Emirate: Strategischer Fortschritt statt hektischen Stillstands

(www.conservo.wordpress.com)

Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)

Selbst ein kurzer Studienaufenthalt in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) führt den gravierenden Unterschied zwischen der Regierungspolitik zwischen den sieben Mitgliedern der VAE und Deutschland deutlich vor Augen.

Trotz der zentralen Führung durch den Scheich Abu Dhabis, dem größten und reichsten Emirat, seit der Gründung 1971 haben die sieben Emirate Spielraum für eine eigenständige Politik.

Ihre Politik folgt einer Vision, ist weitsichtig angelegt und von geopolitischen und geostrategischen Fakten und Interessen geprägt. Ein Kontrast zur Entscheidung von Frau Merkel, lediglich „ auf Sicht“ zu fahren.

Als Offizier hat man gelernt „das Ganze vor seinen Teilen zu sehen“. Viele unserer Politiker sind detailversessen. Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht.

„Vision wird Realität“ ist eine häufig zu lesende Richtschnur in den Emiraten.

Die Bevölkerung ist stolz, was die Emirate in den 46 Jahren seit 1971 geschaffen und weiter ins Visier genommen haben.Die politische Führung genießt – besonders in der „ einheimischen“ Bevölkerung, die nur 10 Prozent der Bevölkerung mit rd. 9 Millionen umfasst – hohes Vertrauen. Auf die „Problematik“ der rd. 90 Prozent „ Gastarbeiter“ wird später näher eingegangen.Der erste Eindruck

Der erste optische Eindruck ist überwältigend. Die Skylines von Abu Dhabi und Dubai mit ihren bizarren Türmen und Wolkenkratzern, die sich in Form, Farbe und Fassaden deutlich unterscheiden, sind faszinierend. Mit mehrspurigen Autobahnen – auch in den Städten – und öffentlichen Verkehrsmitteln – von der Metro bis zu autonom fahrenden Straßenbahnen – versucht man, den Individualverkehr zu entlasten, was in den Rushhours morgens und abends nur bedingt gelingt, da es hunderttausende Pendler gibt, die mit ihrem eigenen Wagen in die City fahren wollen.

In Abu Dhabi sollen Gebühren für besonders staugefährdete Straßen eingeführt werden. Der billige Benzinpreis von 40-50 cent pro Liter bietet keinen Anreiz, auf das eigene Auto zu verzichten.

Das gilt auch für die Attraktivität erneuerbarer „Alternativer Energien“ – trotz 360 Sonnentagen im Jahr. Für den Energiebedarf hat man billiges Öl aus den Emiraten und den Nachbarn sowie Gas aus Qatar. Man will auch keine Konkurrenz zur Erdölindustrie aufbauen.

Eine Ausnahme bildet das Meerwasser, das durch eine von Siemens in Sharja gebaute Entsalzungsanlage zu Gebrauchs- und Trinkwasser gereinigt wird

                                      Der Druck der Fakten

Eine in die Zukunft orientierte Beurteilung der Lage hat z.B. Dubai zu einem Strukturwandel gezwungen, da erkennbar wurde, dass die eigenen Ölvorräte – vier Prozent der Gesamtvorkommen der Emirate (Abu Dhabi etwa 94 Prozent) – als wichtige Einnahmequelle versiegen würden.

Als neue Säulen des finanziellen und wirtschaftlichen Wohlstandes gelten: Handel, Finanzen und Tourismus.

Ein Bündel von Maßnahmen hat den Weg in die Zukunft abgesichert: Die sieben Emirate haben sich zu Steuerparadiesen für Investoren und Konzerne entwickelt.

Es ist daher kein Wunder, dass rd. 180 deutsche Konzerne und mittelständische Unternehmen in Dubai angesiedelt sind, bei einer Gesamtzahl von 900 in den sieben Emiraten. Alles, was produziert – wie z.B. Schmuck – und gehandelt wird, ist steuerfrei. Erst seit Januar 2018 gibt es eine bescheidene Mehrwertsteuer von 5 Prozent. Dubai schmückt sich mit dem Titel „City of Gold“ – rd. 2500 Tonnen unbearbeiteten und zu unglaublich einfallsreichem Schmuck verarbeitetem Gold werden pro Jahr exportiert. Der Goldpreis ist weltweit nahezu gleich, aber die sehr günstigen Verarbeitungskosten machen den attraktiven Preisunterschied.

