Macron en marche! – The winner takes it all

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes

„Staatsbürgerlicher Generalstreik“ vs. „republikanischen Monarchen“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat bei der Parlamentswahl zwar eine klare Mehrheit für seine Politik gewonnen, jedoch deutlich schwächer abgeschnitten als erwartet. Aber der sozialliberale Staatschef sicherte sich in der entscheidenden Abstimmungsrunde am 18. Juni eine komfortable Machtbasis für seine Reformen, mit denen er Frankreich international wieder konkurrenzfähig machen will.

Präsident Macrons Partei „La Republique en Marche“ siegte bei der Abstimmung. Frankreich bekommt einen ‘republikanischen Monarchen’ samt einer Machtfülle, wie dies das Land zuletzt unter der Regentschaft von Charles de Gaulle erlebte. Diese absolutistische Versuchung stellt Macron auf die Probe. Als Kandidat hatte er versprochen, Frankreichs Demokratie zu erneuern. Als Präsident kann er dies einlösen, indem er der bisher schwachen Nationalversammlung mehr Rechte zur Kontrolle der Regierung gibt. Verhält sich Präsident Macron hingegen wie einst de Gaulle, so wird der neue Präsident sehr schnell zu einem Mann von gestern.Laut Hochrechnungen /Stand s.o.) kam Macrons Lager aus dem Stand auf 331 der 577 Sitze in der Nationalversammlung. Meinungsforscher hatten zuvor bis zu 470 Mandate für möglich gehalten. Die absolute Mehrheit liegt bei 289 Sitzen.

Das französische Wahlsystem macht es kleineren Parteien sehr schwierig, Sitze im Parlament zu erringen, auch wenn sie insgesamt 20-255 % erreichen. Die Hürde ist die Bedingung, daß ein Abgeordneten-Kandidat seinen Wahlkreis erobern muß. Das gelingt den Wenigsten. So kommt Le Pens Front National vermutlich nur auf weniger als einem Dutzend Sitze. Mélenchons Linke geht es genauso.

Macron hat in der Bevölkerung also nur eine Minderheit von überzeugten Befürwortern hinter sich. Die Mehrheit zeigt sich abwartend: Man lässt den neuen Präsidenten machen und schaut, was dabei herauskommt. Er hat einen Kurs der schonungsvollen Reformen angekündigt, einen Wirtschaftsaufschwung ohne wirtschaftspolitische Roßkur, eine Liberalisierung bei weitgehender Besitzstandwahrung aller wichtigen Interessengruppen und – vorerst zumindest – ungedrosselter Staatsverschuldung. Das alles klingt noch eher nach Wunschkonzert.

Katastrophale Wahlbeteiligung birgt Zündstoff

Die extrem niedrige Wahlbeteiligung (42 Prozent/Hochrechnung heute 4 Uhr nach Auszählung von 97 % der Stimmen) warf allerdings die Vorhersagen durcheinander und darf als Ausdruck dafür gewertet werden, daß das Volk mit der gesamten Polit-Klasse unzufrieden ist. Der Linksradikale Jean-Luc Mélenchon resümiert treffend. „Unser Volk ist bei dieser Wahl in eine Form des staatsbürgerlichen Generalstreiks getreten“.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik haben mehr als die Hälfte der Wähler an einer Parlamentswahl nicht teilgenommen. Nach einem Jahr besonders intensiven Wahlkampfs sind viele Franzosen wahlmüde und desorientiert. Deshalb haben sie sich entschieden, abzuwarten und dem Spiel von außen zuzusehen. Keine Partei bisher hat so viele Sitze mit so wenig Stimmen erhalten.

Es gehört keine Prophetie dazu vorauszusagen, daß die von Macron angekündigten Reformen, sobald sie spürbar werden, zu erheblichen Protesten – vor allem auf den Straßen – führen werden. Denn „das Volk“ wird sich Luft machen wollen – auch mit Gewalt, die in der französischen Politik quasi zum Standard gehört.

