Was kommt nach Putin? Wladimir Putin?

(www.conservo.wordpress.com)

Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)

Wenn es nach dem russischen Volk ginge, wäre die Antwort klar: Wladimir Putin. Die Wahlen im März brachten den erwarteten glanzlosen Sieg. Auch wenn die OSZE von einem unfairen Wahlkampf spricht, hätte Putin auch in einer freien, fairen Wahl mit deutlichem Abstand zu den abgeschlagenen sonstigen Parteien gewonnen.

Was spricht gegen die Wiederwahl 2024? Die russische Verfassung, die für das Amt des Präsidenten nur zwei aufeinanderfolgende Regierungsperioden vorsieht. Eine hohe Hürde? Man wird sehen.

Eine persönliche Erklärung zu Beginn

In den Zeiten erhöhter Spannungen zwischen westlichen Staaten und Russland ist es nicht einfach, einen kritischen Kommentar zu Russland zu schreiben, zumal der Verfasser in Vorträgen und Diskussion sowie nach Publikationen als „Russlandhasser“ abgestempelt wird.

Der Verfasser befasst sich seit den 50er Jahren dienstlich und privat mit der Sowjetunion bzw. Russland. Für das Abitur wählte er den sowjetischen Schriftsteller Iwan Turgenew als ausländischen Schriftsteller. Er blieb bis heute der sowjetisch/russischen Literatur treu – von Alexander Solschenizyn bis zu Wladmir Soronin.

In seiner Zeit als Truppenführer hat er seine Soldaten nicht zum Hass gegen sowjetische Soldaten erzogen.

Nach seiner Pensionierung hat er Russland dreimal besucht und auch mit russischen Militärs an internationalen Workshops teilgenommen.

Als Chefredakteur des Internernewsservice www.worldsecurity.network.com hat er intensiv mit jungen russischen Autorinnen und Autoren zusammengearbeitet.

Seine Kritiker machen es sich mit seiner Einstufung als „Russlandhasser“ zu leicht. Seine von ihm verwandten Fakten sind bisher nicht widerlegt worden.

“Der Zusammenbruch der Sowjetunion ist die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“

Dieses politische Credo bestimmt das strategische Denken und Handeln von Präsident Putin. Mit seiner Politik will er Russland nach Jahren der gefühlten Demütigungen durch den Westen wieder auf Augenhöhe mit den Weltmächten China und USA führen.

Dieser Beitrag konzentriert sich auf Russland. Er bietet kein „Systemvergleich“ zwischen Diktaturen und Demokratien.

Er bringt auch keinen Vergleich Russlands mit den Weltmächten China, Indien und den USA.

Putins Innenpolitik

Nach den von ihm als „chaotisch“ empfundenen demokratischen Gehversuche von Boris Jelzin, dessen schnellen Wechsel zur Marktwirtschaft und die Privatisierung mit der Raffgier der „Oligarchen“, die sich fast zum Nulltarif die Filetstücke von Industrie und Wirtschaft unter den Nagel reißen konnten, gab es für ihn nur eine Losung: Stabilität und Ordnung.

Das ist ihm weitgehend gelungen, und dieser Erfolg sichert ihm die breite Unterstützung der Bevölkerung, die wieder stolz auf Russland sein kann.

Die in Deutschland oft zu hörende Meinung, dass „die Russen“ nicht reif wären für die Demokratie, ist eine Beleidigung des russischen Volkes. In meinen Gesprächen in Russland – besonders mit jungen Menschen – habe ich einen anderen Eindruck gewonnen. Der Zulauf zu Demonstration, die von Alexej Nawalny in vielen größeren Städten veranstaltet wurden, unterstreicht meine Einschätzung. Dieses Urteil wird untermauert durch den Artikel „Aufgewacht“ von Christian Esch im Spiegel 14/2017, der von einer neuen Generation in Russland schreibt, deren Idol Alexej Nawalny sei.

Gestützt durch den hohen Ölpreis konnte Putin Russland relativ schnell stabilisieren – auch mit Hilfe „seiner“ Oligarchen, denen er die Führung der wichtigsten Konzerne in Wirtschaft, Industrie, Medien übertrug.

