von Peter Helmes
Seit einem Jahr debattierten die Bundestagsabgeordneten engagiert und ernsthaft über das ethisch äußerst heikle Thema der Sterbehilfe. Und das soll nun das Ergebnis „ernsthafter Bemühungen“ sein: Ein Gesetz, das mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet. Darauf hätte man verzichten sollen. Wohin das führt, kann man der weiter unten abgedruckten persiflierenden Rede aus dem Deutschen Bundestag entnehmen.
„Geschäftsmäßige Sterbehilfe“
Durch das soeben entschiedene neue Gesetz zur Sterbehilfe entsteht ein äußerst alarmierender Graubereich; denn es geht buchstäblich um Leben oder Tod. Ein Beispiel mag die neue Unsicherheit aufzeigen: Was z. B. heißt „geschäftsmäßige Sterbehilfe“, die nun verboten wird? Müssen Mediziner künftig damit rechnen, daß der Staatsanwalt vor der Tür steht, weil sie schon mehrfach Sterbehilfe leisten mußten? Da kriegen die Gerichte gewiß Arbeit; denn was heißt hier „geschäftsmäßig“? Gilt das bereits für eine zweimalige oder erst zehnmalige Beihilfe?
Es entsteht der fatale Eindruck, daß hier „die Politik“ in einem sensiblen, höchst menschlichen Bereich regelnd eingreifen will, wo zu allererst das Gewissen gefragt ist; und das kann man nicht per Gesetz regeln. Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht. Das Gesetz schafft mehr Probleme, als es löst. Oder noch schlimmer, schiebt die Lösung auf die Ärzte, die sich aber „danach“ rechtfertigen müssen – wobei das Gesetz sie alleinläßt.
Mechthild Löhr, die Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL), erklärte zur Bundestags-Entscheidung über einen neuen § 217 StGB denn auch völlig richtig:
„Die Bundestagsdebatte zur Sterbebeihilfe heute hat gezeigt, daß eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten (360 von 602 abgegebenen Stimmen) zwar eine geschäftsmäßige Durchführung von assistierter Selbsttötung ablehnt, aber grundsätzlich Sterbebeihilfe als „private“ Angelegenheit ansonsten straffrei den jeweils Beteiligten überlassen will.
Denn tatsächlich werde mit dem ausschließlichen Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid allen anderen Formen der Beihilfe “faktisch Tür und Tor” geöffnet. Im wirklichen Leben könnten jetzt Angehörige und Ärzte zu einer “real existierenden Lebensgefahr” werden.
Dies ist ein bedrückendes Signal für unsere Gesellschaft und Rechtskultur. Denn ganz offen haben leider viele Befürworter des erfolgreichen Gesetzentwurfes von Brand u.a. für die grundsätzliche Legitimität von Suizid und Legalität von Suizidassistenz geworben und nur die Einschränkung der fragwürdigen „Geschäftsmäßigkeit“ verteidigt. (Quelle: https://charismatismus.wordpress.com/2015/11/06/die-cdl-zur-toetungsbeihilfe-ein-bedrueckendes-signal-fuer-unsere-rechtskultur/)
Moralisch diskreditierte Christen in der Union
„Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes. Unser christliches Menschenbild und unsere Verfassung verpflichten Staat, Politik und Gesellschaft, menschliches Leben zu schützen und zu fördern. Wir wollen einen wirksamen Schutz des menschlichen Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende. Die Menschenwürde und das Recht auf Leben stehen allen Menschen zu – dem geborenen ebenso wie dem ungeborenen…“ (Auszug aus dem CSU-Grundsatzprogramm).
Die klare Mehrheit im Deutschen Bundestag hat das jetzige Gesetz beschlossen – gegen eine starke Minderheit, die – unglaublich – von einem evangelischen Theologen angeführt wurde: Pastor Peter Hintze. Gelten für ihn christlich-demokratische Grundsätze nicht mehr?
Daß solche „Christsozialen“ bzw. Christdemokraten schon längst ihre vermeintliche Macht – jedenfalls ihre Deutungshoheit – abgegeben haben, ist ihnen wohl bis heute nicht bewußt. Moralisch diskreditiert sind sie allemal. So nimmt die Partei immer mehr Abschied vom hohen „C“ und ersetzt es durch den angestrebten Mainstreamkonsens. Daß dabei das grundgesetzlich verbürgte Lebensrecht mit Füßen getreten wird, ist wohl allenfalls eine vernachlässigbare Nebenwirkung.
