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Von Peter Helmes
„Haltet den Dieb! Eine internationale Verschwörung!“
Der Mann hat jede Orientierung und Bodenhaftung verloren – ein selbstgewähltes Schicksal, das er mit vielen Diktatoren der Gegenwart und Vergangenheit teilt. Man hockt in Gold-Palästen und lebt auf zu großem Fuß, ihre Schulden wachsen in atemberaubender Geschwindigkeit – wie auch ihr Größenwahn.
Der Sultan am Bosporus träumt noch. Und reagiert wie eine beleidigte Diva, wenn er auf die vielen Probleme seines Landes hingewiesen wird; z. B: Ärger mit Moskau und Washington sowie den Zerfall seiner Pappe-Währung Lira.
Großmaul Erdogan
Der türkische Präsident hält seine Landsleute offensichtlich für so dumm, daß er ihnen – ein typisches Stilmittel solcher Wahnsinnigen – seit Wochen einzuhämmern versucht, es gäbe ein „Internationale Verschwörung“ gegen ihn und sein Land und wettert gegen einen „feigen Angriff” von außen.Erdogan hält einen US-Pastor in der Türkei fest, weil dieser angeblich die Gülen-Bewegung stützt. Erdogan: Ein „heimtückisches Komplott aus dem Ausland!“ Der Präsident weiter: „Ihr versucht 81 Millionen Türken für einen Pastor zu opfern, der Verbindungen zu Terroristen hat (…) Aber wir haben euren Plot durchschaut und fordern euch heraus. Wir werden diesen Wirtschaftskrieg gewinnen!”
Und seine Dummheit wird zur Lachnummer, wenn er gleichzeitig seine Bürger barsch auffordert, ihre Devisen usw. zu verkaufen und in Lira umzuwechseln. Das bedeutete aber, Werthaltiges gegen Wertloses zu tauschen – im Klartext: ein Vermögensvernichtungsprogramm.
Immer tiefer in die Krise
Wenn er sich da nicht mal täuscht! Denn er übersieht, daß die Macht eines Politikers sehr begrenzt ist, wenn´s ans Geld des Bürgers geht. Die türkische Wirtschaft schliddert immer tiefer in die Krise. Es zeugt von der Borniertheit Erdogans, von einem „Wirtschaftskrieg“ zu faseln, den er gewinnen werde. Hier spielt sich kein Krieg ab, sondern es handelt sich um eine klassische Wirtschafts- und Währungskrise.
Vor den Problemen der türkischen Wirtschaft verschließt Erdogan seine Augen und spielt „blinde Kuh“. „Das ist keine Wirtschaft, die bankrottgeht, die untergeht oder die durch eine Krise geht“, posaunte er in einer Ansprache vor seinen Anhängern. Die Strafe folgt auf dem Fuße: Gerade mal einen Tag später stürzte die Lira weiter ab. Erstmals mußten mehr als sieben Lira für einen US-Dollar und mehr als acht Lira für einen Euro gezahlt werden.
Darunter leiden der „kleine Mann“ genauso wie die Unternehmen: Viele haben ihr Leben oder ihre Firma auf Pump finanziert haben, mit Krediten aus dem Ausland in Dollar oder Euro. Diese Kredite werden nun unbezahlbar teuer. Das Leistungsbilanzdefizit – die Türkei importiert mehr, als sie sich leisten kann – macht das Land angreifbar.
Schuld sind nach Erdogan nur „die anderen“: ausländische Mächte – und natürlich der böse Trump. Neben dem US-Pastor Andrew Brunson, der in der Türkei wegen Terrorvorwürfen im Gefängnis sitzt, sind noch 19 weitere US-Bürger in türkischer Haft. Im Streit um Brunson pokerte Erdogan hoch und verlangte von den USA im Gegenzug die Auslieferung seines verhaßten Rivalen, des Predigers Fethullah Gülen. Doch er verzockt sich. Trump reagiert, wie er so oft reagiert: mit Härte, mit Sanktionen.
Laut, aber ratlos
Zur Wahrheit gehört auch: Viele der derzeitigen türkischen Probleme sind hausgemacht, was sich an einigen wenigen Beispielen verdeutlichen läßt:
- Erdogan hat gerade in den Jahren des billigen Geldes zu wenige (bis keine) strukturellen Reformen (vor allem im industriellen Bereich) versucht, und jetzt kehren ausgerechnet die so wichtigen Investoren ihm eiskalt den Rücken zu, wobei der Sultan obendrein mit enorm steigenden Zinsen regelrecht gewürgt wird.
