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Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)
Die Meldung, dass die gesamte deutsche U-Bootflotte mit ihren sechs(!!!) Booten nicht einsatzbereit ist, hat nicht(!) wie eine Bombe eingeschlagen.
Es war lediglich der i-Punkt auf einer Serie von Meldungen, die in der Summe zu dem Ergebnis führen, dass die Bundeswehr nach 12 Jahren von Merkel und drei CDU/CSU Verteidigungsministern und einer CDU-Verteidigungsministerin nur bedingt einsatzbereit ist, von einer Verteidigungsfähigkeit ganz zu schweigen. Mit Hilfe des Finanzministers Dr. Wolfgang Schäuble wurde die Bundeswehr zum Steinbruch, auch um die „Schwarze Null“ zu retten.
Eine detaillierte Darlegung des Desasters liefert der „Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr 2017“ des BMVg vom 26.Februar 2018, den der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes als „Offenbarungseid“ bezeichnet.
Der Verfasser war 39 Jahre Berufssoldat und nach der Pensionierung als freier Publizist kritischer Beobachter der Bundeswehr und ihrer Streitkräfte.
In dieser langen Zeit mussten die Bundeswehr und ihre Streitkräfte viele schwierige Phasen bewältigen.Aber es bestand immer die Hoffnung auf Besserung.
Diese Hoffnung ist für viele aktive und ehemalige Soldaten gestorben. Es herrscht ein Klima der Resignation und Frustration. Das Vertrauen in die Leitung des Hauses ist weitestgehend zerstört.
Eine Wende ist nicht mit einigen kosmetischen Korrekturen zu erreichen. Es bedarf einer Operation am offenen Herzen, da es in der sicherheitspolitisch fragilen Welt keine Auszeit gibt.
Ein „ Weiter so !“ mit einer desinteressierten Kanzlerin, einer überforderten Verteidigungsministerin und einer stromlinienförmigen militärischen Führung führt die Bundeswehr und ihre Streitkräfte ins Wachkoma. Es ist eine Ohrfeige für die Streitkräfte trotz ihrer negativen Bilanz die Ministerin im Amt zu halten, damit man sie in 1-2 Jahren besser zur EU oder NATO „wegloben“ kann. Für solche „Hinterstubenklüngelei“ haben Soldaten kein Verständnis.
Als Einzelkämpfer ist der Verfasser nicht in der Lage, eine komplette Lösung anzubieten. Ihm geht es vielmehr darum, einen Beitrag zu einem umfassenden Fragenkatalog zu leisten.
Was ist zu tun ?
Politische Leitung und militärische Führung, wer immer das sein wird, muss dieses schonungslose Urteil zur Grundlage ihres zukünftigen Denkens und Handelns machen. Es gibt kein Defizit bei den notwendigen Erkenntnissen, es fehlt der politische Wille zu einer sicherheitspolitischen und militärischen Rückführung Deutschlands in den Kreis der Staaten, die die NATO-Allianz zu einem wirksamen politischen Instrument der Abschreckung und Verteidigung geformt haben.
Die derzeitige Situation muss endlich auch als Chance für Deutschland gesehen werden, wieder als ein zuverlässiger Partner in der Allianz gesehen zu werden, was bis in die 90er Jahre der Fall war. Der Verfasser hat in seinen vier Jahren als Operationschef Europa-Mitte von dem hohen Ansehen Deutschlands profitiert.
Der Verfasser plädiert nicht für eine große Kommission mit einer Einbindung zahlloser externer Experten, wie es bei dem „Weißbuch 2013“ der Fall war.
Dem Verfasser geht es um eine „Task force“ von 30 – 40 zivilen und militärischen Fachleuten, die in relativ kurzer Zeit – max. 6 Monate – eine gründliche Bestandsaufnahme und ein – heute fehlendes – überzeugendes Gesamtkonzept für die Bundeswehr und unsere Streitkräfte dem Kabinett vorlegt, das in kurzer Folge zu den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ führt.
An der Spitze muss ein Mann stehen, der das gesamte Aufgabenspektrum in der Sicherheitspolitik und in der Bundeswehr aus eigener Erfahrung in der Praxis kennt. Er sollte die Mitglieder der „Task force“ selbst bestimmen können. Diese sollten mit dieser außerordentlichen Aufgabe keine eigenen Ambitionen verfolgen können.
