Die Arroganz der „Wohlwissenden“

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Von altmod *)diskussion

In einem ironischen Essay in der Neuen Züricher Zeitung hat sich der Finanzmathematiker, Autor und Philosoph, Nassim Nicolas Taleb mit einer besonders designierten Spezies unter den Eliten – Wissenschaftlern und Journalisten – beschäftigt. In seinem Aufsatz „Die Wohlwissenden“ heißt es einleitend:

Die Rebellion gegen den Intellektuellen-Idioten hat eben erst begonnen. Dieser weiß stets, wie sich sein Tun und Handeln auf seine Reputation auswirkt. Aber: Er stemmt keine Gewichte.

Weltweit, von Indien über Großbritannien bis zu den Vereinigten Staaten, findet derzeit eine Rebellion statt. Sie richtet sich gegen die Clique der Bloß-die-eigene-Haut-nicht-aufs-Spiel-setzen-Regierungsbeamten (skin in the game) und geistesverwandten Insider-Journalisten – gegen jene Klasse überheblicher, semi-intellektueller Experten mit dem Gütesiegel irgendeiner Ivy-League- oder Oxford-Cambridge-Universität, die unsereinem vorschreiben, 1) was wir tun sollen, 2) was wir essen sollen, 3) wie wir reden sollen, 4) wie wir denken sollen … , und 5) wen wir wählen sollen.

Vor kurzem gab der renommierte Soziologe und Politikwissenschaftler Herfried Münkler von der Humboldt Universität im Deutschlandradio ein Interview, in dem er aus seiner Sicht auf die jüngsten politischen Verwerfungen dem (Wahl-) Volk in großem Umfang Dummheit attestierte: Man müsse anerkennen, meinte er, dass es große Teile des Volkes gebe, „die sind nicht besonders informiert, geben sich auch keine Mühe, glauben aber dafür umso besser genau zu wissen, was der Fall ist. Also: sie sind dumm.“ Das heiße aber nicht, dass man sie nicht klüger machen könne. Und das sei die Aufgabe der Eliten.

Eine seiner Schlußfolgerungen liest sich so:

Viele derer, die populistisch wählen, ich vermute mal, ziemlich egal, ob links- oder rechtspopulistisch, sind enttäuscht von dem System, fühlen sich ausgegrenzt, abgehängt und machen gewissermaßen politisch einmal ihr Bäuerchen. Das heißt nicht, dass sie eine sehr genaue Vorstellung davon haben, wie Politik anders läuft. Das weiß man ja auch aus den Umfragen, dass viele AfD-Wähler sich gar nicht mit deren Programmatik beschäftigt haben. Sondern sie wollen Denkzettel verteilen, gelbe Zettel ankleben und drauf schreiben: Hallo, das Volk, also ich, war hier.

Also, das Volk ist dumm und roh und daraus leitet sich ein Überzeugungs- und Erziehungsauftrag der Intellektuellen und Eliten in Wissenschaft, Politik und Publizistik ab.

Münkler ist ein vielgefragter Interviewpartner und Gast in Talkshows des Regierungsfunks, „Experte“ und Politikberater, der dabei angeblich auch den Sinnes- und Ausscheidungsorganen der Kanzlerin ganz nahe kommen darf. Nicht erst mit diesem Interview hat Münkler bewiesen, dass er zu der von Taleb kritisierten Kategorie der „Akademiker-Bürokraten“ und „Intellektuellen-Kaste“ gehört, die sich stets anmaßen, unser Leben und das gesellschaftliche Geschehen im Sinn ihrer Ideologien zu regeln.

Münkler kommt aus dem Bereich der Sozialwissenschaften. Aber auch „Wohlwissende“ aus dem Bereich der Naturwissenschaften und der Medizin versuchen stets, über ihr in den Medien oder über die Politik transportiertes „Expertenwissen“, das ignorante Volk zu erziehen und zu formen: sei es auf den Gebieten der „Klima-Wissenschaft“, „Ernährungswissenschaft“ oder „Gesundheitswissenschaft“.

Dazu möchte ich kurz sondieren, was „Wissenschaft“ eigentlich sei.

Dem stelle ich zunächst die sarkastischen Definitionen von Ewald G. Seeliger aus seinem „Handbuch des Schwindels“ voran:

Wissenschaft, die staatliche Wortmache, amtliche Einrichtung, behördliche Oberzaubermeierei, der Ringeltrampeltanz der durch Höchstverbildung verbündeten Großraubhöhlenbewohner um das von ihnen heimtückisch mit Fremdwörtern verschleierte Bild der Wahrheit, oberfeierliche Irrtumskuhhäuterei, Quatschwörtereiwirtschaft, die Un-, die Widerforschung (s. Forschung).

