Wie der SWR Literatur in Klitteratur verwandelt. And so it goes.

(www.conservo.wordpress.com)

Von Gerold Keefer

Das einzige, was einen bei dieser Sache wirklich erstaunt: Warum musste es in politisch so korrekten Zeiten ausgerechnet der Dresdner Feuersturm sein?

Kurt Vonnegut hätte vielleicht eine Antwort: „Es gibt kein Warum.“

Kurt Vonnegut hat als amerikanischer Soldat in deutscher Kriegsgefangenschaft Mitte Februar 1945 die vollständige Zerstörung Dresdens durch alliierte Bomberverbände miterlebt. Der in den Fels gehauene Keller eines Schlachthofs mit der Hausummer 5 war tief genug, um sich nicht in ein „Leichenbergwerk“ zu verwandeln. „Leichenbergwerk“ ist der Begriff den Vonnegut für die vielen Dresdner Luftschutzkeller verwendet, die sich während des Bombardements durch Hitze, Gase und Rauch in Leichenkammern verwandelten, aus denen bald darauf tausende tote Körper gefördert wurden. „Schlachthof 5“ ist dann auch der Titel des Anti-Kriegs-Romans, den Vonnegut 1969 veröffentlicht. Er passte in die Zeit der Proteste gegen den Vietnam-Krieg und wurde schnell ein Bestseller.

Der Feuersturm von Dresden tauchte bis dahin in der offiziellen Geschichtsschreibung der USA kaum auf. Vonnegut sieht den Grund darin, dass der Angriff bei dem, wie er wörtlich schreibt, „etwa einhundertdreißigtausend Menschen sterben“, allzu erfolgreich war. Er sieht in der Zerstörung Dresdens eine Parallele zum Abwurf der Atombombe auf Hiroshima: Eine Machtdemonstration von Regierungen und Generälen, die keinerlei Rücksicht auf hunderttausende Menschenleben nimmt und im Nachhinein zur politisch und moralisch korrekten Notwendigkeit verklärt wird.

Eine Nachricht an die britischen Flugzeugbesatzungen vor dem Angriff endete mit dem Satz „… and incidentally to show the Russians when they arrive what Bomber Command can do.”, was Vonneguts These stützt.

Der SWR hat nun an zwei Sonntagen im November „Schlachthof 5“ als Hörspielfassung gesendet. Zunächst erstaunt, dass sich der SWR eines solchen Stoffes überhaupt annimmt. Dass es zwischen Vergangenheits- und Rechtspopulisten-Bewältigung sowie multikultureller Dauerbeschallung noch Platz für ein so kontroverses Stück Literatur findet, in dem es um alliierte Täter und deutsche Opfer geht, ist bemerkenswert. Es dürfen aber nicht zu viele deutsche Opfer sein, wie wir noch sehen werden.

Was allerdings beim Vergleich mit dem Buch im Original auffällt: Ein durchaus entscheidender Abschnitt, in dem Vonnegut kurz auf David Irvings Buch „The Destruction of Dresden“ eingeht, und feststellt, dass die Opferzahlen der konventionellen Bombenangriffe auf Dresden oder Tokyo jeweils mehr Menschenleben gekostet haben als die Atombombe in Hiroshima, wurde weggelassen.

Nun ist Irving, der zwischenzeitlich international als „Holocaust-Leugner“ bekannt ist, eine durchaus kontroverse Figur, dessen Thesen man ablehnen mag. Eine Hörspiel-Adaption muss auch nicht jedes Wort und jeden Satz einer Romanvorlage wiedergeben.

Allerdings ist dieser Abschnitt für die Intention des Autors unbestreitbar von großer Relevanz und für die Intention des Hörspiel-Regisseurs ist die Streichung dieses Abschnitts ebenfalls von großer Relevanz.

Lücke und Geschichtsklitterung

Es bleibt aber nicht bei einer Lücke, es kommt auch zur Klitterung: Sowohl im englischen Original als auch in der recht aktuellen Übersetzung des Romans von Gregor Hens wird die von Vonnegut genannte Opferzahl von Dresden mit „about one hundred and thirty thousand“ bzw. „etwa einhundertdreisigtausend“ abgedruckt.

Im Hörspiel, Teil 2, Minute 54, werden daraus schlicht „etwa dreißigtausend“. Diese Verfälschung ist dreist und verwerflich. Dreist und verwerflich, selbst wenn die Angaben bezüglich der Opferzahlen von Dresden, die man bei Wikipedia liest, eher bei dreisigtausend als bei einhunderdreisigtausend liegen.

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nämlich nicht die Wahrheit, sondern die exakte Wiedergabe des Romans in den entscheidenden Punkten. Hätte Vonnegut statt einhundertdreißigtausend nur hundert oder aber eine Million Opfer angegeben, auch dann müssten diese abstrusen Zahlen, und nicht das, was ein Regisseur für passender hält, im Hörspiel gelesen werden. Denn ein Roman ist ein Roman ist ein Roman und eben keine Geschichtsbuch oder wissenschaftlicher Artikel, mit dem Anspruch auf Korrektheit und der damit verbundenen Notwendigkeit der Korrektur.

Korrektur macht aus Literatur Klitteratur und aus Kunst Korrektheit statt Intention. Aber ich weiß, in Zeiten überbordender politischer Korrektheit darf ich auf Integrität nicht mehr hoffen.

Und schon gar nicht bei einem Sender, der sich ob solche Klitterungen im Orwellschen Sinne als Beiträger „zur freien Meinungsbildung“ versteht und für den „Unabhängigkeit ein hohes Gut“ ist. So zumindest ist es auf den Web-Seiten des SWR zu lesen. And so it goes.

Quelle: https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/hoerspiele/kurt-vonnegut-schlachthof-5-2/-/id=660014/did=22638948/nid=660014/1ojax15/index.html
www.conservo.wordpress.com     14.12.2018
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