Sein hartes Durchgreifen veranlasste einen „brain drain“ in den Westen – besonders nach London und Berlin – der „alten Oligarchen“ und der jungen Unternehmer. Denjenigen, die nicht schnell

in den Westen fliehen wollten oder konnten, zerschlug er ihre Konzerne und schickte sie auf Jahre mit fraglichen Urteilen in Arbeitslager – siehe Michail Chodorkowski. Entscheidend war für Putin, den gefährlichsten, charismatischen Konkurrenten aus dem Verkehr zu ziehen. Das gilt noch heute.- auch für dessen „Nachfolger“ Alexej Nawalny, der mit fadenscheinigen Begründungen von der Präsidentenwahlen im März 2018 ausgeschlossen wurde.

Andere politische Gegner wie Boris Nemzow wurden vor den Mauern des Kreml erschossen. Zwei Berufsgruppen waren besonders gefährdet: Journalisten und Anwälte.

Die Serie begann mit Anna Politkowskaja, die über die grausame Kriegsführung im Kaukasus berichtete, bis jüngst zu dem russischen Enthüllungsjournalisten Maxim Borodin, der den Einsatz von zahlreichen russischen Söldnern in Syrien aufgedeckt hatte, im April 2018 in Jekaterinburg aus dem Fenster seiner Wohnung fiel und starb. Ein sehr mysteriöser „Fall“! Bei den Anwälten traf es den Anwalt Sergej Magitski, der Korruptionen in der russischen Regierung aufgedeckt hatte, der im Gefängnis wegen mangelnder ärztlicher Behandlung verstarb.

Die Liste ließe sich erweitern.

Alle diese Morde hatten eines gemeinsam: Es waren „Feinde“ des „Systems Putins“, und ihre Fälle wurden selten aufgeklärt, besonders, was die verantwortlichen Auftraggeber anging.

Gegner – als „Feinde“ – starben auch im Ausland einen mysteriösen Tod.

Aufsehen erregte die Ermordung des ehemaligen russischen Spion Alexander Litwinenko, der als späterer britischer Agent am 23.November 2006 in London von zwei Russen durch eine Spritze mit Plutonium ermordet wurde.

An diesen Fall wurde jüngst im Zusammenhang mit dem Giftanschlag (Nowitschok) gegen den Ex-Agenten Russlands Sergej Skripal und seine Tochter Julia am 4. März 2018 in Salisbury nahe London erinnert. In seinem Kommentar schreibt der Spiegel 14/18 unter dem Titel “Putin ist zu weit gegangen“ …..

“Wer eine solche geächtete Waffe mitten in Europa einsetzt, der begeht eine beispiellose Aggression…Wer aber so tut, als könne im Grunde jeder hinter diesem Angriff stecken, der handelt unlauter. Das in Salisbury verwendete Nowitschok-Gift wurde in der Sowjetunion unter höchster Geheimhaltung entwickelt. Mittlerweile haben drei an der Forschung Beteiligte Auskunft gegeben. Die Herstellung ist äußerst komplex, und nach allem, was man weiß, wurde Nowitschok nur in einem Labor im russischen Schichany produziert (und nicht etwa in Usbekistan, obwohl dies auch in Deutschland einige Russlandfreunde behaupten).“

Hochkonjunktur für Verschwörungstheorien, über die sich Russland freuen kann, die es Russland erleichtern, den Kreis der Verdächtigen zu erweitern!

NATO und EU Staaten belegten Russland mit Sanktionen, obwohl es bis heute keine „smoking gun“ gibt. Den Staaten genügten die vorhandenen Indizien, die es plausibel machten, dass Russland sehr wahrscheinlich hinter dem Anschlag stecken würde.

Russland bemühte sich mit allen technischen Tricks, seine Unschuld zu beweisen, was nicht überzeugend gelang, nachdem Russland auch versucht hatte, den Giftanschlag den britischen Geheimdiensten anzulasten.

Solche „fake news“ gehören zum Instrumentarium des russischen „information warfare“, auf das im nächsten Abschnitt „Putins Außenpolitik“ näher eingegangen wird.

Putins Außenpolitik

Seine neue Außenpolitik verkündigte Putin in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007, die der Verfasser vor Ort live miterlebte. Er schockte die sicherheitspolitischen Experten aus aller Welt. Er verkündete der Welt das Ende der Versuche, mit dem Westen „friedlich“ zu kooperieren, da Russland vom Westen gedemütigt und getäuscht worden sei.

