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Gysi oder AfD? Offener Brief von Peter Helmes an Angela Merkel
Die politische Entwicklung unseres Vaterlandes bereitet mir große Sorgen. Es fällt mir immer schwerer zu erkennen, wie sich die Lager in der Politik zusammensetzen. Das alte „Links-Rechts-Schema“ scheint nicht mehr zu funktionieren. Unter „links“ versammeln sich heute nahezu alle Parteien – von CDU/CSU über FDP, Grüne, SPD und die Linkspartei. Gegen diese Entwicklung scheint nur noch die AfD zu stehen.
Ich habe deshalb einen Offenen Brief an die Bundeskanzlerin und (bis vor wenigen Tagen) CDU-Vorsitzende Angela Merkel geschrieben. Er trifft – hoffentlich – den „nervus rerum“, legt den Finger in die Wunde und offenbart, was Konservative wie mich bedrückt. Mein Brief ist natürlich sehr persönlich gehalten, weil er mich auch persönlich betrifft. Ob sich der eine oder andere „mitgenommen“ fühlt, ist jedermanns eigene Entscheidung. Ich schreibe hier jedenfalls für mich:
Offener Brief an die bisherige Bundesvorsitzende der CDU und amtierende Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Angela Merkel
Sehr verehrte Frau Merkel,
die politische Entwicklung der letzten Jahre, insbesondere nach den fulminanten Wahlsiegen der AfD, veranlaßt mich, Ihnen diesen Offenen Brief zu schreiben, da ich über Ihre generelle Haltung zu den Ereignissen und zur AfD mehr als unglücklich bin.
Ich gebe gerne zu, daß mein Schreiben nicht frei ist von Emotionen. Angesichts meiner langjährigen Mitgliedschaft in der Union dürfte dies aber verständlich sein. Hinzu kommt ein weiteres: Natürlich sehe auch ich, daß der Zeitgeist mit Volldampf die Union ergriffen hat und viele Mitglieder ihm nachhecheln. Es gibt aber auch andere in der CDU, wie ich, die der Partei die Treue halten, obwohl sie ihrer längst überdrüssig geworden sind. Diese Parteifreunde fühlen sich – so wie auch ich – nicht mehr zuhause in der Unions-Familie.
Immerhin darf ich – seit nunmehr 60 (!) Jahren Mitglied der Unionsparteien – einmal ganz unbescheiden erwähnen, daß ich während meiner aktiven Mitgliedschaft rund vierzig Jahre lang lokale, regionale, nationale und internationale Führungspositionen der Union innehatte, darunter z. B. Bundesgeschäftsführer der Jungen Union (mit neun Jahren der längste amtierende), acht Jahre lang Generalsekretär der Internationalen Jungen Konservativen und Christdemokraten – des internationalen Dachverbandes der Jg. Christdemokraten und Konservativen in der ganzen Welt – Hauptgeschäftsführer der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU (6 Jahre) und nicht zuletzt Mitglied im Wahlkampfstab von Franz Josef Strauß im Bundestagswahlkampf 1980.
Meine Eltern waren vor dem II. Weltkrieg in der Zentrumspartei aktiv und gehörten nach dem Krieg zu den sog. „Männern und Frauen der ersten Stunde“ in der Union; sie waren Mitgründer der hiesigen CDU. Konrad Adenauer wohnte bei uns um die Ecke, wie übrigens auch Franz-Josef Würmeling (der legendäre CDU-Familienminister), Walter Hallstein (der erste EWG-Präsident) und Peter Scholl-Latour, der legendäre Journalist schlechthin. Sie alle haben mich nicht nur in meiner Jugendzeit beeindruckt, sondern auch mein politisches Wirken geprägt.
Umso schmerzlicher ist nun die Erfahrung, die ich mit „meiner“ Partei seit den Tagen der „Wende“ Helmut Kohls machen muß, die nicht die versprochene Wende weg vom Sozialismus der Vorregierungen war, sondern die Sozialdemokratisierung der CDU und der CSU eingeleitet und befördert hat. Sie, Frau Merkel, verstehen sich offensichtlich als die würdige Nachfolgerin dieser politischen Grundlinie, die die CDU immer mehr von ihren Wurzeln wegführt.
