(www.conservo.wordpress.com)
Vorwahlen – ein Beleg für lebendige Demokratie. Und noch weitere Lehren aus den Vorgängen in Frankreich
Damit hatte niemand gerechnet: François Fillon hatte bereits in der ersten Runde der Vorwahlen für den Spitzenkandidaten der konservativen Republikaner in Frankreich mit einem Vorsprung von rund 16 Prozent der Wählerstimmen den favorisierten Alain Juppé auf Platz zwei verweisen – und Nicolas Sarkozy ins politische Abseits.
Mehr als vier Millionen Franzosen gaben ihre Stimme ab – ein deutliches Zeichen gegenüber den 2,7 Millionen bei der entsprechenden Vorwahl der Sozialisten 2011. Das war wohl auch ein Zeichen für den Wunsch nach einem Wechsel im Präsidentenamt. Im zweiten Vorwahlgang am letzten Sonntag, 27.11., obsiegte Fillon gegen den vermeintlichen Favoriten Juppé mit 66,5 Prozent – ein überaus deutliches Ergebnis.
Der „ewige Zweite“ war fünf Jahre lang Premierminister unter Präsident Sarkozy, der sein Verständnis von Präsidentsein einmal plastisch beschrieben hatte: Er, der Präsident, sei „le patron“, der Chef, der Premierminister dagegen nur „un collaborateur“, „ein Mitarbeiter“. Ist das die Blaupause für eine eventuelle Amtszeit Fillons?
Die hohe Wahlbeteiligung spricht gegen das Gerede von der Politikmüdigkeit – jedenfalls in Frankreich. Das Instrument Vorwahlen hat die Franzosen begeistert und frischen Wind ins Land getragen. Undenkbar in Deutschland, wo lieber Posten und Listen in Hinterzimmern verschachert werden – aktuell zu besichtigen bei der Vor-Kür des nächsten Bundespräsidenten! Es wird Zeit, von den Franzosen zu lernen!
Die Demokratie in diesem französischen Vorwahlkampf konnte sich von ihrer besten Seite zeigen. Die Wahldebatten verliefen ohne Klamauk und Beleidigungen – anders als noch vor Jahren, als die konservativen Kandidaten im Streit um den Parteivorsitz sich gegenseitig mit Schmutz beworfen hatten. Sachargumente bestimmten die Debatte.
Schon fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl hatten die Konservativen bis in Details ausgearbeitete Programme zum Umbau der Gesellschaft vorgelegt, die jetzt in aller Öffentlichkeit weiterdiskutiert werden können und sollen. Dieses Beispiel werden die berüchtigten Strippenzieher bei SPD und Union zur Kenntnis nehmen müssen – spätestens im Herbst nächsten Jahres.
Überschneidungen mit dem FN
Im „rechten“ Lager der Franzosen tut sich was. Für Marine Le Pen wird es enger, als bisher vermutet werden konnte. Mit Fillon kommt ein echter Konservativer in die Politik zurück. Frankreichs bürgerliche Rechte hat sich an das Experiment der Vorwahlen herangewagt, Marine Le Pens Front National (FN) hingegen scheute diesen Schritt; die Sozialisten wollen ihn im Januar gehen. Und ganz nebenbei bemerkt: Bei beiden Wahlgängen kamen jeweils rund 15 Prozent der Fillon-Stimmen von Sympathisanten der Linken.
Die Politologin Claire Demesmay (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik und dort Programmleiterin für den Bereich Frankreich) hält Marine Le Pen sogar für „die große Verliererin“ der Vorwahl der französischen Konservativen. François Fillon sei eine echte Alternative, es gebe Überschneidungen mit dem Programm des Front National. „Es könnte sogar sein, daß er noch bessere Ergebnisse dank Front National-Wählern bekommt“, sagte Demesmay im DLF (28.11.16).
Fillon hat – ähnlich wie früher Le Pen – die Dörfer und kleinen Städte besucht. Er ging genau dort hin, wo Marine Le Pen sich gerne als „Anwältin des vergessenen Frankreich“ darstellt. Fillons Erfolg auf diesem Terrain hat die FN-Chefin unruhig gemacht, was sich in der zurückliegenden Woche an den Reaktionen des Front beobachten ließ.
Fillon hat sich in gesellschaftspolitischen Fragen auf einen Wertekanon berufen, der im ländlichen, provinziellen Frankreich noch gilt. Er hat damit vielen Konservativen die Hoffnung auf eine vertraute politische Heimat zurückgegeben. Er reicht damit auch den Wählern der rechtsextremen Marine Le Pen die Hand. Sie versucht er zu locken mit traditionellen Werten und einer Konzentration auf das Land Frankreich selbst. Darüber hinaus steht Fillon für eine neue, stärkere Rolle Frankreichs innerhalb Europas und dem Rest der Welt.
