödsinn.
Doch damit ist es vorbei.
Ich habe als Single ja nun viel Zeit gehabt und monatelang getüftelt, experimentiert und gebastelt, um dieses Dauer-Problem aus der Welt zu schaffen, und jetzt bin ich endlich in der Lage, der Welt einen neutralen, unbestechlichen, definitiven „Emotionszähler“ zu präsentieren.
Eine kleine Rechenmaschine, ähnlich einem Kilometerzähler, den man sich ans Bein bindet, der die zurückgelegten Kilometer beim Laufen zählt. Eine kleine Rechenmaschine, die sich jeder ans Revers oder an den Kragen stecken kann, nicht viel größer als eine Krawattennadel oder eine Brosche. Ein kleiner Zähler, der die tatsächlichen Emotionen, die wirklichen gefühlsmäßigen Investitionen messen und in Zahlen umrechnen kann. Er ist direkt mit dem Herzen und dem Gehirn verbunden, kann also Gedanken lesen, wahre Gefühle erkennen und in Zahlen umwandeln.
Aber nicht nur das. Das Gerät misst auch die Leistungen der Partner, mit denen der Träger in Kontrakt tritt, sei es während einer Liebesaffäre, sei es während einer freundschaftlichen Beziehung, eben überall dort, wo Gefühle aufeinander treffen, ausgetauscht werden, wo es um Geben und Nehmen geht, in sexuellen, seelischen, in geistigen Dingen, aber auch auf wirtschaftlicher, finanzieller Ebene, wo bis dato schwer messbare kreative Leistungen berechnet werden müssen.
Ein Knüller, oder etwa nicht? Stell Dir doch nur einfach folgende, hinreichend bekannte Situation vor:
Er sagt zu ihr: Ich liebe dich. Sie sagt zu ihm: Ich liebe dich. Beide sagen das gleiche, beide meinen dasselbe, aber fühlen auch beide das gleiche?
Mein Emotionszähler zeigt die Wahrheit, gibt die Antwort: Bei ihm steigt das Gefühlsbarometer auf der Skala bis + 5, bei ihr reicht die Aussage nur zu vier Pluspunkten.
Ein Jahr später. Sie hat im betrunkenen Zustand in der Disco mit einem Typen rum gemacht, er hat sich mit einer engen Freundin heimlich zum Essen getroffen. Beides kommt raus, beide fühlen sich vom anderen betrogen. Nur welcher Betrug wiegt schwerer? Anstatt sich gegenseitig dumme Vorwürfe zu machen, sich mit blödsinnigen Sprüchen rechtfertigen zu müssen, schaut man auf den Emotionszähler. Und was sagt dieser:
Sein Betrug war emotionaler, ihrer rein sexueller Natur. Minus 5 bei ihm, minus 4 bei ihr. Resultat: Das Beziehungskonto ist wieder ausgeglichen.
Oder eine andere typische Situation: Sie wäscht immer ab, er frisst ihr die Haare vom Kopf. Irgendwann ist sie genervt, egal warum, fühlt sich ausgenutzt und bringt die allgemein bekannten Vorwürfe auf den Tisch. Ob sie Recht hat damit, entscheidet der Emotionszähler. Und was sagt der: Vier Pluspunkte bei ihr fürs Abwaschen, aber null Punkte fürs Kochen, weil ihr das Spaß macht und weil sie sich freut, wenn’s ihm schmeckt. Minus 4 Punkte bei ihm, weil er nie abwäscht, aber auch 3 Pluspunkte für ihn, weil er alles isst, was sie auf den Tisch bringt, obwohl es ihm nicht schmeckt!
Dieser gefühlstechnische Abrechnungsmodus hat für alle Seiten nur Vorteile. Keiner fühlt sich mehr verarscht. Der aktuelle Punktestand in der Beziehung ist immer abrufbar. Sollten sich bei einem der Partner im Laufe der Zeit zu viele Minuspunkte ansammeln, der Punktestand nicht mehr auszugleichen sein, kann der andere, so er denn will, die Scheidung einreichen. Der Emotionszähler kann als Beweismittel vor Gericht verwendet werden. Die Differenz wird dann in bare Münze umgesetzt und eingeklagt.
Doch Vorsicht. Er ist von mir so konzipiert, dass er natürlich auch sämtliche Sado/Maso-Faktoren mit einberechnet.
Aber, wie gesagt, der Emotionszähler kann überall eingesetzt werden. Gut ist er auch dort, wo Kreativität und Geschäft zusammenwirken. Wir wissen, dass der Wert einer Idee, eines Konzeptes, einer künstlerischen Leistung bisher schwer zu berechnen war und mit der Realisierung, also der kaufmännischen Leistung nur ansatzweise verglichen werden konnte. Auch hier zählt meine kleine Rechenmaschine die geistigen und finanziellen Leistungen neutral gegeneinander auf. Ein unübersehbarer Vorteil für alle konstruktiven Partnerschaften.
So kommt eine Summe zur anderen, der EZ begleitet den Menschen das ganze Leben. Er rechnet jede Leistung einer zwischenmenschlichen Beziehung zu einer Zwischensumme zusammen. Er addiert auch sämtliche anderen sozialen, körperlichen und geistigen Leistungen.
Irgendwann, am Ende eines Lebens, werden sämtliche Einzelbeträge zu einer Endsumme addiert bzw. subtrahiert.
Aber wo wir gerade dabei sind. Ich habe meinen Zähler mal unsere Beziehung auf meine emotionalen Leistungen Dir gegenüber hin durchrechnen lassen. Und, was sehe ich da: Plus 34 Punkte für mich. Du weißt, was das heißt: ich kriege noch 34 Euro von Dir. Denn jeder Punkt auf dem EZ wird selbstverständlich in bare Münze umgerechnet. Emotionen müssen sich schließlich rentieren, nichts ist umsonst. Ganz besonders die Liebe hat ihren Preis.
Willst Du mir das Geld aufs Konto überweisen, oder soll ich vorbeikommen und mir es abholen? Du kannst mir das aber auch auf andere Art und Weise zurückzahlen.
Bis dann, alles Gute!
Dein Geliebter
*) Thomas Böhm ist Chefredakteur des Mediendienstes http://journalistenwatch.com/cms/