- Sie sprechen z. B. von „christlichen Werten“, die ich aber vergeblich in Ihrer Politik suche. Sie haben unsere Partei „geöffnet“ – nach allen Seiten. Traditionen spielen keine Rolle mehr. Christlich oder nicht christlich – alles hat in der Union ein Zuhause, und sei es unter Aufgabe des „C“. Das Hervorheben des “C“ im Parteinamen CDU ist, seitdem Sie den Vorsitz innehaben, zunehmend zu einer lästigen Pflichtübung geworden.
- Sie sprechen von „christlichen Werten“, lassen aber zu (befürworten?), daß Abtreibung ein selbstverständliches Tötungsrecht unserer Gesellschaft wird.
- Sie sprechen von christlichen Werten, z. B. von „Familie“, lassen aber zu, daß der traditionelle Begriff der Familie in Gestalt von Mann, Frau und Kind(ern) unterhöhlt wird. Es riecht danach, daß die Patchwork-Familie als modern, die „alte“ Familie aber als überholt angesehen wird.
- Sie sprechen von „Europa“, verfolgen aber das Ziel, daß die nationalen Staaten sich „in ein großes Ganzes“ einfügen und ihre Identitäten aufgeben müssen – Multikulti-Einheitseuropa vs. Europa der Vaterländer.
- Sie sprechen nicht nur von „Multikulti“, sondern fördern diese abwegige Idee auch noch, indem Sie pausenlos von „Verstehen“ und „Öffnen für andere Kulturen“ reden.
- Sie hofieren die Muslime in unsere Gesellschaft, als sei der Islam ganz selbstverständlich ein Teil Deutschlands. Ist er aber nicht! Denn er läßt sich mit unserer abendländischen, christlich (sic!) fundierten Geschichte nicht vereinbaren. In diesem Zusammenhang ist Ihr „Kampf gegen rechts“ besonders bemerkenswert.
- Sie erklären, der Gegner stehe „links“, nehmen aber ungeniert an einem „Marsch gegen rechts“ teil. Gleichzeitig weichen Sie jeder Frage aus, wo die CDU denn eigentlich steht – links oder rechts oder was?
- In wohlfeilen Sonntagsreden sprechen Sie vom Segen der Sozialen Marktwirtschaft, merken aber nicht, daß Ihre Politik den Regeln der Marktwirtschaft widerspricht und sozialistischen Tendenzen Tür und Tor öffnet. Wir waren immer ein Gegner der SPD; das galt auch gegenüber Gerhard Schröder, dem ehemaligen SPD-Bundeskanzler. Sie lassen aber zu, daß dessen Ansätze eines Zurück zum marktwirtschaftlich orientierten Sozialstaat („agenda 2010“) von der SPD und der mit ihr koalierenden Union torpediert wird.
Ich könnte die Aufzählungen Ihres „segensreichen“ Wirkens noch vielfältig fortsetzen, will es aber damit bewenden lassen, daß ich noch einen wunden Punkt ihrer neuesten Politik auf- und angreife:
Der wunde Punkt AfD
Das Entstehen und erst recht die Erfolge der AfD stellen die Unionsparteien vor eine neue und besonders schwierige Herausforderung. Es geht zunächst gar nicht so sehr darum, ob und wieweit die AfD „rechts“ ist, sondern um die Beantwortung der Frage, ob es sich um eine demokratische Partei handelt.
Sie haben sich lange, allzu lange vor der Beantwortung dieser Frage dadurch „gedrückt“, daß Sie sie einfach übergangen haben. Aber auch hier gilt, wie bei vielem Ihrer Politik: Aussitzen ist keine Lösung.
Zum anderen geht es um die Frage, mit wem Sie langfristig gesehen koalieren können, wenn – was abzusehen ist – die CDU auf einen Koalitionspartner angewiesen ist. Die FDP ist – für mich bedauerlicherweise – am politischen Horizont kaum mehr wahrnehmbar und eine Ein-Mann-Show. Ob selbst schuld oder nicht, spielt jetzt gar keine Rolle mehr. Der liberale Partner der CDU ist damit vorerst weg.