Der Triumph für Macrons erst vor gut einem Jahr gegründete Mitte-Partei La République en Marche und ihre Verbündeten bestätigt eine historische Zäsur für die französische Politik. Die traditionellen Regierungsparteien der bürgerlichen Rechten, die – welch ein Trost! – doch weniger verloren als vorausgesagt, und der Sozialisten mußten eine weitere herbe Niederlage einstecken. Dem Front National unter Marine Le Pen gelang erstmals der Einzug ins französische Parlament.

Der Geist Hollandes und der Sozialisten spukt vorerst nicht mehr im Land. Das Wahlergebnis kommt für sie einer Existenzvernichtung gleich – wie überhaupt der Triumph für Macrons erst vor gut einem Jahr gegründete Mitte-Partei La République en Marche und ihre Verbündeten eine historische Zäsur für die französische Politik bedeutet. Das alte, „ewig herrschende“ Schema Sozialisten versus Bürgerliche gilt nicht mehr. Die Sozialisten finden allenfalls in Mélenchon ein Sprachrohr, aber ein sehr radikales. Die Bürgerlichen haben sich offensichtlich neu orientiert und sind in ihrer Mehrheit bei Macron zu finden. Für die konservative Partei „Les Républicains“, für die Namen stehen wie de Gaulle, Pompidou, Chirac oder auch Sarkozy, sieht die Zukunft also nicht besonders rosig aus, zumal ihnen eine charismatische Führungsfigur nach dem Abgang von Fillon fehlt.

Mit der klaren Mehrheit in der Nationalversammlung hat Macron nun weitgehend freie Hand für seine Gesetzespläne. Bremsen könnte allenfalls der Senat, die zweite Parlamentskammer wird von der bürgerlichen Rechten dominiert. Allerdings sitzt die Nationalversammlung bei der Verabschiedung von Gesetzen am längeren Hebel. Vor allem bei der geplanten Arbeitsmarktreform sind außerdem Protestkundgebungen von Gewerkschaften zu erwarten.

Frankreich leidet schon lange unter einer hohen Arbeitslosigkeit, sie lag zuletzt bei 9,5 Prozent. Das Wirtschaftswachstum hinkte in den vergangenen Jahren der Eurozone hinterher, die Staatsschulden liegen bei 96 Prozent der Wirtschaftskraft – deutlich mehr als in Deutschland. (siehe auch meinen Kommentar zum ersten Wahlgang: https://www.conservo.blog/?s=nationalversammlung).

Ausnahmezustand wird verlängert

Nach der Wahl könnten Macron und sein Premierminister Edouard Philippe wie in Frankreich üblich ihre Regierungsmannschaft nachjustieren. Eine größere Kabinettsumbildung gilt angesichts des Ergebnisses allerdings als unwahrscheinlich. Am Mittwoch will das Kabinett die geplante Verlängerung des Ausnahmezustands beschließen, der seit den Pariser Terroranschlägen vom November 2015 in Kraft ist. Die teils umstrittenen Sonderregeln für Behörden sollen bis Anfang November verlängert werden. Außerdem soll ein neues Sicherheitsgesetz beraten werden.

Macron will noch in diesem Monat eine umstrittene Lockerung des Arbeitsrechts und ein neues Anti-Terror-Gesetz auf den Weg bringen. Außerdem strebt er in der vom angekündigten Austritt Großbritanniens verunsicherten Europäischen Union weitreichende Reformen an und hofft dabei auf eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland. Schon zum am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel wollen Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Informationen aus dem Élyséepalst einen gemeinsamen Beitrag leisten.

Kein Zweifel – für Präsident Emmanuel Macron ist es bislang gut gelaufen. Noch vor wenigen Monaten war er außerhalb seines Heimatlandes so gut wie unbekannt. Und nun dieses für ihn glorreiche Wahlergebnis! Macron hat seinen Erfolg dem Wunsch der Franzosen nach einer Alternative zu den etablierten Parteien und zu der EU-feindlichen Marine Le Pen zu verdanken.