Wie fängt man an?
Am Anfang steht eine schonungslose Bestandsaufnahme in den relevanten Aufgabenfeldern, die in kleinen Gruppen erarbeitet werden kann.
# Eine wesentliche Aufgabe ist die globale Gefahren- und Risikoanalyse aus geopolitischer und geostrategischer Sicht mit den Auswirkungen auf Deutschland und Europa in einem Zeitraum von 10-15 Jahren. Diese Bewertung muss besonders China einbeziehen, dass in den folgenden Jahren seine aggressive Außenpolitik mit einer starken militärischen Aufrüstung untermauern wird.
# Welche Allianzpartner eignen sich zu einer Vertiefung der Lastenteilung und Rollenspezialisierung? Nicht nur wegen möglicher finanzieller Einsparungen, sondern besonders wegen des Erreichens von Synergieeffekten und verbesserter Effizienz.
# Werden die europäischen NATO-Partner die Benchmark von zwei Prozent Anteil des Verteidigungshaushaltes am Gesamthaushalt und die Benchmark von 20 Prozent Anteil für Investitionen im Verteidigungshaushalt erreichen? Der 51. Finanzplan – auch Grundlage des Koalitionsvertrages gibt keinen Anlass zur Hoffnung. Der 52. Finanzplan, der von dieser Regierung verabschiedet werden muss, ist der erste messbare Prüfstein.
# Wie ist zu verhindern, dass europäische Staaten ihren Beitrag zur NATO nicht steigern wollen und können, weil sie ihre knappen Ressourcen in das europäische „Luftschloss PESCO“ ( Permanent European Structured Cooperation ), das auch von der deutschen Verteidigungsministerin stark propagiert wird, „verpulvern“? ( siehe Kommentare des Verfassers in conservo vom 20. und 30.November 2017: https://www.conservo.blog/2017/11/20/europaeische-verteidigungsunion-illusion-und-albtraum/ sowie: https://www.conservo.blog/2017/11/30/die-traeume-einer-europaeischen-verteidigungsunion-sind-bereits-geplatzt/ )
# Wie wird sich die Bündnissolidarität der Führungsmacht USA entwickeln? Welche europäischen Partner sind bereit, durch höhere eigene Verteidigungsanstrengungen die USA finanziell zu entlasten und sie dadurch stärker an Europa zu binden?
# Wie kann die NATO ihre Vorneverteidigung in den Baltischen Staaten, in Polen und den südosteuropäischen Staaten verbessern? Was kann die NATO mit ihren Mitgliedstaaten tun, um die „Achillesferse Baltische Staaten“ zu Lande, im Wasser und in der Luft besser zu schützen?
Die fehlende Einsatzfähigkeit der deutschen U-Boote in der Ostsee ist von großer geostrategischer Bedeutung.
# Wie kann die Zusammenarbeit mit Schweden und Finnland im Ostseeraum verbessert werden?
# Wie kann angesichts der präsenten, modernen russischen Divisionen im Westen Russlands die Vorwarnzeit verlängert werden? Die russische Übung „ ZAPAD 2017“ muss die NATO nachdenklich stimmen.
# Wie wirken sich die zukünftig verfügbare Künstliche Intelligenz, die zunehmende Digitalisierung und Robottechnik, die Einführung von sog. „Schwarmdrohnen“, die Möglichkeiten von „ Information warfare“ und „Cyber warfare“ auf die zukünftige Kriegsführung „defensiv“ und „ offensiv“ aus? Wie kann man in Zukunft den bislang nicht zu ortenden Cyber Angreifer wirksam bekämpfen bzw. abschrecken?
# Wie kann man die Bevölkerung in den NATO-Staaten wieder zu einem stärkeren Behauptungs- und Verteidigungswillen bringen? Eine Voraussetzung für die Kampfmoral der eigenen Soldaten, die heute in Deutschland unterentwickelt ist. Die Frage „ Mourir pour Tallinn?“ wird mehrheitlich mit „Nein“ beantwortet. Dieses Defizit kann auch durch modernste Waffen nich kompensiert werden.
# Da der Zeitraum von 10 – 15 Jahren auch von überraschenden Entwicklungen gekennzeichnet werden wird, kann man nicht alle möglichen Ausrüstungen und Bewaffnungen bis zur letzten Zahl ausplanen. Man muss sich auf Kernfähigkeiten der Teilstreitkräfte konzentrieren, die man bei Bedarf flexibel anpassen kann.
