(www.conservo.wordpress.com)
Der Paragraph 130 („Volksverhetzung“) des Strafgesetzbuches ist schon von hohen Richtern (in der Regel erst im Ruhestand) für grundgesetzwidrig erklärt worden, zum Beispiel vom früheren Vorsitzenden Richter am Landgericht Hamburg, Günter Bertram. Mittlerweile dient dieser Paragraph immer öfter dazu, mißliebige Meinungsäußerungen oder auch Hinweise auf Tatsachen mit Hilfe der Justiz zu unterbinden.
Als ein Beispiel dafür muß man wohl den kürzlich erlassenen Strafbefehl gegen Akif Pirincçi ansehen: https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2017/strafbefehl-wegen-volksverhetzung-gegen-pirincci/
Allem Anschein nach geruhte das Gericht insbesondere nicht, die Ironie des Hinweises, daß es nun– nämlich aus Sicht der kritisierten „politisch Korrekten“ – „leider“ keine KZ mehr gebe, verstehen zu wollen. Der deutsche Patriot türkischer Herkunft soll offenbar vernichtet werden.
Im krassesten Gegensatz zu dieser eilfertigen Anwendung des „Volksverhetzungs“-Paragraphen steht die erstaunliche Tatsache, daß auf der Internetseite des „Qualitätsmediums“ „TAZ“ („Tageszeitung“) vor bald einem Jahr (aber heute noch dort zu sehen) ein Philip Meinhold unter dem erbaulichen Künstlernamen „Die Wahrheit“ den (auch als pdf anliegenden) Beitrag „Weg mit dem Kretin! Niemand unter den Völkern der Welt braucht dieses Land. Ein notwendiges Manifest zur endgültigen Abschaffung Deutschlands“ veröffentlichte – und zwar, ohne daß man von irgendeinem Strafverfahren wegen „Volksverhetzung“ gehört hätte.
Als Muster für die „Abschaffung Deutschlands“, die die „einzig angemessene Reaktion auf das Geschehene gewesen wäre“, sah der famose Autor „Die Wahrheit“ die Bombardierung Dresdens 1945:
„Man fragt sich unweigerlich, warum die Alliierten ihr im Februar 1945 in Dresden so vielversprechend begonnenes Projekt der Entnazifizierung nicht einfach auf ganz Deutschland ausgeweitet haben?“
Wo bleibt da der Staatsanwalt? Ach ja, Staatsanwälte sind in Deutschland den Weisungen ihrer Justizminister unterworfen. So viel Korrektur an der viel gerühmten Trennung der Gewalten – Legislative, Exekutive und Justiz – muß wohl sein.
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Und hier die Stellungnahme von Günter Bertram in einem Beitrag für die FAZ v. 27.2.2010:
… allein mir fehlt der Glaube
Zum Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, HANS-JÜRGEN PAPIER, „Der Zweck des Staates ist die Gewährleistung der Freiheit“ (F.A.Z. vom 19. Januar):
„Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“, möchte man mit GOETHE sagen. War es doch der Präsidentensenat gewesen, der durch seinen Beschluss vom 4. November 2009 der Meinungsfreiheit ein Korsett verpasst hatte, das es bis dahin nicht gab, nach Artikel 5 Grundgesetz auch nicht geben konnte. Entschieden hat er die Frage, ob die Novelle zur „Volksverhetzung“ vom Frühjahr 2005 (Paragraph 130 Absatz 4 Strafgesetzbuch), die es (über das bereits verschärfte Verbot hinaus) unter Strafe stellt, die Gewalt- und Willkürherrschaft des Dritten Reichs zu billigen, zu verherrlichen oder zu rechtfertigen, mit der Meinungsfreiheit vereinbar sei. Das schien schon deshalb ausgeschlossen zu sein, weil die Novelle offensichtlich kein allgemeines Gesetz war, wie es Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz ausdrücklich verlangt, sondern ein Sondergesetz: gerichtet nur gegen eine bestimmte Kategorie von Meinungen.
Das Bundesverwaltungsgericht, dessen Urteil zu überprüfen war, hatte sich bemüht, plausibel zu machen, dass die Novelle letztlich doch ein allgemeines Gesetz sei, und hatte ihr deshalb seinen Segen erteilt.
Darauf wollte sich das Bundesverfassungsgericht — mit Recht — nicht einlassen. Die Novelle sei ein Sondergesetz, und zwar nach seinem Text und den einschlägigen parlamentarischen Motiven.
An diesem Punkt der Argumentation war die Nichtigerklärung der Norm zu erwarten — eigentlich, denn stattdessen lässt der Senat eine politische Erklärung folgen: Die Schrecken des NS-Terrors seien so überwältigend und unvergleichbar gewesen, dass für sie — „ihre propagandistische Affirmation“ — allgemeine Rechtsgrundsätze keine Geltung haben könnten. Diese Ausnahme sei so evident, dass die Verfassung sie noch nicht einmal habe erwähnen müssen (sondern sich damit begnügen konnte, ihr Gegenteil zu verbriefen); sie sei dem Grundgesetz „immanent“.
Das steht in krassem Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts, das seit dem LÜTH-Urteil von 1958 nicht müde geworden war, den hohen Rang der Meinungsfreiheit herauszustreichen — die Freiheit auch solcher Auslassungen, die unanständig, abscheulich oder allgemein verpönt seien, denn ohne umfassende Freiheit (innerhalb allgemeinrechtlicher Grenzen, versteht sich) gäbe es keine Freiheit.
Wie lässt sich die plötzliche Entdeckung der „immanenten Schranke“ erklären — sechzig Jahre nach dem Erlass des Grundgesetzes? Der Parlamentarische Rat hatte ja nicht etwa vergessen, eine „Antifaschismus-Klausel“ in seine Verfassung zu schreiben, „er bekannte sich“ (wie in besagtem Beschluss zu lesen) „hierzu (zur freien öffentlichen Auseinander-setzung) auch gegenüber dem soeben erst überwundenen Nationalsozialismus“. Das war damals eine mutige Entscheidung, denn wenige Jahre nach dem Ende der HITLER-Herrschaft konnte man nicht sicher sein, dass die damals noch gar nicht so alten Kader des Dritten Reiches die Szene nicht abermals bestürmen würden. Die Bundesrepublik aber wurde stattdessen zur demokratischen „Erfolgsstory“.
Der Senat, der nach seinem Paukenschlag dann wieder viel Schönes über Wert und Unverbrüchlichkeit der Meinungsfreiheit niedergeschrieben hat, bleibt dem interessierten Publikum also ein paar Erläuterungen schuldig. Das F.A.Z.-Interview vom Januar regt dazu an, nach ihnen zu fragen.
GÜNTER BERTRAM, VORSITZENDER RICHTER AM LANDGERICHT I. R., WENTORF
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