Der SPD werden sie sich nicht dauernd an den Hals werfen können, zumal die Sozialdemokraten mit dem Überleben kämpfen und schon deshalb die nächstbeste Gelegenheit ergreifen werden, mit den echten Sozialisten der Alt-SED ins Bett zu steigen. Wenn Sie nicht durch weitere Sozialdemokratisierung die CDU zu einer SPD-Kopie (und hoffentlich jede Annäherung an die Linkspartei undenkbar) machen wollen, müssen Sie sich nach einem potentiellen Partner umschauen. Wären Wagenknecht oder Gysi für Sie ein denkbarer Koalitionspartner? Ein solcher könnte nach Lage der Dinge nur die AfD sein. Die Kernfrage würde dann aber verkürzt lauten: „Gysi oder AfD.“
Aber nicht nur taktische Überlegungen sollten Ihr Handeln bestimmen, sondern auch grundsätzliche: Die AfD bietet in weiten Bereichen ihres politischen Programmes genau das, was der Union fehlt: eine klare marktwirtschaftliche, soziale und christliche Orientierung. Ich registriere mit zunehmender Frustrierung, wie die AfD – auch in unseren Reihen, auch durch Sie – verteufelt wird, obwohl bisher jedenfalls eine politische Auseinandersetzung mit der AfD gar nicht festzustellen ist. Sie lassen schlicht diese undefinierte Verbal-Verurteilung zu, ohne eine Begründung dafür zu liefern! Das hat mit einem aufrichtigen politischen Diskurs nichts zu tun und ist schon gar keine hilfreiche Anleitung für Ihre Parteimitglieder. Ich lasse mich gerne vom Gegenteil meiner Meinung überzeugen, wenn Sie mir dafür nicht Beschimpfungen, sondern Argumente liefern.
Wiedergewinnung der bürgerlichen Mehrheit
Die AfD ist auch nicht „ausländerfeindlich“, nur weil sie auf die alarmierenden Folgen einer verfehlten Einwanderungs- und Asylpolitik hinweist. Ein Gespräch mit CDU-Bürgermeistern könnte Ihnen dazu gewiß mehr Argumente liefern. Ich aber kann mich gar nicht erinnern, daß Sie besondere Anstrengungen unternehmen, mit solchen Bürgermeistern zu einem Erfahrungsaustausch bereitzustehen.
Die strategische Dimension dieser Frage scheint mir allerdings viel bedeutender zu sein:
Es geht letztlich um die Wiedergewinnung der bürgerlichen Mehrheit in diesem Lande!
Dieses Bürgertum – mit Mittelstand und gut ausgebildeten Arbeitnehmern – ist das Rückgrat der Prosperität unseres Landes. Wir haben diese bürgerliche Mehrheit leichtfertig aufs Spiel gesetzt und damit letztlich eine Verteil- statt eine Erwerbs-Mentalität gefördert. Das Anspruchsdenken an diesen Staat ist unter Ihrer Ägide, Frau Merkel, schneller gewachsen als der Drang nach eigener Leistung. Wir sind eine Volk von „Anspruchsberechtigten“ – und schon längst kein Volk von Leistungserbringern mehr.
Verehrte Frau Merkel, dieser Brief hätte einen noch größeren Umfang, wenn ich alles niederschriebe, was mich bedrückt und was unsere deutsche Nation und den Zusammenhalt des deutschen Volkes gefährdet. Nicht nur das! Sie wollen weiter Kanzlerin bleiben, deshalb ganz deutlich: Ihre Politik gefährdet auch den Zusammenhalt der Nationen Europas. Ich habe mein politisches Leben lang – seit 1959 – für ein Europa der Völkerverständigung, für ein Europa der Vaterländer – unter Wahrung der jeweiligen nationalen Eigenständigkeit – gekämpft und bin dafür mit vielen nationalen und internationalen Auszeichnungen geehrt worden. Ich wehre mich dagegen, daß Sie dies alles in Frage stellen und der Beliebigkeit anheim geben.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Helmes
P.S.: Ich gebe diesen Offenen Brief separat auch der neuen CDU-Vorsitzenden, Frau Kramp-Karrenbauer, weiter. Wenn Sie ihn aufmerksam liest, weiß Sie, welche Versäumnisse sie aufarbeiten muß – so sie will. Dafür wünsche ich Ihr Kraft und Mut.