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von altmod *)
Einen Wackelpudding kann man nicht an die Wand nageln; man kann ihn anstupsen, dann gibt er vibrierend irgendwie nach; man muss ihn schon mit Gewalt und heftig von Hand vom Tisch wischen, um ihn auf den Boden zu befördern und die glibberige Konsistenz irgendwie zu demolieren.
Lassen wir mal diese Betrachtungen über „Wackelpudding“, „Wackelpeter“ oder euphemistisch: „Götterspeise“.
Was hat man von (Wackel-) Horst bei den Jamaika-Verhandlungen nicht alles erwartet. Dass er sein Geschick vielleicht noch wenden könnte. Dass er gestärkt nach Bayern heimkehre und seiner am 24. September gebeutelten CSU Hoffnung gäbe, bei der Landtagswahl 2018 einem drohenden Desaster zu entgehen. Zeige er die erwartete Standhaftigkeit, die Positionen der CSU und deren Stammwähler in einem Koalitionsvertrag – vor allem zur Flüchtlingspolitik – durchsetzen, dann müssten sich die schon lautstark mit den Hufen scharrenden Nachfolgekandidaten wohl wieder zurückziehen und wären an die Kandare gelegt.
Nichts dergleichen ist eingetreten – und war nach meiner Überzeugung auch nicht zu erwarten. Der Youngster Christian Lindner von der FDP hat ihm die Schau gestohlen: in puncto Rückgrat, „Standing“ und politischer Reife.
Wenn einer am 20. November in der Runde der abgemeierten Möchte-gern-Koalitionäre von Merkels und der Grünen Gnaden besonders bedröppelt guckte, dann war es Seehofer: Die Gesichtsfarbe blass-grünlich (nicht nur aufgrund Übernächtigung) und der ohnehin gern schmallippig verkrampfte Mund nicht mehr detektierbar.
Die FDP hat in nicht nur bei für ihre Partei wichtigen politischen (Zukunfts-) Feldern klare Kante gezeigt! Nicht die großmäulige Seehofer-CSU-Entourage. Man ließ zwar von Fall zu Fall einen Hofhund zum Verbellen der anderen los, aber es wurde bald klar, dass dies weniger als ein Gauksen war.
Dass Merkel mit den Grünen zusammen den Drehhofer und die CSU am Nasenring durch die Sondierung ziehen konnte, war bald jedem klar. Jedem heißt, vor allem den bayerischen Landsleuten.
Seehofer steht vor einem Scherbenhaufen.
„Psychographien“ von Politikern sind meist wohlfeil und oft unredlich, aber gerade im Falle von Horst Seehofer könnte sowas zum „Verstehen“ führen.
Gar seine Schwester bezeichnete ihn als Streber und in der Jugend war er als Handballer beim ESV Ingolstadt nicht beliebt, da er sich nicht als Teamplayer, sondern eher als Trainer sah. Das sagt ein klein bisschen etwas über den künftigen Karrieremann aus.
Wie ist es dazu gekommen, dass man ihn als Wackelpudding oder „Drehhofer“ bezeichnet?
Als Lobbyist in eigener Sache, als Ichling und Egomane, dem Prinzip Wetterfähnchen verpflichtet.
Als Unberechenbaren, der zuweilen seine politischen Überzeugungen so schnell wie seine Hemden wechselt.
Als sprunghaft: gleichzeitig dafür gleichzeitig dagegen.
Dabei schreibt die Süddeutsche Zeitung: „Statur, Charme und Charisma verleihen ihm Autorität“.
1,93 m Körpergröße und zwei Zentner Gewicht sind schon von Eindruck auf „Pygmäen“ – so von ihm seine vorübergehenden Widersacher Erwin Huber und Günter Beckstein bezeichnet.
Mit „Charme“ hatte er wohl in den Jahren seines Wirkens als Minister in Berlin eine junge Lebensgefährtin gewonnen, mit der er auch ein Kind hat. Sein „Charme“ hat ihm dann auch die Rückkehr zu seiner Ehefrau in Ingolstadt geebnet. Auch Humor kann man ihm nicht absprechen und nicht die Fähigkeit für witzige Sprachneuschöpfungen. Irgendwie g´spaßig titulierte er potentielle Konkurrenten wie Peter Ramsauer als „Zar-Peter“ und Karl Theodor von Guttenberg als „Glühwürmchen“; zum „vom Ehrgeiz zerfressenen“ Markus Söder fiel ihm das berühmt gewordene Wort von den „Schmutzeleien“ ein.
