Der unterdrückte Rentenskandal deutscher Bürger
Von Peter Helmes
Viele Menschen – „unsere Brüder und Schwestern“ – kamen in den Jahren vor dem Mauerfall durch Flucht, Freikauf, Abschiebung oder Ausreiseantrag in die Bundesrepublik Deutschland und wurden dort stürmisch begrüßt. Empfänge, Pressekonferenzen, Funk- und Fernsehberichte – alle bejubelten den Mut und die Opferbereitschaft der ehemaligen DDR-Bürger, die nun Bundesbürger geworden waren – mit allen Rechten und Pflichten wie jeder andere Bürger auch. Denkste!
Was nach „heile Welt“ aussah, wurde jäh gestoppt. Geschichte kann zynisch sein. Durch die Wiedervereinigung – zu der ja letztlich diese Menschen einen besonderen Beitrag leisteten – verloren sie einen erheblichen Teil ihrer Rentenansprüche. Heute leben viele der „Ostzonen-Flüchtlinge“ auf oder unter Hartz IV-Niveau und müssen Rentenkürzungen von bis zu 500 Euro im Monat hinnehmen. Selbst Diplom-Ingenieure mit 45 Arbeitsjahren erreichen oftmals kaum die Rentenansprüche eines Hilfsarbeiters. Wie konnte es dazu kommen?
Täter belohnt – Opfer bestraft
Die „Ausreisewilligen“ – wie die Flüchtlinge in der DDR hießen – erhielten, sobald ihre Absicht bekannt wurde, oft jahrelanges Berufsverbot und mußten weitere Repressalien hinnehmen. In dieser Zeit konnten sie logischerweise keine weiteren Rentenansprüche erwerben. Als sie endlich in der Bundesrepublik angekommen waren, wurden sie ganz selbstverständlich in die Deutsche Rentenversicherung eingegliedert.
In einem höchst merkwürdigen Verwaltungsakt, für den es keine direkte gesetzliche Grundlage gibt und der so kompliziert „gedrechselt“ wurde, daß er selbst für fachlich versierte Bundestagsabgeordnete nicht erkennbar war, wurden die ehemaligen DDR- und jetzigen Bundesbürger rückwirkend (!) so gestellt, als ob sie in der DDR verblieben wären. (Anmerkung des Autors: Die rechtliche Lage ist so kompliziert, daß ich sie hier nur allgemein verständlich erläutern kann.) Ihre Rentenanwartschaften, die sie nach der Einbürgerung in die Bundesrepublik in einem ordentlichen Aufnahmeverfahren erhalten hatten, wurden still und heimlich liquidiert. Ein unfaßbarer Vorgang! Dieser Verwaltungsakt wurde dann in einem neuen § 259a so versteckt untergebracht, daß er praktisch niemandem auffallen konnte (oder sollte?).
In seiner Rede zur Rentenüberleitung am 05. Juli 1991 im Bundesrat (Plenarprotokoll 633, Sitzung, Seite 300) sagte der damalige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm u.a.:
„Die Neuregelung ist mit vielen Maßnahmen und Vorschlägen verbunden, die eine Überleitung ohne Bestandsverlust ermöglichen. Keine Rente wird niedriger sein. Es gibt einen Bestandsschutz …”
Doch nun dies: Den „neuen Bundesbürgern“ – das wurden sie nach ihrer Flucht nach Westdeutschland automatisch – wurden in einem parlamentarisch höchst unklaren und ungeklärten Akt nachträglich – gegen die Gesetzeslage – Rentenansprüche gekürzt; sie wurden in den Stand eines DDR-Bürgers zurückversetzt, was ihnen Rentenkürzungen von 500-600 Euro einbrachten.
Die etwas andere „Willkommenskultur“ für deutsche („Ostzonen“-)Flüchtlinge
Dazu schreibt der Publizist Thomas Heck:
Wenn man heutzutage die moralinsaure Verzweiflung bundesdeutscher Politiker und den Versuch, eine Willkommenskultur in die deutsche Bevölkerung einzuprügeln, sieht, sollte man kurz innehalten und erkennen, dass nicht alle immer so für Flüchtlinge waren, wie heute. So war die westdeutsche Linke, die Grünen und auch Teile der Sozialdemokratie gegenüber DDR-Flüchtlingen gar nicht positiv eingestellt, wie ein Artikel aus dem Spiegel 43/1989 beweist. Die Flüchtlinge damals waren wohl zu deutsch, zu weiß, zu christlich-abendländisch eingestellt, dass es dem linken Genossen graust. Zeit, sich daran zu erinnern und den Genossen diese Vergangenheit deutlich unter die Nase zu halten.
Westdeutsche Linke, von grünen Alternativen bis hin zu sozialdemokratischen Ideologen, haben ein neues Feindbild – DDR-Flüchtlinge.
