Der Grieche unter mir

Thomas Böhm
Thomas Böhm

Von Thomas Böhm*)

Ich habe das Glück, dass unter mir, in Parterre gleich neben dem Hauseingang, ein griechisches Restaurant mir meinen Feierabend versüßt (oder versalzt – je nachdem, was ich bestelle). Jorgos, der Besitzer dieses feinen Lokals, ist ein prima Kerl, immer liebenswürdig und höflich zu mir, seinem einzigen Gast, und er lässt mich auch nie ohne Ouzo aus der Tür.

Doch vor etwa vier Monaten, als ich mal wieder bei ihm eingekehrt bin und er mir den Lammspieß servierte, machte er einen kummervollen Eindruck. Ich wollte natürlich wissen, was sein Gemüt so beschweren würde. Er seufzte tief: „Schau Dich doch um, mein Freund. Die Wirtschaft läuft nicht mehr, kaum noch Umsatz, und die Bank, auf der Du sitzt ist, auch schon marode. Ich brauche dringend Geld, um den Laden wieder in Schwung zu bringen.“

Natürlich hatte ich gerade auch kein Geld auf Tasche, aber meine Frau, die bei reichen Leuten putzen geht, hatte etwas beiseitegelegt. Ich gab also meinem Freund Jorgos 2000 Euro, und er versprach mir, diese sinnvoll einzusetzen, zu sparen und gleichzeitig in die Wirtschaft zu investieren und dann seine Schulden innerhalb der nächsten zwei Wochen zu begleichen.

Die Zeit verstrich, doch weiter passierte nichts. Ich blieb der Wirtschaft fern, auch weil er sie – wohl als erste Sparmaßnahme – geschlossen hatte. Offiziell „wegen Renovierung“, wie ein Schild versprach.

Nach einem Monat klopfte ich mal wieder zaghaft an die Tür von Jorgos Restaurant, und er machte mir sogar auf. „Und, wie geht’s voran?“, wollte ich wissen. „Noch nicht so recht“, antwortete Jorgos. „Die ersten 2000 Euro sind einfach so zum Fenster hinausgeflogen. Ich brauche noch mal 2000 Euro. Die eine Hälfte für die marode Bank, auf der Du so gerne sitzt, die andere bekommt mein Koch. Den muss ich frühzeitig in Rente schicken. Aber er war ja auch schon über 50 Jahre alt.“

Das klang für mich gar nicht gut, und ich hatte so eine Ahnung, dass meine ersten 2000 Euro nicht nur zum Fenster hinausgeworfen, sondern gleich auch noch vom Winde verweht waren. Aber Jorgos zeigte sich optimistisch und hatte sogar einen guten Vorschlag: „Wenn Du mir noch mal 2000 Euro leihst, dann bekommst Du in zwei Monaten 4000 Euro und 200 Euro Zinsen zurück. Ich habe nämlich eine tolle Idee, wie man hier wieder Gewinn einfahren kann.“

„Und die wäre?“ „Lass Dich überraschen, oder hast Du kein Vertrauen zu mir?“ Hatte ich zwar nicht, aber im Regen wollte ich meinen alten Freund auch nicht stehen lassen, zumal er mir lächelnd ein Glas mit griechischen Oliven überreichte.

Erst zuhause sah ich, dass es sich um spanische Oliven handelte, aber das spielt in unserem vereinten Europa ja keine Rolle mehr, und so stibitzte ich aus der Kasse meiner Frau noch einmal 2000 Euro, gab sie Jorgos in einem Umschlag und harrte der Dinge. Und harrte und harrte und musste meine Frau beruhigen, die mit der Scheidung drohte, da ich ihre schwer verdiente Kohle in ein Fass ohne Boden versenken würde, wie sie es ausdrückte.

Aber ich konnte sie beruhigen, erinnerte sie an die schönen Abende, die wir bei unserem Griechen genossen hatten, und konnte sie sogar dazu überreden, ein wenig mehr zu arbeiten, um unsere Kasse wieder aufzufüllen.

