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Von Peter Helmes
Die alte Leier: Lohnschraube, Arbeitszeitschraube, Warnstreiks…
„Verhandelt wird nicht nur über neue Vergütungsverträge für fast zehn Millionen Beschäftigte, sondern auch über die Zukunft der Arbeitsbedingungen in Deutschland.
Unbestritten ist, dass mehr Flexibilisierung in der Arbeitswelt 4.0 unabdingbar ist. Nur mit höherer Vereinbarkeit von Arbeit und Familie lassen sich mehr Fachkräfte gewinnen.
Unbestritten ist aber auch, daß Unternehmen nicht die Luft abgedreht werden darf – sonst würden alle bisherigen Erfolge gefährdet.“ (Landeszeitung Lüneburg, 9.1.2018)
Wenn Dein starker Arm zwar will, aber der Verstand nicht reicht
Mein Gott, wie einfältig, wie phantasielos: 48-Stundenwoche, 44-Stundenwoche, 40-Stundenwoche, 36-Stundenwoche und jetzt also 28-Stundenwoche. Die IG Metall fordert in der aktuellen Tarifrunde nicht nur sechs Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten, sondern auch die Möglichkeit einer zeitlich begrenzten 28-Stunden-Woche. Genauer: Die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie sollen für zwei Jahre das Recht erhalten, ihre Arbeitszeit auf 28 Stunden pro Woche zu reduzieren, mit der Garantie, danach wieder Vollzeit einsteigen zu können.
Zu mehr Ideen reicht´s bei der IG-Metall nicht – allenfalls für solche, die einseitig die Arbeitgeber belasten. Ist ja auch einfach! In jeder Tarifrunde eine (oder mehr) Stunde(n) weniger – natürlich bei vollem Lohnausgleich –, und irgendwann nur noch Sonne und Freizeit genießen. Das Arbeiterparadies des DGB. Wer jetzt noch schafft, ist selbst schuld – oder selbständig.Die neuesten Tarifverhandlungen, die als Ergebnis dem Paradies näherkommen sollen („weniger Arbeit für mehr Geld“), werden nun schon seit Wochen von Warnstreiks begleitet, und das soll in den nächsten Tagen so weitergehen.
Der tarifpolitische Grund, den die IG-Metall vorgibt, ist eine mehr als bedenkliche Eskalation: Weil sich die Arbeitgeber nicht verpflichten lassen wollen, künftig für weniger Arbeit zusätzliches Geld zu bezahlen, soll ihnen ein Arbeitskampf diese Einsicht beibiegen. Die IG Metall hört somit auf, einen pragmatischen Weg zu gehen (was sie früher öfter tat), und greift jetzt lieber zu brutalen Mitteln, obwohl sie weiß, in welch harter Konkurrenz die Betriebe auf dem Weltmarkt stehen.
Höherer Fachkräftemangel, Kostenschock für die Unternehmen und Auswirkungen für gering Qualifizierte als Folge
Schon jetzt klagen viele Betriebe darüber, überausgelastet zu sein – und führen das laut dem Institut der deutschen Wirtschaft zu großen Teilen auf zu wenige qualifizierte Arbeitnehmer zurück.
IG Metall-Vorsitzender Jörg Hofmann schätzte im Deutschlandfunk, daß etwa vier bis fünf Prozent der Beschäftigten eine befristete, verkürzte Arbeitszeit in Anspruch nehmen würden. Das wären 200.000 Mitarbeiter. Setzt die IG Metall sich durch, steuern wir auf einen massiven Fachkräftemangel zu. Alexander Spermann, Arbeitsmarkt-Experte an der Universität Freiburg, sagte dazu (ebenfalls im Dlf):
„Fachkräftemangel ist ein echtes Problem in der Wirtschaft. Wir haben beobachtet, daß die Rente ab 63 bereits die Fachkräfte deutlich verknappt haben – über 100.000 innerhalb kürzester Zeit und inzwischen fast eine halbe Million. Wenn jetzt noch mal 200.000 dazu kämen, hätten wir ein zunehmendes Fachkräfteproblem in einer Zeit, wo wir wirklich jede qualifizierte Fachkraft benötigen.“
Mit der Forderung, einem Teil der kürzer arbeitenden Mitarbeiter sollte ein partieller Lohnausgleich zustehen, hat die IG Metall der Vernunft gekündigt und die Schraube überdreht. Der IG-Metall ist offenbar das Gespür dafür abhandengekommen, was mach- und durchsetzbar ist. Oder will die IG Metall im Ernstfall tatsächlich zum unbefristeten Streik aufrufen für eine Forderung, von der nur ein Teil der Beschäftigten profitieren würde und die zudem juristisch durchaus umstritten ist?
“Kostenschock für Unternehmen”
Weniger Arbeit bei Lohnausgleich führt auch zu weniger Beschäftigung und damit auch möglicherweise dazu, daß Menschen, die weniger qualifiziert sind, dann ihre Jobs verlieren.