# In der Bewaffnung der Luftwaffe sollte überprüft werden, ob penetrierende Einsätze noch von – teuren – bemannten Flugzeugen riskiert werden können.
Leitungsebene und militärische Führung
Nicht nur in der Truppe wird die politische und militärische Führung der Streitkräfte kolportiert: „Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken“. Der Verfasser hat in über vier Jahren als Mitglied des Planungsstabes des Verteidigungsministers, der Schnittstelle Politik/Militär, genügend Erfahrungen gemacht, um die heutigen Schwachstellen zu erkennen.
Es fängt mit der Ministerin an, die die Streitkräfte überwiegend zur Selbstdarstellung genutzt hat.
Sie hatte kein Gesamtkonzept. Sie betrieb „Flickschusterei“ – von der teuren Entmottung von 100 technisch veralteten Kampfpanzern bis hin zu der Entscheidung, mit Frankreich einen Kampfjet der nächsten Generation zu entwickeln.
Sie hat bis heute nicht verstanden, wie Soldaten, die in Auslandseinsätzen ihr Leben riskieren, „ticken“. Sie wollen nicht „geliebt“ werden, wie der damalige Verteidigungsminister de Maizière glaubte, erkannt zu haben. Soldaten wollen respektiert werden.
Die fehlenden Kenntnisse der Ministerin hätten durch eine kompetente Umgebung gemildert werden können, aber sie hat sich mit Menschen umgeben, die weder die Bundeswehr noch die Soldaten kannten.
Leider hat es die Ministerin versäumt, wieder einen eigenen Stab – den Planungsstab – zu installieren. Dieser frühere Stab mit rd. 30 zivilen und militärischen Fachleuten, die das gesamte Ministerium im Auftrag des Ministers im „Visier“ hatten, war ein Frühwarnsystem und ein Minensuch- und -räumtrupp unter der Leitung eines Akademikers, der die Sicherheitspolitik beherrschte, und als Oberst der Reserve die Bundeswehr und ihre Streitkräfte kannte.
In diesem Stab wurde für die Streitkräfte gearbeitet – von der Personalgewinnung bis zur Ausrüstung.
Seine Mitglieder hatten gute Verbindungen mit Angehörigen anderer Organisationsbereiche.
In den Augen des Verfassers war ein kompetenter Planungsstab für die Führung des komplexen Ministeriums und von damals über 500.000 Soldaten unerlässlich – und ist es heute noch.
In der „Task force“ sollten einige Fachleute mitarbeiten, die den Nukleus eines zukünftigen Planungsstabes bilden und die Umsetzung des Kabinettsbeschlusses begleiten könnten.
Es war ein Fehler der Ministerin, die Inspekteure der Teilstreitkräfte aus dem Ministerium zu entfernen. Dadurch entstand ein Riss zwischen dem Generalinspekteur und seinem Führungsstab sowie zwischen den Inpekteuren und deren Führungsstäben.
Eine wichtige Aufgabe besteht darin, die Spitzengliederung des Ministeriums, die Eingliederung der Inspekteure und deren nachgeordnete Ämter und Behörden zu überprüfen mit dem Ziel, die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zu verbesseren und klare Verantwortungsbereiche zu schaffen.
Ein großes Fragezeichen steht vor dem Rüstungsbereich, der auch von der hochbezahlten Staatssekretärin Suder nicht in den Griff zu bekommen war. Hier muss auch die Vertragsgestaltung mit der Industrie einer Prüfung unterzogen werden.
Zuständigkeit ohne Verantwortung führt zu einem Wirrwar. Viele sind zuständig, aber tragen keine persönliche Verantwortung, was nicht nur für die Bundeswehr gilt.
Wiedereinführung der Wehrpflicht
Eine entscheidende Frage ist die Gewinnung von qualifiziertem Nachwuch für die Unteroffiziers- und Offizierslaufbahn. Ohne Not und ohne Zeitdruck hat der schneidige Minister zu Guttenberg die Wehrpflicht de facto abgeschafft – mit der Unterstützung der Kanzlerin und des Parlaments sowie zur Freude des Finanzministers, der glaubte, den Verteidigungshaushalt kürzen zu können.
