(www.conservo.wordpress.com)
von Peter Helmes
„German Foreign Policy“ (GFP) gehört zu den seriösen und einflußreichen Politikbeobachtern, die insbesondere das Ost-West-Verhältnis und die Politik Moskaus und Washingtons analysieren. Zur derzeitigen politischen „Großwetterlage“ schreibt GFP u.a.:
Kursänderung in der US-Außenpolitik
(Eigener Bericht) – Das deutsche Außenpolitik-Establishment bereitet sich auf Kursänderungen in der US-Außenpolitik nach der bevorstehenden Präsidentenwahl vor. Ein Sieg Donald Trumps hätte “wohl weitreichende Konsequenzen”, heißt es in einer aktuellen Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP); doch sei auch unter einer Präsidentin Hillary Clinton mit spürbaren Veränderungen zu rechnen. Dies gelte vor allem für die Syrien-Politik. Tatsächlich diskutieren die außenpolitischen Eliten in Washington schon jetzt intensiv über neue militärische Maßnahmen in Nahost.
Experten plädieren nicht nur für die Einrichtung einer sogenannten Schutzzone für angeblich gemäßigte Rebellenmilizen; darüber hinaus sind auch Luftangriffe auf die syrischen Regierungstruppen sowie Attacken mit Cruise Missiles im Gespräch. Zuweilen ist von einer “Koalition der Willigen” die Rede, für die Verbündete gewonnen werden sollen; dies träfe nicht zuletzt die Bundesrepublik. Auf einer Veranstaltung des einflussreichen Council on Foreign Relations ist unlängst sogar ein möglicher Mord an Syriens Präsident Bashar al Assad erörtert worden. Stimmen, die vor einer militärischen Eskalation warnen, sind nicht verstummt, aber in die Defensive geraten.
Steinmeiers Mitwirkung am Druck auf Russland
Die Bundesregierung begleitet die am Wochenende gestartete Militäroffensive jihadistischer Milizen in Aleppo mit der Verstärkung ihres Drucks auf Russland. Moskau müsse “als wichtigster Unterstützer des Regimes” in Damaskus dafür sorgen, dass nun “eine tragfähige Übereinkunft für Aleppo” möglich werde, fordert Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Tatsächlich ist der von Russland Ende letzter Woche initiierte Waffenstillstand von den aufständischen Milizen gebrochen worden, die, wie ein britischer Journalist aus Aleppo berichtet, auch die Evakuierung der Zivilbevölkerung mit dem Beschuss von Fluchtkorridoren verhinderten.
Über ähnliche Praktiken des IS im irakischen Mossul heißt es zutreffend, er benutze Zivilisten als “menschliche Schutzschilde”. Die Bundesregierung erhöht ihren Druck zu einem Zeitpunkt, zu dem Moskau seine militärische Stellung im östlichen Mittelmeer stärkt, aktuell mit der Entsendung einer Flugzeugträgerkampfgruppe vor die syrische Küste. Sie soll dazu beitragen, Russland auf Augenhöhe mit den westlichen Mächten zu bringen; auch die Bundeswehr beteiligt sich mit einer Fregatte am Einsatz des französischen Flugzeugträgers “Charles de Gaulle” in der Region, in die der russische Flugzeugträger “Admiral Kusnezow” derzeit strebt. Forderungen insbesondere aus der Parteiführung von Bündnis 90/Die Grünen, eine Flugverbotszone für Syrien zu verhängen, bereiten eine weitere, den direkten Krieg mit Russland riskierende Eskalation vor.
Flugverbotszone über Syrien
Hochrangige Militärs und Experten warnen mit Blick auf Forderungen nach der Verhängung einer Flugverbotszone über Syrien und nach der Lieferung von Flugabwehrraketen an aufständische Milizen vor einem offenen Krieg zwischen Russland und den USA. Entsprechende Forderungen sind auch von prominenten deutschen Politikern erhoben worden. Wie der Vorsitzende der US Joint Chiefs of Staff feststellt, würde die Ausrufung einer Flugverbotszone über Syrien “es erforderlich machen, gegen Russland Krieg zu führen”.