Der Handel profitiert von der Lage am „Arabischen Golf“ (!!!) an der Straße von Hormus. Offene Schiffe bringen besonders begehrte Gewürze und nehmen TV-Apparate, Waschmaschinen und sogar gebrauchte Autos zurück nach Asien und Afrika.

Die Emirate wickeln Finanztransfers in großem Umfang über ihre Börsen ab. Sie legen viel Geld auch in Europa an – von der Deutschen Bank bis hin zu Fußballteams – besonders in Großbritannien.

Für den Tourismus hat sich z.B. Dubai zum Land der Superlative und Rekorde entwickelt. “Höher, schneller und schöner“ ist die Parole, um Touristen aus allen Kontinenten nach Dubai zu locken.

So sind die Emirate zur weltweiten Drehscheibe des internationalen Tourismus geworden.

Die Superlative und Rekorde:

Mit Burj Khalifa hat man mit über 828 Metern den höchsten genutzten Turm der Welt, der nächste Turm mit über 1000 Metern ist bereits im Bau, man hat die größte Palminsel der Welt, die Nachfolgerin ist bereit im Bau, das ganze Jahr nutzbar ist die größte Skihalle der Welt mit vier Grad minus – selbst bei Außentemperaturen von 40-50 Grad –, die größere Nachfolgerin ist ebenfalls bereits im Bau, der größte Goldring der Welt ist in einem Shouk zu besichtigen, und man bietet den größten – über 100 Meter hoch – mit Blattgold verzierten Bilderrahmen der Welt. Man ist stolz auf die schnellsten und teuersten Rennkamele, mit denen freitags 16 Rennen veranstaltet werden.

Ein besonderer Anziehungspunkt in Abu Dhabi ist die „ Sheikh-Zayed Moschee“, eine der größten und schönsten der Welt, die – unter Beachtung der strengen Kleiderordnung – auch von „Ungläubigen“ betreten werden darf. Auch in dieser Moschee spürt man weder Hass noch Aversion gegenüber den „Ungläubigen“. Der Islam wird in den sieben Emiraten moderater gelebt als in anderen arabischen Staaten. In Abu Dhabi und Dubai City sieht man weniger verhüllte Frauen als im Sommer in München in der Maximilianstraße.

Im Emirat Sharja gibt es sogar eine christliche Kirche, die der orthodoxe Scheich hat bauen lassen – vielleicht in Erinnerung an seine Studienzeit in Deutschland.

Die Bevölkerung in den sieben Emiraten

Es gibt keine belastbaren genauen Bevölkerungszahlen – sie schwanken zwischen 8 und10 Millionen.

Es gibt eine „ Zwei-Klassen-Gesellschaft“. Die „Einheimischen“ bilden eine Oberschicht von rd. einer Million. Sie erhalten von ihrem Scheich Privilegien und Vergünstigungen, die ein Leben im Reichtum ohne finanzielle Sorgen ermöglichen. Dieser Reichtum wird gerne zur Schau gestellt.

Alle Reiseführer – sie gehören zu den „Gastarbeitern“ – weisen mit Stolz immer wieder auf die für uns unvorstellbaren Immobilienpreise für Häuser und Eigentumswohnungen – letztere bis zu einer Größe von 700 qm – hin.

Gehälter der Einheimischen beginnen bei dem Minimum vom 4.600 Euro auf einer nach oben offenen Skala. Je besser die Bildung, desto höher das Einkommen, das fünfstellig werden kann.

Es gibt – mit der Ausnahme von fünf Prozent Mehrwertsteuer – keine Steuern. Die Kinder zahlen keine Gebühren in Kindergärten, Schulen und Universitäten. Ein Auslandsstudium wird vom Scheich finanziert – verbunden mit der Verpflichtung, nach dem Studium fünf Jahre für das Emirat zu arbeiten.

