(www.conservo.wordpress.com)
Ein Gastbeitrag von Dr. Udo Hildenbrand *)
Die alternativ formulierte Überschrift „EUROPA DER VATERLÄNDER“ oder „EUROPA ALS SUPERSTAAT“ signalisiert die aktuelle Auseinandersetzung um die künftige politische und gesellschaftliche Gestalt des europäischen Kontinents. Daraus ergibt sich eine Reihe von Fragen:
* Wird sich dieser Kontinent weiterhin auszeichnen als „Europa der Vaterländer“, in dem sich die europäischen Nationen auch in Zukunft ihre jeweils eigene nationale Identität bewahren bei gleichzeitiger Bereitschaft zu offenen Grenzen sowie zur höchstmöglichen Zusammenarbeit auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens, auch im Wahrnehmen der Eigenverantwortung und dem Willen, Verantwortung zu teilen?
* Wird die Idee vom „Europa der Vaterländer“ gerade auch im Wissen um das gemeinsame Wertefundament, das die europäischen Nationen miteinander verbindet, konkrete Gestalt annehmen oder wird diese Idee bald ganz der Vergangenheit angehören?
* Sollen die Kulturräume der europäischen Völker Zug um Zug auf dem Weg der kulturellen Selbstauflösung und Selbstzerstörung eingeebnet werden durch eine mehr als fragwürdige „Multi-Kulti-Politik“ bzw. durch das Anstreben einer „europäischen Souveränität“ (Macron), letztlich also einer Eigenstaatlichkeit Europas in einem „nachnationalen Europa“ (Robert Menasse)?* Sollen die durch viele Jahrhunderte geprägten Kulturlandschaften, in denen die einzelnen europäischen Länder außerordentliche Kulturleistungen hervorgebracht haben, Gefahr laufen, allmählich durch die Auflösung der souveränen Nationalstaaten ausgelöscht zu werden, indem diese gezwungen werden, ihre nationalen Eigenständigkeit schrittweise abzutreten?
* Soll der kulturell reich gefüllte Schatz der europäischen Völker – Sprache, Traditionen und Brauchtumsformen, Architektur und Kunst, Literatur und Musik, Forschungen, Entdeckungen und wissenschaftliche Erkenntnisse – zunächst möglichst verdrängt, geringgeachtet und schließlich gänzlich aufgegeben werden?
* Sollen die europäischen Nationen im Zuge eines fragwürdigen globalisierten Denkens vor allem auch auf die unersetzbaren menschlichen Werte wie Heimat und Lebensweise, Geborgenheit und Identität ihrer jeweiligen Bevölkerung verzichten, auf Werte, die anderen Ländern und Nationen wie selbstverständlich zugestanden werden? Ist diese ideologiebedingte Entwurzelung, dieser zugemutete Heimat- und Identitätsverlust von Millionen von Menschen in Europa einfach so hinzunehmen?
Es geht also um eine alternative Entwicklung des europäischen Kontinents: EUROPA als eine differenzierte, durch Nationenvielfalt geprägte STAATENGEMEINSCHAFT bzw. als ein STAATENBUND, dem sich die einzelnen Staaten in freier, demokratischer Entscheidung anschließen, miteinander einen Bund schließen – oder EUROPA als gesichtsloser zentralistischer SUPERSTAAT bzw. als eigenstaatliche „EUROPÄISCHE REPUBLIK“, in der die europäischen Nationalstaaten so gut wie keine Bedeutung mehr haben. Bei dieser Entscheidung geht es auch um den Erhalt bzw. um die schrittweise Zerstörung der abendländischen Kultur.
„Europa der Vaterländer – die präferierte oder abservierte Idee für Europa?
Nach den beiden unseligen Weltkriegen im 20. Jahrhundert war die Zielvorstellung vieler Politiker in Europa: das Zusammenleben der europäischen Völker in Frieden und Sicherheit nach den Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Rechts- und Gesellschaftsordnung. Auf den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle geht die Formel vom „Europa der Vaterländer“ zurück (1959). Die Gründer der europäischen Gemeinschaft gingen wohl mehrheitlich von einem „Europa der Vaterländer“, vom Europa der Völker und Nationen aus.
