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Von Peter Helmes
Die „Mächtigen“ erscheinen hilflos – ein meist ernst gemeinter Kommentar
„Hilflos“? Nun ja, was da in den letzten zwei Tagen in Buenos Aires zusammenkam, sind überwiegend wirtschaftliche Schwergewichte. That´s it! Und damit wäre das Wichtigste bereits gesagt.
Aber die Staats- und Regierungschefs der G20 repräsentieren 64 Prozent der Weltbevölkerung und 80 Prozent der globalen Kaufkraft. Klingt beeindruckend, aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Diese (gefühlten) Wichtigtuer, äh die Wichtigsten der Wichtigen, haben zum größten Teil ein Manko mitgebracht, das ihnen wie ein Klotz am Bein hängt: Ihre politische Bedeutung hält mit ihrer wirtschaftlichen Macht nicht schritt. Ob innen- oder außenpolitisch – in vielen Teilnehmerstaaten beherrschen politische Konflikte oder persönliche Krisen den politischen Alltag.
Erschwerend kommt hinzu, daß die Einfluß- und Wirkzeit etlicher Teilnehmer sich dem Ende zuneigt – der Name Merkel steht geradezu symbolhaft für politisches Siechtum in der Endphase. Die Raute ist ausgeleiert und hat ausgedient – auch wenn die Rautenfrau bräsig behäbig in vorderster Reihe des obligatorischen Gruppen-Photos zu sehen ist und mit der Raute ihr Baby-Bäuchlein zu verdecken versucht. Tschuldigung, irren ist menschlich – Bäuchlein kann auch vom guten Essen kommen.
Symbolisch auch im Gruppenphoto: Der argentinische Präsident Macri hatte sich zwischen Trump und Xi gestellt, damit sich die beiden nicht in die Haare geraten – und Saudi-Arabiens Kronprinz bin Salman stand am Rand, weil nach dem Khashoggi-Mord (offiziell) niemand mit ihm reden wollte.Und Photos „von draußen“ boten sich diesmal genauso wenig an wie bei den letzten Treffen:
Vor dem Gipfelgebäude tobten die Proteste. Mit ein bißchen Ehrlichkeit zu sich selbst darf das auch nicht verwundern. Denn niemand könnte den Demonstranten die Protestkundgebungen verdenken, solange die feinen Herrschaften da drinnen über die Steuerung von Handel und Wohlstand in der Welt bestimmen und wenig Neigung zeigen, sich um die Sorgen ihrer „einfachen“ Bürger zu kümmern. Klar, die machen auf einem Gruppenphoto auch nichts her, nicht mal für ein kleinformatiges Bild fürs Silberrähmchen zuhause auf dem Büffet auf einem Häkeldeckchen.
Es ist mehr als symbolisch, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel verspätet zum Gipfel kam, weil das Flugzeug der deutschen Regierung eine Panne hatte. Jahrelang war Merkel eine Schlüsselfigur und treibende Kraft der G20. Jetzt ist sie nicht nur in Deutschland auf dem Weg nach draußen. Der Rückzug von Merkel symbolisiert das Verkümmern des Multilateralismus. Die G20 sind nicht länger das Fundament des Multilateralismus, sondern werden – wie es derzeit aussieht – zunehmend eine Plattform für Konflikte, Bilateralismus und den Rückzug auf den eigenen Staat.
Auf den Bauch gefallen
Die Idee von Argentiniens Präsident Macri war ursprünglich, den G20-Gipfel nach Buenos Aires zu holen, um sich dort als erfolgreicher Staatsmann zu präsentieren. Das bräuchte er dringend; denn es ist keineswegs ausgeschlossen, daß seine Kontrahentin Kirchner wieder an die Macht kommt. Aber angesichts der aktuellen geopolitischen Lage war es ein eher enttäuschendes Schauspiel.
Die Sorgen der Investoren über eine fragwürdige Zukunft des Landes bleiben. Unsicherheit und Furcht – das ist aber genau das, was Argentiniens Wirtschaft lähmt. Wenn Macri wiedergewählt werden will, muß er – und das kann er nur mit Hilfe der G20 – erreichen, daß die Konjunktur rechtzeitig wieder anspringt.