Ein Betroffener reklamiert Anstand und Geradlinigkeit in der Politik. Er fühlt sich betrogen – verständlich! Seine Enttäuschung über die fehlende Rechtssicherheit und die „Erinnerungslücken“ der damals Handelnden faßt er im folgenden Beitrag zusammen:
Nachtgedanken eines „Ostzonenflüchtlings“ – Erinnerungen eines Betroffenen
von Lothar Gebauer
Welches Klima des Anstandes, der Geradlinigkeit, der Rechtssicherheit würde in Deutschland entstehen, wenn ein Mann wie Norbert Blüm gesagt hätte:
„Ich stehe zu meinem Wort, niemand hat in meiner Regierungszeit von 1982 bis 1998 ein Gesetz geschaffen, das die Rentenanwartschaften der bereits eingegliederten DDR-Übersiedler in irgendeiner Weise angreift. Ich bin bereit, das vor jedem deutschen Gericht zu wiederholen.
Alles, was zur Behandlung der Übersiedleranwartschaften bis zum 18.05.1990 gesagt werden muss, das steht im Staatsvertrag vom 18.05.1990 in Artikel 20 (7). Dieser Staatsvertrag ist gesetzesnormativ. In meiner Regierungszeit ist mir kein Fall bekannt, dass irgendwer etwas anderes behauptet hätte.“
Das wäre schön, Herr Blüm.
Und wenn Norbert Blüm dann noch zusagen würde, dass er mit uns gemeinsam Überlegungen anstellen wird, wer für diese gesetzlose Tat verantwortlich ist, dann wäre das fast eine Heldentat. Aber eine selbstverständliche, zu der er verpflichtet ist.
Dann hätten wir eine Chance, dann müssten wir nicht diesen absurden Quatsch glauben, den uns Menschen, die sich zu Wahrheit und Gerechtigkeit gegen jedermann verpflichtet haben, zumuten.
Vielleicht nähme sich dann auch Wolfgang Schäuble daran ein Beispiel. Es genügt nicht, als ehemals für alle Flüchtlinge verantwortlicher Innenminister, die Rechtstheorie darzustellen, er muss in dieser Position auch alles tun, damit die Theorie auch angewandt wird.
Es hat eine rückwirkende Benachteiligung stattgefunden, die „nach dem erreichten Stand europäischer Rechtstradition“ (Schäuble im Bundesrat am 23.11.2012) nicht stattfinden darf.
Viele Übersiedler haben noch die Willkommensbroschüre des Innenministeriums, unterschrieben vom Innenminister Schäuble. Er weiß, was da zur Renteneingliederung der Übersiedler gesagt wird.
Wenn die zwei 1990-92, zur Zeit der Rentengesetzgebung wichtigsten Männer, Blüm und Schäuble, sagen, dass den Übersiedlern Unrecht geschehen ist, und wenn sie das laut der Presse sagen, dann muss eine Regierung noch viel schwerhöriger sein als die aktuelle, wenn sie das überhören will.
Dann wären wir nahe beim happy end, aber wir hätten es nicht erreicht. Bei solch einer Straftat gibt es Täter, die müssen wir finden. Oder wollen wir zulassen, dass sich unser Staat ungesühnt betrügen lässt, die Schlüssel zur Datenbank stehlen lässt?
Die Verantwortlichen behaupten stur, es gäbe ein Gesetz. Dann muss das zwischen dem 18.05.1990 (dem Staatsvertrag, der bei den Übersiedlern alles belässt, wie es ist) und dem 21.06.1991 (Verabschiedung des RÜG) geschaffen worden sein. Danach gab es in Form des RÜErgG nur noch Kosmetik, nach dem Frühjahr 1993 gab es überhaupt keine Änderung.
Es ist eine Zumutung ohnegleichen, wenn erwachsenen Menschen, Kennern und Betroffenen der deutschen Nachkriegsgeschichte, vom Parlament und der Regierung mit Brachialgewalt eingeredet wird, in diesem einen Jahr hätte ein Gesetzgebungsprozess stattgefunden, der die Übersiedler jünger als Geburtsjahrgang 1936 betrifft und deren Anwartschaften manipuliert. Das alles sollte (nach dem angenommenen Willen des Gesetzgebers) ohne Aufhebungsbescheid geschehen.
Das ist ein Gesetzgebungsprozess ohne Ziel, denn niemand weiß, wozu das gemacht wurde. Niemand weiß, ob dabei für die Rentenkasse plus oder minus herauskommt. Man weiß nur, wenn etwas herauskommt, dann wegen des Geburtsjahrgangs erst ab 2002, vorher nichts. Es mutet seltsam an, wenn unsere Regierung, die nicht gerade für Weitsicht steht, im Jahre 1991 ein Gesetz schafft, das zehn Jahre lang keinerlei Wirkung hat, und dann ein bisschen. Und das angesichts der Tatsache, dass sie die Zahl der Betroffenen bis 2010 überhaupt nicht kannte.
Hört endlich auf mit diesem blamablen Spiel. Es ist verboten!