Sozialismus, Kapitalismus, Ordnungspolitik

Von Dr. Florian Stumfall *)

Dr. Florian Sturmfall
Dr. Florian Sturmfall

Die Rivalität des Kalten Krieges während einer Periode von 40 Jahren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war nach außen hin eine militärisch-machtpolitische Kraftprobe. Dahinter freilich verbargen sich grundlegend verschiedene ordnungspolitische Ansätze, durch die verschiedene Auffassungen der Rolle des einzelnen, des Staates und der Wirtschaft sowie des Zusam­menspiels aller drei erklärt werden sollten. Dabei führte die Teilung der Welt in Ost und West dazu, daß der ordnungspolitische Wettbewerb ebenfalls in Gestalt einer Zweiteilung aufgefaßt wurde. Die einfache Vorstellung war: im Osten regiert der Sozialismus, im Westen der Kapitalismus, der Rest der Welt spielte im Kampf der Ideen keine genuine Rolle und wurde von den Kontrahenten allenfalls als Glacis oder Rekrutierungs-Potential von Menschen und Ressourcen betrachtet.

Wie die meisten Simplifikationen trifft diese Zweiteilung den Sachverhalt nicht. Zum einen machten die konkurrierenden Ideen natürlich nicht an den Grenzen halt. Im Osten war der Glaube an die Staatsdoktrin im allgemeinen ohnehin schwach, im Westen gab es stets eine Minderheit von Leuten, die den Gedanken des Sozialismus anhingen. Zum anderen aber ist die westliche Position mit „Kapitalismus“ nicht zutreffend weil nicht vollständig beschrieben, vielmehr gab und gibt es gegenüber diesem das marktwirtschaftliche Ordnungsprinzip als eine eigenstän­dige Lehre, die sich in wesentlichen Zügen vom Kapitalismus unterscheidet. Dies hervorzu­heben, ist äußerst wichtig, denn landläufig wird bis in die höchsten politischen Kreise hinein der Kapitalismus als eine sehr konsequente, uneingeschränkte und idealtypische Form der Marktwirtschaft betrachtet. Diese Auffassung ist so verbreitet wie falsch. Zur Abgrenzung der drei Ordnungen voneinander tut es not, diese zunächst in ihrem theoreti­schen Konzept darzustellen.

Der Sozialismus

Im Sozialismus nimmt die nationalökonomische Theorie zentrale Bedeutung ein, weil sich nach Auffassung von Marx der Mensch ausschließlich durch seine Arbeit definiert. Deren Früchte werden ihm nach dieser Lehre nur in Teilen vom Kapitalisten entgolten, zu anderen Teilen aber ohne Vergütung weggenommen. Dies ist der Kern der Theorie vom Mehrwert. Um diese Ausbeutung zu beenden, fordert der Sozialismus, den Privatbesitz an den Produkti­onsmitteln zu enteignen und sie in Gemeinbesitz zu überführen. Dadurch, so die These, hätte die Ausbeutung ein Ende. Denn der Mehrwert würde dann nicht vom Kapitalisten vereinnahmt, sondern von der Gesellschaft. Festzuhalten ist indes, daß in der Mehrwert-Theorie der Gedan­ke des Profits auftaucht und insoweit legitimiert ist, als der Profit nicht privater Natur ist.

Was die Vermögensverteilung im Sozialismus angeht, so herrscht die Chimäre, daß allen alles gehöre – das sogenannte Volkseigentum. Tatsächlich ist ein nominaler Anspruch, der nicht realisierbar ist, kein Eigentum, und man kann zunächst davon keine Funktionen ableiten, die vom Eigentum abhangen, etwa Geld zu investieren oder in eine andere Besitzform umzuwandeln oder aber konsumieren.

Mit dem Besitz an einer Sache geht das ius utendi einher, die Verfügungsgewalt. Der Besitzer bestimmt, was mit dem Besitz zu geschehen habe, beispielsweise, wie eine Summe Geldes anzulegen sei. Befinden sich nun Sachwerte im Besitze aller, so hätten alle über die Verwendung zu bestimmen, was in der Praxis unmöglich ist, und auch noch in keinem sozialistischen Staat auch nur versucht worden ist. Vielmehr übernimmt diese Aufgabe die „Partei der Arbeiterklasse“, die ungeachtet ihres Namens eine kleine Elite darstellt und auch als solche gedacht ist. Dies ist wie die Art der KP insgesamt, in Lenins Schrift „Was tun“ grundgelegt und hat konstitutive Bedeutung behalten.