Dies und anderes brachte wohl die beiden Kolumnistinnen der SZ dazu, bei ihm auch von Charisma zu sprechen.
Betrachten wir seinen Lebenslauf und dazu die politischen Wegmarken, die ihm schließlich seine Firmierungen einbrachten.
Geboren am 4. Juli 1949 in Ingolstadt, verheiratet, 4 Kinder, Beruf Diplom-Verwaltungswirt (FH)
1980 – 2008: Direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Ingolstadt
1983 – 1989: Sozialpolitischer Sprecher der Landesgruppe der (CSU)
1989 – 1992: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung
1992 – 1998: Bundesminister für Gesundheit
1998 – 2004: Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
1994 – 2008: Stellvertretender Parteivorsitzender der CSU
2000 – 2008: Landesvorsitzender der Arbeitnehmer-Union CSA
2005 kurzzeitig Landesvorsitzender des Sozialverbandes VdK Bayern
2005 – 2008: Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Seit Oktober 2008: Parteivorsitzender der CSU und Ministerpräsident des Freistaates Bayern
November 2011 – Oktober 2012: Bundesratspräsident
Seit Oktober 2013: Direkt gewählter Landtagsabgeordneter des Stimmkreises Neuburg-Schrobenhausen.
Der Sozialpolitiker
Seine „christlich-soziale“, gewerkschaftliche Orientierung verschaffte ihm seine ersten politischen Ämter als „sozialpolitischer Sprecher“ der CDU/CSU, dann Staatssekretär im Bundes-Arbeitsministerium und schließlich als Bundes-Gesundheitsminister.
Als CDU und CSU sich 2004 gegen seinen Willen, auf Drängen Angela Merkels, bei der geplanten Gesundheitsreform auf eine Kopfpauschale geeinigt hatten, machte er die Politik der CDU-Vorsitzenden madig und warf schließlich seinen Posten als stellvertretender CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender hin. Das hat ihn aber nicht gehindert, bei derselben Kanzlerin 2005 als Agrarminister anzuheuern.
Der Agrarpolitiker
Als Bundesminister irritiert er nicht nur seine Landsleute, als er zum Beispiel den Genmais in Bayern verbieten, im Rest der Republik aber anbauen lassen wollte.
Als Landwirtschaftsminister hatte Horst Seehofer eine EU-Verordnung mitbeschlossen, nach der die Empfänger der milliardenschweren Brüsseler Agrarhilfen publiziert werden müssen. 2009 wollte er davon nichts mehr wissen und ließ seine bayerische Ministerin Aigner dagegen intervenieren.
Beim „Ausbruch der Vogelgrippe“ 2006 kritisierte er das Krisenmanagement lokaler Behörden auf Rügen, weigerte sich aber, einer Impfung zuzustimmen, und wollte gar einen Bundeswehreinsatz auf Rügen, um die Seuche zu bekämpfen.
Der Energiepolitiker
Im Juli 2010 befürwortete Seehofer eine unbegrenzte Laufzeitverlängerung für die 17 deutschen Kernkraftwerke. Nach Fukushima 2011 folgte Seehofer sofort und unreflektiert der neuen Linie der Union und sprach sich für die sofortige Abschaltung der ältesten Kernkraftwerke und einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Kernenergie aus und so wurde umgehend Bayerns ältestem Kernkraftwerk Isar 1 im Sommer 2011 die Betriebserlaubnis entzogen.
Vor Vertretern von Bürgerinitiativen gegen den akritischen Ausbau von Windenergie erklärte Seehofers: „Ich bin nicht bereit, als bayerischer Ministerpräsident in die Geschichte einzugehen, der für die Landschaftszerstörung unserer schönen Heimat verantwortlich war.“
Kurz darauf, im Juni 2013 verständigte sich das bayerische Kabinett auf Drängen Seehofers auf eine Bundesratsinitiative zur Windenergie. Als Feigenblatt versehen mit etwas größeren Abstandsflächen.
In dem Zusammenhang lehnte Seehofer den geplanten Bau von zwei Stromtrassen in Bayern ab, obwohl er im Vorfeld diesen Projekten eindeutig seine Zustimmung gegeben hatte. Ministerin Aigner sollte dann die schon verkokelten Kastanien dann irgendwie aus dem Feuer kriegen.
Die Obergrenze
Jeder verbindet Seehofer und die CSU mit dem Begriff der Obergrenze für Flüchtlinge bzw. Zuwanderung nach der rechtswidrigen Grenzöffnung durch Merkel.
Starke Worte wurden da gewählt: „Kein Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung“.