Aber der Präsident wird jede nur erdenkliche Unterstützung benötigen, will er das Land vereinen und seine Reformen durchführen. Macron kann in jedem Fall den Reformprozeß in Gang setzen, und er wird dabei auf die Hilfe aus Berlin rechnen können

„Bevollmächtigungsgesetz“

Macron will z. B. nicht nur unternehmerfeindliche Klauseln aus dem Arbeitsrecht streichen, sondern auch die Arbeitslosenversicherung für Freiberufler und Selbstständige öffnen. Im Gegenzug sollen Arbeitssuchenden höhere Verpflichtungen auferlegt werden. Das staatliche Rentensystem will der Präsident vereinheitlichen, berufsständische Privilegien streichen. Macron plant, so schnell es geht, ein Bevollmächtigungsgesetz vom Parlament verabschieden zu lassen. (Anmerkung: Ein französischer Präsident verfügt über große Vollmachten und kann mit zeitlich begrenzten Dekreten regieren.) Die Regierung kann dann über Verordnungen Reformen beschließen, die Gesetzeskraft erhalten. Die parlamentarische Debatte wird damit verkürzt. Macron will so erreichen, dass die Arbeitsmarktreform schnell greift. Eine erste Fassung wurde bereits der Presse zugespielt und hat einen Sturm der Empörung bei den Gewerkschaften entfacht.

Noch einmal Jean-Luc Mélenchon von der Bewegung „La France Insoumise/Das unbeugsame Frankreich“:

„Das heutige Wahlergebnis bedeutet einen klaren Sieg der Partei des Staatspräsidenten. Das Ergebnis ist aber auch eine Augenwischerei und zeigt eine Situation vollkommener politischer Instabilität. Die hohe Zahl der Enthaltungen belegt, dass es keine Mehrheit im Lande dafür gibt, das bestehende Arbeitsrecht zu zerstören, die öffentlichen Freiheiten zu beschränken, keine Mehrheit gibt für ökologisch unverantwortliches Handeln – was ja alles im Programm des Präsidenten vorkommt.“

Ein gewisser Martin Schulz, geistiger Verwandter Mélenchons und ehemaligger Bürgermeister von Würselen, höhnt jetzt schon laut: „Emmanuel Macron muß Erfolg haben – wenn er scheitert, wird Frau Le Pen in fünf Jahren Präsidentin, und das europäische Projekt ginge vor die Hunde.“ Mehr ist dem Führer der deutschen Sozialisten bisher dazu nicht eingefallen. Wie auch, haben die deutschen Sozis ebenfalls kein realisierbares Konzept für die Zukunft!

Labile Macht

Nun ja, realistisch betrachtet, bleibt Macron nicht viel Zeit zum Jubeln. Übertriebene Siegessicherheit ist nicht angebracht. Es wird nicht leicht für Macron, das Land in einer solchen Lage schlagkräftig zu führen. Er muß eine parlamentarische Gleichung lösen, die schwieriger ist, als sie aussieht: Es gibt eine riesige Gruppe der Mitte (vor allem in seiner Partei), die wenig erfahren ist, und Scharfmacher am Rande. Außerdem darf die Regierung diejenigen nicht aus den Augen verlieren, die aufgrund von Ernüchterung, Gleichgültigkeit oder Ressentiments nicht zur Wahl gegangen ist.

Die neue Regierung hat zwar freie Bahn, aber ihre Macht ist labil. Vor diesem Hintergrund wird die Versuchung für den neuen Präsidenten groß sein, seine Macht zu missbrauchen. Irgendwann wird Macron einmal ausgebremst werden. Noch zeigt sich eine stille Revolution in der politischen Mitte Frankreichs, aber sie wird nicht lange still bleiben.

Das französische Wahlergebnis setzt aber auch ein ganz anderes Signal: Die Bürger lassen sich die politischen Tricksereien und die Selbstbereicherung der Polizklasse nicht mehr gefallen. Sie nehmen nicht mehr einfach hin, daß eine Regierung ihre Energie mit Streitereien vergeudet, statt sie auf ihre eigentliche Arbeit zu richten. Wenn sich eine glaubwürdige und positive Alternative bietet, werden die Bürger nicht zögern, sie zu wählen, selbst wenn dies ein Sprung ins Unbekannte ist. Die französische Wahl sendet damit Signale weit über Frankreich hinaus.

www.conservo.wordpress.com   19. Juni2017
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