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Von Seyran Ateş
Wenn wir zwei Dinge aus der Debatte um die gemeinsamen Fotos von Özil und Erdogan mitnehmen können, lass es diese sein:
- Viele “Integrations”-Preisverleihungen sind ihre Sendezeit nicht wert
- Integration findet nicht statt, wo die Diskussion um ihre Fehlungen bei jeder sich bietenden Möglichkeit verbannt wird.
Über Jahrzehnte hat sich in unserem Land eine diskursive Vormachtstellung jener breit gemacht, die einen schönen Schein für wertvoller halten als eine tiefgreifende, bisweilen schmerzhafte Analyse der Wirklichkeit.
Wo sind wir falsch abgebogen?
Die Geschichte von Özil ist auf eine Art natürlich einzigartig:
Bejubelt von Millionen, ein Held. Als Superstar vom Feuilleton für den Beitrag zur vermeintlichen Anpassung an die hiesige Gedanken- und Wertewelt ausgezeichnet.
Leider ist sie auf eine andere Art ganz und gar nicht einzigartig: Aufgewachsen in der Freiheit des Rechtsstaates und beschützt von seinen Verteidigern, wendet sich heute eine ganze Generation einem zutiefst autoritären Geist zu – und wählt einem Land einen Herrscher an den Hals, der für die Freiheit Andersdenkender in etwa gleich viel über hat wie Özil für einen Wadenkrampf beim Elfmeterschießen.
Dass dieser doppelte Boden die Realität so lange verbergen konnte, wurde auch dadurch möglich, dass uns beständig – Jahr ein, Jahr aus – weiszumachen versucht wurde, Integration würde schon gelingen, wenn nur die Hürden dafür möglichst niedrig wären.
Also wurde darauf achtgegeben, dass Hürden möglichst niedrig waren.
In einigen Bereichen war dies tatsächlich förderlich.
Aber es wurden im gleichen Atemzug eben auch Prinzipien weggewischt und für nichtig erklärt, die für das reibungslose Funktionieren einer liberalen Demokratie unerlässlich sind:
Wem gesagt wird, man werde sich schon auf möglichst all seine Befindlichkeiten einstellen, der findet keine Motivation, etwas an seinen tradierten Denkmustern – zum Beispiel bezüglich der individuellen Freiheit – zu ändern. Immer mehr Gemeinden in unserem Land beginnen die fatalen Auswirkungen dieser Praxis zu spüren.
Zum Gelingen der Jahrhundertaufgabe Integration braucht es nicht weniger als ein fundamentales Umdenken. Wir müssen wegkommen von der wirkmächtigen Überzeugung, Probleme würden weniger, wenn man sie nicht ständig anspreche.
Sprechen wir darüber! Darüber, wie es kommt, dass Herkunft und Religion auf dem Pausenhof plötzlich wieder mehr zählen als die Werte der Aufklärung. Und darüber, was geschehen muss, um diese Entwicklung wieder umzukehren.
Die Antwort auf diese Frage ist sicherlich keine leichte, aber zumindest bei einem bin ich mir todsicher:
Wer bei einem Foul nicht pfeift, der braucht sich über fehlendes Fair Play nicht zu beklagen.