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Von Peter Helmes
Nun war er da, der neue Präsident Frankreichs. Nun ist er also auch in Deutschland angekommen, und der „nette Nachbar vom Land auf der anderen Rheinseite“ wurde herzlich von Merkel und Gefolge empfangen. Noch hielt sie ihr Silbertäschchen geschlossen, aber bald werden die Taler auf die Franzosen herabregnen. Die moralische Begründung wird gleich mitgeliefert:
Wir Deutschen erdrückten die armen Nachbarländer mit unserer Exportkraft, lautet die Saga. Und angesichts der seit Jahren anhaltenden Querelle française, während wir von einem Rekord zum anderen jagten, sei es nur unsere verdammte Pflicht, den geplagten Franzosen auf die Beine zu helfen…
Frankreichs Probleme sind erdrückend groß. Nun schickt sich der neugewählte Präsident Macron an, sie zu lösen. Wir sollten ihn nicht unterschätzen. Mit der von ihm gesuchten Wiederbelebung und Stärkung der Achse Paris-Berlin wird er „die Europa-Politik vorantreiben“ – auf Deutsch: die Macht des EU-Molochs stärken.
Der Antrittsbesuch Macrons bei Merkel machte dies deutlich: Beide wollen „der Europäischen Union neue Impulse geben“ – was nichts anderes heißt, als nochmehr nationale Souveränität abzugeben. Beide kündigten einen Fahrplan für gemeinsame Projekte in der EU und der Eurozone an. Zur Modernisierung der EU sei man auch bereit, bestehende Verträge zu ändern. Völker, höret die Signale!
Merkel setzte noch eins drauf: Deutschland werde es auf Dauer nur gutgehen, wenn es Europa gutgehe. Und Europa werde es nur mit einem starken Frankreich gutgehen.
Beide wollen die EU mit einer engeren deutsch-französischen Zusammenarbeit stärken. Keiner von beiden glaubt an einfache Lösungen, und beide verteidigen die liberale Demokratie und sehen den Freihandel nicht als Bedrohung an. Merkel wie Macron sind der Ansicht, daß sich Themen wie Zuwanderung, geringes Wirtschaftswachstum und die terroristische Bedrohung am besten gemeinsam lösen lassen. Sie wollen in der EU mehr Zusammenarbeit in der Verteidigungs-, der Sicherheits- und der Wirtschaftspolitik. Notabene: Die EU ist bislang schließlich immer nur dann vorangekommen, wenn Deutschland und Frankreich an einem Strang gezogen haben.
So selbstverständlich – und so leicht – ist es diesmal aber nicht. Die Kanzlerin steht in den nächsten Monaten vor einer schweren Aufgabe im eigenen Land: Merkel muß sich im Herbst zur Bundestagswahl stellen. Die Deutschen sind zwar im Grundsatz auch für mehr Europa – aber die Euphorie ist verflogen, zumal das Ganze – von der Flüchtlingspolitik bis zu „Moloch Brüssel-Straßburg – viel zu viel Geld kostet. Und die Deutschen haben keine Lust mehr, noch mehr zu zahlen.
Aber: Wenn die Euphorie über den Wahlausgang verflogen ist, wird sich schnell zeigen, wie gespalten die französische Gesellschaft ist. Macron muß klar sein, daß er für viele Franzosen nur eine Notlösung ist. Seine Wähler haben ganz unterschiedliche Erwartungen an ihn, die sich zum Teil gegenseitig ausschließen. Deshalb wird ein großer Teil naturgemäß von ihm enttäuscht werden.
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Problembeschreibung in Kürze
Schauen wir uns ´mal einige Probleme an:
- Frankreichs Abstieg ist zu gravierend, die finanzielle Situation zu katastrophal, die Spaltung zu tief, als daß eine schnelle Erholung möglich sein könnte.
- Tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Reformen für unser Nachbarland sind dringend erforderlich. Das bestätigte auch der neue französische Präsident Macron und begründete dies mit der Notwendigkeit, „Europa vorankommen“ zu lassen. Frankreich sei es in den vergangenen 30 Jahren nicht gelungen, das Problem der Massenarbeitslosigkeit zu lösen. Die Regierung werde sich diesem Ziel verschreiben.
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- Macron: “Das Problem Frankreichs seit nunmehr 30 Jahren ist die Arbeitslosigkeit. Wir sind das einzige Land in Europa, das die Massenarbeitslosigkeit nicht eindämmen konnte.”
- Der neue Präsident will vor der Parlamentswahl im Juni ein „breites Bündnis“ schmieden, um eine Regierungsmehrheit für seinen Reformkurs zu bekommen.