Seeliger unterscheidet denn auch mokant zwischen Forscher und Wissenschaftler

Forscher, Richtigerdenker, Wahrheitssucher, Vorausleber, Lebensaufspürer, Zweifler, Nichtglauber, Wahrheitsspitzel, Neugierer (s. Neugier), Schwindelentlarver (s. Detektiv, Fälscher, Lehrer), Unwissenschaftler. Der F. ist der freie, die Wahrheit sprechende Mensch, der Wissenschaftler der gewaltzaubernde, staatsgebundene Wortstanzer und Unsatzmacher. Darum auch hat sich noch keiner von ihnen an die Wahrheit herangetraut, denn sie ist die Entlarvung und Wegdenkung des Staats, dieser Futterkrippe für alle Wissenschaftler.

Nach einer Definition – in nuce – bedeutet Wissenschaft: • Die Tätigkeit, bei der ein Sachverhalt mit objektiven und nachvollziehbaren Methoden systematisch beschrieben und untersucht wird. • Ein bestimmter Bereich, in dem mit wissenschaftlichen Methoden gearbeitet wird. • Gesamtheit der Einrichtungen und Personen, die wissenschaftlich arbeiten.

Unverzichtbare Kriterien von Wissenschaftlichkeit sind: • Inhaltliche Richtigkeit • Eindeutigkeit • Vollständigkeit • Objektivität und intersubjektive Überprüfbarkeit • Reliabilität / Verlässlichkeit • Transparenz • Validität • Theoriebezug • Wahl adäquater Methoden • Neuigkeitsgehalt • Begriffsklarheit • Intellektuelle Redlichkeit

Nehmen wir die Attribute Richtigkeit, Eindeutigkeit, Objektivität, Reliabilität und intellektuelle Redlichkeit, so müssen weite Bereiche und Ergebnisse der Sozial- und Geisteswissenschaften als fragwürdig, wenn nicht gar als Nicht-Wissenschaft angesehen werden. Und gerade diese gerieren sich als lautstärkste Menschen- und Gesellschaftsverbesserer. Gemeint ist vor allem der soziologische und gesellschaftswissenschaftliche Sektor mit seinem szientistischen „Soziologismus“ und dem „Genderismus“. Rechnet man neben den Universitäten und Hochschulen noch die Forschungsstiftungen und „Think-Tanks“ der Medienkonzerne (z.B. Bertelsmann), die „Akademien“ und Stiftungen der Parteien, Gewerkschaften und Kirchen hinzu, wird der  Wissenschaftsbetrieb eindeutig von diesen Disziplinen dominiert.

Dazu ein Einschub: Im Wintersemester 2016/2017 sind in Deutschland so viele Studierende wie noch nie an den deutschen Hochschulen eingeschrieben. Nach ersten vorläufigen waren rund 2.806.000 Studentinnen und Studenten im aktuellen Wintersemester an einer deutschen Hochschule immatrikuliert. Auffallend ist wieder das stetig abnehmende Interesse an Mathematik und Naturwissenschaften, wobei die Ingenieurwissenschaften – was immer sich insgesamt dahinter versteckt – einen Zuwachs haben. Auffallend ist der weitere Anstieg in Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, aber auch in der Humanmedizin und den „Gesundheitswissenschaften“ (Zu letzteren zählen ja inzwischen auch die vorwiegend an Fachhochschulen „erforschten“ „Pflegewissenschaften“).

Auch dies gibt die Wichtung wieder, wer das Sagen hat. Jedem Studenten entspricht anteilig ein adäquater Personalbestand an lehrenden und Einfluss nehmenden Personen, die von der Gesellschaft (dem Steuerzahler) ausgehalten werden.

In Deutschland soll es inzwischen über 250 öffentlich alimentierte Lehrstühle oder „Forschungsstellen“ für „Genderwissenschaften“, der Genderismus-Ideologie geben. Gesellschaftszerstörerischer Obskurantismus wird mit akademischen Weihen versehen, öffentlich gefördert und als normativ installiert. Zum Wert dieser „Wissenschaft“ ein interessantes Video aus Norwegen: https://youtu.be/3OfoZR8aZt4?t=10

Die Anzahl der Intellektuellen, die in alle Lebensbereiche einfallen, Leute, die nie ihre eigene Haut auf Spiel setzen müssen (es sei denn, sie verstoßen versehentlich gegen den Kanon der PC), die „keine Gewichte zu stemmen“ brauchen (Taleb), werden immer zahlreicher, immer lauter und frecher.

