Draghis Niedrigzinspolitik – Staatlich geförderte Enteignung

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes

Die EZB auch heute wieder: Der Nullzins bleibt – Draghi vertritt nicht die Interessen der EU-Staaten, sondern die der unsolide wirtschaftenden. Keine Überraschung; denn Draghi ist Italiener

Mahner gegen Draghi gab und gibt es genügend. Doch sie beißen sich die Zähne aus. Die Mahner haben vergeblich angemahnt, auch die Skeptiker, die Kritiker, diejenigen, die die Geld- und Zinspolitik von Mario Draghi für äußerst risikoreich halten, vielleicht sogar für katastrophal. Unverdrossen bleibt der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) dabei: Die Zinsen werden nicht erhöht. Sie stehen weiterhin auf null Prozent. Europas Zentralbanker aber bleiben bei der extrem lockeren Geldpolitik. (EZB-Rat heute, 7.9.:

Der Leitzins in der Eurozone bleibt bei null Prozent. Auch beim Ankauf von Staatsanleihen signalisiert die EZB keine Änderungen.)

Und ebenso schlimm: Die EZB hält auch fest an den so umstrittenen Käufen von Staatsanleihen. 60 Milliarden Euro (i. W.: sechzig Milliarden) gibt Mario Draghi jeden Monat dafür aus. Das ergibt eine Rechnung, die inzwischen Billionenschwer ist, und es ist immer noch kein Ende in Sicht. Immer mehr Banken erheben schon Negativzinsen, auch für ihre Kunden und auch für die kleinen Kunden. Die Ersparnisse vieler schmelzen dahin, weil es keine Zinsen mehr gibt, und viele Renten- und Vermögensanlagen verlieren immer mehr an Wert, weil sie keine Rendite mehr abwerfen.Blasenbildung im Vermögensbereich

Das Ganze führt dazu, daß die Vermögenspreise, die Preise von Aktien, aber vor allem von Staatsanleihen und auch von Immobilien, immer weiter in die Höhe getrieben werden. Das ist Gift für die Wirtschaft. Das gefällt zwar denjenigen, die Aktien haben, aber auch die Immobilienbesitzer freuen sich zunächst. Aber diese Freude hat einen Haken: Der Erwerb von Immobilien wird natürlich immer schwerer. Und – und das ist das Gravierendste – irgendwann werden die Preise wieder heruntergehen. Irgendwann werden die Preise fallen. Das heißt, es besteht die Gefahr letztlich einer Blasenbildung im Vermögensbereich.

Die Wirtschaft wird auch deshalb nicht belebt, weil durch die lockere EZB-Politik viele verunsichert werden. Gerade in Deutschland sagen viele, ich spare für die Altersversorgung, aber bei dem niedrigen Zins muß ich sogar vielleicht noch mehr sparen. Das heißt, die Nachfrage steigt nicht in dem Umfang, den man sich erhofft durch die Geldpolitik, sondern es greift eher Verunsicherung um sich. Auch die Banken bekommen Schwierigkeiten. Die Banken leben vor allem von Zinsdifferenzen, und die werden immer kleiner. Das heißt, der Bankensektor wird belastet durch diese Politik, so daß, insgesamt betrachtet, die Kosten den Nutzen übersteigen.

Irgendwann muß Schluß sein mit dieser lockeren Geldpolitik, mit dieser Null-Zins-Politik, auch mit der Überflutung der Märkte mit Geld und milliardenschweren Ankäufen.

Für den EZB-Chef steht offenbar ganz stark das Risiko im Vordergrund, es könnte vor allem in den südeuropäischen Ländern wieder zu Krisen kommen. Und es steht für ihn wohl auch das Risiko im Vordergrund, daß eine Straffung der Geldpolitik unangenehme politische Folgen in sich berge. Er ist der (irrigen) Überzeugung, daß diese Geldpolitik noch etwas bewirkt.