- Macrons eigentlicher Gegner ist nicht der Front National – es sind vielmehr die Gewerkschaften, die an den erkämpften Privilegien festhalten wollen, und es wird schwierig sein, sie von der Notwendigkeit einer Liberalisierung des Arbeitsmarktes und anderen Neuerungen zu überzeugen.
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- Bei der Staatsverschuldung von über 100 Prozent fehlen die Mittel für große Investitionen.
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- Erschwerend kommen hinzu eine hohe Arbeitslosigkeit und ein Bildungssystem, das nicht chancengerecht ist. Überall im Land gehen Arbeitsplätze verloren. Vor allem in der Industrie, deren Anteil an der Wirtschaftsleistung kontinuierlich sinkt. Mit weniger als 14 Prozent spielt sie heute eine weit geringere Rolle als in Deutschland. Unter der Deindustrialisierung leiden nicht nur Arbeiter, auch Angestellte für Routinearbeiten finden immer seltener Jobs. Die Arbeitslosenquote verharrt schon lange bei knapp 10 Prozent. Für Macron eines der zentralen Probleme im Land:
- Nicht zu unterschätzende Probleme sind die Folgen der Islamisierung: der permanente Ausnahmezustand und die Außeneinsätze zur Bekämpfung des islamistischen Extremismus von Mali bis Afghanistan.
- Wenn Macron Frankreich tatsächlich modernisieren will, muß er zuerst die in zwei Hälften tief gespaltene Gesellschaft wieder enger zusammenführen: Auf dem Land findet sich fast überall noch die „alte“ Gesellschaft – bürgerlich, national, katholisch. In vielen Ballungsgebieten droht das Land zu „kippen“ – Armut, Arbeitslosigkeit (besonders bei der Jugend), islamische Parallelgesellschaft.
- Auch das Thema Europa hatte im Wahlkampf gespalten. Mit dem rechten Front National, der mit Marine Le Pen fast elf Millionen Stimmen auf sich vereinen konnte, und der äußersten Linken, die mit Jean-Luc Mélenchon einen verbissen kämpfenden Agitator hat, war der Anti-EU-Flügel stark bei diesen Wahlen.
- Vor allem muß der neue Präsident Frankreichs nun erst einmal die parlamentarische Mehrheit finden, die seinen politischen Kurs in Gesetze gießt. Notfalls will Macron einzelne Maßnahmen per Dekret durchsetzen. Auf Dauer kann Macron aber nicht ohne die nötige parlamentarische Unterstützung reüssieren. Im Lauf des Junis wird die Nationalversammlung (vgl. Bundestag) neu gewählt.
- Nicht zuletzt durch den Brexit gewinnt die Achse Paris-Berlin zusätzlich an Bedeutung, aber dieses Verhältnis muß besser austariert werden. Macron ist erfahren genug, um zu wissen, daß seine Vorgänger auch an Deutschland gescheitert sind. Macron will ganz bestimmt nicht ein weiteres Opfer von Merkel und Finanzminister Schäuble werden.
- Gleich drei Mitglieder von Emmanuel Macrons Regierung – Premierminister Edouard Philippe, Verteidigungsministerin Sylvie Goulard und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire – sprechen fließend deutsch. Das wird die gegenseitige Verständigung befördern.
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- Sinkende Wirtschaftsleistung, hohe VerschuldungAnders als früher will Macron die umstrittene 35-Stunden-Woche zwar nicht mehr abschaffen, aber auf Firmen- und Branchenebene sollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über Arbeitszeit und Lohn unabhängiger entscheiden können. Diese Reformen sollen die Grundlage bilden für eine Re-Industrialisierung des Landes: „Die neue Republik ist eine der Industrie, des Digitalen und der verantwortungsbewussten Ökologie.“ Gut gesagt, schwerer realisiert.
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- Der Liberale Macron will mit Strukturreformen die Wirtschaft beleben. Zu seinen wichtigsten Wahlversprechen zählen mehr Flexibilität des Arbeitsmarktes und ein einfacheres Arbeitsrecht.
- An der Frage der Vergemeinschaftung von Schulden und Aufweichung der Stabilitätskriterien scheiden sich allein in Deutschland erkennbar die Geister. Die Wahl von Macron führt mit all ihrem Schwung zunächst erst einmal dazu, daß die bekannten unterschiedlichen Vorstellungen über die Zukunft Europas zwischen den politischen Parteien, aber auch zwischen Staaten und Regionen, noch einmal aufs Neue deutlich zu Tage treten.
