(www.conservo.wordpress.com)
Es war ein Rosenmontag, jener 10. Februar 2013, aber was sich da in Rom ereignete, war alles andere als ein Karnevalsscherz. Nein, an diesem Tag fand in Rom ein Konsistorium statt, eine Versammlung der Kardinäle, zu der Papst Benedikt XVI. für eben diesen Rosenmontag nach Rom eingeladen hatte. Die ursprünglich vorgesehenen Haupttagesordnungspunkte spielten ganz plötzlich keine Rolle mehr, als Benedikt überraschend ein ganz anderes Thema ansprach. Auf Latein wandte er sich an seine Mit-Brüder und sagte:
„Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewissheit gelangt, daß meine Kräfte infolge der vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben…“
Er habe gespürt, wie die Kraft in den vergangenen Monaten in ihm derartig abgenommen habe, daß „…ich mein Unvermögen erkennen muß, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen. Im Bewußtsein des Ernstes dieses Aktes erkläre ich daher mit voller Freiheit, auf das Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri, das mir durch die Hand der Kardinäle am 19. April 2005 anvertraut wurde, zu verzichten…“
Eine Sensation! Benedikt XVI. verzichtete auf sein Amt als Papst – ein Papstrücktritt. So etwas hatte es 600 Jahre lang nicht gegeben. Diese Option war, wenn überhaupt, nur theoretisch bekannt und wurde allenfalls in kirchenrechtsgeschichtlicher Spezialliteratur thematisiert.
Zwar hatte Benedikt XVI. immer wieder erklärt, wenn ein Papst zur klaren Erkenntnis komme, daß er psychisch, physisch und geistig nicht mehr in der Lage sei, das Petrusamt auszuüben, dann könne es sogar seine Pflicht sein, zurückzutreten. Das werteten viele Vatikanbeobachter jedoch eher als eine theoretische Überlegung des Papstes. Denn bis dahin „galt“ die allgemeine Meinung, Päpste könnten zwar theoretisch zurücktreten, aber sie täten es in der Praxis nie, sie stürben im Amt – eine Papstwahl, eine Konklave, gebe es nur, wenn der Vorgänger beigesetzt worden sei.
Nach seinem Rücktritt wurde viel spekuliert – von Freunden, aber auch von Gegnern des konservativen Oberhirten. So wurde z. B. behauptet, der Rücktritt Benedikts XVI. sei nicht gültig gewesen, weil auf Joseph Ratzinger massiver Druck ausgeübt worden sei. Ein Rücktritt sei aber nur gültig – wie jeder kirchliche Rechtsakt –, wenn er in völliger Freiheit vollzogen werde. Dies war (und ist auch heute noch) ein deutlicher Hinweis darauf, daß der neue Papst, Franziskus I., alles andere als ein Konservativer sei und daß deshalb das konservative Element in der katholischen Kirche gestützt werden müßte.
„Kein Zweifel an der Stichhaltigkeit des Rücktritts“
Als die Gerüchte allzu deutlich wurden, machte Papst Benedikt in einem Offenen Brief klar, daß er tatsächlich aus freien Stücken zurückgetreten sei. Im Brief heißt es u.a.:
„Es gibt nicht den geringsten Zweifel an der Stichhaltigkeit meines Rücktritts. Die einzige Voraussetzung für die Stichhaltigkeit ist die volle Freiheit meiner Handlung. Spekulationen hinsichtlich der Ungültigkeit des Rücktritts sind einfach absurd“. Von einer Doppelherrschaft an der Spitze der katholischen Kirche könne „keine Rede sein“.
Und bei seiner letzten Generalaudienz am 27. Februar 2013 ergänzte er: „Die Schwere der Entscheidung lag gerade auch darin, daß ich nun vom Herren immer und für immer beansprucht war. Wer das Petrusamt annimmt, hat kein Privatleben mehr. Er gehört immer und ganz allein der ganzen Kirche“.
Hie echte Bescheidenheit – da Bescheidenheit als PR-Marke
Freunde und Gegner des Papstes Benedikt sehen in ihm einen der größten lebenden Gelehrten der Neuzeit. Sein Wissen, seine Logik, seine Erkenntnisse sind in der Tat phänomenal. Nach des deutschen Kardinals Joseph Ratzingers Wahl zum Papst Benedikt XVI. titelte die BILD: „Wir sind Papst!“
Nach Köln, zum Weltjugendtag 2005, pilgerten rd. 800.000 Gläubige, nach Madrid zum Weltjugendtag 2011 waren es mehr als 1 Million – oder beim Ostersegen „urbi et orbi“ spendete er 1,3 Milliarden Katholiken weltweit seinen Segen. Trotzdem blieb dieser Große Papst die fleischgewordene Bescheidenheit. Und seine große Demut ergänzt sie.
