Das Elend der SPD – vom „Schulz-Effekt“ zum „Schulz-Defekt“

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes

„Herr, erbarme Dich…! Hab Mitleid mit Schulz und seiner altgewordenen Partei!“

In den Berliner Polit-Szenekneipen wandert seit Tagen ein böser Spruch von Tisch zu Tisch. Man munkelt, Martin Schulz würde jedem/jeder eine Flasche Schnaps versprechen, der/die ihm eine brauchbare Idee zum Erreichen des Wahlziels vorlege. Ja, ja, das ist Satire – aber jetzt weiß ich wenigstens, wie der Begriff „Schnapsidee“ zu erklären ist.

Eine einzige Blamage“

Allerdings steckt doch wohl ein Körnchen Wahrheit in der Geschichte, die ich augenzwinkernd gerne weitergebe: Auf dem letzten Parteitag der Linkspartei (10./11.6.17) wetterte die Spitzenkandidatin der „Linke“, Sahra Wagenknecht, nach Herzenslust gegen die SPD und ihren Spitzenkandidaten Martin Schulz und prägte einen typischen Satz, dem kaum zu widersprechen ist: Mutlos, verantwortungslos, eine einzige Blamage…“

Die SPD hat fertig. Selbst die sonst so „geneigten Medien“ scheinen den Mut verloren zu haben, die „Lichtgestalt aus Würselen“, den „Erlöser der SPD“, mit himmelhochjauchzenden Kommentaren zu verwöhnen. Ernüchterung macht sich breit.

20, 32, 24 (Prozent) – das sind die Maße der SPD, die einen Hinweis darauf geben, wie es um die Partei gerade bestellt ist. Soeben (13.7.) melden die Gazetten, auch die linksgestrickten, daß der Abwärtstrend der Genossen anhält. Sie werden unisono bei rd. 22 Prozent verortet, während die Union bei rd. 40 Prozent „stagniert“ und die AfD vom Aufwind getragen zu sein scheint.Man mag von Merkel halten, was man will, aber sie ist in allen wichtigen Eigenschaften Martin Schulz weit überlegen: Stetigkeit, Gelassenheit, Weltklugheit. Schulz ist ein Amateur, allerdings ein überbezahlter, Merkel ist Profi. Man kann sie nicht nervös machen. Sie ruht in sich selbst, während Schulz und die Seinen geradezu rotieren.

Merkel habe einen „Anschlag auf die Demokratie“ durchgeführt, behauptete Schulz – und erntete Spott von allen Seiten. „Er scheint zu einem relativ frühen Zeitpunkt des Wahlkampfes die Nerven verloren zu haben“, kommentierte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer die Attacke von Schulz. Dies sei „kein gutes Zeichen für einen Kanzlerkandidaten, eigentlich unwürdig“.

Schulz hatte Merkel und der Union beim SPD-Parteitag in Dortmund vorgeworfen, sich vor inhaltlichen Aussagen zu drücken und damit eine geringere Wahlbeteiligung in Kauf zu nehmen. „Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie“, sagte der SPD-Chef.

„Mediale Anti-Schulz-Tendenz“

Verzweifelt suchen die Genossen nach Schuldigen für das Fiasko. Schulz selbst darf´s natürlich nicht sein – jedenfalls noch nicht. Also muß ein anderer Popanz aufgeblasen werden. Und der ist – haltet Euch fest, liebe Freunde! – „die Medien“! Schlimmer geht´s nimmer. Noch so´n SPD-Versager, der frühere SPD-Vorsitzende Kurt Beck, gibt den Medien die Schuld am Umfragetief von Kanzlerkandidat Martin Schulz. „Diese Umfragewerte haben viel damit zu tun, daß an Martin Schulz kein gutes Haar gelassen worden ist“, sagte Beck der „Welt“. Der Ex-Parteichef hielt den Medien eine „unfaire Darstellung des Spitzenkandidaten und verzerrende Berichte über die SPD-Programmatik“ vor.

Mein lieber ehemaliger Landesvater Beck, haben Sie noch nie von der wichtigsten Regel im Marketing gehört: „Auch die beste Werbung macht aus einem schlechten Produkt kein gutes…“

Pfälzisch stur beharrt Beck auf seiner tumben Erkenntnis: Er beobachte eindeutig eine „mediale Anti-Schulz-Tendenz“. „Erst ist Martin Schulz hochgeschrieben worden, und dann wurde so getan, als habe er selbst den Hype um seine Person erfunden. Das aber ist nicht wahr. Martin Schulz hat sich nicht überhöht, er ist überhöht worden, weil es so schön gepaßt hat“, kritisierte Beck. „Die SPD hat sich mitreißen lassen. Aber das einstimmige Ergebnis auf dem Parteitag war echt.“ Womit er ja recht hat, aber nicht sehen will, daß dies ein verzweifelter Versuch war, sich an den eigenen Haaren aus dem Elend zu ziehen.