- Weniger Vorschriften, eine klare Deregulierung verlangen Unternehmerverbände seit Jahren. Sie stöhnen zudem über eine hohe Abgabenlast und komplizierte gesetzliche Regelungen. Das derzeitige Steuer- und Arbeitsrecht sei wachstumshemmend, genauso wie die hohe Staatsquote. Mehr als 56 Prozent der Wirtschaftsleistung verwaltet heute der riesige französische Staatsapparat. Macron will dort in den kommenden Jahren 120.000 Stellen nicht neu besetzen. Dafür soll die freie Wirtschaft mehr Arbeitsplätze schaffen.
- Verlorene Bildung(s-politik)
Jeder vierte Arbeitslose in Frankreich ist heute unter 25 Jahren. Daß die überwältigende Mehrheit eines Jahrgangs das Abitur macht, ist nur auf dem Papier ein Erfolg. In Wahrheit, so der französische Soziologe Louis Chauvel, sei der Abschluß wertlos:
„Einige Diplome des französischen Bildungssystems haben in den vergangenen 30 Jahren eine massive, brutale Entwertung erfahren. Das gilt besonders für das Abitur und seit gut zehn Jahren nun auch für den Bachelor. Wenn man das mit dem gleichen Abschluss der Eltern vergleicht, so gab es einen regelrechten Einbruch.“ Aber auch ein Uni-Abschluß garantiert heute keinen Job mehr.
- TerrorismusDeshalb mußte die Wahl des neuen Präsidenten durch gut 50.000 zusätzliche Polizisten und 7000 Soldaten gesichert werden. Die Aufrüstung im Alltag trifft auf breite Unterstützung bei den Franzosen. Das Vertrauen des Volks in die scheidende Regierung ist in dieser Frage nicht erschüttert.
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- Dennoch will der neue Präsident auch hier neue Akzente setzen. 10.000 zusätzliche Stellen in der Gendarmerie und der Polizei plant Macron, die Nachrichtendienste will er besser koordinieren und den Verteidigungsetat auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes kräftig erhöhen.
- Eine Aufgabe wird dem neuen Präsidenten wie ein Mühlstein um den Hals hängen: Seit den Pariser Terroranschlägen vom November 2015 lebt Frankreich im Ausnahmezustand. Islamistische Terroristen – nicht selten aufgewachsen und radikalisiert im Umfeld trostloser Banlieues – haben in den vergangenen eineinhalb Jahren in Frankreich 230 Menschen getötet, 800 zum Teil schwer verletzt.
- Der Zustand der Gefängnisse in Frankreich gibt seit Jahren Anlass zur Klage. Eine chronische Überlastung kennzeichnet das System. Auch innerhalb des Strafvollzuges gibt es massiven Reformbedarf. Von vielen islamistischen Attentätern ist bekannt, daß sie sich in den Gefängnissen radikalisiert haben. Diese Radikalisierung – innerhalb, aber auch außerhalb der Gefängnismauern – will der neue Präsident bekämpfen. Moscheen, deren Prediger sich nicht an die Werte der Republik halten, sollen geschlossen werden:Emmanuel Macron will die Kluft zwischen der muslimischen Minderheit und der Mehrheitsgesellschaft aber nicht nur mit Härte bekämpfen. An die Muslime sendet er versöhnliche Signale. Ein Kopftuchverbot an Hochschulen lehnt er ab und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst will er in einem „vernünftigen Maß“ gestatten, ihre religiösen Überzeugungen zu zeigen.
- „Die neue Republik ist auch eine der Sicherheit. Ich will ganz klar sein: Es gibt null Toleranz. Wir zerstören die Vereinigungen, die die Werte der Republik nicht respektieren.“
- Weg von einer dogmatischen Sparpolitik
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- Da spielt die Bundesregierung in Deutschland eine ganz wichtige Rolle. Sie muß gemeinsam mit Macron dafür sorgen, daß wir wegkommen von einer dogmatischen Sparpolitik, unter der viele Menschen in Frankreich und in ganz Südeuropa sehr gelitten haben. Wir haben eine massive Arbeitslosigkeit und massive soziale Ungerechtigkeit. Aber über das WIE der Umsetzung besteht keine Einigeit.
- Haushaltsrecht der nationalen Parlamente bewahren!
- Man könnte auch sagen, die alten Debatten sind zurück: Nicht alle Euro-Mitgliedstaaten sind damit einverstanden, dass jemand in Brüssel oder sonst wo sitzt, der über das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente hinweg festlegt, wie nationale Haushalte zu gestalten sind. Das wird ein sehr schwieriges Unterfangen.
