Von „altmod“ *)
Kürzlich las ich in einer hiesigen Lokalzeitung von einer „emotionalen“ und auch „polemischen“ Debatte im Stadtparlament um die Rehabilitierung der Opfer der einstmaligen Hexenverfolgungen im 16. und 17. Jahrhundert. Die bevorstehende historische Stadtrechtsfeier von Gelnhausen sollte nach einem Antrag der Grünen auch dazu dienen, den Opfern dieses historischen Unrechts in diesem Rahmen zu gedenken und sie zu „rehabilitieren“.
Aktuell kann man lesen, der Papst entschuldigt sich bei den Waldensern für die historischen Verfolgungen: Die katholische Kirche habe «unchristliche Haltungen und Verhaltensweisen» gezeigt, sagte er beim Besuch der Waldenserkirche in Turin. «Im Namen des Herrn Jesus Christus, vergebt uns!»
Die seit den 1990er Jahren aufgekommene Übung, sich öffentlich für historisches Unrecht zu entschuldigen, ist nicht nur bei höchsten staatlichen Repräsentanten zu beobachten und sie ist nicht nur erst mit dem erwähnten Beispiel von Gelnhausen auf der politischen Bühne der Kleinstadt angekommen.
Papst Franz ist auch nicht der erste höchste Repräsentant der Katholischen Kirche, der öffentlich Abbitte tut. Als Johannes Paul II. das Jahr 2000 zum Heiligen Jahr proklamierte, verband er dies mit einer öffentlichen Abbitte für die Verfehlungen der Kirche in der Vergangenheit wie Inquisition, Judenverfolgung, Zwangsbekehrungen usw. Den Zeitgeistmedien genügen solche „Vergebungsbitten“ aber mitnichten, wie unschwer beobachtet werden konnte. Auch nicht, als der Nachfolger dieses Papstes sich erneut bei den Juden, den Muslimen usw. öffentlich „entschuldigte“.
In der Geschichte gibt es, folgt man dem gerade aus deutscher Herkunft gefütterten, angeblich weltweiten Einverständnis, nur zwei Groß-Verbrecher: die Deutschen und die Japaner.
Chinesen, Russen, gar Amerikaner oder Engländer, stehen in solcher Betrachtung außen vor. So spielen diese beiden „Verbrechernationen“ nach dem Verständnis mancher Historiker oder Politologen in der Betrachtung von „Entschuldigung und Versöhnung“ eine „zentrale Rolle“ (Christopher Daase)
Laut Daase kommen die Deutschen hierbei besser weg: „… doch trifft zu, dass die Versöhnung Deutschlands mit den Opfern des Zweiten Weltkriegs weiter fortgeschritten ist als die zwischen Japan und den einstmals besetzten Ländern in Asien. Die Entschuldigungen deutscher Politiker zeigen eine zunehmende Aufrichtigkeit des Schuldbekenntnisses und wachsende Vorbehaltlosigkeit der Bitte um Vergebung.“
2001 veröffentlichte der bekannte Philosoph und Politologe Hermann Lübbe den Essay „Ich entschuldige mich“ über „das neue politische Bußritual“. Das genannte Bekenntnis des Papstes lag gerade ein Jahr zurück. 1998 hatte Bill Clinton auf einer Afrikareise sich in Uganda angeblich für die Sklavenpolitik der USA entschuldigt.
Clinton: »that the United States has not always done the right thing by Africa … before we were even a nation, European Americans received the fruits of slave trade«.
»We were wrong in that.«
»But perhaps the worst sin America ever committed about Africa was the sin of neglect and ignorance«, »The United States wants to help. Through a new initiative, Education for Development and Democracy, we want to give 120 million dollars over the next two years to innovative programs to improve education«.
Ein giftiger Einwurf hierzu: wir können inzwischen gut verfolgen, was aus dieser Hilfe und den „neuen Initiative“ der Amerikaner für Entwicklung und Demokratie in Afrika (und weltweit) geworden ist.
