Schengen-Rückbau: Der innere und der äußere Ring

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(Eigener Bericht*)

Unter dem Druck der Flüchtlingsabwehr in der EU spitzt sich die Debatte über einen möglichen Rückbau des Schengen-Systems zu. Unklar ist, ob sich das von Berlin angestrebte Ziel erreichen lässt, die Flüchtlinge künftig an der griechischen Außengrenze zu stoppen und sie umgehend in die Türkei abzuschieben.schengen

Ersatzweise wird inzwischen die Zurichtung Mazedoniens zum Pufferstaat gegen Flüchtlinge in Angriff genommen; dies ist mit Drohungen verbunden, Griechenland aus dem Schengen-System auszuschließen.

Als Notfall-Lösung käme der Aufbau eines “Mini-Schengen” in Betracht, das die Bundesregierung derzeit noch offiziell ablehnt, an dessen Planung – offiziell unter niederländischer Führung – sie sich allerdings längst beteiligt.

Jede Option jenseits der effizienten Abschottung der griechischen Außengrenzen wäre, da sie einen Teil des bisherigen Schengen-Systems faktisch preisgäbe, ein erster Rückzug – mit unklaren Folgen. Beobachter halten eine ernste Schwächung der EU für denkbar.

Die Rückkehr des Eisernen Vorhangs

Die Aushöhlung des Schengen-Systems durch die zahlreichen nationalen Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr schreitet kontinuierlich voran. Gegenwärtig werden die Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen, die laut dem Schengener Abkommen nur ausnahmsweise erlaubt sind und von der EU-Kommission genehmigt werden müssen, in mehreren Ländern intensiviert; die EU-Kommission prüft derzeit, ob die Genehmigung für Kontrollen an der deutschen Grenze, die zunächst auf sechs Monate beschränkt ist und im Mai ausläuft, um zwei Jahre verlängert werden kann.

Die Zahl der Flüchtlinge, die an der deutschen Grenze abgewiesen worden sind, ist von 400 im Oktober und 700 im November auf ungefähr 2.200 im Dezember gestiegen; in der ersten Januarhälfte sind bereits gut 2.000 Menschen an der Einreise gehindert worden.

Überall südöstlich Deutschlands werden inzwischen neue Grenzanlagen hochgezogen oder sind bereits errichtet – an der österreichisch-slowenischen Grenze, an der slowenisch-kroatischen Grenze, an der ungarisch-kroatischen Grenze sowie an einigen Schengen-Außengrenzen, die ohnehin stark befestigt sind (Ungarn-Serbien, Bulgarien-Türkei, Griechenland-Türkei). Von der “Rückkehr des Eisernen Vorhangs” ist die Rede.[1]

Abschiebung per Fähre

Der Kampf um die Rettung von Schengen durch die Wiederherstellung des freien Binnenverkehrs wird zur Zeit anhand von drei Optionen der Flüchtlingsabwehr geführt. Als optimal gilt die Option, Flüchtlinge bereits an den Außengrenzen Griechenlands zu stoppen.

Berlin und Brüssel üben massiven Druck auf Athen aus, die Abschottung des Landes gegenüber der Türkei zu verstärken. Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass dies sogar mit Marinepatrouillen zwischen den griechischen Inseln und der türkischen Küste faktisch unmöglich ist:

Zerstören die Flüchtlinge ihre Fluchtboote, dann ist die griechische Küstenwache verpflichtet, sie zu retten und an Land zu bringen, wo sie Asyl beantragen können.[2]

Die EU ist daher auf die Bereitschaft der Türkei angewiesen, die Ausreise der Flüchtlinge in Zukunft zu verhindern.

Alternativ oder auch ergänzend hat Brüssel vor, Flüchtlinge von den griechischen Inseln per Fähre in die Türkei abzuschieben; ein entsprechender Plan wird gegenwärtig unter Mitwirkung Berlins ausgearbeitet.[3]

Der Nachteil dieser Option liegt darin, dass die EU vom Kooperationswillen Ankaras abhängig und somit politischem Druck aus einem nicht willfährigen Staat augesetzt ist.[4]

Pufferstaat Mazedonien

Option Nummer zwei ist nach aktuellem Stand der Ausbau der griechisch-mazedonischen Grenze zur Abwehrmauer gegen Flüchtlinge.

Als ein erster Testlauf dafür gelten kann die Schließung der mazedonischen Grenze am 19. November für alle Flüchtlinge, die nicht beweisen können, aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan geflohen zu sein.

Seither sitzen zahlreiche Flüchtlinge, denen dieser Nachweis nicht gelingt, an der Grenze zu Mazedonien fest.