Russland müsse versuchen, durch eine Konfrontation mit dem Westen seine globale Position zu verbessern. Es war erstaunlich, im Nachhinein festzustellen, wie wenig Beachtung diese Grundsatzerklärung in Deutschland und im Westen gefunden hat, obwohl Putin in seiner klaren Sprache, Mimik und Gestik keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Erklärung aufkommen ließ.

Schon damals hätte der Westen – und besonders die NATO – den Niedergang seiner Streitkräfte stoppen müssen. Das geschah erst acht Jahre später mit der einstimmigen Entscheidung aller NATO-Mitgliedstaaten bis 2024 die eigenen Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes anzuheben. Von diesem Ziel ist Deutschland mit 1,3 Prozent weit entfernt.

Es wird sich zeigen, welche Fortschritte Deutschland in den nächsten Jahren erzielen kann. Der Koalitionsvertrag und die Regierungserklärung geben wenig Anlass zur Hoffnung. Das gilt auch für die Aussagen von Angela Merkel, die sie bei ihrem ersten Besuch in Washington D.C. Gegenüber dem amerikanischen Präsidenten am 27.April gemacht – ohne klare Festlegung. Auch für die anstehenden Spannungen im weltweiten Handel – besonders mit den USA – hätte eine moderate Festlegung von 1,6 – 1,8 bis zum Ende der jetzigen Legislaturperiode die deutsche – und europäische – Verhandlungsposition verbessern können. Es darf nicht vergessen werden, dass die USA seit Jahrzehnten rd.70 Prozent der NATO- Verteidigungsausgaben tragen und die Importzölle der EU insgesamt höher sind als die der USA.

In der Zeit nach seiner Rede in München 2007 hat Putin gezeigt, dass er auf eine Trumpfkarte setzt: die russischen Streitkräfte als dem einzigen Schwergewicht, dass Russland in die Waagschale der Konfrontation werfen kann.

Nur ein Jahr nach seiner Rede in München führte er – nach einer Vorbereitung der (später) teilnehmenden Streitkräfte den Krieg gegen Georgien, der mit der Abtrennung und Besetzung der beiden georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien endete – heute ein sog.“frozen conflict“, den Russland wieder aufflammen lassen kann, wenn es zu seinem Vorteil ist. Die internationale Anerkennung der Unabhängigkeit beider Provinzen verlief für Russland enttäuschend.

Die russische Kriegsführung in diesem Krieg offenbarte schwere Defizite in der Führung der Verbände und in deren Einsatz- und Kampffähigkeit. Russland unternimmt seitdem enorme Anstrengungen, die erkannten Mängel abzustellen.

Der nächste Einsatz der russischen Streitkräfte erfolgte ab 2014 in Teilen der Ostukraine. Dort gelang es von Russland abhängigen Seperatisten, die Provinzen Denezk und Luhansk zu erobern und sie von der Ukraine abzutrennen – ein Konflikt der trotz des Minsk II-Abkommens täglich neue Opfer fordert.

Der Krieg in der Ukraine und die im März 2014 völkerrechtswidrige – weil von russischen Soldaten   unterstützte – Annexion der Krim war die nächste kriegerische Etappe.

Dem Einsatz in der Ukraine lag ein Masterplan zugrunde, der im Westen den Namen „Hybride Kriegsführung“ erhielt, in dem “information warfare“ eine wichtige Rolle gespielt hat.

In einer ersten Phase wurde die Ukraine politisch destabilisiert und der Behauptungs- und Verteidigungswille der Bevölkerung und der Soldaten geschwächt, die zudem mit veralteten Waffen ausgestattet waren.

Als Putin auf den Einsatz russischer Soldaten auf dem Festland der Ukraine öffentlich angesprochen wurde, erklärte er, es seien russische Soldaten, die freiwillig ihren Urlaub in der Ukraine verbringen würden – allerdings mit ihren Panzern. Eine Veralberung des Westens. Es war aber erstaunlich, dass diese Soldaten in Moskau öffentlich mit hohen Orden und verbesserten Pensionsansprüchen belohnt wurden.

Auf der Krim waren die dort eingesetzten Soldaten „grüne Männchen“(Putin), die die Abspaltung der Krim tatkräftig unterstützten. Auch in diesem Fall musste Putin später einräumen, dass die „grünen Männchen“ russische Elitesoldaten waren.