Sie arbeitete so viel, dass wir sogar für einen Kurzurlaub nach Griechenland fliegen konnten. Zum vorläufigen Abschied schenkte mir Jorgos noch eine Handvoll getrockneter Tomaten. In Holland geerntet, in China geschält und in Griechenland dosiert. Das würde meine Nerven beruhigen, wie er mir versicherte.

Auf Grund von Streiks und anderen sozialen Komplikationen verlängerte sich unser Urlaub um 3 weitere Wochen, und als wir zurückkehrten, war das Restaurant noch immer geschlossen und Jorgos verschwunden. In meinem Briefkasten fand ich einen Umschlag mit 200 Euro drin. „Wie versprochen, die 200 Euro Zinsen zurück“ stand auf einem Zettel. Es war Jorgos Schrift, eindeutig.

Um die anderen 4000 Euro wieder reinzukriegen, schickte ich jetzt zusätzlich meine beiden Kinder zum Putzen, und endlich tauchte auch Jorgos wieder auf. Gut gebräunt und mit einem strahlenden, hoffnungsvollen Lächeln. Auch er hatte sich einen wohl verdienten Urlaub gegönnt.

Höflich fragte ich nach meinen Kredit und erfuhr, dass Jorgos die zweite Charge direkt ins Ausland geschafft hatte, um dort alte Schulden zu begleichen. Gleichzeitig bat er um frisches Geld, er hätte mal wieder eine geniale Idee, wie seine Wirtschaft noch viel, viel besser florieren würde. „Ich lasse die marode Bank frisch anstreichen. Du wirst sehen, das wird der Bringer.“

Irgendwie wollte ich ihm nicht mehr so recht glauben und gab ihm zur Schuldentilgung noch eine zweiwöchige Frist. „Dann eben nicht“, sagte Jorgos, lachte nur und klingelte beim Nachbarn. Einem Russen, mit dem ich schon jahrelang im Streit lag, weil er meine Fußmatte geklaut und sie vor seine Haustür gelegt hatte und überall rumerzählte, es wäre seine.

Der Russe war Gott sei Dank nicht zu Hause, aber den Wink mit dem Zaunpfahl hatte ich verstanden. Also gab ich Jorgos noch mal 5000 frische Euros aus meiner kleinen Heim-Geld-Druck-Maschine – ein letztes Mal und als Notkredit deklariert, wie ich betonte, verlangte aber dafür ab sofort Einsicht und Kontrolle über seine Sparmaßnahmen und Investitionsprogramme.

Jorgos war damit zwar nicht einverstanden, aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Da war ich hart geblieben. Als erstes montierte er die Zapfanlage ab, so würde er das teure Bier im Einkauf sparen, meinte er. Als zweites warf er die Kühlschränke auf den Sperrmüll, das würde die Energiekosten mindern, behauptete er. Die 5000 Euro strich der Mann vom Inkasso-Büro ein, angeblich im Auftrag der Brüsseler Firma „Oliven & Tomaten Inc.“, die wiederum einem Bruder von Jorgos gehörte. Darauf hatte ich keinen Einfluss.

Ich war jetzt um 9000 Euro ärmer, meine Frau hatte sich zu Tode geschuftet, die Kinder waren aus dem Haus gelaufen, Jorgos war immer noch pleite und sein Restaurant gehörte mittlerweile einer belgischen Fremdfirma.

„Was machen wir denn jetzt?“, wollte ich wissen. „Was Du machst, weiß ich nicht“, antwortete er und holte eine Geflügelschere aus der Schublade. „Ich weiß zumindest, was ich zu tun habe. Ich werde jetzt einen Schuldenschnitt machen, und wir fangen noch einmal von vorne an.“ Es machte „ratsch“ und das Band der Freundschaft war für immer zerstört.

*) Der Berufsjournalist Thomas Böhm ist Chefredakteur des Mediendienstes „Journalistenwatch“ und ständiger Kolumnist bei conservo

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