Auf dem CSU-Parteitag 2015 düpierte er die eingeladene Kanzlerin, die er vorher intensiv mit ihrer „als zu lasch und zu liberal“ kritisierten Flüchtlingspolitik attackiert hatte. Man erinnert sich, wie richtiggehend herabwürdigend der Umgang der geladenen Kritisierten vor den CSU-Delegierten und Gästen inszeniert wurde.
Es folgten Ultimaten wie, die Kanzlerin müsse sich Maßnahmen zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen ergreifen – sonst würde er sich „Handlungsoptionen“ überlegen.
Im Sommer 2017 sagte er noch: „Wenn ich das sage, gilt das. Kein Abrücken von der Obergrenze. Die 200.000 bleiben.“
Wenige Tage später sagt er im „Sommerinterview“: „Die Situation hat sich verändert, der Kurs in Berlin hat sich verändert. Wir haben jetzt deutlich weniger Zuwanderung als zu dem Zeitpunkt, wo ich dieses Zitat gebracht hatte.“ und sieht eine Obergrenze für Flüchtlinge nicht mehr als Bedingung für eine Koalition nach der Bundestagswahl.
Da hat er dann Wort gehalten, wie aus den Sondierungsgesprächen zu „Jamaika“ herauszulesen ist, auch wenn sein Mitverhandler Dobrindt auch mal andere Töne anstimmen durfte.
Der Chef
Bayerische Kabinettsmitglieder berichten der Presse, dass sie heute nicht wissen, was morgen die Meinung des Ministerpräsidenten sei.
Als er 2008 als Ministerpräsident antrat, hatte Seehofer (59) alle CSU-Politiker über 60 Jahre aus dem Kabinett verbannt, darunter langjährige Stammkräfte wie Wissenschaftsminister Thomas Goppel und Landwirtschaftsminister Josef Miller. Er wollte eine Mannschaft, mit der er 2013 in die nächste Landtagswahl ziehen kann. Nachdem ein Proteststurm der „Senioren-Union“ losbrach ließ er vermelden, nie habe er 60 Jahre als Altersgrenze für sein Kabinett ausgegeben, obschon er diese 60-plus-Kündigung nach der Kabinettsbildung ausdrücklich als eine „Grundsatzentscheidung unabhängig von Personen“ bezeichnet hatte.
Seehofer weiß nach eigenem Bekunden genau, wie die Stimmung im Volk ist. Dafür reichen ihm angeblich schon zehn Minuten Bürgerkontakt, ließ er wissen.
Auf dem erwähnten Parteitag von 2015 verkündete er nach jüngsten Wahlniederlagen der CDU in den Ländern arrogant: „Wir sind vom Sinkflug der CDU nicht betroffen“, und dann im pluralis majestatis: „Die Basis denkt so wie wir und wir denken wie die Basis“.
Und dann erlebte er am 24. September einen regelrechten Sturzflug, mehr noch als die CDU.
Die „Basis“ – nicht nur in Bayern – hat erkannt, dass mit einer Person wie Seehofer sprichwörtlich kein Staat mehr zu machen ist. Laut Umfragen wünschten anfang November bereits 58 Prozent von Befragten, Seehofer möge seine politische Karriere bald beenden.
Da muss er heftig seinen „Charme“ und sein „Charisma“ einsetzen, dass er einen einigermaßen würdigen Abgang bekommt. Und nicht wie ein räudiger Hund vom Hof gejagt wird. Das will man ihm doch wünschen, nicht die Erfahrung seiner Vorgänger Beckstein und Huber zu machen. Auch wenn die Fakten nicht für den Noch-Ministerpräsidenten und Noch-CSU-Vorsitzenden Seehofer sprechen. Auch wenn der Spiegel noch für sich zweckgerichtet orakelt, „Er ist noch nicht fällig“ – sein Abgang ist über-fällig!
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Quellen, u.a.:
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-11/csu-horst-seehofer-wahl
http://www.sueddeutsche.de/bayern/seehofers-regierungsstil-den-finger-stark-im-wind-1.483141
https://www.stern.de/politik/deutschland/csu-horst-seehofer–die-politische-ich-ag-3744064.html
http://www.huffingtonpost.de/2015/11/02/streit-cdu-csu-horst-seehofer-fluechtlinge_n_8449212.html
http://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Seehofer-hat-Aerger-mit-den-Senioren-id4469416.html
http://www.deutschlandfunk.de/auffallen-um-jeden-preis.724.de.html?dram:article_id=99464
http://www.seehofer-direkt.de/
https://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Seehofer