- Stabilisierung der Eurozone. Euro-Finanzminister, Euro-Parlament und Euro-Haushalt – sie sind bereits im Zuge der Euro-Krise vor einigen Jahren ausführlich diskutiert worden, fanden in Europa aber bisher keine Mehrheit. Auch weil dafür EU-Verträge geändert werden müssten. Ökonomische Ungleichgewichte in Europa abzubauen, dieses Ziel wird von vielen geteilt. Die Frage ist, wie.
- “Die Franzosen geben zu viel Geld aus – und geben Geld an der falschen Stelle aus. Aber wer denkt, man könnte jetzt die französische Art und Weise – sich zu geben, zu leben, zu fühlen – einfach einreißen, das geht nicht.”
Macron zum Erfolg verdammt
Er mag ja noch jung sein, der neue Präsident, aber er ist weder unerfahren noch nicht gewieft genug für sein Amt. Er ernannte überraschend den Konservativen Philippe zum Regierungschef – ein geschickter Schachzug. Denn mit dieser Idee bricht Macron in die ohnehin verunsicherte bürgerliche Partei (ehem. Gaullisten) ein und könnte sie spalten. Denn Philippe könnte nicht der einzige Konservative bleiben, der Macron folgen wird. Das zeigt schon der Appell von rund zwanzig Abgeordneten der konservativen Parteien Les Républicains und der UDI. Sie fordern ihre Parteifreunde bereits auf, die ausgestreckte Hand von Präsident Macron anzunehmen.
Eine Art „Große Koalition“ tritt da an: parteiübergreifend und gleichermaßen männlich wie weiblich besetzt. Auch Polit-Neulinge aus der Zivilgesellschaft sind vertreten – eine solche Regierung hat es in der Fünften Französischen Republik noch nicht gegeben.
Zentrale Ressorts wie das Innen- und das Außenministerium wurden mit Gerard Collomb und Jean-Yves Le Drian erfahrenen Politikern anvertraut – so bleibt Kontinuität gewahrt. Mit alledem wird der Präsident Macron den Versprechungen des Wahlkämpfers Macron durchaus gerecht: auf den ebenfalls in Aussicht gestellten „Geist der Erneuerung“ darf man gespannt sein.
Macrons Kalkül
Die innenpolitischen Folgen des Macron’schen Handelns sind gravierend. Schon daß er nicht etwa einen Weggefährten aus der „En marche!“-Ära zum Premierminister machte, sondern mit Edouard Philippe jemanden aus dem konservativen Lager der “Republikaner”, kam einem Frontalangriff auf das Parteiensystem Frankreichs gleich.
Macrons Kalkül, für das Erreichen der Parlamentsmehrheit auch konservative Abgeordnete dazu zu bringen, sich seiner Zentrumspartei „La République en marche!“ anzuschließen, dieses Kalkül geht schon auf: Die zunehmend verzweifelten Aufrufe der Parteiführung zur „Geschlossenheit“ belegen es.
Das Spiel geht dann weiter nach der Melodie des Liedes von den „zehn kleinen Negerlein“ – einer nach dem anderen bricht aus. Zum Schluß stehen eine neue bürgerlich-liberale „Mitte“ („en marche!“) für Macron, die dann weniger werdenden Rest-Konservativen ebenfalls für Macron (wohin sonst?) – und die Sozialisten kämpfen ums nackte Überleben. Zum Mitspielen haben sie nichts – und nicht einmal Kraft, ähnlich der Situation in Deutschland: erstarkte Mitte, schwache linke Seite. Die Trendwende ist in beiden Ländern geradezu abrupt erfolgt. Ergebnis: Heute dominiert Mitte/Rechts – und „links“ bleibt der Katzentisch.
Verschafft sich Macron tatsächlich eine Parlamentsmehrheit, stünden die Traditionsparteien vor dem Aus. Denn angesichts des großen politischen Zentrums, das sich mit „La République en marche“ herausbildet, wird es für sie schwer bis unmöglich werden, ein eigenes Profil zu halten bzw. zu entwickeln.
Die Nationalratswahlen im Juni werden zeigen, ob die Franzosen dem neuen Präsidenten trauen und ihm zutrauen, wenigstens die schwierigsten Probleme zu lösen. Macron kämpft an zwei Fronten; denn Madame Le Pen sitzt ihm im Nacken. Wenn Macron scheitert, ist Le Pen die nächste Präsidentin.