Dmitri Trenin, ein prominenter Außenpolitik-Experte vom Carnegie Moscow Center, warnt, Syrien könne sich, liefere man den Aufständischen Flugabwehrraketen, “in ein Schlachtfeld” zwischen Russland und den Vereinigten Staaten verwandeln. Trenin zufolge ist der Machtkampf um Syrien auch das Ergebnis des russischen Wiederaufstiegs in den vergangenen Jahren, der es Moskau erlaubt, zum ersten Mal außerhalb der Grenzen der ehemaligen Sowjetunion militärisch zu intervenieren und damit “das faktische Monopol” der USA “auf den weltweiten Einsatz von Gewalt” zu brechen. In der Bundesrepublik erhobene Forderungen nach einer Verschärfung der Russlandsanktionen zielen darauf ab, Moskaus Wiederaufstieg zu stoppen und die westliche Hegemonie zu bewahren.
Bundeswehr trainiert Verteidigung eines befreundeten Landes
Die Bundeswehr trainiert den Interventionskrieg auf der Basis von an den Konflikt in der Ukraine angelehnten Szenarien. Auf dem Programm der diesjährigen, vergangene Woche beendeten “Informationslehrübung” des deutschen Heeres in der Lüneburger Heide stand die Verteidigung eines befreundeten Landes gegen einen Aggressor, der sich bei seinem Angriff auf “separatistische Kräfte” in der Grenzregion stützt. Die deutschen Truppen gingen dabei gemeinsam mit einem ihnen unterstellten Kampfverband der niederländischen Armee gegen den Feind vor.
An dem Manöver waren mehr als 1.000 Soldaten beteiligt; zum Einsatz kamen rund 100 Panzerfahrzeuge sowie zahlreiche Kampfhubschrauber, Spionagedrohnen und schwere Artillerie. Trainiert wurde mit scharfer Munition. Darüber hinaus präsentierte sich die Bundeswehr als High-Tech-Armee, die in der Lage ist, Truppen über weite Entfernungen in ein beliebiges Einsatzgebiet zu verlegen und dort innerhalb kürzester Zeit einen digitalisierten “Gefechtsstand” zu errichten, der als “Schaltzentrale” für militärische Operationen fungiert.
Blick nach Washington nach der Obama-Ära
Im deutschen Außenpolitik-Establishment werden bereits seit geraumer Zeit die zu erwartenden Kursänderungen in der US-Außenpolitik nach der bevorstehenden Präsidentenwahl und dem folgenden Machtwechsel diskutiert. Ein Sieg Donald Trumps werde “wohl weitreichende Konsequenzen” haben, heißt es in einer aktuellen Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): “Seine große Risikobereitschaft und seine Impulsivität” böten ernsten Anlass zur Sorge; man dürfe sich keinesfalls “darauf verlassen, dass Trumps Unberechenbarkeit und seine extremen Positionen ‘eingehegt’ würden, sei es durch einen Beraterstab, das Kabinett, das Militär oder den Kongress”.[1]
Allerdings sei auch unter einer Präsidentin Hillary Clinton mit spürbaren Veränderungen zu rechnen. Sie setze “durchaus andere Akzente als Obama”; so scheine etwa “ihr Glaube an den Einsatz des Militärs als ordnungspolitisches Element größer als jener des amtierenden Präsidenten”.
Diese Einschätzung wird weithin geteilt, nicht zuletzt unter den Eliten der US-Außenpolitik.
“Krieg gegen die Russen”
Im außenpolitischen Establishment der Vereinigten Staaten werden gegenwärtig, wie Beobachter bestätigen, Konzepte für die globalen Interventionen der nächsten US-Administration erarbeitet. Es herrsche dabei eine “stille Erleichterung”, dass US-Präsident Barack Obama, dessen Außenpolitik als vergleichsweise zurückhaltend empfunden werde, abtrete, heißt es. Die derzeit neu entwickelten Konzepte sehen demnach “aggressiveres amerikanisches Handeln” nicht zuletzt im Nahen und Mittleren Osten vor, insbesondere in Syrien; “nahezu alle Anstrengungen” im Establishment zielten auf militärische Aktivitäten ab, um “Präsident Bashar al Assads Regime und die russischen Streitkräfte in Syrien abzuschrecken”.[2]
Vorgeschlagen werde unter anderem die Einrichtung von “Schutzzonen” für angeblich gemäßigte Aufständische, heißt es weiter; auch sprächen sich die meisten Experten derzeit für “begrenzte amerikanische Luftangriffe” auf die syrischen Streitkräfte aus.
Dem steht offenkundig nicht entgegen, dass US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton bereits 2013 darauf hingewiesen hat, man werde “eine Menge Syrer töten”, wenn man zur Durchsetzung einer Flugverbotszone die syrische Luftverteidigung ausschalte.
Auch die Gefahr einer unmittelbaren Konfrontation mit Russland wird in Kauf genommen.