Der mazedonische Außenminister hat bestätigt, dass der Anstoß zu der Grenzschließung “auf politischer Ebene” aus Deutschland und Österreich gekommen ist.[5]

Inzwischen schreitet der Ausbau Mazedoniens zu einem “Pufferstaat” gegen Flüchtlinge rasch voran.[6] Vor allem Ungarn unterstützt dies, hat im Dezember 10.000 Rollen NATO-Stacheldraht, dazu Betonpfeiler und Befestigungsdorne zum Bau von Grenzanlagen an das Land geliefert und zudem Anfang Januar rund 30 Bereitschaftspolizisten zur Unterstützung der mazedonischen Polizei an die griechisch-mazedonische Grenze entsandt.

Tschechien und die Slowakei wollen sich anschließen. Ergänzend werden Maßnahmen zur Abschottung der bulgarisch-griechischen Grenze in Betracht gezogen.[7]

Mini-Schengen

Gilt diese Option gegenüber derjenigen, die Flüchtlinge in der Türkei aufzuhalten, als nachteilig, weil sie Griechenland mehr oder weniger preisgibt und leicht zu schweren humanitären Problemen in dem verarmten EU-Staat führen kann, so wird Option Nummer drei ebenfalls als nicht optimal eingestuft. Dabei handelt es sich um den Rückzug auf ein “Mini-Schengen”.

Der Plan, der seit geraumer Zeit in den Niederlanden vorbereitet wird [8], sieht vor, Deutschland, Österreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande sowie darüber hinaus eventuell noch Dänemark und Schweden zu einem engen Verbund zusammenzuschließen, der faktisch die bisherige Schengen-Zone ersetzen würde.

Berlin ist in die Arbeiten an dem Vorhaben involviert. “Mini-Schengen” wird allerdings von anderen EU-Staaten, darunter Frankreich, Italien und Polen, entschlossen bekämpft; die dortigen Regierungen fürchten den Ausschluss aus dem europäischen “Kern” und damit den Abstieg zur formalen Zweitklassigkeit.[9]

Grenz-Interventionen

Zwischenlösungen zwischen den drei Optionen sind denkbar und werden in Betracht gezogen. So wird aus Wien berichtet, dort gebe es eine österreichisch-slowenische Arbeitsgruppe, die eine gemeinsame Kontrolle der Schengen-Außengrenze prüfe; der Sache nach handelt es sich wohl um die slowenisch-kroatische Grenze. In die Arbeitsgruppe sind dem Bericht zufolge auch deutsche Behörden einbezogen.[10]

Ein Eingreifen deutscher Beamter an fremden Grenzen mit dem Ziel, Deutschland gegen Flüchtlinge abzuschotten, wäre nicht neu; bereits im Herbst bestätigte das Bundesinnenministerium, es seien bereits 74 deutsche Polizisten und Zollbeamte in Slowenien, Kroatien, Griechenland, Mazedonien und Serbien im Einsatz.

Brüssel müht sich zur Zeit ohnehin, den Mitgliedstaaten das Recht abzupressen, an ihren Außengrenzen auch ohne Einwilligung der jeweiligen Regierung mit der Grenzbehörde Frontex intervenieren zu dürfen.[11]

Szenarien

Niederländische Verhandlungskreise äußern über die Debatte um Schengen, man spiele “ständig Szenarien durch …, ob der innere Ring verstärkt werden muss, wenn der äußere Ring nicht adäquat geschützt wird”.[12]

In Deutschland dringen interessierte Kräfte darauf, bald zu einer Entscheidung zu kommen – nach Möglichkeit zugunsten der Bewahrung des Schengen-Systems. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

Quellen/Fußnoten:

[1] Christian Geinitz: Die Rückkehr des Eisernen Vorhangs. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.01.2016.

[2] Michael Martens: Wiener Mythen und Athener Schmäh. Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.01.2016.

[3] Schweden will 80.000 Asylbewerber abschieben. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.01.2016.

[4] S. dazu Flüchtlinge als Verhandlungsmasse.

[5] “Wirtschaftsmigranten dürfen nicht einreisen”. Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.12.2015. S. dazu Die Grenzen der EU.

[6], [7] Keno Verseck: Frontstaat gegen die Flüchtlinge. www.spiegel.de 23.01.2016.

[8] S. dazu Die Basis bröckelt.

[9] Zu Kerneuropa siehe auch: Hans-Rüdiger Minow: Zwei Wege – Eine Katastrophe. Flugschrift No. 1. Aachen 2016. Hier bestellen.

[10] Cathrin Kahlweit: Deutschland, Österreich und Slowenien prüfen gemeinsame Grenzkontrollen. www.sueddeutsche.de 17.01.2016.

[11] S. dazu Die Grenzen der EU.

[12] Christopher Ziedler: Kommt jetzt ein Mini-Schengen? www.tagesspiegel.de 26.01.2016.

(Quelle: quadriga-productions / http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59298)

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1.02.2016

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