Ein ausgeleiertes eurogriechisches Theater
Von Peter Helmes
Es sieht aus wie eine Inszenierung. Der Titel des Schauspiels: „Stürzen wir uns auf die Asyldebatte, und niemand redet mehr von Griechenland!“ Klingt wie toll ausgedacht und ist perfekt durchgezogen. Niemand scheint sich mehr um die Probleme Hellas zu kümmern. Als ob Griechenland von der EU-Landkarte verschwunden wäre.
Seit mehr als fünf Jahren hält die Griechenland-Krise an. Wieviel sie bisher gekostet hat, darf man allenfalls ahnen. Allein das dritte Rettungspaket für Griechenland hat einen Umfang von etwa 86 Milliarden Euro. Deutschlands Anteil daran liegt bei etwa 22 Milliarden Euro. Das sind zwar nicht direkt Ausgaben, sondern Kredite. Aber das Wort Kredit kommt von (lat.) credere, „glauben“ – und wer glaubt denn noch daran, daß die Griechen ihre Schulden brav abstottern werden? (Erläuterung: Grundlage für die Rettungsschirme ist der Kapitalschlüssel der EZB, also der Europäischen Zentralbank. Für Deutschland beträgt der Anteil am Kapitalschlüssel 25,7 Prozent. Beim Internationalen Währungsfonds liegt die Quote wesentlich niedriger, nämlich bei 6,1 Prozent.)
Wir sind dabei – und haften
Die EZB hat griechischen Banken Kredite in Höhe von 90 Milliarden Euro gewährt. Fielen diese aus, müßte Deutschland 23,3 Milliarden Euro zahlen. Außerdem hält die EZB griechische Anleihen im Wert von 20 Milliarden Euro. Im Falle eines Ausfalls wäre Deutschland mit 5,1 Milliarden Euro dabei.
Die Staatsverschuldung der Griechen beträgt derzeit 175 Prozent des BIP (zum Vergleich Deutschland: 78 Prozent). Griechenland kann seine Schulden nicht aus eigener Kraft abtragen. Kein anderes Euroland weist ein so ungünstiges Verhältnis von Staatsschulden zu Staatseinnahmen aus: Die Staatsschuld ist fast viermal so hoch wie die Einnahmen, in Deutschland lediglich 1,7 Mal so hoch. Griechenlands Staatsschulden werden nach Schätzungen der Europäischen Kommission nächstes Jahr 200 Prozent seiner Wirtschaftsleistung erreichen, höhere Schulden haben weltweit nur noch Japan und Simbabwe.
Die deutsche Wirtschaftsleistung (BIP) betrug im vergangenen Jahr 2,9 Billionen Euro. Die Garantien liegen bei knapp 100 Milliarden. Bei einem Totalausfall der Rückzahlungen wären also 3,4 Prozent des BIP futsch. Das entspricht einem Drittel des aktuellen Bundeshaushalts (299 Milliarden Euro). Höhere Schulden oder höhere Steuern wären dann für die Deutschen unvermeidbar.
Die mit der Behauptung „there is no alternative“ begründete Austeritätspolitik gilt als alternativlose Krisenstrategie. In Brüssel und Berlin begegnet man alternativen Politikansätzen mit Diffamierungen, Ressentiments oder bestenfalls Unverständnis. „Grexit“ wurde zum Unwort des Jahres.
Immer das gleiche: Mahnungen, Versprechungen
Dabei schreibt das Hilfs- und Sparprogramm eigentlich vor, was die griechische Regierung in den kommenden drei Jahren umsetzen müßte. Und wenn sie davon abweicht, drohen die Kreditgeber damit, den Geldhahn zuzudrehen. Damit drohen sie aber schon seit fünf Jahren. Nach einer Meldung der FAZ von gestern, 5. Oktober, setzt der griechische Ministerpräsident „voll auf Schuldenerleichterung“, verspricht aber (wieder einmal) brav „schnelle Reformen“. Und setzt prompt sein Credo hinzu, die Wirtschaft könne sich aber nur erholen, wenn die Gläubiger Zugeständnisse machten.
Griechenland müsse nun die nächsten „Meilensteine“ umsetzen, forderte hingegen Dijsselbloem gestern. Die Einhaltung der Auflagen sei die Voraussetzung, damit Griechenland die nächsten zwei Milliarden Euro aus dem Hilfsprogramm erhält. Bis Mitte Oktober müssen dafür die Auflagen erfüllt werden. Ende des Monats könne Athen dann eine weitere Milliarde erhalten. Details zu den Bedingungen nannte Dijsselbloem nicht.
Eine Überprüfung der Reformbemühungen soll bis Ende November erfolgen. Dijsselbloem stellte klar, dass erst danach eine Rekapitalisierung der griechischen Banken angegangen und über Schuldenerleichterungen für das Land diskutiert werden könne.
Wer´s jetzt noch nicht gemerkt hat. Es ist, als sei die Zeit stehengeblieben: Die Geldgeber drohen, die Griechen versprechen. Seit Jahren die gleiche Melodie. Dieses Karussell dreht sich seit fünf Jahren, bleibt aber auf der Stelle. Vorgestern mahnte Dijsselbloem, und gestern erwiderte Tsipras, Griechenland werde den Forderungen der EU nachkommen. Fürwahr, ein braver Mann, der Tsipras!
Belohnung vor Leistung
Und postwendend – man hat Übung darin – stellt Brüssel ein europäisches Zückerli in Aussicht: Die EU-Kommission wolle in absehbarer Zeit Griechenland den Zugang zu bisher ungenutzten EU-Fördergeldern zu ermöglichen. Das gab die EU-Kommissarin für Regionalpolitik, Corina Cretu, nach Gesprächen mit dem griechischen Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis bekannt. Demnach will die Europäische Kommission Vorgaben zur Finanzierung von griechischen Förderprojekten rückwirkend so ändern, daß das Land die entsprechenden Mittel überhaupt erst abrufen kann. Cretu sprach von einer Ausnahmeregelung.
Den Angaben zufolge hat Athen damit Zugriff auf zwei Milliarden Euro, die dem Land sonst entgangen wären. Dem Vorschlag müssen noch die Regierungen der Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament zustimmen. (Quelle: DLF 5.10.2015: deutschlandfunk.de/schuldenkrise-eurogruppe-mahnt-reformen-in-griechenland-an.1818.de.html?dram:article_id=333063)
Alles wie gehabt. Seit Jahren. Die Gebetsmühlen mahlen – in Athen wie in Brüssel und Berlin. Guter Mond, du gehst so stille… Über Griechenland lacht die Sonne, über die EU aber die ganze Welt.
- Okt. 2015