Kein Trump-Eklat
In Buenos Aires verkniff sich Trump selbst jegliche Eskalation, auch wenn seine Positionen hinter den Kulissen die Verhandlungen erschwerten. Im Handelsstreit mit China legte der Mann, der monatelang zugespitzt hatte, nun eine Waffenpause ein. Der US-Präsident verhielt sich bemerkenswert zahm. So entfiel das übliche politisch korrekte Trara um den Klimawandel ebenso wie eine Behandlung des Themas Migration. Um nicht in die Bredouille zu geraten, schwänzte Trump ganz einfach etliche der dazu gehörenden Arbeitssitzungen. So entfielen in der Abschlußerklärung entsprechende Bekundungen.
Vereinbarung mit China
Selbst den Chinesen kam Trump beim Reizwort „Handelskrieg“ entgegen. Trump hatte zuvor Strafzölle von zehn Prozent auf chinesische Waren im Wert von 250 Milliarden Dollar erlassen – und gedroht, diese zum Jahresbeginn auf 25 Prozent hochzufahren. Diese erhebliche Aufstockung setzt der US-Präsident nun aus.
Der Verzicht gilt laut Weißem Haus für 90 Tage. Bis dahin wollen Washington und Peking über eine ganze Reihe von Streitthemen Verständigungen erzielen: Es geht um Technologietransfer, Schutz geistigen Eigentums, Handelsbarrieren, Cyber-Diebstahl und Landwirtschaft. In all diesen Feldern drängt Trump seit Monaten auf Zugeständnisse.
Die Regierung in Peking habe immerhin zugesagt, eine „sehr substanzielle” Menge Agrarprodukte, Industriegüter, Energieträger und andere Produkte aus den USA einzuführen, um den Handelsüberschuss zu reduzieren, hieß es von US-Seite.
Xi unter Erfolgsdruck
Xi steht intern unter Erfolgsdruck und ist zudem ein kühler Machtpolitiker, der nicht das große Ganze im Blick hat, sondern permanent versucht, für Chinas Marsch an die Weltspitze Zeit zu gewinnen. Daß eine baldige Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern möglich erscheint, liegt auch an der Stärke der chinesischen Wirtschaft. Zwischen Nationen lassen sich unerfreuliche Konflikte nicht immer vermieden. Wichtig ist dabei, im Gespräch zu bleiben.
China und die USA sind beim Handel aufeinander angewiesen. Ein Handelskrieg schadet beiden. Peking hat sich in der aktuellen Auseinandersetzung aber stets nur verteidigt und dabei rational verhalten. Aber, das gehört zur Wahrheit, im Handelskrieg zwischen den USA und China wurde in Buenos Aires allenfalls ein Waffenstillstand und noch kein Friede geschlossen. Nach dauerhaftem Frieden klingt das alles nicht unbedingt.
Im Übrigen verzichtete Trump auf zwei Ereignisse, die zu turbulenten Szenen hätten führen können. Zunächst auf ein formelles Treffen mit Putin, dann auf seine eigentlich so geliebte internationale Pressekonferenz. Als Gründe wurden die Konfrontation auf der Krim und der Tod Bushs genannt. Trump sprach mit Putin nur am Rande des Abendessens, außerhalb der Reichweite der Journalisten. Klug gehandelt – und den ewigen Trump-Wadenbeißern kräftig ins Handwerk gepfuscht!
Der G20-Gipfel verlief also, was Trumps Auftritt angeht, ganz anders als das Vorjahrestreffen in Hamburg oder die G7- und Nato-Treffen im Sommer, bei denen Trump für mehrere Eklats sorgte. Den lieferte stattdessen ein Handschlag Wladimir Putins mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Und natürlich fehlte bei diesem „neuen“ Trump auch nicht die weiße Salbe für „Angela“. Trump lobte Merkel vor der Presse über den grünen Klee. Die Kanzlerin sei von “jedermann hoch respektiert, auch von mir”. Na dann is ja allet jut!