Das beste Beispiel des russischen „information warfare“ lieferte Russland nach dem Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH 17, die am 17.Juli 2014 gegen 16 Uhr über ukrainischem Territorium abgeschossen wurde – alle 298 Passagiere kamen ums Leben. Der Verdacht fiel sogleich auf Russland, weil die Abschussstelle der Rakete BuK M1 auf von russischen Soldaten besetztem Territorium lag. Russland versuchte mit allen Tricks des „information warfare“, den Abschuss anderen in die Schuhe zu schieben. Mal waren es ukrainische Kampflugzeuge, Luft-Luft-Raketen oder Kanonen, deren Dienstgipfelhöhe deutlich unter der Flugkurve der MH 17 lag.

Russland verhinderte lange Zeit Untersuchungen der Wrackteile und der Abschussstelle. Mit seinem Vetorecht als ständiges Mitglied im VN-Sicherheitsrat konnte es eine VN-Resolution hinausschieben.

Im russischen Fernsehen wurden Landkarten gezeigt, die nicht die reale Welt gezeigt haben.

Letztendlich kam der Untersuchungsbericht des Internationalen Gerichtshofes zu dem Urteil, dass die MH 17 von einer russischen BuK M1 abgeschossen worden ist – allerdings ohne den Verursacher zu benennen – eine Auflage der VN-Resolution.

Die neuen technologischen Fähigkeiten des „information und cyber warfare“ sind seitdem besonders in Russland perfektioniert worden.

Diese Fähigkeiten zeigen sich heute auch in Folge des angesprochenen Giftanschlages in Salisbury.

Der wiederholte Versuch Russlands, durch „Fake news“ die Tatsachen auf den Kopf zu stellen, haben Ansehen und Glaubwürdigkeit geschadet.

Das gilt auch für den russischen Außenminister Lawrow persönlich – wider besseren Wissens. Er warf Deutschland vor, Entführung und Vergewaltigung der 13jährigen Elena durch „Migranten“ und „Flüchtlinge“ – auch nach dem der „Fall“ bereits geklärt war. Er unterstellte Deutschland, das Verbrechen nicht aufklären zu wollen und nicht in der Lage zu sein, Russlanddeutsche zu schützen. Es waren zahlreiche Russlanddeutsche, die diese Story glaubten und in deutschen Städten mit gemalten Schildern auf die Straße gingen.

Der nächste Kriegseinsatz Russlands erfolgt seit dem 30.September 2015 in Syrien. Der offizielle Auftrag war die Bekämpfung des Islamischen Staates (IS), de facto war es die Unterstützung des syrischen Machthabers Assad, der ohne das Eingreifen Russlands wahrscheinlich gescheitert wäre, was hunderttausenden Syrern das Leben gerettet und die Infrastruktur ihres Landes weitgehend erhalten hätte, was die illegale Masseneinwanderung der Syrer in ihre Nachbarländer und Europa reduziert hätte.

Auch in Syrien spielt russisches „information warfare“ eine wichtige Rolle.

Der bereits erwähnte Journalist Maim Borodin hat aufgedeckt, dass russische Söldner im Bodenkampf eingesetzt sind – und auch Verluste erlitten haben. Vermutlich musste er deswegen sterben.

„Information warfare“ ist auch im Spiel bei dem Vorfall des vermeintlichen oder tatsächlichen Giftangriffs am 11.4.18 in der Nähe von Damaskus, nach dem mindestens 500 Menschen mit klaren Vergiftungserscheinungen in umliegenden Hospitälern aufgenommen werden mussten.

Westliche Staaten beantragten eine Sondersitzung des VN-Sicherheitsrates zu diesem Vorfall. Russland blockierte auch eine VN-Resolution, die zu einer Untersuchung des Vorfalls vor Ort untersuchen sollte durch OPCW8 Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen die VN-Behörde, die für die Untersuchung von möglichen Einsätzen geschaffen wurde – mit Zustimmung Russlands.

Russland blockierte immer wieder. Der Hintergrund: Der chemische Kampfstoff, der zum Einsatz gekommen war, stammt ursprünglich aus russischen Beständen, die an syrische Streitkräfte weitergegeben worden waren.

Die Bezeichnung „flüchtiger Kampfstoff“ ist zutreffend, er „verflüchtigt“ sich in kurzer Zeit – besonders bei Temperaturen wie sie jetzt im Nahen Osten herrschen. Ein Nachweis des Kampfstoffes wird immer unwahrscheinlicher, es sei denn, man findet Behälter, aus denen der Kampfstoff freigesetzt worden war.