Beck muß wohl total von der Rolle sein; denn er nörgelt weiter: Das 100-Prozent-Ergebnis sei ein Zeichen der Hoffnung und auch der Erwartungen gewesen. Beck warf den Medien vor, die öffentliche Meinung gegen Schulz gedreht zu haben: „Wenn Sie wochenlang, und das habe ich als Parteivorsitzender am eigenen Leib erfahren, immer die gleichen Botschaften durch die Mühle drehen, die SPD sei unkonkret, unklar, liefere keine Inhalte, dann sagen das die Leute auf der Straße irgendwann nach.“

„Vor Schulz stellen“

Und jetzt kommt es ganz schlimm: Beck sieht sich veranlaßt, sich „vor Schulz zu stellen“. Merkt dieser alte Mann nicht, daß er damit zugibt, Schulz benötige Schutz? Beck betonte, die SPD halte weiter zu ihrem Kanzlerkandidaten und Vorsitzenden Schulz: „Die Partei steht nach wie vor zu ihm. Wer behauptet, die SPD rücke von ihrem Kandidaten ab, der sagt die Unwahrheit.“

Wie nennt man denn so etwas? Ach so, hier gilt wohl nicht nur der Satz, nach dem „eine Krähe der anderen kein Auge aushackt“, sondern hier versucht wohl ein auch in seiner Partei gescheiterter Kanzlerkandidat dem aktuell scheiternden Kanzlerkandidaten ans Bein zu treten – sozusagen Becks Rache an der SPD.

In die gleiche Kerbe haut der frühere Erste Bürgermeister von Berlin, Klaus von Dohnanyi (SPD): „Man wird zweckmäßigerweise festhalten an Schulz.“ Er (von Dohnanyi) glaube

nicht, daß es einen erneuten Führungswechsel innerhalb der Partei geben wird. Das Problem sei nicht Martin Schulz, sondern ein ganz anderes.

„Zweckmäßigerweise“, hat Dohnanyi tatsächlich gesagt. Das riecht ganz so, als ob von Dohnnanyi der Sache nicht traut oder gar Martin Schulz eigentlich auch nicht mehr für den geeigneten Kandidaten hält.

Und Dohnanyi stammelt weiter: „Na ja, er ist jetzt natürlich der Kandidat, und er muß jetzt erst eigentlich zeigen. Es war ja eine kurze Euphorie, und das wußten wir alle, daß das so auf die Dauer nicht halten kann und daß man das dann wieder erarbeiten muß, und das ist jetzt seine Aufgabe, und nun muß man sehen, wie er diese auf dem Parteitag und dann danach bewältigt (…)“

Ende der Durchsage. Wer solche Parteifreunde hat, braucht sich um seine Gegner gar nicht erst zu kümmern. Aber, Schulz, selbst schuld! Der Kandidat war in seiner „europäischen Welt“ und auch in der eigenen Partei der Welt entrückt, kassierte Unsummen und verlor den Kontakt zum „kleinen Mann“. Er braucht sich jetzt nicht zu wundern, daß der Popanz Schulz in sich zusammenfällt, weil ihm niemand mehr heiße Luft einbläst.

Das Drama geht weiter:

„Zu viele Dummheiten“, „gehirnrissig“

Die SPD packe die richtigen Themen an, sagt z. B. Susanne Neumann, SPD-Mitglied, Gewerkschafterin und ehemalige Reinigungskraft im DLF (23.6.17), es gelinge ihr aber nicht, das den Wählern richtig rüberzubringen. Die Partei mache zurzeit zu viele “Dummheiten”. Aber sie müsse „es schaffen, die Leute von der Couch zu holen…“ (ebd.).

DLF-Interviewer Armbrüster legt nach: „Kann es sein, daß er (Schulz) nicht genug verwurzelt ist in der Partei?“

Neumann: „Ich habe ganz am Anfang gesagt, Marin Schulz muß viele Bretter bohren, und das kann ich auch heute nur sagen. Und die SPD soll sich wirklich am Wochenende mal mit ihren Führungskräften einschließen und soll auch wirklich eine gemeinsame Richtung vorgeben.“

Armbrüster: Nämlich welche?

Neumann: „Gemeinsamkeit! – Ich kann nicht als Martin Schulz sagen, wir stärken die gesetzliche Rente, und Nahles gibt vor, Betriebsrenten zu stärken, was die gesetzliche Rente wieder schwächt, und daß wir noch nicht mal eine Garantie haben, unsere Einzahlungen wiederzukriegen. Das ist alles gehirnrissig…

(…) „Aber ich frage mich mittlerweile, wenn die SPD weiterhin so absinkt, kommen wir überhaupt noch an die Regierung, sucht sich die CDU nicht einen anderen Koalitionspartner?