Was gab es noch an „Entschuldigungen“: die Schweiz entschuldigte sich für den Umgang mit Fremdgeld der verfolgten Juden und für die Einlagerung des Nazi-Golds (1998), die Queen bei einem Besuch in Neuseeland für die Unterdrückung der Maoris (1995), der französische Präsident Jacques Chirac für die Dreyfus-Affäre (1998 und 2006).
Der eindrucksvollste Entschuldigungsauftritt war sicher der Kniefall von Willy Brandt 1970 vor dem Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettos. Diese symbolische wortlose Geste von Buße ist bisher ohne Vergleich geblieben.
Es brauchte aber mehr als 20 Jahre, bis die wortreichen Rituale der politischen Buße von unseren obersten Repräsentanten zur regelmäßigen Praxis wurden – gerade auch in Deutschland. Der vormalige Bundespräsident Weizsäcker machte in seiner berühmten Rede zum 8. Mai (1985) zwar eine historische Verantwortung der Deutschen vor der Geschichte geltend, betonte hingegen noch die Unmöglichkeit kollektiver Schuld. Aber der pseudoreligiöse Impetus tauchte in der Rede schon auf: „Das Geheimnis der Erlösung ist die Erinnerung“, sagte Weizsäcker.
Seine späteren Nachfolger mit religiöser oder geistlicher Positur, wie „Bruder Johannes“ Rauh und der Pastor Jochen Gauck hatten und haben es wohl leichter, so recht eine Liturgie der Zivilreligion zu inszenieren. Johannes Rau bat im Jahr 2000 in Jerusalem “um Vergebung für das, was Deutsche getan haben, für mich und meine Generation, um unserer Kinder und Kindeskinder willen, deren Zukunft ich an der Seite der Kinder Israels sehen möchte“. Der amtierende Bundespräsident hat noch bemerkenswerter die moralische Neigung zu einer Schuldauferlegung auf sein Volk. Hat er doch kürzlich auch eine Mitschuld der Deutschen an dem Genozid der Armenier hervorgeholt. Von den schuldigen Türken oder deren regierenden Präsidenten hat man Ähnliches oder überhaupt welche Bekenntnisse nicht gehört.
Für einen Schlüsseltext für uns Deutsche halte ich Karl Jaspers Schrift „Die Schuldfrage – Von der politischen Haftung Deutschlands“.Bei Jaspers findet man vier Formen der Schuld: Kriminelle Schuld, politische Schuld, moralische Schuld und metaphysische Schuld. Jaspers schreibt:
„Es ist aber sinnwidrig, ein Volk als Ganzes eines Verbrechens zu beschuldigen. Verbrecher ist immer nur der Einzelne. Es ist auch sinnwidrig, ein Volk als Ganzes moralisch anzuklagen. … Kollektivschuld eines Volkes oder einer Gruppe innerhalb eines Volkes also kann es – außer der politischen Haftung – nicht geben, weder als verbrecherische, noch als moralische, noch als metaphysische Schuld.“
Zur politischen Haftung des deutschen Volkes standen dessen oberste Repräsentanten in der Bundesrepublik von Anfang an: von Adenauer und Heuss bis Kohl und Weizsäcker (!). Die Repräsentanten des angeblich „besseren Deutschland“, das seine Bürger bis 1989 einsperrte, blendeten diese Verantwortung aufgrund ihres staatsmythischen Antifaschismus aus. Bis heute ist es zu beobachten, dass die „Nachfolgepolitiker“ und Parteirepräsentanten der ehemaligen DDR an Bußübungen in ihrer eigenen Betroffenheit sich auch nicht beteiligen.