Der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter stellte einst dazu fest:

«Intellektuelle sind Leute, die die Macht des gesprochenen und des geschriebenen Wortes handhaben, und eine Eigentümlichkeit, die sie von anderen Leuten unterscheidet, ist das Fehlen einer direkten Verantwortlichkeit für praktische Dinge.»

Die Münklers, Schellnhubers und andere Kanzlerinnenberater oder „Experten“ erleben es nicht am eigenen Leib wie der Unternehmer, Handwerker oder Freiberufler. Denn dem werden die Folgen seines Handels und möglicher Differenzen zwischen Verkündigung und Taten regelmäßig und Tag für Tag vom Markt „heimgezahlt“, und auch die Arbeiter und Angestellten werden nicht für Ankündigungen und Parolen bezahlt, sondern nach ihren faktisch erbrachten Leistungen. Die arroganten „Wohlwissenden“ werden nicht zur Verantwortung gezogen, schon gar nicht durch konkrete Einkommensverluste. (Roland Baader)

Arnold Gehlen formulierte 1969 im Angesicht der zutage tretenden gesellschaftlichen und staatlichen Konsequenzen aus dem verhängnisvollen Einfluss vor allem der „Frankfurter Schule“:

„Das sind… privilegierte Klassen, nämlich solche, die faktisch oder gar rechtlich von den unlösbaren ethischen Konflikten freigestellt sind, die auf jedem denkenden Menschen liegen, der in aktive, dauernde Kämpfe verwickelt ist, seien sie politischer oder wirtschaftlicher Art. Privilegierte Kreise sind auch solche, die die Folgen ihrer Agitation nicht zu verantworten haben, weil sie diese mangels Realkontakt gar nicht ermessen oder sich alles erlauben können. Das sind, um es kurz zu sagen, in großen und wortführenden Teilen die Schriftsteller und Redakteure, die Theologen, Philosophen und Soziologen, also ideologisierende Gruppen, erhebliche Teile der Lehrerschaft aller Schularten und der Studenten, und schließlich die generellen Nutznießer der gesellschaftlichen Nachsicht: Künstler und Literaten. Mit einem Wort, es handelt sich um die »Intellektuellen«, und hier insbesondere um die Kernbestände derer, die nicht in der Wirtschafts- und Verwaltungspraxis tätig sind…“

Noch einmal Roland Baader, der leider viel früh verstorbene libertär-konservative Denker und Schriftsteller:

Das größte Unglück, das sich die zivilisierte Welt selbst antut, ist in der Tatsache zu sehen, daß sie die Ideologen-Armee, die permanent zur Zerstörung der Zivilisation antritt, mit astronomischen Steuermitteln finanziert und subventioniert. Die Lehrer an den Schulen, die Professoren an den Universitäten, die Moderatoren und Kommentatoren in den öffentlichen Fernsehanstalten, die politischen Kader und Dauerschwätzer auf allen Kanälen, die – zwar nicht alle, aber mehrheitlich – das Denken der Menschen und besonders der Jugendlichen vergiften sowie die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Marktwirtschaft verteufeln und die sozialistischen Destruktionssysteme verherrlichen: Sie alle werden mit den erzwungenen Steuern und Gebühren der breiten Bevölkerungsmassen finanziert, alimentiert, subventioniert und belohnt. Sie alle müssen sich nicht bemühen, für ihre Ideen Interessenten und Abnehmer zu finden, die bereit wären, dafür freiwillig zu zahlen (wie es sonst jeder Anbieter am Markt tun muß), sondern diese Abnehmer werden ihnen zwangsweise zugetrieben. Die Indoktrination wird fürstlich entlohnt mit Geldern, die man auch jenen Millionen von Menschen unter Zwang aus der Tasche zieht, die niemals freiwillig etwas für solche „Botschaften“ bezahlen würden.

Es gibt sie glücklicherweise noch, solche Journalisten und Wissenschaftler, welche bereit sind, „die eigene Haut aufs Spiel zu setzen“. Nicht zu schreiben und in die Öffentlichkeit zu treten, um zu gefallen oder gut dazustehen, sondern um für die eigene Überzeugung und für die rechte Sache (im vielfältigen Sinne) einzustehen. Ohne staatliche Alimentation und vorerst noch ohne die selbst gewählte Alternative des „Waldgangs“.

*) „altmod“ ist Blogger (altmod.de), Facharzt und Philosoph sowie regelmäßiger Kolumnist bei conservo
www.conservo.wordpress.com   12.12.2016
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