Der Reichtum weckt offensichtlich keinen Neid. Er wird gerne gezeigt.

Ein Kuriosum ist der rege Handel mit Autokennzeichen: Ein- oder zweistellige Nummern, die die Maserati, Ferrari und Lamborghini – seltener Mercedes und Porsche – schmücken, kosten einstellige Millionen. Der Scheich von Dubai fährt die Nr.1 – häufig ohne Chauffeur. Die begehrtesten Nummernschilder sind um ein Vielfaches teurer als der teuerste Luxuswagen.

Rund 90 Prozent der überwiegend muslimischen Bevölkerung sind „Gastarbeiter“ aus rd.200 Staaten – davon kommt ungefähr die Hälfte aus Indien und Pakistan.

Innerhalb der großen Zahl gibt es eine Hierarchie. Die untere „Kaste“ bilden die „Angestellten“ in der Gastronomie – meistens aus Asien – mit einem Einkommen von rd.400 Euro – brutto gleich netto. Diese Tatsache wird gerne von europäischen Touristen als „inhuman“ kritisiert. Die Entgegnung: In den Herkunftsländern sind diese Menschen häufig arbeitslos oder haben ein Einkommen von max. 100 Euro. Es gibt Untersuchungen, die ergeben, dass auch die Gastarbeiter der untersten Stufe rd.80 Prozent ihres Lohnes ihren Familien überweisen.

Die nächste Schicht bilden Bus- und Taxifahrer – vornehmlich aus Indien und Pakistan.

Darüber rangieren Fremdenführer – zumeist aus Ägypten – mit hervorragenden Kenntnissen fremder Sprachen.

An der Spitze der “Gastarbeiter“ stehen Akademiker und Ingenieure, für die es bei den großen Bauvorhaben sehr gut bezahlte Jobs gibt. Erstaunlich ist die große Zahl deutscher Tierärzte. Eine deutsche Tierärztin leitet z.B. eine der beiden „Falkenhospitäler“

Die „Gastarbeiter“ starten in der Regel mit einem Vertrag für zwei Jahre, der alle zwei Jahre um weitere zwei Jahre verlängert werden kann – bei „Wohlverhalten“ im Job und bei politischen Äußerungen und Aktivitäten. Die Kosten für die „Gastarbeiter“ übernimmt nicht der Staat, sondern der einheimische oder der ausländischen Arbeitgeber. Die Altersgrenze liegt bei 60 Jahren, dann wird der Vertrag nicht mehr verlängert, und die „Gastarbeiter“ müssen das Land verlassen – ohne Rente oder Pension. Mit dem Ersparten kann aber der Lebensabend bestritten werden.

Wird ein „Gastarbeiter“ negativ auffällig, wird er unverzüglich abgeschoben. Dieser Zwang zum „Wohlverhalten“ führt dazu, dass die Kriminalitätsrate bei „Gastarbeitern“ gegen Null tendiert. Es gibt auch keine Bettler in den Städten.

An der Oberfläche gibt es keine erkennbaren politischen und sozialen Spannungen. Die Medien sind „staatstragend“. Es gibt Überwachungen durch die Emirate mit zahlreichen Kameras an öffentlichen Straßen und Einrichtungen.

Wegen der finanziellen Vorteile wird das System auch von den „Gastarbeitern“ – besonders der Aufsteiger – weitestgehend akzeptiert.

Die Sonderstellung der Frauen

Die einheimischen Frauen in den Emiraten genießen mehr Privilegien und Freiheiten als in anderen arabischen Staaten. Sie führen ein Luxusleben.

So dürfen sie ohne männliche Begleitung Auto fahren. Es gibt sogar Taxifahrerinnen mit rosa Schleier in rosafarbenen Taxis, die nur weiblichen Kundinnen zur Verfügung stehen – Männern nur als Begleiter von Frauen. Frauen dürfen Besitz an Immobilien und Beteiligung an Unternehmen erwerben. 72 Prozent der Frauen studieren.