Als endlich eine Untersuchungskommission eingetroffen war, wurde ihr wegen Gefährdung das Betreten des Untersuchungsortes untersagt. Als sie nach Tagen die Freigabe erhielt, wurde ihr Erkundungskommando beschossen – und kehrte wieder um.

Zwischenzeitlich kamen im russischen und syrischen Experten zu Wort, die die Tatsache eines Giftanschlages schlicht verneinten. Es wurden auch wieder Mädchen mit Kulleraugen gezeigt, die behaupteten, es habe in ihrem Heimatort keine Giftanschläge gegeben. In deren TV wurde andererseits behauptet, die Anschläge seien von den US-Streitkräften inszeniert worden – mit russischen Granaten.

Die Untersuchung der VN werden vermutlich so ausgehen wie das Hornberger Schießen. Falls überhaupt Kampfstoff entdeckt werden sollten, wird zu den „Verbringern“ der Kampfstoffe kein Wort gesagt werden. Das wird das ständige Mitglied Russland im VN-Sicherheitsrat – wenn nötig mit China – verhindern.

Die angekündigte Reaktion der Alliierten Frankreich, Großbritannien und den USA war in der Durchführung für den Verfasser ein gutes Beispiel für erfolgreiches Krisenmanagement – sprich Geheimdiplomatie zur Gesichtswahrung. Der amerikanische Präsident hatte sich – anders als sein Vorgänger Obama, der seinen Worten keine Taten folgen ließ – weit aus dem Fenster gehängt. Er musste – wenn möglich mit anderen Westmächten – etwas tun, ohne Russland zu treffen und ohne größere Kollateralschäden zu verursachen. Russland wollte in diese Aktion nicht involviert werden und schaltete seine hochgelobten Raketenabwehrsysteme aus, auch um einen irrtümlichen Beschuss der Alliierten auszuschließen. Darüber hinaus informierte es Assad, der die Zielorte von eigenen Kräften räumen konnte.

Der französische Präsident Macron konnte sich als verlässlicher Verbündeter inszenieren – im Gegensatz zu Deutschland. Die britische Premierministerin konnte durch ihre Teilnahme „britischen Kampfgeist“ beweisen und vom Brexit ablenken.

Der Luftschlag erfolgte im Rahmen der Abmachungen. Es gab nur Sieger – einschließlich Assad.

Der russische Einsatz dauert länger mit höheren eigenen Verlusten – auch der Zivilbevölkerung – als Putin es erwartet hatte. Bislang ist ein Ende dieses Krieges nicht in Sicht – dazu gibt es zu viele Player mit sehr gegensätzlichen Interessen. Je länger dieser Krieg andauert, umso mehr schmilzt Putins Popularität in der russischen Bevölkerung.

Kein Kriegseinsatz war das russische Großmanöver „ZAPAD 2017“ (Westen), an dem nach einer Analyse der Schweizer Militärzeitschrift „Allgemeine Militärzeitschrift 12/2017“ mehr Soldaten teilgenommen haben, als Russland bei der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit) angemeldet hatte – nämlich 13.000. Bei dieser Umfangszahl war das Mitglied Russland nicht verpflichtet, Beobachter der OSZE einzuladen. (siehe auch: https://www.conservo.blog/2017/08/30/russlands-militaerische-grossuebung-zapad-2017-eine-misstrauensbildende-massnahme/)

An diesem Großmanöver nahmen alle Streitkräfte des Militärbezirks West teil – Heer, Luftwaffe, Marine, Spezialkräfte, Luftabwehrverbände und nukleare Einsatzkräfte – auch aus dem Oblast Kaliningrad – mit Iskanderraketen, die auch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden können.

Es sollte besonders die Zusammenarbeit zwischen den russischen und weißrussischen Verbänden verbessert werden.

Die erste Phase begann – wie bei ZAPAD-Übungen üblich – mit einem Angriff aus dem Westen gegen Weißrussland, der mit vereinten Kräften aus Russland und Weißrussland erfolgreich zurückgeschlagen wurde.

Die zweite Phase kam sehr realitätsnah an eine Einsatzoption Russlands heran, die den NATO-HQ Kopfzerbrechen bereitet. Objekt einer möglichen militärischen Operation Russlands sind die Baltischen Staaten, die aus dem Ostseeraum, Weißrussland und Russland in die Zange genommen werden können – unterstützt durch Kleinkriegsaktivitäten der russischen Minderheiten in den Baltischen Staaten, auf die sich russisches „information und cyberwarfare“ konzentrieren würden.

