Von floydmasika
Erdowo, Erdowie … die NDR-Schmähsendungen gehen weiter. Über Geschmack dieser Anti-Erdoğan-Welle lässt sich streiten. Sie kommt bisweilen sogar in Konflikt mit deutschen Gesetzen. Der Verdacht einer politisch orchestrierten Kampagne liegt nahe. Die SPD zeigt in einer Reihe von Artikeln gegen Erdoğan in ihrem Zentralorgan “Vorwärts”, dass sie auf der Seite der Guten steht und die Türkei im Griff hat. Journalisten wiederum kennen die Sollbruchstelle zwischen den Groko-Parteien. Dort Aufmerksamkeit zu erzeugen, gehört zu ihrem Geschäft.
Wahr ist wohl der Schlüsselsatz der NDR-Satire An Merkel gerichtet heißt es: “Er hat dich in der Hand”. Das bewahrheitet sich auch dank der Arbeit des NDR. Während die SPD sich um Zuspitzung des Konflikts mit Erdoğan bemüht, übt sich Merkel in Schadensbegrenzung. Schlusssatz der Sendung: “Wie hoch der Preis für diese Politik ist, zeigt sich jetzt”.
Derweil schickt Erdoğan das Europarats-Mitglied Aserbaidschan offenbar in einen muslimischen Stellvertretrkrieg gegen das christliche Armenien, hinter dem Russland steht, und Merkel hat auch wiederholt im Bund mit Erdoğan ihre Unterstützung von dessen Syrien-Interventionen gegen Russland offenbart. Erdoğan erinnert auf Schritt und Tritt Deutschland und Europa an die Verpflichtungen, die sie nach seiner Lesart eingegangen sind. So etwa daran, dass für jeden zurückgenommenen Unberechtigten ein vollberechtigter Neusiedler aus der Türkei aufzunehmen ist. Erdoğan will das Abkommen platzen lassen, sobald diese Regel nicht mehr erfüllt wird.
Das ist schon bald, denn die “vorläufige Obergrenze” von 72000 Neusiedlern ist bald erreicht. In Idomeni kommt die Rückführung durch bürgerkriegsartige Zustände und durch Bombardierung des dysfunktionalen griechischen Systems mit Asylanträgen derweil schon ins Stocken. Es kommt nach und nach heraus, dass das Abkommen mit der Türkei nur diejenigen vom Übersetzen nach Griechenland abhalten kann, die ganz offensichtlich keine Chance auf Asyl haben. Aber gibt es solche überhaupt?
Zahlreiche Menschenrechtsbestimmungen können fast jedem entschlossenen Aspiranten ermöglichen, am Zielort Wurzeln zu schlagen. Für die “echten Bürgerkriegsflüchtlinge” aus 37 fragilen Staaten hingegen wird es sich ohnehin lohnen, es zu versuchen. Schlimmstenfalls wird man eben nach ein paar Jahren in die Türkei abgeschoben. Solange die Regeln des Kollektivausweisungsverbots und Rechts auf individuellen Asylantrag mit rechtsstaatlichem Instanzenzug gelten und von keinem Diskursbeteiligten angetastet werden, kann die Europäisierung des Asylsystems, wie alle außer dem Slowaken Richard Sulík sie in dieser österreichischen TV-Debatte als erstrebenswert darstellen, nur dazu dienen, das Problem zu vergemeinschaften statt es zu lösen.
Ex-AfD- und heutiger Alfa-Chef Bernd Lucke und Hans-Detlef Horn (Professor für Öffentliches Recht an der Universität Marburg) haben einen interessanten Zehn-Punkte-Plan zur Bewältigung der Flüchtlingskrise vorgelegt. Er ist lehrreich und geeignet, die Debatte auf wesentliche Punkte zu lenken. Allerdings erreicht auch er dies nur um den Preis der Pflege der Illusion, man könne die “europäischen Menschenrechtsstandards” auf eine größere Zone von außereuropäischen Pufferstaaten ausdehnen.
Einen Rückbau Straßburger Pseudo-Menschenrechte wie etwa des Kollektivausweisungsverbotes gegenüber Schiffen, die noch gar nicht europäisches Hoheitsgebiet erreicht haben, zieht auch dieses Papier nicht in Betracht. Vielmehr kultiviert es ebenfalls den Eindruck, die Pseudo-Menschenrechte hätten unverrückbar den gleichen Rang wie der Kern der Menschenrechte, bei dem es um Beschränkungen der politischen Macht und Sicherung ihrer Legitimität (Volkssouveränität) geht.
Somit wagt auch dieses Papier sich allenfalls ein Stück weit in die Nähe eines Vorschlags, der verhindern könnte, das die 6-800000 afrikanischen jungen Männer, die in Libyen in den Startlöchern stehen (andere Quellen sprechen von 4 Millionen, die derzeit laut Satellitenbildern auf dem Weg aus Subsaharien seien), demnächst in See zu stechen, um von deutschen Humanitär-Kriegsschiffen “gerettet” und nach Italien gebracht zu werden. Aber wenigstens stellt Lucke ein paar Fragen, während andere sich mit Wo-Wie-Wann-Eiertanz und Bekenntnissen zur angeblichen “europäischen Lösung” beschäftigen.
(Original: http://pegidabayern.com/2016/04/08/berlin-im-erdowahn/)
- April 2016