Die heutigen Probleme in der Nachwuchsgewinnung haben ihre Ursache weitestgehend in dem Parforceritt des „Barons“.
Mit den Wehrpflichtigen hatte die Truppe die Chance, die damaligen Wehrpflichtigen mit der Leistung und der Stimmung der Truppe zur Erstverpflichtung zu veranlassen. (Das war auch die Motivation des Verfassers, sich zunächst auf drei Jahre zu verpflichten. Daraus wurden Schritt für Schritt 39 Jahre).
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht wird auch vom Verfasser befürwortet, obwohl die rechtlichen Hürden sehr hoch sind, aber ein souveräner Staat sollte das Recht haben, über sein Wehrsystem autonom zu entscheiden. Es ist interessant, dass der französische Präsident über die Wiedereinführung der Wehrpflicht nachdenkt.
Wenn die Wiedereinführung aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist, sollte man die Alternativlösung einer Miliz mit Kurzdienern von zwei Jahren prüfen. Damit könnte man eine Dienstpflicht für junge Frauen verbinden – von mindestens einem Jahr, um die Lücken in sozialen Diensten zu schließen.
Mit einer solchen Lösung – Miliz – könnte man die Zahl von frisch ausgebildeten Soldaten relativ zügig für die notwendige Reserve erhöhen.
Die Truppe – das unbekannte Wesen
Früher galt die Forderung nach „Dienstaufsicht vor Ort“ durch den Kp-/Battr- Chef und seine Vorgesetzten – nicht durch den PC.
Man kannte seine Soldaten mit ihren Sorgen und Nöten – aber auch mit guten Verbesserungsvorschlägen. Die Soldaten kannten auch ihre Vorgesetzten – nicht nur durch Ansprachen bei dem „Feierlichen Gelöbnis“. Der Truppenvorgesetzte führte durch Vobild und Beispiel. Seine Maßstäbe und Wertvorstellungen waren der Truppe bekannt.
Mündlich und schriftlich wurden die Vorgesetzten ständig über die „Stimmung in der Truppe“ informiert.
Jeder Truppenvorgesetzte war immer zugleich Erzieher und Ausbilder. So konnten erkannte Schwachstellen beseitigt werden.
Mit dem Computer auf dem Schreibtisch hatte der studierte Chef einen Ersatz gefunden für die „Dienstaufsicht vor Ort“.
Für die Ausbildung gab es immer mehr Vorgaben. Es wurden Stunden für jedes einzelne Thema vorgegeben. In den Stäben gab es „bunte“ Übersichten, auf denen das Befolgen von Vorgaben abgehakt werden konnte. Der Haken auf der Übersicht gab jedoch keine Information, ob die Vorgaben tatsächlich durchgeführt woren waren – und in welcher Qualität.
Die Truppe – das Ziel aller Überlegungen
Das Ziel aller Änderungen muss die Verbesserung für die Truppe sein.
„Train as you fight!“ setzt die Verfügbarkeit des Einsatzgerätes in der Truppenausbildung voraus.
Das ist leider zu häufig nicht der Fall.
Eine fordernde Ausbildung am Einsatzgerät erhöht die Chancen, Auslandseinsätze ohne Schaden an Leib und Seele zu überstehen.
Diese Ausbildung sollte von der „Generation Einsatz“ , die Erfahrung im Einsatz gewonnen hat, konzipiert und durchgeführt werden.
Im berühmt-berüchtigten Jahr 1968 konnte man als KpChef einer Panzergrenadierkompanie mit 16 Schützenpanzern, von denen mit großem Aufwand der Unteroffiziere maximal 10 das Kasernentor verließen, mit einem Drittel der Kommandanten als Wehrpfichtige, mit einer Begrenzung der Übungsmunition und der Kettenkilometer pro Jahr nicht aus dem Vollen schöpfen. Der Mangel war die Regel, aber in der Truppe gab es Korrektive: Es war der Korpsgeist und der Optimismus, eine bessere Zukunft zu haben. Dazu kam die Bereitschaft zu improvisieren.
Ohne Korpsgeist und ohne Optimismus sind Soldaten weder in der Friedensausbildung noch in Auslandseinsätzen zu führen.
Dafür braucht man Truppenvorgesetzte mit Charakter, Herz und Verstand sowie mit Mut vor Königsthronen.