Zur Hochzeit eines einheimischen Paares erhält die Frau von ihrem Partner als soziale Absicherung gegen Scheidung Schmuck im Werte von mindestens 40.000 Euro.

Der jeweilige Scheich schenkt nur einem einheimischen Paar ein komfortables Haus mit Grundstück und eine Prämie von rd. 18.000 Euro; falls die Braut über 30 Jahre alt ist, kommen noch 7.000 Euro hinzu.

Dabei ist zu bedenken, dass diese Paare aus über Jahre reichgewordenen Familienclans kommen, die das junge Paar zusätzlich unterstützen können.

Ein Hobby vieler einheimischer Frauen ist „Shopping“ in riesigen Malls, die europäische Einkaufszentren bescheiden erscheinen lassen. Wegen der langen Wege können in den mehrstöckigen Malls elektrische Golfwagen benutzt werden.

Die Kunst des Regierens

Der Scheich ist „lebenslang“ im Amt als Präsident seines Emirates. Die Ausnahme bildet der Scheich von Abu Dhabi, der seit 1971 zugleich Präsident der sieben Emirate ist. Er wird nicht gewählt, sondern von dem Familienclan bestimmt. Es ist nicht zwangsläufig der älteste Sohn, sondern der Mann mit der besten Eignung. Er wird unterstützt von Mitgliedern seines Clans, die in der Regel im Ausland studiert und gearbeitet haben, und ausländischen Beratern mit besonderer Qualifikation,

Er sammelt in der normalerweise jahrzehntelangen Regentschaft weitere Erfahrungen.

Dies sichert eine gewisse Stabilität und Kontinuität. Er erlebt, wie seine Vision in die Realität umgesetzt wird. Er hat auch die Mittel und die Kraft dazu.

Das gilt seit Jahren für die Vorbereitungen auf die Expo 2020, die Anfang 2018 eine riesige Baustelle ist, deren Konturen jedoch bereits zu erkennen sind. Ein großer Sprung in die Zukunft, die stabil bleiben wird, wenn der wirtschaftliche Erfolg bewahrt werden kann.

Mit dem weiteren Erfolg werden die Emirate ihre gewachsene geopolitische und geostrategische Bedeutung über die Region hinaus mit Dynamik und Zuversicht halten und sogar ausbauen können.

Entscheidend bleibt, dass ihre Politik lösungs- und zukunftsorientiert bleibt.

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Ein Wort zur aktuellen Politik

Ein Kontrastprogramm zur aktuellen – eher problemorientierten – deutschen Politik, die zu wenig zukunftsorientiert und eher „status quo erhaltend“ ist. Die 177 Seiten des Koalitionsvertrages können daher kein großer Wurf sein, sondern eine Sammlung überwiegend kurzatmiger, kleinkarierter Details. Es stellt sich die Frage, was den über 709 Bundestagsabgeordneten, von denen nur wenige an den Verhandlungen teilnehmen durften, für vier Jahre an Entscheidungen übrig bleibt – unter den Augen des Koalitionsausschusses, der auf die Umsetzung der 177 Seiten pocht.

Diese Art des Regierens zerstört die Substanz unserer repräsentativen Demokratie, was durch die Mitgliederentscheid der SPD zusätzlich belastet wird.

Zu einem endgültigen Urteil ist es noch zu früh. So muss die Mitgliederbefragung der SPD abgewartet werden. Am 5.März diesen Jahres wird man mehr wissen – oder auch nicht. Erstaunlich ist die Zeit, die Deutschland dieses Mal für die Regierungsbildung braucht. Die Weltpolitik nimmt keine Auszeit, bis Deutschland endlich wieder eine Regierung hat.

Der Personenschacher um lukrative Posten ist allerdings schon weit gediehen. Der Rücktritt von Martin Schulz muss nicht die einzige Überraschung bleiben.

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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.

Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.

Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.

In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.

Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.

Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.

Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.

Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.

www.conservo.wordpress.com     11.02.2018   

 

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