Die Formulierung „Europa der Vaterländer“ wurde von vielen Menschen, die von der Idee eines gemeinsamen Europas überzeugt waren, begeistert aufgegriffen. Jahrzehntelang war für sie sodann diese Vorstellung von Europa die Vision schlechthin: Die Einheit der europäischen Völker in einer freiheitlich demokratischen Werteordnung.
Obwohl das „Zusammenspiel“ der europäischen Staaten derzeit alles andere als erfreulich ist, gilt diese Vorstellung für viele europa-affine Menschen ungebrochen auch heute noch: Ein „Europa der Vaterländer“, ein „Europa der Völker“, das sich auszeichnet durch offene innereuropäische Grenzen und Rechtsstaatlichkeit sowie durch ein Zusammenleben in Frieden und Freiheit, in Sicherheit und in gegenseitiger Solidarität. Zu diesen Werten zählt auch die Angleichung der Lebensverhältnisse, das Herstellen der Chancengleichheit in den europäischen Staaten bei jedoch gleichzeitig bestehender Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Staaten.
Europa ohne Nationalstaaten: Ein herumschwirrende Idee
Die Abschaffung der europäischen Nationalstaaten zugunsten eines europäischen „Superstaates“ war bis vor nicht allzu langer Zeit de facto kein Gegenstand breiter öffentlicher Diskussionen. Die Vorstellung von den „Vereinigten Staaten von Europa“ gab es allerdings schon im Heidelberger Programm der SPD (1925-1959). Den Sozialdemokraten brachte es damals das Schimpfwort „vaterlandslose Gesellen“ ein.
Der oben bereits erwähnte Schriftsteller Robert Menasse, der vor wenigen Tagen mit der Carl-Zuckmayer-Medaille ausgezeichnet wurde, veranschaulichte im Jahr 2012 in erstaunlicher Offenheit seine Vorstellung von der Überwindung der europäischen Nationalstaaten, auch durch die Abschaffung der Demokratie in Europa mit folgender Forderung: Man muss
„sich mit dem Gedanken anfreunden, die Demokratie erst einmal zu vergessen, ihre Institutionen abzuschaffen, soweit sie nationale Institutionen sind, und dieses Modell einer Demokratie, das uns so heilig und so wertvoll erscheint, dem Untergang zu weihen. Wir müssen stoßen, was ohnehin fallen wird, wenn das europäische Projekt gelingt. Wir müssen dieses letzte Tabu der aufgeklärten Gesellschaft brechen: dass unsere Demokratie ein heiliges Gut ist“ (zitiert in: „Die Welt“,10.1.2019).
Weitere besorgniserregende Einstellungen und Äußerungen
Seit einigen Jahren fühlen sich offensichtlich viele Menschen in den Staaten Europas immer mehr in ihrer kulturellen Identität bedroht. Viele befürchten auch die Auflösung der nationalen Souveränität ihres Landes, herbeigeführt durch eine insbesondere „von Brüssel“ ausgehende und durch Bürgerferne gekennzeichnete Europapolitik.
Diese Politik möchte in zentralistischer Manier möglichst viele Kompetenzen von den europäischen Staaten weg an sich ziehen. Sie entfaltet dabei eine Regulierungsmaschinerie, die alles, bis in die kleinsten Einzelheiten hinein, vorschreibt. Erinnert sei hier nur an die vielfach verspottete EU-Gurkenverordnung zur maximalen Krümmung der Gurken. Viele Menschen befürchten die Auflösung der traditionellen Gesellschaften in Europa und eine tiefgreifende Umgestaltung der europäischen Politik und ihrer Institutionen in Richtung eines zentralistisch-amorphen Staatengebildes namens „Europäischer Bundesstaat“ bzw. „Europäische Republik“. Dabei ist die These nicht von der Hand zu weisen, dass zentralistische Systeme in besonderer Weise dafür anfällig sind, in den Totalitarismus abzudriften (vgl. dazu oben das Zitat von R. Menasse).
Jene Menschen in unserem Land, die einen immer größer werdenden nationalen und kulturellen Souveränitätsverlust befürchten bzw. feststellen, sehen diesen mitverursacht auch durch zahlreiche Politiker/innen, denen die Begriffe „Volk“, „Nation“, „Vaterland“ und „Heimat“ nicht mehr über die Zunge kommen – es sei denn in einem abwertenden Kontext. Offene Abneigung, sogar spürbarer Hass gegen das eigene Land scheinen sich mitunter hinter solchen Verhaltensweisen zu verstecken.
Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist die Grünen-Politikerin Miene Waziri mit ihrem ideologieverblendeten, zutiefst unmenschlichen Vernichtungswunsch: „Ich wünschte Deutschland wäre im zweiten Weltkrieg vollständig zerbombt worden. Dieses Land hat keine Existenzberechtigung.“ Dazu ist hier nur zu bemerken: Menschen ohne ausgeglichenen Patriotismus, mit Hass gegen das eigene Herkunftsland, gegen die eigene Heimat, sind häufig psychisch geschädigt, oft auch mit nur geringem oder gar keinem Selbstvertrauen ausgestattet.
Ebenso werden durch jene Politiker/innen Ängste dieser Art hervorgerufen, die offensichtlich keinerlei Kenntnis mehr haben vom kulturellen Reichtum ihres eigenen Landes oder diesen Reichtum schlichtweg leugnen bzw. als inexistent betrachten. Wie weit gehen doch viel zu viele Politiker/innen am Denken und Fühlen der Menschen vorbei.
Ein Spanier will in der Regel immer ein Spanier bleiben
Obwohl von der europäischen Idee durchaus überzeugt, oft sogar begeistert, will dennoch auch heutzutage in der Regel z. B. ein Spanier, immer ein Spanier bleiben, ein Pole ein Pole, ein Franzose ein Franzose und so ein Deutscher immer auch ein Deutscher. Entsprechend lehnen wohl auch die meisten Nationalbevölkerungen in Europa die Überwindung der Nationalstaaten ab. Die allerwenigsten Europäer dürften den Wunsch haben, unter Verzicht ihrer nationalen Staatsbürgerschaft Bürger eines europäischen Staates zu werden. Sie wollen keine „europäische Staatsbürger“, vielmehr Staatsbürger ihres Landes in einem allerdings vereinten Europa sein und bleiben.
Eine in allen europäischen Ländern durchgeführte Volksbefragung zur künftigen Gestalt Europas unter der alternativ formulierten Überschrift „Die Einheit Europas im Erhalt der Vielfalt der Nationen oder durch die Abschaffung der Nationalstaaten“ dürfte höchstwahrscheinlich ein Ergebnis zeitigen, das eindeutig den Erhalt der Nationenvielfalt präferiert. Jene Politiker/innen, die für die Abschaffung der europäischen Nationalstaaten sind, dürften eine entsprechende Umfrage mit allen Mitteln zu verhindern suchen.
Steht so hinter der keineswegs abservierten Zielvorstellung vom „Europa der Vaterländer“ nicht letztlich auch die einzig überzeugende, fruchtbare und auch menschenwürdige Multi-Kulti-Politik? In der Einheit die Vielfalt bewahren. Konkreter: In dem einen Europa die Völker in ihrer nationalen und kulturellen Vielfalt und landesspezifischen Lebensweise stärken und bewahren bei gleichzeitiger Offenheit für das Ganze der Staatengemeinschaft und in gegenseitiger Solidarität, Achtung und Wertschätzung.
In diesem einen vereinigten „Europa der Völker“ wird dabei auch die Erkenntnis wachsen: Je stärker und entwickelter jedes einzelne europäische Land durch eigenstaatliche Anstrengungen, aber auch durch die gegenseitige Unterstützung und Solidarität der Staaten untereinander nach den Prinzipien der Subsidiarität ist, desto mehr wird es zur Stabilität, fruchtbaren Weiterentwicklung und Bedeutung des gesamten Kontinents beitragen.
Dieses dann in sich starke und geeinte „Europa der Völker“ würde von seinem Selbstverständnis her auch durch eine Politik im Geist der Völkerverständigung und guter internationaler Zusammenarbeit positiv prägend ausstrahlen auf die weltweite Völkergemeinschaft, zugleich aber auch die berechtigten Eigeninteressen der Völker des europäischen Kontinents wirksam schützen und bewahren.