Damit hebt er sich sehr deutlich von seinem Nachfolger ab, der eher das Motto ausstrahlt: Tu bescheiden und sorge dafür, daß die ganze Welt darüber redet. „Seht her, er feiert nicht, dieser bescheidene Mann, er lebt stets bescheiden!“, skandieren seine Anhänger.
Meine Stammleser wird nicht überraschen, daß ich dies (ganz) anders sehe. Die Geste der offen gezeigten Demut und Bescheidenheit hat dieser Papst Franz nämlich zu seiner Marke erhoben, er zelebriert sie – ganz unbescheiden – und trägt sie wie eine Monstranz vor sich her.
Sein Vorgänger, Papst Benedikt XIV., ist auf seine stille Art ganz anders – aber ohne übertriebener Askese nachzuhängen. Seine eigene “Masche“ oder „Marke“ jedoch öffentlich ins Schaufenster zu stellen, wäre Papst Benedikt niemals eingefallen.
„Was bleibt“, schreibt der Journalist Albert Link (BILD 13.4.17), „ist ein Eindruck von einem, den sie einst Panzerkardinal nannten und dessen Aura heute trotz aller Erschütterungen der letzten Jahre nichts ausstrahlt als innere Ruhe…“ Sein Privatsekretär, Titularerzbischof Georg Gänswein, erklärt es so: „Benedikt ist mit sich selbst im Frieden.“
Heute wird dieser große Papst 90 Jahre alt.
Wir wünschen ihm von Herzen Kraft und Gottes Segen für viele weitere Jahre.
Peter Helmes
P.S.: Gerne veröffentliche ich auch den Beitrag auf dem „Christlichen Forum“ zu Papst Benedikts 90. Geburtstag, weil er den Glückwunsch des Papst-Intimus Kardinal Müller aufgreift:
Papst Benedikts 90. Geburtstag fällt auf das Osterfest – Kardinal Müllers Würdigung
„In kleinem Kreis“ wird der emeritierte Papst Benedikt XVI. seinen 90. Geburtstag feiern – und dabei wird am Ostermontag, einen Tag nach dem runden Geburtstag, sicher auch Kardinal Gerhard Müller nicht fehlen.
Er ist Nachfolger Ratzingers im Amt des Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation – und kaum jemand kennt Benedikts Schriften so gut wie Müller: „Ich habe schon einiges geschrieben über ihn und bin auch Herausgeber der Gesammelten Werke: 16 Bände.“
Der deutsche Kurienkardinal sagte zudem im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Wer beim Zustandekommen dieser Ausgabe beteiligt ist oder wer sie in den jeweiligen Sprachen gelesen hat, der weiß, dass Papst Benedikt ein großer, bedeutender Theologe ist und dass er dieses theologische Wissen, diese Erfahrung eingebracht hat in sein Pontifikat.
Und dass er mit einem bedeutenden Pontifikat auch in die Geschichte eingehen wird – unabhängig davon, was die eine oder andere interessierte Stimme theologischer Herkunft von sich gibt.
Aber die Beurteilung der Kriterien in Geschichte und Theologie sind eben andere, und hier kommt es bei jedem Pontifikat darauf an, wie jemand mit der eigenen Person die Sendung und den Auftrag annimmt, der ihm in der Person des heiligen Petrus von Christus selber übertragen worden ist.“
Der Papst aus Deutschland hat sich vor vier Jahren aus dem Papstamt zurückgezogen. Kardinal Müller antwortet auf die Frage, wie sich die Ära Benedikts unter dem Blickwinkel des jetzigen Pontifikats von Papst Franziskus beurteilen lasse:
„Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten, weil wir keine vergleichbaren geschichtlichen Kategorien haben… Wenn Benedikt XVI. auf die Ausübung des Primats verzichtet hat und, auf Deutsch gesagt, zurückgetreten ist von diesem Amt, dann ist das ja nicht so, wie wenn ein Präsident eines Staates oder ein Minister zurücktritt, sodass sein Amt der Vergangenheit angehört. Sondern das ist ja auch eine persönliche Beauftragung durch Christus, die jetzt auf diese Weise nicht mehr ausgeübt wird, da wir jetzt einen neuen, anderen Papst haben.
Aber Benedikt hat das eben auch so definiert, dass er gerade als emeritierter Papst durch das Gebet und durch sein Wohlwollen dem päpstlichen Auftrag und der Sendung bleibend verbunden ist. Ich glaube auch, dass gerade durch sein Erbe in der Theologie und auch in seinem päpstlichen Lehramt er weiterhin noch wesentliche Orientierung bietet für das Verständnis des katholischen Glaubens.“