Humane Schieflage: Tod scheint wichtiger als Leben
Unsere Gesellschaft ist in „humane Schieflage“ geraten: Der Tod scheint wichtiger als das Leben. Egal in welcher Partei oder „gesellschaftlichen Gruppe: Überall geht es in den aktuellen Diskursen um ein „Recht auf würdiges Altern“, „würdiges Sterben“ und natürlich auch um „Abtreibung“ – alles damit begründet, jeder habe das Recht „auf Selbstbestimmung“, nämlich über sein eigenes Leben zu entscheiden wie über seinen Tod. Förderung von Vereinen und Verbänden, die sich für Abtreibung, Sterbehilfe, Freigabe von Drogen etc. einsetzen – das sind offenbar die besonderen Aufgaben einer menschengerechten Politik.
Entsolidarisierte Gesellschaft
Der Suizid, das freiwillige Ausscheiden aus dem Leben, scheint zunehmend vielen Menschen der einzige Weg zu sein, einem vermeintlich „würdelosen“ Altern oder einem würdelosen Dahinsiechen auszuweichen. Oft aber – und das gehört zur Ehrlichkeit in der Debatte – entsprechen Suizidwünsche nicht nur einer privaten Motivation einzelner Menschen, sondern sind (auch) Resultat eines sozialen Defizits bzw. eines Defizits an sozialer Verantwortung.
Viele Schwerkranke – oder auch solche, die sich vor einem solchen Schicksalsschlag fürchten – wollen lieber vorher aus dem Leben scheiden, als am Ende ihres Lebens vermeintlich vollkommen entwertet, ja unwürdig, dazustehen. Das aber – reden wir doch Klartext! – ist auch Ausdruck einer entsolidarisierten Gesellschaft, die den Menschen einredet, es sei doch eigentlich ganz vernünftig, sich vorher zu verabschieden.
(Zu) große Zustimmung zur „Sterbehilfe“
Vier Fünftel der Deutschen stehen der Sterbehilfe einer Umfrage zufolge aufgeschlossen gegenüber. Das ermittelte die ARD im „Deutschlandtrend“ aus dem letzten Jahr. Knapp die Hälfte der Bevölkerung (46 Prozent) sei der Ansicht, die Beihilfe zur Selbsttötung sollte erlaubt sein, so das Ergebnis der Umfrage. 37 Prozent würden darüber hinaus auch eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe begrüßen. Dagegen lehnten in der Umfrage des Instituts Infratest dimap nur 12 Prozent die Sterbehilfe grundsätzlich ab. Etwas höher ist dieser Anteil mit 18 Prozent bei den Bürgern über 60 Jahren.
Liberalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung
„Volkes Stimme“ ist zuweilen emotional bestimmt. Wenn noch entsprechende mediale Unterstützung hinzukommt, wird oftmals die reine Vernunft an den Rand gedrängt. Der Drang zu „würdevollem Sterben“ wird umso größer, je mehr wir die Beihilfe zur Selbsttötung liberalisieren, sie also fast zu einem gesetzlich geschützten „Recht“ erklären. Mit Respekt habe ich demnach die jüngste Debatte im Deutschen Bundestag dazu verfolgt, die von hoher sozialer Verantwortung getragen war und einem „Geschäft mit dem Selbstmord“ eine über alle Parteigrenzen hinweg eindeutige Absage erteilt hat. Dafür verdient der Bundestag Anerkennung!
Die menschliche Würde
Ein Begriff steht im Zentrum der Diskussionen über Sterbehilfe, den alle Deutschen wohl sofort mit dem Grundgesetz verbinden: die Würde des Menschen. Ist es sinnvoll, Menschen, die geistig noch gesund sind, aber an körperlichen Krankheiten leiden, den Weg zu erleichtern, indem man die Beihilfe zur Sterbehilfe in Deutschland rechtlich eindeutig regelt und gestattet? Würdigt man dadurch Menschen mit geistiger Behinderung herab? Würdigt man kranke Menschen dadurch generell herab? Oder wird man so endlich überhaupt nur der Würde des Menschen gerecht?
„Menschliches Leben hat Würde, weil es menschliches Leben ist“, stellt der evangelische Theologe Schneider klar, der in der Beihilfe zur Sterbehilfe eine Verletzung der Menschenwürde sieht. Ärzte, die in Deutschland aktuell noch durch ihre Standesrechte und Standesethik daran gehindert werden, Sterbehilfe zu leisten, seien per Berufsbild dazu verpflichtet, sich am „Leben“ ihrer Patienten zu orientieren.