Das ius utendi schließt die Lenkung der ökonomischen Abläufe mit ein. Im Sozialismus bestimmt die Partei Zuteilung und Verwendung von Rohstoffen, Art und Umfang der Produktion, die Höhe von Löhnen und Preisen, sowie den Handel. Da alle diese Abläufe von zentraler Stelle gelenkt werden, kann es im Sozialismus keine Konkurrenz-Wirtschaft geben. Was einst „sozialistischer Wettbewerb“ genannt wurde, war nichts anderes als das Bemühen der Kombinate, unter gleichen Voraussetzungen durch erhöhten Arbeitsdruck mehr Stückzahlen zu produzieren als andere, um politisches Wohlwollen zu erlangen.

In der Praxis und in Übereinstimmung mit der Theorie wird daher das ius utendi von einer dazu bestallten Funktionärs-Clique nach Maßgabe der politischen Spitze ausgeübt. Nachdem diese es ist, die alle wirtschaftlichen Vorgänge lenkt, bestimmt sie auch, wieviel vom Gewinn dem Konsum zugeführt wird. Das gilt für die gesamte Volkswirtschaft und ebenso für die eigenen Bezüge. Die Führung einer sozialistischen Partei hat also alle Zuständigkeiten inne, die ansonsten den Eigentümern privater Vermögen zustehen. Die gehobene Lebensführung gehört in jedem Falle mit dazu.

Die Marktwirtschaft

Deutschlands politische und ökonomische Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg ist wesentlich mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft verbunden, das Alfred Müller-Armack bereits seit dem Jahre 1943 konzipiert und zu Papier gebracht hat. Er verstand diese Ordnung an eine Absage sowohl an den Sozialismus als auch an das ungeregelte Laissez-faire, wie man es vom sogenannten Manchester-Kapitalismus her kannte.

Die Soziale Marktwirtschaft ist gekennzeichnet durch das Zusammenwirken des freien Marktes mit dem rahmengebenden Staat. Wichtigste Aufgaben des Staates sind es dabei, einerseits durch eine wirksame Kartellgesetzgebung den Wettbewerb auf dem Markt zu sichern, zum anderen, wo nötig, für einen sozialen Ausgleich zu sorgen. Dabei hat sich der Staat marktkonformer Mittel zu bedienen. So die grundsätzliche Vorstellung.

Kennzeichen eines freien Marktes sind das Privateigentum auch an den Produktionsmitteln, das Spiel von Angebot und Nachfrage, die freie Preis-Bildung, damit die Rolle des Marktes als Indikator der Knappheit von wirtschaftlichen Gütern; dieser Indikator zeigt den Investoren an. wo die Dringlichkeit des Kapitalbedarfs am größten ist. So sind die beste Rendite und gleichermaßen die beste Versorgung garantiert.

Weitere Kennzeichen eines freien Marktes sind die ungehinderte Verfügbarkeit von Rohstoffen, die Vertragsfreiheit, in erster Linie die Tarif-Autonomie im Miteinander von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, beziehungsweise deren Vertretern, sowie ein freier Kapitalmarkt.

Alle ökonomischen Abläufe geschehen in einem vom Staate gegebenen gesetzlichen Rahmen. Dieser verhindert zum einen den Mißbrauch von Macht und Mitteln, zum anderen sorgt er dafür, daß sich der Staat auf die politischen Belange, die Wirtschaft auf die ökonomischen beschränkt.

Der Kapitalismus

Das Land, das den Kapitalismus paradigmatisch darstellt, sind die USA, und einer der Kapitalisten, die, neben der Rothschild-Dynastie, als Symbolfigur für alle stehen, ist John D. Rockefeller I. Ihm wird die Aussage zugeschrie­ben: „Wettbewerb ist eine Sünde.“

Bezeichnenderweise wird dieses Wort als überraschend von vielen empfunden, die es mit der Freiheit auf dem Markt halten. Und doch trifft es den Charakter des Kapitalismus ganz zentral. Der Kapitalismus ist eine Ordnung der Oligopole und der Kartelle mit Tendenz zur Zentralisierung.

