(www.conservo.wordpress.com)
Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)
Deutsche Politiker – zuletzt der unerfahrene Außenminister Maas – fordern seit Jahren, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Sicherheitspolitik – und damit der Außenpolitik – übernehmen müsse. Das hört sich gut an. Aber zwischen „Wollen“ und „Können“ besteht ein riesiger Abstand – auch mit Blick auf die deutsche zweijährige Mitgliedschaft im VN-Sicherheitsrat. Dort muss Deutschland in der Lage sein, eine eigenständige nationale Position, die vom vitalen nationalen Interesse bestimmt sein muss, in den Entscheidungsfindungsprozess der VN einzubringen. Dazu fehlen jedoch seit Jahrzehnten die entscheidenden Voraussetzungen.
Was wurde versäumt ?
Nach dem Fall der Mauer 1989, dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und der folgenden Auflösung des Warschauer Paktes stand Deutschland vor einer neuen Situation. Die Welt ist in „Unordnung“. Mit zahlreichen Konflikten, die auch nach Deutschland ausstrahlen. Es muss verstärkt nationale Anstrengungen unternehmen, der deutschen Regierung eine eigenständige Beurteilung der globalen Sicherheitslage und pro-aktives Handeln zu ermöglichen.
Dazu bedarf es eines „ Frühwarnsystems“, das es bis heute in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Staaten – nicht im ausreichenden Maße gibt.
Dabei hat es an Vorschlägen nicht gefehlt. Der Verfasser hat aufgrund seiner Erfahrungen im Militärischen Nachrichtenwesen mit Fachautoren das Buch herausgegeben: „Krisen – die große Herausforderung unserer Zeit. Mit dem Dreiklang: Erkennen – Vermeiden – Lösen“ ( Report-Verlag, Frankfurt am Main, 1994) In seinem Vorwort zu diesem Buch schrieb der damalige Staatsminister beim Bundeskanzler, Bernd Schmidtbauer, zuständig für Fragen der Sicherheitspolitik: „Ich bin dankbar, dass sich das Buch der Krisenfrüherkennung und der Prognose besonders widmet. Insbesondere begrüße ich den Gedanken, die bestehenden – weiter auszubauenden – fachlichen Kapazitäten der Ressorts und der Nachrichtendienste auf nationaler Ebene zusammenzuführen. („s. „Krisen – o.a. bereits angegeben, S.10“).
Der Verfasser hat in der Folgezeit in Schrift und Ton seine Vorstellungen weiter konkretisiert. So auch in seinen Büchern „Wege ins Abseits. Wie Deutschland seine Zukunft verspielt.“ (Osning-Verlag, Bielefeld – Garmisch-Partenkirchen, 2012) und „Kleinkriege, die unterschätzte Kriegsform. Warum die Zukunft von Kriegen den Guerillas, Partisanen und Hackern gehört” (Gerhard Hess-Verlag, 2016, siehe: https://www.conservo.blog/2017/02/08/ein-alarmierendes-buch-uber-die-indoktrinierung-unserer-gesellschaft/). Es wird keine Panzerarmeen geben, die vom Weltraum frühzeitig erkannt werden. Es ist ein diffuses Bild, das die strategische Aufklärung erschwert.
Was ist seit dem Wandel der Gefahren und Risiken geschehen? Zu wenig!
Es gibt weder den geforderten Nationalen Sicherheitsberater noch sein interdisziplinäres Team, mit dem er permanent und systematisch das Geschehen in der Welt beobachtet, auswertet und ausgesuchten Vertretern der Bundesregierung wöchentlich komprimiert vorträgt. Damit könnten die unliebsamen Überraschungen deutlich reduziert werden. Die Bundesregierung könnte frühzeitig agieren, anstatt hektisch mit ad-hoc-Maßnahmen den Krisen hinterherzulaufen.
Wie könnte das in der Regierungsarbeit praktisch aussehen?
Der Nationale Sicherheitsberater muss im Kanzleramt angesiedelt werden. Er untersteht dem Kanzler oder Kanzlerin direkt. Er kann gleichzeitig Sekretär des Bundessicherheitsrates sein, der z.B. über Rüstungsexporte entscheidet. Um die Kontinuität zu wahren, sollte er kein Politiker sein.
Er sollte sich einen Namen in Fragen der inneren und äußeren Sicherheit gemacht haben, denn beide Bereiche gehören untrennbar zusammen. Er muss sich ein Team von Experten zusammenstellen – u.a. Völkerrechtler, Diplomaten, Militärs, Rüstungsexperten, Wirtschaftler und geopolitisch und geostrategisch denkende Persönlichkeiten, die ihre Aufgaben hauptamtlich versehen.
