Nach der Münchner Sicherheitskonferenz: Jetzt müssen die Europäer liefern

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Von Dieter Farwick, BrigGen a.D.*)msc

Die Ausgangslage ist klar: Im Jahre 2014 haben die NATO-Mitgliedsstaaten beschlossen, , ihre Verteidigungsausgaben bis zum Jahre 2014 auf jeweils zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. Die politische Entwicklung seit 2014 macht die Vereinbarung noch dringender. Seit Jahren tragen die USA rd. 70 Prozent der gesamten NATO-Verteidigungsausgaben – die 27 NATO-Mitgliedsstaaten den bescheidenen Rest.

Das Thema „Lasten- und Rollenteilung“ begleitet die NATO seit Jahrzehnten. Wiederholt haben in der Vergangenheit amerikanische Politiker europäische Politiker gebeten und aufgefordert, sich stärker an den gemeinsamen Kosten zu beteiligen – ohne erkennbaren Erfolg. Die Europäer haben es sich unter dem amerikanischen Schutzschirm als Trittbrettfahrer gemütlich gemacht – in der Erwartung, dass die USA schon aus Eigeninteresse ihr Engagement in und für Europa nicht reduzieren würden.

Mit der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsident hat sich das Klima deutlich verändert. Dieses Mal kommt der eisige Wind aus dem Westen.

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz vom 17.-19. Februar haben die „moderaten“ Vertreter der USA – Vizepräsident Mike Pence, Verteidigungsminister James Mattis und der Senator John McCaine – im Tone höflich, aber in der Sache klar und hart deutlich gemacht, dass die USA nicht mehr länger bereit sind, NATO-Staaten zu unterstützen, die ihre Verteidigungsausgaben bis 2024 nicht – wie verabredet – erhöhen. Das war ein Schuss vor den Bug. Der als ungeduldig einzuschätzende amerikanische Präsident wird nicht mehr lange warten, Entscheidungen zu treffen, die den Europäern nicht gefallen werden. Hinzukommt: Der asiatisch-pazifische Raum hat für die USA eine größere sicherheitspolitische Bedeutung. Japan ist wichtiger als Deutschland. Es ist daher kein Zufall, dass der japanische Ministerpräsident bereits zweimal den amerikanischen Präsidenten in den USA getroffen hat, sogar auf dessen „Ranch“ in Florida.

Die Antwort der deutschen Bundeskanzlerin wird Donald Trump nicht gefallen. Sie sprach von „ einer kleinlichen Diskussion über Militärausgaben“. Sie forderte, die Entwicklungshilfe und die Maßnahmen – welche? – der Krisenprävention den Verteidigungsausgaben hinzurechnen. Drei Jahre nach dem Abkommen. Sie hat den eisigen Wind aus dem Westen nicht wahrnehmen wollen.

Die Verteidigungsausgaben bis zu 2 Prozent sind kein Wert an sich, sondern Ausdruck des Behauptungswillen und der Anstrengungen eines Staates für seine Sicherheitsvorsorge in der Landes-und Bündnisverteidigung.

Zu diesem Komplex hat der „Wehrbeauftragte des Bundestages“ den deutschen Streitkräften in seinem „Jahresbericht 2016“ ein Armutszeugnis ausgestellt. Die deutschen Streitkräfte „gehen auf dem Zahnfleisch“. Sie brauchen unverzüglich mehr Finanzen, nur um die schlimmsten Defizite zu mildern.

Es gibt zwei Stellschrauben, die große Kluft zwischen der Personalstärke und den zu zahlreichen Einsätzen zu verringern: Mehr Personal oder weniger Einsätze – mit besserer Ausstattung und Bewaffnung. Beides kostet mehr Geld.

Es gibt keine Anzeichen, dass die Europäer bereit sind, einen großen Teil der 72 Prozent zu übernehmen.

Für einige selbsternannten „Experten“ gibt es einen „Königsweg“: Die europäische Armee“ – “Jenseits der NATO“ auch im Spiegel 8/2017. Diese Diskussion ist eine Lachnummer.

Allein die Kosten, die anfallen werden, falls man den derzeitigen Abschreckungswert überhaupt erhalten will, übersteigen jedes Vorstellungsvermögen. Man müsste zunächst die amerikanischen strategischen Kapazitäten – Aufklärung, Kommunikation und Transport – beschaffen, bevor man sie dann mit eigenem ausgebildeten Personal betreiben kann. Das dauert Jahre und Jahrzehnte.

Dieser kurze Exkurs soll genügen, die „Europäische Armee“ zu begraben.

Es gibt seit 2003 das „Berlin Plus -Abkommen“, das die Grundlage für das Handeln der EU im Falles eines Nichteingreifen der NATO“ bildet. Für einen solchen Fall hat sich die NATO – sprich in erster Linie USA – verpflichtet, die benötigen strategischen Kräfte und Mittel der EU zur Verfügung zu stellen.

Dieses Abkommen könnte als Ausgangspunkt eines neuartigen Zusammenwirkens dienen.

Die nicht-strategischen Kräfte und Mittel der USA könnten in festgelegten Schritten von den Europäern ersetzt werden – z. B. Panzer, Drohnen, Infanterie und Artillerie.

In dieser neuen Sicherheitsarchitektur könnten mittel- und langfristig Kräfte und Mittel gespart werden – bei verbesserter Effizienz.

Ein Punkt wird in Deutschland häufig übersehen: Die osteuropäischen Staaten sind in erster Linie der NATO beigetreten, um unter den nuklearen Schutzschirm der USA zu kommen. Sollte diese Schutzgarantie verwässert werden oder gar entfallen, bestünde die Gefahr, dass sich die Osteuropäer verraten fühlen und versuchen könnten, einen „modus vivendi“ mit dem großen Nachbarn Russland zu finden.

In der NATO steht mehr auf dem Spiel als die abstrakte Benchmark von zwei Prozent. Ein Europa mit einem deutlich reduzierten US-Engagement oder mit dem Austritt der USA aus der NATO würde leichte Beute des „information warfare“, den Russland bereits heute führt, um den Westen zu destabilisieren und zu demoralisieren.

Russland hat die Lehren des chinesischen General Sun Tsu sorgfältig studiert. Einer seiner Leitsätze lautet: „Wahrhaft siegt, der nicht kämpft“. Die Ukraine und die Krim lassen grüßen. Es genügen ein paar „grüne Männchen“ oder „russische Soldaten, die mit ihren Panzern in anderen Ländern Urlaub machen“ (O-Ton Wladimir Putin), wenn die Widerstandskraft eines oder mehrerer Staaten bereits gebrochen ist.

*) BrigGen a. D. Dieter Farwick ist Publizist und auch Kommentator auf conservo
www.conservo.wordpress.com   22.02.2017
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