Nationale Souveränitätsrechte abtreten
Gewiss würden auch in einem künftigen „Europa der Vaterländer bzw. der Völker bzw. der Nationen“ die europäischen Staaten an das dann existierende europäische Leitungsgremium ein bestimmtes Maß an Selbstbestimmung und Selbstständigkeit abgeben, auf gewisse nationale Souveränitätsrechte delegieren müssen, ohne dabei jedoch ihre jeweilige Eigenstaatlichkeit aufzugeben. Davon wären gewiss wohl alle Politikbereiche tangiert. Die Bereitschaft, nationale Souveränitätsrechte zu teilen bzw. teilweise auch abzutreten, geschieht insbesondere auch im Wissen, dass keine europäische Nation gleichsam im Alleingang den heutigen und erst recht den künftigen globalen Herausforderungen gewachsen sein wird.
Wie aber kann nun diese Einheit des europäischen Kontinents – „funktionieren“, wenn die Vielfalt der 45 europäischen Nationen (ohne Türkei und Russland) erhalten bleiben soll? Gibt es dafür ein einigermaßen brauchbares und anschauliches Beispiel?
Die Katholische Kirche als Modell?
Wir Menschen lieben Vergleiche, wohl wissend, dass diese immer „hinken und humpeln“ (K. Klages). Für manche Leser/innen dieser Zeilen wohl überraschend, sei hier bei der Suche nach einem Vergleichsmodell auf die Struktur der Katholischen Kirche verwiesen.
(Exkurs: Was viele nicht wissen: Die Sterne in der Europaflagge haben ihr Vorbild in den Sternen der Madonnendarstellungen!)
Sie ist mit rund 1,3 Milliarden Mitgliedern die weltweit größte Religionsgemeinschaft, auch die größte Institution der Erde mit einer hohen Differenzierung der kirchlichen Organe, Organisationen, Institutionen, Verbände und (Ordens-)Gemeinschaften. Mit ihrer 2000 jährigen Geschichte ist sie in allen Kontinenten und in nahezu allen Völkern beheimatet. Die territoriale Ausbreitung der Katholischen Kirche, die Anzahl ihrer Mitglieder, die historische und multiethnische Dimension ihrer Existenz sind – bei allen Einschränkungen – wohl hinreichende Gründe, einem Vergleich dieser Art einmal gedanklich nachzugehen. Dabei ist der entscheidende Vergleichspunkt: Die Internationalität der Kirche und Europas einerseits und die nationale Struktur der Kirche und Europas andererseits.
Katholische Kirche als „Multikulti-Gemeinschaft“
Im Hinblick auf ihre quantitative Größe und Ausbreitung sowie hinsichtlich der zeitlichen Dimension ihrer Existenz stellt die Katholische Kirche eine „Multi-Kulti-Gemeinschaft“ eigener Art dar, eine „Multi-Kulti-Gemeinschaft“ im eigentlichen und wahrsten Sinn dieses Wortes, basierend auf ihrer theologisch-inhaltlichen Ausrichtung (vgl. unten).
Dadurch können die mit ihrer Kirche verbundenen katholischen Christen sich ihrer geistig-geistlichen Natur nach immer als wahre „Multikulturalisten“, ebenso als wahre „Internationalisten“ verstehen. Nationalistisches Denken muss ihnen jedoch äußerst zuwider sein. Diametral steht es dem katholischen Selbstverständnis entgegen. Keineswegs jedoch ein nationalbewusstes, patriotisches Denken und Fühlen, das das eigene Heimatland liebt, das jedoch uneingeschränkt ein gleiches Denken und Fühlen den Menschen überall in der Welt zuerkennt und erwünscht. Wer sich also engagiert für ein „Europa der Vaterländer“, für ein „Europa der Völker“ ist damit keineswegs rechtsextrem oder gar nationalistisch gesinnt. Vielmehr zeigt er dadurch eine menschliche, eine durchaus auch christlich legitime Grundhaltung und eine realistische Lebenssicht zugleich.
Unvergleichbare Strukturen?
Die Struktur der Katholischen Kirche und die (künftige) Struktur Europas: Ein – zugegeben – etwas eigenwilliger Vergleich, der sicher auch Widerspruch evoziert. Kritiker könnten z. B. auf die ausgeprägte hierarchische Struktur und die nichtdemokratischen Elemente in der Katholischen Kirche verweisen.
Doch bei allen zweifellos bestehenden Ungleichheiten der Vergleichspunkte („Katholische Kirche“ und „Europa“) soll hier versucht werden, in stark komprimierter Form diesem etwas ominös anmutenden Vergleich zunächst ein biblisches und theologisch-ekklesiologisches Fundament zu geben mit dem Ziel, diesen Vergleich verständlich zu machen. Zugleich soll auf einige Einwände, die im Kontext dieser Überlegungen auftauchen könnten, wenigstens andeutend eingegangen werden.