Die Regierung muss vorgeben, welche Staaten und Regionen von allen deutschen Nachrichtendiensten und Botschaften permanent und systematisch beobachtet und bewertet werden – besonders hinsichtlich ihrer inneren Stabilität und ihren sicherheitspolitischen Zielsetzungen.
Das sind alle NATO-Staaten, alle Nuklearmächte – die offiziell bestehenden und möglichen, alle Staaten, in denen deutsche Soldaten stationiert sind oder in absehbarer Zeit stationiert werden können, China, Russland und Indien.
Als Regionen kommen in Frage: u.a. das Südchinesische Meer, die Anrainerstaaten des Suez-Kanals, die Straße von Hormus sowie die Straße von Malakka, aber auch sog. “failed states“ mit hoher Gefahr eines Exportes von Terrorismus – inkl. Piraterie.
Im wöchentlichen Briefing für den Kanzler oder Kanzlerin wird in max. einer Stunde im Ampelsystem vorgetragen, wie Zustand und Entwicklung in den definierten Staaten und Regionen bewertet werden und welche Vorschläge für politisches Handeln gemacht werden. In diesen Briefings kann auch entschieden werden, welche weiteren Aspekte – z.B. Drogenhandel und Organisierte Kriminalität – beobachtet und bewertet werden sollen oder welche aus der Betrachtung fallen.
Moderne Technologie, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz erleichtern die Aufgabe
Anders als in der Vergangenheit stehen heute und in der Zukunft moderne Technologien und Verfahren zur Verfügung. Die Kommunikation und Information sind heute und in der Zukunft in abgeschlossenen Netzwerken verschlüsselt möglich.
Die Rolle des Internet
Das Internet ist ein integraler Bestandteil der aufgezeigten Aufgaben. Das früher mitleidig belächelte „Open source intelligence“ steht heute im Mittelpunkt in der Beschaffung von Informationen. Zwanzig Internet-Freaks erreichen heute in kurzer Zeit mehr Informationen und Bewertungen durch Algorythmen der Künstlichen Intelligenz als hunderte von früheren Mitarbeitern in den Diensten.
Für die strategische Aufklärung vor Ort müssen Menschen Informationen und Bewertungen aus dem inneren Kreis bestimmter Länder ergänzen.
Welche Netzwerke sind vorstellbar?
Der innere Kreis besteht aus den nationalen Ressorts, Behörden und Ämtern – sowie den nationalen Nachrichtendiensten. In diesen Einrichtungen gibt es einen definierten Personenkreis, der Zugang zu diesem Netzwerk bekommt – nach dem wichtigen Grundsatz “Need to know“.
Im „äußeren Kreis“ halten diese Einrichtungen im Rahmen der Regierungsvorgaben Verbindungen zu externen nationalen und internationalen Partners. Zu den nationale Partnern können zum Beispiel auch Reeder gehören, die mit ihren Schiffen die Weltmeere befahren und gute Erkenntnisse haben entlang der maritimen Handelswege – einschließlich der Anrainerstaaten mit ihren Häfen. Es wird jeweils zentral festgelegt, welche Informationen weitergegeben werden dürfen – auch innerhalb der VN, der NATO und der EU.
Netzwerke mit einem größeren Teilnehmerkreis können und sollen ergänzt werden durch besonders geschützte bilaterale Verbindungen nach dem Verhältnis: Geben und Nehmen. Die Weitergabe von Informationen und Bewertungen bleibt eine nationale Entscheidung.
Warum gibt es dieses System nicht bereits?
Es sind Partikularinteressen einzelner Ressorts und Einrichtungen, die nach dem Motto arbeiten wollen: “Wissen ist Macht. Teilen ist ein Machtverlust.” In den einzelnen Diensten, Ressorts und Behörden fehlen offensichlich die Fähigkeit und der Wille, das Ganze – das heißt die Regierung – vor seinen Teilen zu sehen. Bislang fehlt der politische Wille, diese Hindernisse zu beseitigen. Hier könnte eine eindeutig formulierte Richtlinienkompetenz der Kanzlerin oder Kanzler schnell Abhilfe schaffen. Die Bundeskanzlerin muss von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen.
Krisenprävention muss die höchste Priorität erhalten. Dazu gehören Instrumente der Frühwarnung.
Noch einmal: Die deutsche Mitgliedschaft im VN- Sicherheitsrat kann im nationalen Sinne nur mehr Verantwortung ermöglichen, wenn die beschriebenen Voraussetzungen erfüllt werden. Das bedarf keines Aufbaus einer riesigen Bürokratie in Jahren. Ein hochqualifiziertes Team mit bestmöglicher Besetzung und moderner Ausstattung kann in einem Monat beginnen. Bleibt es bei dem gewohnten „Weiter so!“ wird die vollmundige Erklärung des Außenministers eine leere Worthülse bleiben. „Learning by doing“ ist angesagt – auch für Spitzen der Regierung.
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