Doch ist das wirklich so? Ist es nicht auch Kernaufgabe eines Arztes, nicht nur zu heilen, sondern Schmerzen zu lindern, wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist? Und ist die ultimative Schmerzlinderung nicht unter Umständen der Tod als letzter Ausweg? Menschen wollen vielleicht nicht unbedingt nur wegen des Nicht-mehr-Aushaltens des körperlichen Schmerzes sterben, sondern vielleicht auch wegen der Angst vor Kontrollverlust, Autonomieverlust und Verlust des Lebenssinns. Wer kann das beantworten?
Das jetzt vom Deutschen Bundestag verabschiedete Gesetz löst die Probleme nicht und gibt diese Antwort nicht, jedenfalls keine zufriedenstellende – erst recht nicht für Christen.
Denkt man die „Sterbehilfe“ weiter, kommt das heraus, was wir in der folgenden Bundestagsrede – gewiß hart und überspitzt formuliert –finden:
*) Protokoll einer Rede im Bundestag zum Thema „Sterbehilfe“
conservo gelang es, das Redemanuskript eines Abgeordneten zu kopieren. Wir wollen seine Worte der Nachwelt erhalten und gleichzeitig alle diejenigen zum Nachdenken anregen, die der Sterbehilfe allzu „aufgeschlossen“ gegenüberstehen. (Der folgende Text der Rede wurde von conservo gekürzt; Hervorhebungen und Zwischenüberschriften ebenfalls von conservo. *)Achtung, Satire!):
Redner: Der Bundestagsabgeordnete (Name geschwärzt) – von der Partei der…(geschwärzt)
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
(…) Deshalb sage ich hier noch einmal unmißverständlich:
Die Entscheidung über Leben und Tod eines Bürgers liegt einzig und allein beim Staat, der gemäß Verfassung das Gewalt- und Machtmonopol innehat.
Eine Staatsbürgerin, ein Staatsbürger, die/der an einer zumeist unheilbaren Erkrankung wie z.B. an Krebs leidet, wird nach bisheriger Rechtslage mit sehr teuren Medikamenten (Chemotherapie u. ä.) und mit z.B. teuren und qualvollen Bestrahlungstherapien in eine oft nur wenige Monate dauernde Lebensverlängerung mit lebensunwerten Schmerzen geführt.
Da stellt sich noch einmal die Frage: Warum haben wir die Krebsfrüherkennung gesetzlich überhaupt eingeführt? Doch nicht mit dem Ziel, der Pharmaindustrie und den geldgierigen Ärzten, den „Halbgöttern in weiß“, Unsummen von Solidarbeiträgen aus der GKV und aus Steuertöpfen in den Rachen zu schieben!
(Anhaltender Beifall)
In seiner Verantwortung der Solidargemeinschaft der Mitbürger gegenüber hat unser Staat doch wohl eher die Aufgabe, mit diesen Geldern der Krankenkassen sparsamer umzugehen! Was bringen sechs bis acht Monate Lebensverlängerung mit Schmerzen, wenn hierfür zwischen 100.000 und 400.000 Euro pro Patient ausgegeben werden müssen zu Lasten von uns allen?
Deshalb fordern wir in unserem fraktionsübergreifenden Antrag, dass endlich für alle betroffenen Erkrankten Konsequenzen aus dem gesetzlichen Krebsfrüherkennungsprogramm seitens des Staates gezogen werden müssen – und da stimmt mir der Bundesfinanzminister ja auch voll und ganz zu, wie ich seinem wohlwollend bejahenden Nicken entnehme:
Personal bei Pro Familia aufstocken
Jeder an z.B. Krebs oder an einem sonstigen unheilbaren Leiden erkrankte Staatsbürger muss in einem vertrauensvollen ersten Gespräch mit einer Ärztin/einem Arzt des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen bzw. mit einem vom Gesetz noch zu bestimmenden Arzt im Beamtenstatus oder im Öffentlichen Dienst ein Informations- und Aufklärungsgespräch führen. Ich schlage vor, das Personal der Beratungsstellen abtreibungswilliger Frauen bei Pro Familia – allein schon aufgrund deren Erfahrung auf dem Gebiet mit dem Töten lebensunwerten Lebens- aufzustocken und dort das „finale, gesetzlich vorgeschriebene letzte Informationsgespräch“ mit den betroffenen Patient(Inn)en zu führen.