Biblische Perspektiven
− Die grundlegend multi– oder transnational, multiethnisch, universal bestimmte Struktur der Katholischen Kirche liegt theologisch wohl am Tiefsten begründet in der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen (vgl. Gen 1,26f; 2 Kor 4,4; Hebr 1,3). Mit dieser Gottesebenbildlichkeit ist aufs Engste verbunden die einzigartige Würde, die von Gott her unter allen Geschöpfen nur den Menschen zugedacht ist, unabhängig von deren jeweiliger Rasse und ethnischen Zugehörigkeit. Diese in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen begründete Würde entspricht auch die Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit eines jeden Menschenlebens.
− Dass nach christlicher Lehre Gott selbst in Jesus Christus die Gestalt eines Menschen annahm (vgl. z.B. Phil 2,6f), bestätigt auf eigene unüberbietbare Weise diese einzigartige Würde des Menschengeschlechtes, das dadurch Anteil an der göttlichen Natur des menschgewordenen Gottessohnes erhalten hat (vgl. 2 Petr 1,4).
− Mit dieser Gottesebenbildlichkeit und einzigartigen Würde des Menschen korrespondiert zugleich der universale, völkerumspannende Sendungsauftrag, den Jesus seinen Jüngern zur der Verkündigung seiner Botschaft mit auf den Weg gegeben hat:
„Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern, tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,18–20).
Die Zielrichtung dieses jesuanischen universalen Sendungsauftrages verweist somit ausdrücklich auf alle Völker und auf alle Menschen dieser Erde.
− In diesem Sendungsauftrag Jesu spiegelt sich auch die biblische Lehre vom Heilsuniversalismus: Allen Menschen gilt die Heilszusage, das Heilsangebot Gottes: Gott will nämlich, „dass alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim 2,4).
− Als Wanderprediger hat Jesus jedoch selbst seine Botschaft vom Reich Gottes dorthin getragen, wo die Menschen „vor Ort“ lebten (vgl. z.B. Mt 8,20; Mk 6,7; Lk 13,22). Seine Jünger gründeten zahlreiche Ortsgemeinden (z. B. Rom, Korinth, Ephesus). Im Laufe der Jahrhunderte wurde in allen Kontinenten eine nahezu unüberschaubare Anzahl christlicher Gemeinden gegründet.
* Eine Fülle alt-und neutestamentlicher Texte verweist auf „die Völker“, einige neutestamentliche verwenden zusätzlich den Begriff „Nation“.
Die universale, nationale und territorial-örtliche Bestimmung der Kirche
In diesen „Skizzen“ können Hinweise entdeckt werden auf das biblisch begründbare differenzierte Erscheinungsbild der Katholischen Kirche in ihrer weltweiten strukturellen Sichtbarkeit und Vernehmbarkeit. Sie besteht nämlich im Wesentlichen aus dem Dreiklang ihrer 1. universalen, 2. nationalen und 3. regional-territorial-örtlichen Identität, und etwas konkreter: in der Grobstruktur Weltkirche – Bistümer (Teilkirchen) – Pfarrgemeinden.
Es ist ein Dreiklang der Einheit in der Vielfalt. Die universale Kirche versteht sich also als eine Einheit im Glauben in der Vielfalt der Nationen, Völker und Rassen mit ihren differenzierten kulturellen und strukturellen Ausprägungen. Diese universal, national und territorial-örtlich bestimmte Einheit der Kirche ist eine Einheit, die alles andere als Uniformität bedeutet, vielmehr in vielen Bereichen eine bunte Pluralität entfaltet.
Die Kirche kein zentralistisch-monolithisches Gebilde
Auch wenn der Papst als Garant dieser Einheit der hierarchisch gegliederten Kirche verstanden und erfahren wird, auch wenn „alle Wege nach Rom führen“ (nach einem Buchtitel von Adalbert Seipolt), so zeigt sich die Kirche dennoch keineswegs als ein einseitig zentralistisch-monolithisches Gebilde. Sie besteht vielmehr wesentlich und immer zugleich auch aus der Lebendigkeit der Bistümer, Pfarrgemeinden und (klösterlichen) Gemeinschaften sowie aus Vereinigungen vielfältiger Art in den Völkern und Nationen dieser Welt unter der Leitung ihrer jeweiligen Bischöfe. Diese haben ihr Hirtenamt auszuüben in der Nachfolge und in der Autorität der Apostel, allerdings immer auch in der Einheit mit dem Petrusamt des Papstes.