Die „Sollbruchstelle“ aus russischer Sicht ist der 80 Kilometer lange Korridor bei dem polnischen Suwalki, deren schnelle Besetzung durch russische Kräfte die NATO-Staaten des Baltikum trennen würde von möglicher NATO-Unterstützung aus Polen – zu Lande, über Wasser und aus der Luft.

Derzeit sind nur wenige NATO-Truppen temporär in den Baltischen Staaten stationiert, die heute nur eine Stolperdrahtfunktion haben. Wenn die NATO diese brisante Situation entschärfen will, muss sie mehr Truppen im Ostseeraum – in Zusammenarbeit mit Schweden und Finnland. Und in den Baltischen Staaten sowie Polen stationieren, wenn die bedrohte Achillesferse besser geschützt werden soll. Zu den herkömmlichen würden Kräfte für Drohneneinsätze, Special Operations, „information und cyber warfare“ hinzukommen. Ein möglicher Angreifer muss das Risiko kennen und tragen, dass ein schneller Überraschungsangriff einen anderen Verlauf als erhofft nehmen kann. Auch Panzer aus Stahl brauchen heute funktionierende Aufklärung und Führungsverbindungen.

In diesen modernen Einsatzmöglichkeiten kann die NATO schneller Verbesserungen erzielen als bei Panzern und penetrierenden Kampfjets.

Die russischen Streitkräfte haben in letzten Jahren eine enorme Steigerung in Qualität und Quantität erfahren

Ob es allerdings jemals die modernen Waffensysteme geben wird, die Putin am 1.März 2018 tausend geladenen, begeisterten Gästen in einer Art “science fiction“ gezeigt hat, ist eine offene Frage. Wie kann die Aussage Putins nach seiner Wiederwahl verstanden werden, die Rüstungsausgaben zu senken? Sagen ihm wirtschaftliche Daten, dass er nicht ad infinitum das viele Geld in die Aufrüstung stecken kann?

Die wiederholte Demonstration militärischer Stärke in „kleinen Kriegen“ soll der eigenen Bevölkerung ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Bevölkerung und Soldaten im Westen soll das Gefühl der militärischen Unterlegenheit vermittelt werden – mit negativen Konsequenzen auf deren Behauptungswillen und Verteidigungsbereitschaft.

Das Signal heißt: Widerstand ist zwecklos. Frei nach dem Motto des chinesischen Generals Sun Tsu, der schon 500 Jahre vor Christi Geburt schlussfolgerte: „ Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft “, weil der Feind frühzeitig kapituliert.

Die russischen Streitkräfte machen jedoch klar, dass die Erhöhung der Verteidigungsausgaben durch die NATO-Staaten auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes kein „Zahlenfetischismus“ (Gabriel) oder „Säbelrasseln“ (Steinmeier) sind, sondern die unerlässliche Voraussetzung für eine verantwortungsbewusste Sicherheitsvorsorge.

Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2017 ist ein Offenbarungseid und eine ernste Anklage an Regierung und Parlament, die das Kaputtsparen der Bundeswehr und unserer Stretkräfte zu verantworten haben.

Wer kommt nach Putin?

Die nächsten Präsidentschaftswahlen finden in sechs Jahren in Russland statt. Eine lange Zeit. Wenn man sich die überraschenden Ereignisse und Entwicklungen der letzten sechs Jahre vor Augen führt, wird es in den folgenden sechs Jahren wieder einige Überraschungen geben. Expect the unexpected. Erwarte das Unerwartete.

Aus heutiger Sicht gibt es bei den nächsten Präsidentschaftswahlen mindestens vier mögliche Ergebnisse:

# Putin wird wiedergewählt, weil es auf Drängen des russischen Volkes und der Duma zu einer Verfassungsänderung kam, die ihm eine neuerliche Kandidatur ermöglichte.

# Es wird ein Vertrauter Putins gewählt, der von ihm für seine Nachfolge vorgeschlagen worden war.

# Mit Hilfe erfolgreicher Unternehmer und einer erfolgreichen Jugendbewegung wird Alexej Nawalny russischer Präsident.

# Es wird keiner der Genannten Es gibt einen längeren Diadochenkampf, der die Weltlage krisenhaft verändert.

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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.

Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.

Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.

In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.

Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.

Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.

Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.

Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.

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www.conservo.wordpress.com     1. Mai 2018
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