„Stell dir vor, es herrscht Krieg, und niemand bemerkt ihn“
Eine Fiktion von Georg Martin*)
Der Mensch veränderte sich in seinem Denken und Handeln für die Jahrtausende kaum, seine Techniken dagegen sehr. Wurden und werden Kriege z.Zt. noch nach alter klassischer Art geführt, also meist noch mit Kriegserklärung und unter Einsatz von militärischen Mitteln, angefangen vom Wurfspieß bis hin zur Atom- und Wasserstoffbombe, so ersonnen geniale Strategen der Neuzeit neue heimtückische Waffen der nicht militärischen Art.
Neue ökonomische Waffe: Eine dieser neuen modernen Waffen des 21. Jahrhunderts könnte die ökonomische Waffe Flüchtling werden, mit der man ganze Volkswirtschaften und Kontinente zerstören oder erpressen kann. Das ökonomische Waffenarsenal insgesamt hat ein Spektrum von Rohstoffen (Erdöl, Erdgas, Wasser, Nahrungsmittel usw.) bis hin zu einer neuen Superwaffe Flüchtlingslawine in einer zunehmend überbevölkerten Welt mit abnehmenden natürlichen Ressourcen. Dazu werden fernab des eigentlichen Angriffszielortes zunächst regionale Konflikte auf konventionelle militärische Art und Weise geschürt. In der weiteren Wirkung werden dann Millionen von Kriegsflüchtlingen aus den regionalen Kriegsgebieten geplant, gesteuert und finanziert zum eigentlichen Angriffszielort transportiert. In dieser neuen Art der Kriegsführung bleibt der eigentliche Verursacher weitgehend im Dunkeln. Er braucht keinen einzigen seiner Soldaten in einer blutigen Schlacht zu opfern, keinen einzigen Schuss abzufeuern.
Eine völlig neue geniale wie perfide Dimension der modernen Kriegsführung ist erfunden:Der hybride Krieg, bestehend aus einer koordinierten konventionell-militärischen ersten Stufe außerhalb des eigentlichen Angriffsziels und einer durchorganisierten ökonomisch wirkenden Flüchtlingslawine in der zweiten Stufe im eigentlichen Angriffsziel.
Konstruieren wir dazu ein völlig beliebiges Beispiel: In einer fernen, nicht existierenden und zunehmend überbevölkerten Welt existieren drei große Machtblöcke unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Machtfülle.
Zunächst gibt es eine alte Supermacht mit einer Vormachtstellung, nennen wir sie „Vereinigten Staaten des Westens (VSDW)“. Des Weiteren gibt es eine aufstrebende Groß-Macht im Osten, nennen wir sie „Vereinigte Staaten des Ostens (VSDO)“. Und als dritte gibt es eine sich langsam und mühsam zusammenfinden Großmacht im Nordwesten, die sich in der Entstehung befindende Supermacht „Vereinigte Staaten des Nordens (VSDN)“. Letztere ist ein historisch gewachsener Vielvölkerstaat, der erst neuerdings eine neue gemeinsame Währung entwickelte, die der Supermacht VSDW gezielt Konkurrenzwährung werden soll. Und auch wirtschaftlich und militärisch könnte sich diese entstehende Supermacht VSDN mittel- bis langfristig zu einer ernsthaften Konkurrenz der Vormacht-Supermacht VSDW entwickeln.
Um nun das fiktive Szenario für den anspruchsvollen Leser etwas spannender zu gestalten, unterstellen wir nun noch zusätzlich, dass die alte Supermacht VSDW und die neu entstehende Supermacht VSDN historisch bedingt militärisch, wirtschaftlich und kulturell miteinander eng verbündet und verflochten sind in verschiedenen wichtigen Allianzen. Nun kommt die alte Supermacht VSDW in das Dilemma, politisch und geostrategisch zwischen zwei völlig unterschiedlichen Fronten zu stehen: einmal gegen eine fremde und eher feindlich gesonnene Supermacht VSDO im Osten und dann gegen eine eng verbündete und sich schnell entwickelnde Konkurrenz-Supermacht VSDN im Nordwesten.
Soweit die strategische Ausgangslage in unserer Fiktion. Die alte Vormachtsupermacht VSDW ist also nun in der Zwickmühle, die alte eng verbündete Supermacht VSDN einerseits strategisch weiterhin als Partner zu benötigen, auch gegen die feindselige Supermacht VSDO. Andererseits entwickelt sich aber die neue Supermacht VSDN immer mehr zu einem ernstzunehmenden wirtschaftlichen und finanzpolitischen Kontrahenten der VSDW. – Was also tun in diesem Dilemma?
Lösung des Problems: Da kommen die gewieften und geübten Langzeitstrategen der alten Supermacht VSDW auf die geniale Idee, indirekt einen gewaltigen verdeckten Anschlag auf das Wirtschaft-und Finanzsystem der verbündeten VSDN zu verüben. Dies, indem man unverdächtig still und leise rund um die unmittelbaren Landesgrenzen der neu entstehenden Supermacht VSDN einige regionale militärische Konflikte entfachte mit dem strategischen Ziel, die dort nun fliehende Bevölkerung gezielt und gesteuert als Kriegsflüchtlinge in das Staatsgebiet der verbündeten Supermacht VSDN transportieren zu lassen.
So werden diese zur Flucht gezwungen Menschen aus den peripheren Kriegsgebieten zu einer unerkannten millionenfachen ökonomischen Waffe, die die Wirtschaft und das Finanzsystem des Verbündeten, also der neuentstehenden Supermacht VSDN, so schwer und nachhaltig schädigen, dass diese auf lange Zeit keine wirtschaftliche und finanzpolitische Gefahr mehr für die alte Supermacht VSDW darstellt, ohne, dass der eigentliche Verursacher der Krise im Angriffsziel als Aggressor erkannt wird und, ohne die strategische Allianz der alten Verbündeten zu gefährden. Das strategische Ziel des Verursachers ist somit erreicht, er selbst bleibt als Drahtzieher der großen Krise im Dunkeln und die bilateralen Beziehungen beider Supermächte VDSW und VDSN erleiden politisch, militärisch und wirtschaftlich keinen Schaden. Die alte Supermacht VSDW bleibt bis auf Weiteres Vormacht-Supermacht und auch Führungsmacht in der alten Allianz. Sie hat ihr geostrategisches Problem auf geniale Art und Weise mittels einer hybriden doppelbödigen Kriegsführung gelöst.
Aber wie eingangs bereits gesagt, dieses Szenario ist wirklich nur eine Fiktion. Ähnlichkeiten mit real existierenden Staaten oder Supermächten wären rein zufälliger Art und völlig unbeabsichtigt.
*) Georg Martin ist regelmäßig Kolumnist auf conservo.
29.02.2016