Die Kirche kann als Glaubensgemeinschaft nie eine Demokratie sein, weil über den Glauben nicht abgestimmt werden kann. Dennoch ist sie auf vielfältige Weise geprägt von demokratischen Elementen wie z.B. von Wahlen auf den unterschiedlichen kirchlichen Ebenen. Im Übrigen hat sich die Demokratie entwickelt auch aus dem Erbe des christlich-abendländischen Denkens. Bezeichnend ist in diesem Kontext zudem, „dass die überwiegende Mehrzahl der Demokratien auf dem Boden christlich geprägter Staaten heimisch ist“ (M. Brocker).
Soweit diese kurzen biblischen und theologisch-ekklesiologischen Hinweise. Trotz aller möglichen Bedenken und Einschränkungen ob dieses hier vorgeschlagenen eigenwilligen Vergleichs könnte es vielleicht doch möglich sein, in der differenzierten, in zwei Jahrtausenden gewachsenen, auch weithin bewährten Struktur der Katholischen Kirche eine Organisationsstruktur bzw. ein strukturelles Modell für das künftige Zusammenleben der Völker und Nationen Europas in einem „Europa der Vaterländer“, in einem „Europa der Völker“ zu erkennen.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Ausdifferenzierung der staatlichen und kirchlichen Strukturen sollen hier stichwortartig einige Parallelen zwischen den Vergleichspunkten universale/nationale Kirche und Gesamteuropa/Nationalstaaten in Europa (in der „Grobstruktur“) aufgezeigt werden.
Vergleichsebene I: Universale Kirche – Europa der Nationen
- Kirche weltweit: Ein gemeinsamer Glaube, eine universale kirchliche Glaubensgemeinschaft in allen Kontinenten, basierend auf der biblischen Botschaft und den kirchlichen Dogmen
Europa der Nationen: Ein gemeinsames Wertefundament, basierend auf der Werteordnung der biblischen Botschaft und der daraus entstandenen christlich-abendländischen Kultur sowie der Aufklärung , wie sie auch in der UN-Menschenrechtskonvention von 1948 zum Ausdruck kommt
- Kirche weltweit: Die internationale oberste Leitung der Kirche: Papst (die nationale Herkunft eines Papstes ist grundsätzlich kein Kriterium seiner Wahl) mit derzeit 120 Kardinälen aus den weltweit unterschiedlichsten Ländern, die auch den Papst wählen; das weitere international besetzte Leitungsgremium der Kirche; weitere Mitarbeiter/innen aus den verschiedensten Ländern der Erde
Europa der Nationen: Das Leitungsgremium der Europäischen Union, gewählt von der Bevölkerung aller europäischen Länder, das ggf. auch den Vorsitzenden/Präsidenten wählt, Mitarbeiter/Innen aus allen europäischen Ländern
- Kirche weltweit : Die universale römische Liturgie (zusätzlich 24 kleinere Partikularriten); Kirche als universale Gottesdienstgemeinschaft; Gregorianik
Europa der Nationen: Die europäische Kultur, bestehend aus der Vielfalt der Kulturen der europäischen Länder; europäische Kulturgemeinschaft; europäisch geprägte Musik.