Was wir seit der erwähnten „Zeitenwende“ erleben, ist, dass alles was heute zur Vergangenheit geäußert wird, mit einem „moralischen Geltungsprivileg ausgestattet“ wird. Lübbe spricht auch von der „Trivialmoral, die sich für Bußzwecke eignet“ und von einem „Correctness-Parcour“, in den sich historiographische Gangarten verwandeln können – müssen. In Abwandlung des Spruches von Berthold Brecht, kommt, weil wir genug zum Fressen haben, zuvorderst die Moral. Das führt zu derart abartigen Auffassungen und dreisten Äußerungen wie „Auschwitz ist der Gründungsmythos der BRD“ – und dass mit „nie wieder Auschwitz“ ein neuer Krieg (Kosovo) gerechtfertigt werden kann.
Krieg: anders als Heuss oder Weizsäcker hat es der Pfarrer-Präsident Gauck sich getraut, Deutschland für kriegerische Einsätze einzustimmen, aus „moralischen“ Gründen – welche nicht er, sondern die atlantischen Herren vorgeben.
Rekurs zu Clinton und der amerikanischen “Entschuldigungspolitik” gefällig?
Was ist richtig oder falsch an der von mir angeprangerten politischen Entschuldigungs- und Bußpraxis?
„Sorgsam vorgebrachte Entschuldigungen können Versöhnungsprozesse befördern und Misstrauen überwinden. Unaufrichtige oder unvollständige Entschuldigungen können dagegen Konflikte verschärfen und neues Misstrauen erzeugen.“
Dem ist nicht zu widersprechen.
Christopher Daase weiter:
„Manch politische Entschuldigungen werden in langwierigen
diplomatischen Verhandlungen formuliert. Die symbolische Kraft und der emotionale Wert einer Entschuldigung geht in diesem Prozess häufig verloren.“
Auch richtig!
„(Es) ist ein Versprechen notwendig, dass sich die Untaten nicht wiederholen werden. Solche Versprechen können auch implizit, etwa in Form der gemeinsamen Verantwortung für die zukünftigen Beziehungen, formuliert werden. Schließlich (sind) Wiedergutmachungen nötig, seien sie symbolischer oder materieller Natur.“
Die politischen Repräsentanten Deutschlands nach 1945 haben es verstanden, sich aus fragwürdigen Fehden weitgehend herauszuhalten (außer mit dem aus der Hypermoral im Kosovokonflikt ausgesprochenen Anspruch). Hätten sich die Deutschen am Irak-Krieg der USA beteiligt – der ja auch wohl „moralisch“ gerechtfertigt wurde, oder am Libyen- oder Syrien-Einsatz, das Versprechen auf Unterlassung von Untaten ist unter ähnlichen Auspizien nicht – nie und nimmer – zu halten.
Gemeinsame Verantwortung für künftige Beziehungen!?
Die Brüchigkeit solcher in „gemeinsamer Verantwortung“ aufgebauter Beziehungen ist aktuell im „geeinten Europa“ zu betrachten.
Wiedergutmachungen!?
An wem oder womit – nach drei Generationen? Wie lange noch? Endlos? Bis zum St.-Nimmerleins-Tag?
Durch die ständig wiederholte und anscheinend stets weiter ansteigende Schuld-, Buß- und Entschuldigungspraxis wird die Einsicht verfestigt, „dass man nicht mit einer Zukunft rechnen soll, in der das Thema deutscher Vergangenheitslasten sich kraft Zeitablauf endgültig erledigt haben wird.“ (Lübbe)
Scheußliche Stelen in Berlin als Erinnerung an deutsche Scheußlichkeiten, ein befremdliches Denkmal für die Opfer von Hexenprozessen vor 400 Jahren in Gelnhausen, „Stolpersteine“ vor Häusern von Opfern, die es nicht mehr gibt, sollen nicht ausreichen, dass noch unsere Urenkel die deutsche Schuld und den dazu gehörigen Bußgang sich in Fleisch und Blut übergehen lassen. Wen werden sie noch „rehabilitieren“ müssen?
(Original: http://altmod.de/*) )
*) „altmod“ ist Blogger (altmod.de) und häufig auf „conservo“ vertreten