Partei- und wahltaktische Überlegungen

Sowohl bei der EZB als auch überhaupt bei der Politik in Europa treten parteipolitische oder wahlpolitische Überlegungen stark in den Vordergrund. Erinnern Sie sich daran, daß zum Beispiel Spanien nicht für seine Defizite bestraft wurde, weil es hieß, nein, sonst hilft man auch dort den „Populisten“, an die Macht zu kommen. Das ist hoch problematisch, aber diese Haltung greift in Europa um sich – aus Angst vor vermeintlichen „Rechtspopulisten.

Europäisches Recht über Bord geworfen – aus Angst vor den „Populisten“

In Frankreich redet kein Mensch mehr darüber, daß die Franzosen seit vielen Jahren immer wieder die Defizitmarke reißen. Offenbar ist das in der Politik auch bei Jean-Claude Juncker längst eingepreist. In Frankreich hatte (und hat) man nämlich Angst davor, den Front National zu unterstützen. Aber das ist hoch problematisch.

„Wir können nicht europäisches Recht oder europäische Regeln über Bord werfen, nur weil wir Angst haben, daß „Populisten“ an die Macht kommen. Das muß ja quasi ermutigen, in diesen Ländern diese Leute zu wählen. Aber das ist derzeit ein Trend in der europäischen Politik, daß man sehr kurzfristig denkt und Regeln, Verträge, die man eigentlich vereinbart hat, über Bord wirft aufgrund irgendwelcher (partei-)strategischer Überlegungen…

Letztlich ist das Recht die Grundlage der europäischen Integration, und deshalb ist diese Tendenz schlecht, und das darf nicht so weitergehen. Wir müssen da herauskommen. Jetzt ist es ja nicht so, daß auf allen Ebenen dieses Recht nun fortwährend gebrochen würde, sondern es gibt Fälle, in denen das zumindest sehr, sehr stark gebeugt wird, und davon müssen wir wieder wegkommen“, warnt ifo-Präsident Prof. Dr. Clemens Fuest, einer der renommiertesten und wichtigsten Wirtschaftsfachleute unseres Landes, im DLF.

Vermögen vernichtet und Omas Sparbuch verpfändet

Sagen wir es ´mal in einfachem Deutsch: Es geht zwar in erster Linie um Geldpolitik, die sich auf das Preisniveau auswirkt und auf den Konjunkturverlauf. Das Ganze hat aber auch Auswirkungen auf die Sparer, und viele fühlen sich enteignet. „Enteignung“ klingt hart, aber die Sparer haben sind in allererster Linie die Gelackmeierten; sie müssen deutliche Einbußen hinnehmen – letztlich also eine Vermögensvernichtung. Das heißt, die deutschen Sparer, die ja mit dieser (insbesondere südländischen) Problematik gar nicht so viel zu tun hatten, im nationalen, europäischen und internationalen Kontext, haften jetzt definitiv aber mit – zumindest indirekt („Omas Sparbuch ist verpfändet“). Die deutschen Sparer sind indirekt auch Gläubiger von Regierungen und Unternehmen und Haushalten im Ausland.

Wenn die Großen Fehler machen, haften vor allem auch die Kleinen

Zehn Jahre ist es her, daß die Finanzkrise wie ein Meteorit in Deutschland einschlug. Klar, die Probleme auf dem amerikanischen Immobilienmarkt waren damals auch hierzulande bekannt. Kenner wußten, daß zigtausende Hypotheken auf der anderen Seite des Atlantiks geplatzt waren, aber Amerika schien ja weit weg zu sein, bis dann plötzlich Mitte 2007 klarwurde, wie tief deutsche Banken in das amerikanische Desaster verquickt waren. Erst war es die IKB, dann folgten die Landesbanken, schließlich die Privatbanken. Es drohte ein Super-GAU des Finanzsektors. Zehn Jahre liegt der Anfang der Finanzkrise jetzt zurück.