- Kirche weltweit: Kirchliches Gesetzbuch (Codex Iuris Canonici) mit weltweiter Geltung; Kirche als universale Rechtsgemeinschaft
Europa der Nationen: Europäische Gesetzgebung in Korrespondenz zur nationalen Gesetzgebung; Europa als Rechtsgemeinschaft; Gewährleistung der Menschen- und Bürgerrechte
- Kirche weltweit: Offene Grenzen im Raum der Kirche: Weltweit können kath. Christen gemeindliche Gottesdienste mitfeiern, kath. Priester zelebrieren, Sakramente spenden, kath. Lehrer dozieren
Europa der Nationen: Offene innereuropäisch Grenzen; gemeinsame europäische Außengrenzen
Vergleichsebene II: Nationale kirchliche Strukturen – Nationale staatliche Strukturen
1.Kirche weltweit: Liturgie in jeweiliger Landessprache
Europa der Nationen: Vielfalt der Landessprachen, der Dialekte
- 2. Kirche weltweit: Diözesane (teilkirchliche) Strukturen in den einzelnen Ländern: Jeder Diözese steht ein Bischof vor als Nachfolger der Apostel – In jeder Diözese eigenes Diözesanrecht, eigene pastorale Strukturen, eigenes Finanzwesen, eigene Traditionen, eigene Frömmigkeits-und Brauchtumsformen, oft auch eigenes Liedgut
Europa der Nationen: Jeder Staat hat gewählte Regierung mit differenzierten Organen und Institutionen; Eigenstaatlichkeit, eigene Souveränität; landesspezifische Brauchtumsformen, kulturelle Besonderheiten
- Kirche weltweit: Solidarität : z. B. in Deutschland; Misereor-Adveniat-Aktionen; Sternsinger-Aktion der Kinder; Tätigkeit von Priestern-Ordenschristen aus anderen Kontinenten- Patenschaften mit Gemeinden in anderen Kontinenten
Europa der Nationen: Solidarische Hilfsaktionen
Die Nationen Europas als entscheidende Stabilitätsfaktoren der künftigen europäischen Union
Welchen Weg wird Europa in Zukunft gehen? Welche Gestalt wird der europäische Kontinent in absehbarer Zeit, in den kommenden Jahren und Jahrzehnten annehmen? Welche mehr als notwendigen Reformen wird die Europäische Union möglichst zeitnah auf den Weg bringen müssen, um einem weiteren Zerfall zu entgehen?
Über diese und ähnliche Fragen wird bei den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament am 26.Mai 2019 (in Deutschland) zumindest ein Stück weit mitentschieden werden. Dabei werden einige wichtige Weichen für die Reise in die europäische Zukunft gestellt und damit auch in die Zukunft der Nationalstaaten Europas. Wird das Jahr 2019 tatsächlich „ein Schicksalsjahr werden, das in die Geschichtsbücher eingehen wird“ (Manfred Weber)?
In den wenigen Monaten vor dieser Wahl werden hoffentlich noch viele Diskussionsräume auf allen gesellschaftlichen Ebenen, auch in den Medien eröffnet werden. Wünschenswert wären konstruktive Auseinandersetzungen, in denen die Karten mit den gegensätzlichen Standpunkten zur Zukunft Europas offen auf den Tisch gelegt werden. Der vorliegende Artikel versteht sich als ein Plädoyer für ein demokratisches Europa, das in den europäischen Nationalstaaten und durch sie vereint ist bzw. in Zukunft noch enger vereint sein wird. Denn nur durch die eng miteinander verbundenen europäischen Staaten, die den Menschenrechten der UN-Charta verpflichtetet sind, wird sich Europa zu einem starken Kontinent entwickeln können.
Nur in dieser engen Verbindung der europäischen Völkergemeinschaft kann Europa auch den enormen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Belastungen standhalten, die auf unseren Kontinent möglicherweise zukommen werden vor allem durch die zu befürchtenden Ströme von vielen Millionen insbesondere afrikanischer Migranten. Die damit verbundenen massiven Probleme werden – wenn überhaupt – nur durch gemeinsame Anstrengungen der europäischen Nationen beherrschbar sein.
Durch das Ausbluten der europäischen Nationalstaaten jedoch zugunsten eines zentralistischen und gesichtslosen Europäischen Superstaates, einer transnationalen europäischen Republik würde Europa zu einem schwächelnden, immer kraft- und bedeutungsloser werdenden Koloss degenerieren. Zum Einfallstor zugleich auch für die unterschiedlichen demokratie-und freiheitsfeindlichen Bestrebungen, die den europäischen Kontinent wahrscheinlich künftig von innen und außen noch stärker als bisher bedrängen werden.
Nur ein starker europäischer Kontinent, der geprägt ist von europäischen Nationen, die mit- und untereinander in enger Abstimmung verbundenen sind, dürfte vermehrt auch aufkommenden zerstörerischen Kräften erfolgreich Widerstand leisten können. Deshalb müssen im weiteren Verlauf des europäischen Einigungsprozesses die europäischen Nationalstaaten ein unersetzbares Konstitutiv bleiben. Sie sind die entscheidend-prägenden Stabilitätsfaktoren der künftigen europäischen Union.