Die Rolle des Staates ist im Kapitalismus untergeordnet. Dieses Verhältnis wurde in den USA im Jahre 1913 durch die Gründung der Federal Reserve Bank (FED) festgeschrieben. Es ist ein Irrtum, sie als ein Pendant etwa der Bundesbank zu verstehen. Die nachmalige FED wurde ab dem Jahr 1910 organisiert von den Besitzern der sieben größten Privatbanken des Landes. Diese Gruppe ist es nach wie vor, die die größten Banken der Wallstreet und damit der USA besitzt, vielfach verflochten, zunehmend auch durch Heiraten und Schwägerschaften: Ziel des Unternehmen war es zum einen, Wettbewerber durch Kauf oder Kartellbildung auszuschalten – ein klassisches Oligopol. Zweite Bestimmung ist es, den Staat finanziell zu dominieren.

Das geschieht durch folgendes System: Braucht die US-Regierung Geld, was ständig der Fall ist, weil sie unentwegt Kriege führt, so leiht sie es sich von der FED. Diese hat genug davon, weil sie es drucken kann. Für dieses Geld, das die FED der Regierung leiht, nimmt sie Zinsen, jährlich in der Höhe von vielen Milliarden.

Finanziert wird dieser Kreislauf durch die Rolle des Dollar als Weltreserve-Währung. Vor allem beim Handel von Rohstoffen wird international in Dollar fakturiert. Das heißt, wenn das Land A vom Land B Erdöl kauft, muß es zuvor Dollar kaufen, wodurch es die USA finanziert. Manch ein Land, das von Nato-Bomben zerstört worden ist, hat diese zuvor durch den Kauf von Öl finanziert.

Apologet des Kapitalismus ist John Maynard Keynes, der dem Staats-Interventionismus das Wort geredet hat. Er schreibt dem Staat die Fähigkeit zu, durch Geldflüsse eine Lenkungsaufgabe zu erfüllen. Die Hochfinanz, die solche Geldflüsse zum eigenen Nutzen über die FED bereitstellt, leitet davon die Pflicht des Staates ab, so zu verfahren. Damit ergibt sich eine systematische finanzielle Abhängigkeit des Staates von den großen Banken.

Die Überordnung der Hochfinanz über die Politik äußert sich auch noch auf eine andere Weise. Wer heute in den USA Kandidat für das Amt des Präsidenten werden will, braucht dazu mindestens eine Milliarde Dollar. Nebenbei: Hillary Clinton hat öffentlich wissen lassen, daß sie 2,5 Mrd. sammeln will. Es ist klar, daß niemand eine solche Summe aufbringen kann ohne die Wall-Street-Hochfinanz, es sei denn, er gehöre ihr selbst an. Diese hat es also in der Hand, wer US-Präsident werden kann und wer nicht, wobei der Unterschied zwischen den beiden Parteien keine Rolle spielt.

Die Markt-Gegner

Diese kurze Darstellung gibt den Blick frei auf überraschende Zusammenhänge. So werden einige Gemeinsamkeiten zwischen dem Sozialismus und dem Kapitalismus sichtbar.

Beide Systeme bestimmen in elitären Gremien das wirtschaftliche Geschehen unter weitgehen­der Ausschaltung der Marktkräfte.

In beiden Systemen wird der Wettbewerb ausgeschaltet.

Beide Systeme konzentrieren den Reichtum des Staates und führen die Verarmung der breiten Mehrheit herbei.

In beiden Systemen herrscht ein freiheits-bedrohendes Zusammenspiel von Politik und Ökonomie, wenn auch mit verschiedenen Dominanzen.

Marktwirtschaft in Gefahr

Auch wenn die Marktwirtschaft als ein eigenständiges Drittes erkannt ist, bleibt die Gefahr bestehen, die ihr durch ihre Position gegenüber dem Sozialismus und dem Kapitalismus dräut. Auf der einen Seite besteht die Neigung zu sozialem Überschwang, der, nicht finanzierbar, zudem durch marktfremde Mittel herbeigeführt wird.

Zum anderen zeigt die Marktwirtschaft in Europa nur schwach Abwehrkräfte gegen kapitalistische Verhaltensweisen, die durch den globalen Handel und das Wirken von US-Firmen in Europa importiert werden.

Insbesondere die erfolgreichste und dem Menschen angemessenste Ausformung, die Soziale Marktwirtschaft, droht zwischen zwei fremden Ordnungen zerrieben zu werden, woran nicht zuletzt die ordnungspolitische Ahnungslosigkeit der Politiker und ihre Willfährigkeit Schuld trägt, mit der sie sich ihrem Publikum anbiedern.

*) Dr. Florian Stumfall, Publizist und Autor vieler Bücher, war Referent der CSU-Landesleitung und langjähriger Redakteur des Bayern-Kurier

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