Leben wir jetzt, was die Finanzbranche angeht, wieder in normalen Zeiten? Nein, eindeutig nicht, denn wir haben nach wie vor eine immer noch vorhandene Finanzkrise in ganz Europa, und die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank ist im Wesentlichen eine Krisenpolitik.

Clemens Fuest, bezweifelt, daß die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank noch etwas bewirkt. Der Versuch von EZB-Präsident Draghi, so das Risiko weiterer Krisen in Südeuropa zu verhindern, muß man deshalb äußerst skeptisch betrachten – wenn er nicht bereits gescheitert ist. Es ist Zeit, sehr bald, jetzt(!), einen geordneten Ausstieg zu organisieren; denn wir haben keine Normalität an den Finanzmärkten. Wir haben eine Überflutung der Finanzmärkte mit Geld, wir haben eine Instabilität innerhalb unserer Währungszone. Wir haben keine Normalität in der Zinspolitik der EZB, und wir haben auch grundlegende Veränderungen im Bankensektor, was etwa die Kreditvergabe angeht.

Marktwirtschaftliche Prinzipien verletzt

Das Umkippen von Banken wie Dominosteine ist zwar heute nicht mehr so sehr zu befürchten wie vor zehn Jahren. Das ist aber im Wesentlichen darauf zurückzuführen, daß damals von politischer Seite ein Rettungsschirm aufgespannt worden ist, der marktwirtschaftliche Prinzipien verletzt und nur vorübergehend sinnvoll ist. Denn auf Dauer ist das Ersetzen von Marktrisiken durch staatliche Garantien keine Lösung.

Man hätte verhindern müssen, daß man überhaupt in eine solche Situation gerät. Und das hängt ganz eng auch mit der hohen Staatsverschuldung zusammen und der Privilegierung von Staatsanleihen, die massenweise in den Bankbilanzen vorzufinden waren, und man sich eingeredet hat, daß Staatsanleihen niemals ausfallen könnten, bis man sich darüber klar wurde, daß die Tragfähigkeit einiger europäischer Länder schlicht und einfach nicht mehr gegeben war – von Solidität erst gar nicht zu reden.

Die Staatsverschuldung galoppiert, die Strukturreformen bleiben aus

Nachdem die Banken damals mit Staatsknete gerettet worden waren, haben sich die EU-Staaten geschworen, das dürfe nie wieder der Fall werden, aber genau das sehen wir jetzt wieder in Italien. Glaubwürdigkeit geht anders!

Der Grund liegt auf der Hand, aber wird von verantwortlichen Politikern allenfalls kaum hörbar gemurmelt: Die Misere ist deshalb noch nicht zu Ende, weil die Politik sich immer noch einredet, wir könnten um die notwendigen Strukturreformen in Europa herumkommen. Es gibt erhebliche Schwierigkeiten, Mehrheiten in den Parlamenten für strukturelle Reformen in Südeuropa zu finden und schiebt das Problem immer weiter in die Zukunft. Dadurch löst es sich aber nicht, und schon gar nicht von selbst.

Zunächst einmal muß der Preis des Geldes wieder wirken. Wir müssen die Zinsen wieder zu einer marktwirtschaftlichen Wirkung bringen, auch bei der Staatsverschuldung – Draghi her, Draghi hin, der meint, dadurch würde die Konjunktur abgewürgt.

Das Problem ist in der Tat, daß man im Moment immer noch im Krisenmodus ist und sich nicht traut, die Zinsen wieder wirken zu lassen. Aber das kann auf Dauer so nicht weitergehen; denn wir haben immer noch Fehlanreize im System, die durch die Stabilisierungsmechanismen sogar verstärkt worden sind. Der richtige Weg wäre der, zu dem Schritt zurückzukehren, zu dem man eigentlich am Anfang mit dem Euro hin wollte, nämlich, daß die Schuldentragfähigkeit eines Staates sich im Zinsniveau abbildet.