Keine geopolitische Entspannung
Doch ehe ich hier in Romantik verfalle: Dazu wäre kein Anlaß, gar keiner! Das diesjährige G20-Treffen in Buenos Aires konnte – wie alle Jahre wieder – nicht im Geringsten die geopolitischen Spannungen dieser Welt überdecken. Der Handelskrieg zwischen den USA und China, der das Risiko birgt, in einen neuen Kalten Krieg abzugleiten, ist nur einer der großen Konfliktlinien. Die Eskalation der militärischen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine ist ein weiterer ungelöster Brandherd. Das Problem Migration schien allerdings dank des Merkelpaktes „Wohlstand für alle“ – offiziell „Migrations- und (separat) Flüchtlings-Pakt“ – zur weltweiten Zufriedenheit geregelt: Freie Bahn für „Ihr Kinderlein kommet, oh kommet zuhauf!“ Und sie kommen haufenweise. Aber das ist eine andere Baustelle…
Das Treffen zwischen Xi und Trump legte eines schonungslos offen: Manche Länder hatten sich wohl insgeheim gedacht, wenn China im Mittelpunkt der Handelskonflikte stünde, kämen sie selbst einigermaßen verschont davon. Diese Rechnung ging nicht auf. Denn vor Trumps Amerika-Absolutismus kann man sich nicht verstecken. China mit seiner Wirtschaftsgröße hingegen hat etwas mehr Spielraum, um den Schaden in Grenzen zu halten. Außerdem haben die USA trotz des Handelskriegs nicht aufgehört, Produkte aus China zu beziehen.
Das zeigt, daß sich China und die USA eher auf Augenhöhe begegnen, während die anderen Volkswirtschaften der Welt mehr von Amerika abhängen als umgekehrt. Die G20-Mitglieder sollten sich deshalb gegen Unilateralismus zusammentun und für den Multilateralismus plädieren. Die G20-Treffen dürfen kein Forum nur für die wenigen Großmächte sein. Auch die Stimmen von mittelgroßen und kleineren Ländern müssen Gehör finden, auf dem Gipfel, aber auch über die Medien auf der ganzen Welt.
Ein Nebenaspekt: Putin schien ausgesprochen gute Laune gehabt zu haben. Er begrüßte den saudischen Diktator Mohammad bin Salman derart freundschaftlich, daß ihr Treffen wie eine Theaterszene wirkte. Putin und der saudische Prinz schienen am gemeinsamen Tisch viel Spaß zu haben. Offenbar hatten die beiden einander viel zu erzählen – vielleicht auch, wie man Menschen umbringt
Kein konstruktiver Gedanke
Niemand wird erwartet haben, daß auf diesem Gipfel mehr als Gesten produziert wurden – auch wenn diese eine gewisse Dramatik nicht entbehren ließen. Catch as catch can. Es fehlte der konstruktive Gedanke, es fehlt der Wille zum Kompromiß.
Verzweifelt auf Symbolwirkungseffekte hoffend, jagten sich die Großen von Termin zu Termin, sagten ab, dann wieder zu, Putin mit Trump, Merkel mit Putin, alle mit Xi, dem scheinbar Allmächtigsten, oder wieder alles abgesagt – und neu vereinbart. Niemand mit Saudi-Kronprinz Salman, aber (fast) alle hinterm Rücken. Die Welt sieht ja nix – und schaut weg. Kashoggi who? Trump war anzumerken, daß ihn das alles anödete.
Mit Blick auf den Jemenkrieg und die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi hatten sich wohl einige gefragt, ob Saudi-Arabien vielleicht einen unbedeutenderen Repräsentanten schicken würde. Die Gegner der Saudis haben es mit ihrer Kampagne aber nicht geschafft, das Königreich zu isolieren oder den Kronzprinzen von seiner Teilnahme abzuhalten. Mehr noch: Das Ansinnen des Landes, im Jahr 2020 den G20-Gipfel in Riad auszurichten, wurde angenommen.
Damit hat auch der saudische Kronprinz Bin Salman dem Gipfel seinen Stempel aufgedrückt. Alle wissen, daß er der Drahtzieher des Mordes an dem Journalisten Kashoggi ist. Trotzdem hat er es gewagt, an dem Treffen teilzunehmen. Nicht nur das, er hat sich auch mit dem französischen Präsidenten Macron, der britischen Regierungschefin May und dem russischen Präsidenten Putin getroffen. Zwar hatte US-Präsident Trump seine Begegnung mit Salman abgesagt, aber laut der saudischen Delegation haben sich beide informell getroffen.