- Der Absturz der türkischen Währung macht zudem die Finanzmärkte nervös. Seit Jahresbeginn hat die Lira fast 50 Prozent an Wert zu Euro und Co. verloren. US-Strafzölle verschärfen die Lage.
- Der weitere Absturz der Währung wird den Druck auf die Türkei – und damit auf Erdogan – erhöhen. Unsicherheit bei den Wirtschaftspartnern macht sich breit: Wichtig für die Attraktivität der Türkei als Investitionsstandort und Exportmarkt sind nämlich Rechtssicherheit, die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank sowie eine stabile Zahlungsbilanz. Hinter allen drei Kriterien setzen Investoren derzeit große Fragezeichen. (Mehr als 6.500 Unternehmen aus Deutschland sind in der Türkei vertreten. Sie beschäftigen dort mehr 120.000 Menschen.)
- Daß Erdogan hat sich von der EU und deren Regeln entfernt hat, macht die Investorensuche zusätzlich schwierig. Und Erdogans offene Einflussnahme auf die Entscheidungen der Zentralbank, die schwache Vorstellung seines Schwiegersohnes und Finanzministers Albayrak und der Streit mit US-Präsident Donald Trump verschrecken die Anleger noch weiter.
- Die Erfolge von einst, die ihm die Gefolgschaft vieler Menschen sicherten, geraten immer mehr in Vergessenheit. Bei einer Inflation von gegenwärtig 15 Prozent raten Finanzexperten dazu, die Zinsen zu erhöhen. Erdogan lehnt dies bis heute ab, weil höhere Zinsen wohl das Wachstum drosseln würden. Im neuen Präsidialsystem duldet er zudem keinen Widerspruch, was Zweifel an der Unabhängigkeit der türkischen Notenbank weckt.
- Erdogans Machtfülle werten ausländische Investoren als einen Versuch des türkischen Präsidenten, sich in die Wirtschaft des Landes stärker einzumischen. In der Folge kommt weniger Kapital ins Land. Ein Teufelskreis beginnt sich zu drehen. Ergebnis: Nun sinkt das Pro-Kopf-Einkommen in der Türkei, und der Mann, der sich so gern als visionärer Staatenlenker inszeniert, wirkt zwar laut, aber ratlos.
- Die Ernennung seines Schwiegersohns Berat Albayrak zum neuen Finanzminister erweist sich zusehends als Flop, seine „Aktionspläne“ gleichen eher Luftnummern. Und auch die Maßnahmen der Notenbank fruchteten bislang nicht.
- Er hält die Medien unter Kontrolle, läßt Kritiker einsperren. So wird derzeit gegen 346 Inhaber von Twitter-Konten ermittelt: Erdogan nannte sie „Wirtschaftsterroristen”. Sie hätten „Verrat” begangen, indem sie durch Berichte oder Kommentare die Aufwertung des Dollars gegenüber der Lira unterstützt hätten. Absurd! Finanzhilfen, etwa durch den Internationalen Währungsfonds (IWF), lehnt Erdogan bislang ab.
- Nach Berechnungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) haben Banken weltweit rund 224 Milliarden Dollar an Geschäftspartner in der Türkei verliehen, umgerechnet knapp 200 Milliarden Euro. Die Forderungen von Banken in Deutschland gegenüber Geschäftspartnern in der Türkei belaufen sich auf rund 21 Milliarden Euro (Stand Juni 2018).
- So wird die Kritik an Erdogans Politik immer lauter. Sollte sich die Lira nicht bald erholen und die Bevölkerung weiter unter den Sanktionen leiden, wird die Krise zu Erdogans politischem Überlebenskampf. Der mächtige Präsident, der öffentlich so gern über Verschwörungen räsoniert, sieht zum ersten Mal in seiner politischen Laufbahn hilflos aus. Im Moment scheint Erdogan nicht mal zu wissen, welchen Kurs er einschlagen soll.
Der „stolze Mann vom Bosporus“ gerät zunehmend zur Karikatur. Auf Hilfe kann er allenfalls hoffen, wenn er endlich nach marktwirtschaftlichen Regeln spielt und sich Europa wieder öffnet. Eine dieser Regeln lautet: Der Sultan ist pleite. Das aber wird Erdogan niemals eingestehen. Und so stürzt das Land weiter ins Chaos – und der EU steht ein neuer Großbrand ins Haus.