Ebenso wichtig ist, daß diese Forderung, wie sie im Raum steht, einen Kostenschock für die Unternehmen bedeutet, der dazu führen wird, daß die Produktivität steigen muß für die verbliebenden Beschäftigten. Das heißt, der Druck für diejenigen, die weiterhin arbeiten, wird höher.
Die Arbeitgeber sehen die Gewerkschaftsforderung nach einer kürzeren Arbeitswoche mit großer Sorge, auch wenn die meisten Fabriken derzeit gut laufen. Aber wenn nun das Tor zu einer allgemeinen 28-Stunden-Woche aufgestoßen wird, steigen nicht nur die Kosten, sondern dies würde gerade auch der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen schwer schaden. Natürlich fürchten sie die Kosten, aber sie haben vor allem Angst: Wenn eine Tarifänderung wie die von den Metallern gewünschte käme, führe dies dazu, das dauerhaft weniger für (beinahe) gleichen Lohn gearbeitet wird.
Hinzu kommt, daß die gewerkschaftliche Forderung von sechs Prozent mehr Lohn dazu führen wird, daß Deutschland langsam, aber sicher an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verlieren wird. Die neusten Konjunkturzahlen belegen, daß die deutschen Löhne bereits in den vergangenen sechs Jahren stärker gestiegen sind als die Produktivität der Beschäftigten.
So kurzsichtig dürfte die Gewerkschaft eigentlich nicht sein.
Steckt also mehr dahinter? Ja! Wenn die Gewerkschaft die 28-Stunden-Woche fordert, geschieht das vor allem, um neue Mitglieder anzuwerben und ihre Basis zu verjüngen und weiblicher zu machen, nicht um die Arbeitslosigkeit zu senken, wie das in Frankreich das Ziel war. Gewerkschaftswohl geht vor nationalem Wohl!
Daß auch eine mit großer Härte geführte Tarifauseinandersetzung letztlich scheitern kann, müßte der IG Metall noch deutlich vor Augen stehen, seitdem sie beim letzten Streik 2003 die 35-Stunden-Woche auch im Osten nicht erzwingen konnte. Die Gewerkschaft wäre gut beraten, Kompromisse vorzubereiten. Einer könnte darin bestehen, daß die Arbeitgeber nicht auch noch mit einem Lohnausgleich dafür zahlen müssen, wenn sie das Recht auf zeitweise Arbeitszeitreduzierung einräumen. Hier lauert ohnehin der Vorwurf einer Diskriminierung der Beschäftigten, die im Betrieb genau so viel arbeiten, aber keinen Zuschuß erhalten.
Wenn die IG Metall klug ist, bewahrt sie das Maß und wird am Ende als diejenige Kraft dastehen, die die wirklichen Bedürfnisse der Gesellschaft aufgreift.
Der Verband der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg dazu:
„Wir haben mal ausgerechnet, daß etwa 60 Prozent der Arbeitnehmer einen solchen Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit in Anspruch nehmen könnte, das sind über zwei Millionen Beschäftigte und das ist einer Zeit des permanenten Fachkräftemangels. Es soll ja ein individueller Anspruch sein, der durchgesetzt werden kann, ohne die Berücksichtigung betrieblicher Belange. Dass das nicht gehen kann in einer internationalen Wettbewerbswirtschaft, wo wir auf Flexibilität angewiesen sind, das ist meiner Ansicht nach evident.“
Jeder mittelständische Unternehmer mit 50 bis 100 Beschäftigten – die große Mehrheit der Betriebe – wird darauf achten, daß er seine Kernmannschaft beieinander hält: Das bedeutet, daß man auf die Belange der Mitarbeiter individuell eingeht, wenn es die wirtschaftliche Kraft des Unternehmens erlaubt. Das sind dann Gespräche zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern. Z. B. wie kann man das einrichten? Ist es zeitlich möglich? Ist es im Schichtsystem verankerbar und so weiter? Diese Fragen sollten sinnvoller Weise nicht tarifvertraglich geregelt werden; denn dann müßte jeder Betrieb sich daran halten („Allgemeinverbindlichkeit“), sondern zwischen Betrieb und Belegschaft.
Die IG Metall will darüber hinaus für Schichtarbeiter, junge Eltern und pflegende Angehörige bei einer Reduzierung der Arbeitszeit einen Teil-Lohnausgleich erstreiten. Das aber würde die „normalen“ Teilzeitbeschäftigten diskriminieren.
Die IG-Metall sollte noch einmal in die „innere Klausur“ gehen und darüber nachdenken, wie das Gemeinwohl mit dem Wunsch nach Befriedung der Mitglieder in ökonomische Verträglichkeit gebracht werden kann. Die Skepsis bleibt. „Nur Sonne, nur Freiheit“ – das klingt allzu schön. Nicht so schön klingt, daß das irgendjemand bezahlen müßte.