Frankreichs Souveränität stärken
Letzte Umfragen in unserem Nachbarland besagen, er habe in einer Stichwahl gute Chancen gegen Marine Le Pen. Und auch sein politisches Programm kann mit dem FN konkurrieren: Fillons Programm in der Wirtschaftspolitik z. B. enthält (für französische Verhältnisse) sehr liberale Forderungen, die wenig mit Staatsgläubigkeit und staatlicher Wirtschaftslenkung zu tun haben: Rentenalter, 39-Stunden-Arbeitswoche, deutliche Kürzungen im Beamtenapparat usw. heißen beispielsweise die Reizworte. (Fillon will 500.000 Staatsbedienstete entlassen, die öffentlichen Ausgaben kürzen und die Wochenarbeitszeit von 35 auf 39 Stunden heraufsetzen.)
Kein Zweifel, Fillon wird „toute la France“ in wirtschaftsliberalem Geiste von Grund auf umkrempeln. Fillon beschreibt die französische Krankheit mit schonungsloser Diagnose – übrigens nicht erst, seit er Präsidentschaftskandidat der Konservativen ist. Und generell vertritt Fillon auch sehr konservative Werte bei gesellschaftlichen Fragen. Er verkörpert glaubwürdig das traditionelle, das katholische Frankreich.
Hinzu kommen seine klare Haltung zum Patriotismus – was den Franzosen nicht nur bei Le Pen gefällt – und seine Vorstellungen zur Außenpolitik, vor allem zu Russland (er möchte z.B. die Sanktionen gegen Russland aufheben und die Annexion der Krim anerkennen). Beim Thema Europa wird die europaselige Angela Merkel aufhorchen müssen: Fillon hatte und hat sehr klare Vorstellungen von einem Europa der Vaterländer, für ein Europa der Nationen, weil er Frankreich als souveränes Land erhalten möchte.
„Freund Russlands“
Noch ein kleiner Seitenblick nach Russland: Bereits auf Fillons Sieg beim ersten Wahlgang der Kandidatenkür reagierten russische Medien äußerst positiv: Ein „Freund Russlands“ habe gewonnen, der mit Präsident Putin per Du sei. Nach dem Wahlsieg Donald Trumps, so hieß es, zeichne sich mit einem möglichen französischen Präsidenten Fillon „eine für Russland außerordentlich nützliche Tendenz“ ab.
Auch sein Konkurrent Alain Juppé hatte das Thema Russland deutlich angesprochen: „Russland ist ein großes Land. Man muß mit Russland reden. Man muss mit Präsident Putin reden – selbstverständlich! Russland ist unser Nachbar, unser Partner. Und mit zum ersten, was ich als gewählter Präsident machen werde, gehört, mich mit Präsident Putin zu treffen. Aber – mit Russland zu reden, heißt nicht, zu allem „ja, ja“ zu sagen, sondern heißt, die Wahrheit zu sagen.“
Und Fillon setzte nach: „Natürlich brauchen wir eine Koalition mit Russland. Und es wäre schon ein starkes Stück, wenn jetzt, nachdem Frankreich zuletzt eine sehr kontraproduktive Haltung zu Russland hatte, wenn es jetzt zu einer Annäherung zwischen Russland und den USA käme – ohne unsere Beteiligung.“
Putin „revanchierte“ sich umgehend: Ein „harter Verhandlungspartner“ sei „François, in höchstem Maße ein Profi“ – und ein „anständiger Mann“, zu dem er „sehr gute persönliche Beziehungen habe“. (François Fillon und Wladimir Putin sind alte Bekannte. Zwischen 2008 und 2012 waren sie gleichzeitig Ministerpräsidenten und hatten auf der internationalen Bühne viel miteinander zu tun. Der eine sagt „lieber Wladimir“, der andere „François“. )
Ohne auf Einzelheiten, die sich bis zur Wahl noch ändern könnten, einzugehen, darf man jetzt schon viele Überschneidungen zwischen dem aktuellen Programm Fillons und dem Programm von Marine Le Pen feststellen. Kurz, Fillon zeigt, daß sich auch mit unbequemer Wahrheit und mit Klarheit Wahlen gewinnen lassen.
Aktive Medien
Überraschend auch das Verhalten der französischen Medien. Da herrschten Leben, Meinungsverschiedenheit und Nutzen für die Leser – ganz anders als die deutsche gleichgeschaltete Linkspresse. Mehr noch, Gerüchte und Fakten, die im Internet kursieren, wurden für die Bürger nach Möglichkeit identifiziert, man versuchte zu ermitteln, was wahr ist und was falsch. Das wünschte man sich auch für unser Land.