Wenn die Zinsen zu hoch werden, dann muß sich der Druck auf die Politik erhöhen, mit strukturellen Reformen die Situation zu verbessern. Heute ist es eher so, daß man sich um die Reformen herumdrückt und durch eine gemeinschaftliche Haftung versucht, die Staatsfinanzierung sicherzustellen.

Die Zinsen mit diesem Niveau sind auf Dauer schädlich. Sie schaden beispielsweise der deutschen Altersvorsorge. Die niedrigen Zinsen ermöglichen es heute vielen nicht, die notwendige ergänzende Altersvorsorge aufzubauen, die wir aufgrund unserer demographischen Entwicklung brauchen. Es werden Sparvermögen entwertet, die Lebensversicherung als ein ganz wichtiges Finanzierungsinstrument im Alter ist quasi heute kein Konzept mehr. Das kann auf Dauer so nicht bleiben, und diese Notmaßnahmen, die damals getroffen worden sind, um die gemeinsame Währung zu stabilisieren, den Bankensektor vor dem Umkippen zu bewahren, diese Notmaßnahmen entwickeln sich zunehmend als ein Dauerzustand, und das darf nicht passieren.

Mehr Sicherheit durch Basel III

Richtig und notwendig war aber, mehr Eigenkapitalanforderungen zu stellen – ebenso wichtig wie die Auflage, Staatsanleihen mit den entsprechenden Risiken in den Bankbilanzen zu bewerten. Stichwort „Basel III“: Basel III, da geht es auch darum, daß die Rücklagen aufgestockt werden. Die Banken müssen mehr Geld in der Hinterhand haben, wenn sie in eine Krise kommen.

Wenn man die Eigenkapitalausstattung betrachtet, wird deutlich, daß da – was die Robustheit angeht – sicherlich noch Steigerungsbedarf besteht. Es gibt auch unter Ökonomen eine Diskussion darüber, ob das wirklich die angemessenen Ausstattungsquoten sind, oder ob die nicht sehr viel höher sein müssen, um das gesamte System robuster zu machen; denn sonst wird man bei der nächsten Krise ganz andere Fragen zu stellen haben.

Es geht in Basel III auch um die Liquiditätsausstattung, was muß man vorhalten als Gegenbuchung zu Krediten, die man in einer bestimmten Laufzeit ausgereicht hat. Auch das ist etwas, was nicht gerade einfach ist, was auch Veränderungen in der Finanzierung von Unternehmen bedeutet. Das bleibt wirklich ganz zentral, bei allem, was wir an Verbesserung sehen. Dem derzeitigen Finanzsystem steckt noch das Vermächtnis der Krise unvermindert in den Knochen.

In der Vergangenheit war meistens eine Immobilienblase die Ursache für eine Finanzkrise. Und wenn wir uns die Immobilienpreisentwicklung anschauen, in vielen Ländern übrigens, auch in Deutschland, dann gibt es durchaus Grund zur Sorge. Das sind alles keine gesunden Entwicklungen, und sie sind darauf zurückzuführen, daß wir uns im Augenblick bequem in einer Notenbankpolitik einrichten, die alles andere als konventionell und üblich ist.

Nebenwirkungen des billigen Geldes inzwischen enorm

Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, mahnt deshalb:

„Darunter leiden wir alle. Wir wissen, daß mittlerweile die Kapitalmärkte in Unordnung sind. Wir wissen, daß die Lebensversicherungen, wir wissen, daß die Stiftungen, wir wissen, daß selbst die Gesundheitskasse des Bundes darunter leiden und natürlich auch die komplette traditionelle Kreditwirtschaft, Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken und Privatbanken.“

Deswegen müssen sich die gemeinsamen Anstrengungen in Europa jetzt darauf richten, der Europäischen Zentralbank es zu ermöglichen, wieder zu einer normalen Geldpolitik zurückzukehren und diese Dauerniedrigzinspolitik zu beenden. Die Zeit des billigen Geldes in Europa sollte enden – trotz des starken Euro.

www.conservo.wordpress.com    7.9.2017
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