Der Drahtzieher des Kashoggi-Mordes kam nonchalant zum Gipfel. Und es sah so aus, als wäre er dort rehabilitiert worden. Fazit: Er kam als Mörder und ging als Edelmann. So geht politische Kultur! Wieder einmal wurde klar, daß es bei solchen Gipfeltreffen weniger um Gerechtigkeit geht, sondern nur ums Geld. So ist schon die Basis der G20-Gipfel ausgelegt: Wer Geld hat, kriegt mehr davon. Wer keins hat, bleibt draußen.
Frustration und fragwürdige Kompromisse sind der Normalzustand im Staatengeschäft. Aber selten ist die destruktive Dynamik der Weltpolitik so plastisch sichtbar wie bei dem Treffen der G20-Staaten in Buenos Aires.
Lame-duck Grandma Angela
Früher hätte ich das Termin- bzw. Gesprächsgewürge als Kindergarten bezeichnet. Aber da hätte es dann wenigsten eine Hort-Mutti gehabt, die mit strenger Miene die Kinder beaufsichtigt. In Buenos Aires herrschte – besser gesagt gab´s keine Aufseherin. Die jahrelange Weltmutti fand sich als „lame-duck-Grandma“ zur Seite geschoben, zumal ihr ihre Lieblingstochter Ursula vdL ein Playmobilflugzeug in die Bundeswehrflugbereitschaft beordert hatte, bei dem die Aufziehfeder versagte.
Kurz und (nicht) gut: In diesem G20-Kinderhort fanden sich (ohne qualitative Wertung bitte!) Prinzen, Präsidenten, Kanzleretten, Piraten, Mörder und allerlei Ränkeschmiede in einer Art Rundlobgesellschaft zusammen: Ich liebe Dich, und Du liebst mich – und da liegt alles drin!
Ein mageres Ergebnis: Eigeninteressen zählen – das ist alles!
Die Teilnehmer konnten kaum darüber hinwegtäuschen, worum es ihnen in Wahrheit geht: ihre Eigeninteressen. Was immer für Botschaften geplant waren – am Ende kommt allenfalls eine Minimalerklärung zustande. Was waren beispielsweise vor zehn Jahren nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers noch für Ankündigungen gemacht worden: Eine neue Weltwirtschaftsordnung sollte entstehen! Aber schon bald darauf war alles wieder wie vorher.
Das Drehbuch für den diesjährigen Gipfel in Buenos Aires hätte von Shakespeare stammen können. Es gab Verrat und Intrigen, aber auch ein großes Gruppenbild. Die Krim sorgte zwar für Verwerfungen, aber die Absage des offiziellen Treffens zwischen US-Präsident Trump und dem russischen Präsidenten Putin war nur eine Inszenierung. Die Affäre um eine mögliche russische Einmischung in den US-Wahlkampf wiegt für Trump schwerer, und ganz abgesehen davon vertragen sich Trump und Putin im Grunde gut.
Kritisch betrachtet hat (jedenfalls für mich) der G20-Gipfel ein jämmerliches Bild abgegeben: Das Abschlußdokument beinhaltet zwar eine Absichtserklärung zur Bekämpfung des Klimawandels, auf die dringlichsten internationalen Probleme aber geht es nicht ein. Die Staats- und Regierungschefs sollten sich allmählich darüber im Klaren sein, daß der Gipfel in eine Sackgasse geraten ist und in den Augen der Bürger immer bedeutungsloser wird. Vielleicht täte diesem Zirkus eine längere Pause gut.
Im Gegensatz zu früheren Treffen gibt es diesmal jedoch keine Absichtserklärung, Protektionismus zu vermeiden. Die Erklärung weist lediglich darauf hin, daß das derzeitige Handelssystem die Ziele nicht erreicht hat, und daß Verbesserungsbedarf besteht. Die G20-Länder begrüßten zwar das derzeit starke Wirtschaftswachstum weltweit, räumten jedoch ein, daß es einige finanzielle Risiken und Spannungen in Handelsbeziehungen gibt. Einigkeit zeigte sich nur in Beleidsbekundungen angesichts des Todes des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush senior.
Ein eher mageres Ergebnis, ein beschämendes Fazit.