Bei unheilbarem Krebs: gesetzliche Sterbehilfe
Der Arzt begründet dem krebskranken Patienten gegenüber unter Berücksichtigung seiner Loyalität gegenüber der Solidargemeinschaft, warum er gesetzlich verpflichtet ist, im Falle von Krebsleiden staatlich angeordnete Sterbehilfe leisten zu müssen.
Es wird – da bin ich mir sicher – kaum einen gewissenhaften Staatsbürger geben, der sich diesem berechtigten Anliegen des Staates verschließen wird.
„Erlösungsspritze“: Sozial verträgliches Ableben
Ich begrüße ausdrücklich den Wortbeitrag von Herrn Kollegen, Herrn Pfarrer Hintze von der Christlich-Demokratischen Union, der da sagte: „Am Sterbebett sollten Familienangehörige und Ärzte stehen“, was Frau Künast ja ebenfalls in ihrer Rede bekräftigt hat (…)
Deshalb appelliere ich für folgendes konkrete Vorgehen im Einzelfall:
Nach einer Lieblingsmahlzeit und einem Wunschkonzert nach Wahl der chronisch bzw. unheilbar Erkrankten verabreicht ihnen der Arzt schmerzfrei im Kreise der Angehörigen eine Infusion mit einem zuverlässig wirksamen Medikament, das für die Sterbehilfe gesetzlich vorgesehen ist. Ich verweise diesbezüglich auf die vom Bundestag nach Empfehlung durch den G-BA verabschiedete Medikamentenliste.
Nach erfolgreicher Infusion dieser Erlösungsspritze kann die Einäscherung – je nach Wunsch auch die Erdbestattung – zügig durchgeführt werden, wobei der Staat sich verpflichtet, die Beerdigungs- bzw. Bestattungs- Kosten in voller Höhe zu übernehmen – gewissermaßen als kleines Dankeschön der Solidargemeinschaft für das sozial verträgliche Ableben des Krebskranken(…)
Vorrangiges Ziel einer künftigen, staatlich geförderten Krebsfrüherkennungskampagne der Bundesregierung soll in Zukunft das schnelle, frühe Erfassen aller Krebspatient(Inn)en sein, die dann unverzüglich in den Genuss des schmerzlosen raschen Ablebens gemäß des heute zu beschließenden Bundesgesetzes kommen sollen, damit diese sonst in der Tumortherapie entstehenden Mehrkosten im Gesundheitswesen und bei der Rentenversicherung in Milliardenhöhe effektiv eingespart werden können.
Der Gemeinschaft nicht länger auf der Tasche liegen
Ein Bundesbürger, der dem Staat und dem Volksvermögen aufgrund von Krankheit oder aus Altersgründen nicht mehr dienen kann, sollte ja schon aus sozialethischen Gründen in höchstem Maße Verständnis dafür zeigen, dass er der Gemeinschaft nicht länger auf der Tasche liegen darf.
Dem oft hier im Hohen Haus geäußerte Vorwurf der Antragsgegner, dass es sich bei diesem Gesetz um ein Euthanasie-Gesetz nach Art der Bestimmungen des Dritten Reichs oder dessen Nachfolgediktatur „DDR“ handeln würde, widerspreche ich aufs Schärfste; denn unsere Vorschläge zum sozial verträglichen Ableben unwerten Lebens berücksichtigen die völlige und somit äußerst humane Schmerzfreiheit der Betroffenen während des Einschläferns und sind aufgrund der dringend erforderlichen Sparmaßnahmen der Regierung zur Konsolidierung des Haushalts und der Sozialkassen nicht anders zu handhaben.
Noch eine kurze Schlussbemerkung sei mir erlaubt. Das von einigen Christdemokraten hier im Haus geforderte Recht des Einzelnen auf ein „Gewissen erleichterndes letztes Gespräch“ mit einem Kirchenvertreter, was ja Herr Pfarrer Peter Hintze von der CDU in seiner Wortmeldung bereits angesprochen hatte, kann aufgrund der Werte-Neutralität und der Toleranz Andersgläubigen gegenüber nicht in Gesetzesform gebracht und verabschiedet werden, wobei wir die Entscheidung, vorab ein Gespräch mit einem Pfarrer führen zu wollen, jedem Bürger selbst überlassen.“ (Ende der Rede).
Applaus
Anmerkung conservo: Gründlich darüber nachenken und laut aufschreien! Ein bedrückender Tag für den Schutz vieler durch Krankheit, Leiden oder Depression gefährdeter Menschen in Deutschland. Sie müssen in Zukunft damit rechnen, daß Ihnen „geholfen“ wird – im Dienst der Mitmenschlichkeit, versteht sich. Bitter!
- November 2015