Da russische Militärs auf allen wichtigen Stützpunkten des syrischen Militärs präsent seien, könne man nicht damit rechnen, “gegen Assad Krieg zu führen, ohne zugleich gegen die Russen Krieg zu führen”, warnt ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter.[3]
Koalition der Willigen
Exemplarisch mit entsprechenden Forderungen an die Öffentlichkeit getreten sind Ende vergangener Woche der US-Syrien-Experte Charles Lister und General a.D. John Allen. Allen kommandierte von 2011 bis 2013 die ISAF-Truppen in Afghanistan und von 2014 bis 2015 die Koalition gegen Daesh (IS).
Wie Lister und Allen in einem Beitrag in der Washington Post behaupten, habe man zwei Optionen zur Verfügung, Moskau in die Schranken zu weisen: Entweder verschärfe man die Sanktionen gegen Russland, oder man eskaliere den Konflikt in Syrien militärisch.
In letzterem Falle gelte es zunächst, “Aleppo zu retten”.
Dazu müssten die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten die Lieferung von Ausrüstung und Waffen an “moderate” Milizen beschleunigen. Insbesondere müsse man die Milizen in die Lage versetzen, Flugfelder der Regierungstruppen zu bombardieren.
Lasse Damaskus nicht von – tatsächlichen oder angeblichen – Kriegsverbrechen ab, dann solle Washington eine “Koalition der Willigen” zimmern, um militärisch gegen die Regierungstruppen vorzugehen.
Angegriffen werden sollten beispielsweise Militärflugplätze, Kampfflieger, Waffenlager und Artilleriestellungen. Die Präsenz russischer Soldaten verkompliziere womöglich das “Targeting”, dürfe aber nicht vom Bombardement syrischer Truppen abhalten.
Allen und Lister schlagen schließlich noch die Gründung einer Task Force regionaler Spezialeinheiten vor, die bei der Auswahl “gemäßigter” Rebellen beratend tätig sein sollten.[4]
“Assad umbringen”
Die Washingtoner Debatte über ein schärferes Vorgehen gegen Syrien beinhaltet mittlerweile nicht mehr nur die Forderung nach einer offenen militärischen Intervention.
Wie berichtet wird, wurde vor kurzem bei einem Briefing, das der einflussreiche New Yorker Council on Foreign Relations für Mitarbeiter von Kongressabgeordneten durchführte, die Frage aufgeworfen, ob man den syrischen Präsidenten Bashar al Assad nicht einfach umbringen solle.
Der Vorschlag habe für Stirnrunzeln gesorgt, heißt es; Experten hätten darauf hingewiesen, dass ein Mord an Assad im Widerspruch zu einem Erlass von US-Präsident Gerald Ford aus dem Jahr 1976 stehe; vor allem aber habe man in Rechnung zu stellen, dass er “nichts bringe”:
Denn schließlich blieben die russischen und die iranischen Interessen in Syrien und damit “der Kern des Konflikts” auch ohne Assad unverändert.[5]
Es sei “höchst unwahrscheinlich”, dass der künftige US-Präsident einen Mord an dem syrischen Präsidenten in Auftrag gebe, heißt es weiter in dem Bericht, der in dem breit rezipierten Fachblatt Foreign Policy erschienen ist. Doch zeige der Vorschlag, mit welcher Intensität die Diskussion über neue Aggressionen gegen Syrien in Washington geführt werde.
Schwache Gegenstimmen
Die Debatte in Washington ist noch nicht abgeschlossen.
In der vergangenen Woche hat etwa ein Experte des Council on Foreign Relations darauf hingewiesen, dass ein Sturz Assads die Frage aufwerfe, wer nun die Macht in Syrien beanspruchen könne, und dass er deshalb die Gewalt zwischen den zahllosen in Syrien kämpfenden Milizen wohl noch steigern werde.
Auch sei selbst bei “begrenzten” US-Militärschlägen keinesfalls klar, dass Russland – wie so oft zwischen dem Zusammenbruch der Sowjetunion und Moskaus ersten Gegenschlägen in Georgien 2008 sowie in der Ukraine 2014 – stillhalten werde.
Schließlich bestehe eine beträchtliche Gefahr, dass die USA erneut in “jahrzehntelange Kämpfe” in Nah- und Mittelost verwickelt würden.[6] Einwände wie diese sind in der aktuellen Washingtoner Debatte allerdings minoritär.
Die möglicherweise bevorstehenden Kursveränderungen in der US-Außenpolitik betreffen nicht nur den Nahen Osten. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.