Ich habe da ganz, ganz riesen Bedenken, habe aber auch keine Lösung…“ (Quelle:http://www.deutschlandfunk.de/spd-mitglied-neumann-zu-siegchancen-von-martin-schulz-spd.694.de.html?dram:article_id=389402)

Ein solches Bekenntnis nennt man im Volke einen „Offenbarungseid“ – paßt doch zum Genossen Martin Schulz!

„Keine klare Position zur modernen Wirtschaftswelt“

In einem wichtigen Punkt hat von Dohnanyi allerdings recht, und die Partei täte gut daran (tut sie aber nicht), genauer hinzuhören:

Das wirkliche Problem der SPD sei, daß es keine klare Position gegenüber einer modernen Wirtschaftswelt gibt. Da wird zwar alles versucht, aber die SPD als Ganzes und Schulz im Besonderen haben keinen „Nerv“ für die Wirtschaft, sondern bleiben in ihrem alten sozialistischen Denken verhaftet, wonach der Staat alles besser regeln könne. Offensichtlich haben die Genossen gar nichts gelernt aus den verheerenden Mißerfolgen der Planwirtschaft und kennen nicht die Chancen einer wachsenden Digitalisierung.

Das ist wohl das Hauptproblem der SPD, nämlich daß sie sich dieser Notwendigkeit und dieser neuen Welt verschließt. Mit linken Sprüchen, Gedanken und Weltverbesserungsideen kann niemand in kritischen Zeiten vernünftig regieren. Wenn Martin Schulz sich nicht eindeutig von dieser Option löst und auf andere Optionen schaut, dann werden sich immer weniger Bürger finden, die ihn wählen würden.

Durch die Digitalisierung ist die Welt – eine Welt der Unternehmen – noch schneller und offener geworden. Es sind auch unsere Unternehmen, die sich durchsetzen müssen auf Weltmärkten mit ihren unterschiedlichen Strukturen und ihren erheblichen Risiken. Darauf muß sich heute jede Partei einstellen, auch darauf, wie sie dann „soziale Politik“ definiert.

Das aber ist der SPD in den letzten Jahrzehnten nicht gelungen, obwohl viele es einige versucht haben, wie z. B. Gerhard Schröder. Aber ein Genosse Stegner reicht schon, um das alles zunichte zu machen. „Soziale Gerechtigkeit“, das große Schulz-Thema, klingt da eher wie Gesundbeterei. Jedenfalls haben die SPD und Schulz es bisher nicht verstanden, dieses Thema zu interpretieren und schon gar nicht zu erklären, wie man damit regieren könnte.

Das alte Problem der Marx-Jünger bleibt: Nur Unternehmen schaffen das Fundament, auf dem man Gerechtigkeit herstellen kann. Das aber wird in der SPD nicht deutlich. Es gibt zu viele, die den Unternehmer und das Unternehmen immer noch für eine habgierige Gesellschaft halten, anstatt zu erkennen, daß, wie immer man diese Leute persönlich beurteilt, Wirtschaft das Fundament unserer auch zukünftigen Gesellschaft ist, erst recht in einer offenen, globalisierten Weltgesellschaft. Wenn man das nicht erkennt und erkennbar macht, dann wird man auch keine soziale Gerechtigkeit schaffen können.

Was die SPD hingegen als Zukunftsplan verkauft, sind ihre alten sozialistischen Gassenhauer, ihre Steuervorschläge zum Gähnen und ihre Öffnung zur „Ehe für alle“ der letzte Versuch, Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Eigenes Profil“ sieht anders aus. Die Chancen der SPD, die Bundeskanzlerin zu entthronen, schmelzen schnell dahin. Jetzt schlagen die Sozialdemokraten blind um sich. Martin Schulz erinnert an einen Boxer, der die ersten vier Runden verloren hat und nur noch darauf wartet, aus dem Ring genommen zu werden.

Im Ergebnis haben Schulz und seine SPD sich in dieselbe Sackgasse manövriert, in der einst seine Vorgänger als Merkel-Rivalen, Frank-Walter Steinmeier (2009) und Peer Steinbrück (2013), steckten und dann von der Bühne der Möchtegern-Kanzler abtreten mußten.

Es ist für die Genossen zum Haare Ausraufen: „Wie ist diese Frau zu packen? Sie bietet schlicht keine direkten Angriffsflächen und ignoriert ihre Gegner. Das treibt einen Martin Schulz zum schieren Wahnsinn der Güteklasse, die Kanzlerin gefährde die Demokratie.

Herr, erbarme Dich seiner, und verschaffe ihm einen ruhigen Lebensabend in Würgelen!

www.conservo.wordpress.com  13. Juli 2017
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