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Von Peter Helmes
Das europäische Schwungrad steht jetzt in Paris, aber eiert
Ein Visionär ist gefunden, ein neues Europa erscheint: Emmanuel Macron, der Sonnenkönig aus dem Elysée, ruft zu einer „Neugründung der EU“ auf. ´Ne Nummer bescheidener wäre einem Präsidenten der Grande Nation nicht möglich gewesen. Das ganze Europa muß es sein.
Macron stellt in einem „Rundschreiben“ an (nahezu) alle Bürger Europas, 500 Millionen in 28 Staaten, nicht nur seine „Visionen“ vor – sondern die bisherige (ungekrönte) Königin Europas, Madame Merkel, tief in den Schatten. Ihr waren die Ideen ausgegangen, jener hat sie – auch wenn da kaum Brauchbares dabei ist. Es lebe die Idee, es lebe die Bewegung – also: „en marche“, vulgo: „los!“ Das europapolitische Schwungrad hat seinen (angestammten?) Platz verlassen, es steht im Augenblick in Paris.
Kaum ein Vorschlag ist neu, neu ist nur das Pathos, mit dem die „Ideen“ vorgeschlagen werden. Ach ja, es stehen Wahlen vor der Tür, Europawahlen. Und da sollte man das Volk auf die wichtigen und richtigen Führer aufmerksam machen. Sie führen nach dem Motto: „Es gibt keine Probleme, es gibt nur Herausforderungen!“ Sagen sie jedenfalls. Und diese Herausforderungen werden vom französischen Präsidenten gemeistert werden, schreibt er jedenfalls. Und trompetet in seinem unnachahmlichen Ton voller Leidenschaft: “Voilà, le roi c´est moi! Ich bin der neue Erlöser!“Dabei klingen die vielen (rhetorischen) Fragen, die er aufwirft, eher wie Rufe der Verzweiflung, wie Rufe nach Hilfe. Da klingt er gar menschlich. Gut instrumentalisiert! Das können die Franzosen: Pathos! Das macht sie glaubwürdig, eindringlich und überzeugend.
Die Motivation, die seine Rede ausstrahlt, wirkt überzeugend – auch weil sie scharfsinnig aussieht.
Anti-rechte Ressentiments
Er verweist auf das historische Versöhnungsprojekt, das Europa einem zerstörten Kontinent bot und greift tief in die Kiste antirechter Ressentiments. Das kennen wir schon: Wenn die eigenen Ideen nicht ausreichen, wird nach einem Popanz gesucht. Den bläst man auf, um ihn mit Getöse platzen lassen zu können.
Der neue Po-panz heißt Po-pulismus! Er bedroht Europa, und er ist schuld an der ganzen Misere: Unsere Demokratien (hä?) werden ausgehöhlt durch tumbe Nationalisten. Nach europäischer Lesart gewinnen „die Sektierer, die Spalter, die Populisten“ in ganzen Ländern mittlerweile die Oberhand, siehe Italien. „An die Waffen, Bürger, auf sie mit Gebrüll! Allons, enfants de l´Europe!
Das war´s dann aber auch!
Grenzschutz zulasten nationaler Souveränität
Der Rest seiner „Ideen“ ist nichts als eine althergebrachte Mischung aus Projekten, die längst in Arbeit sind und immer wieder am Streit unter den Mitgliedstaaten scheitern, wie die Asylpolitik – deutlicher: der Schutz unserer Grenzen. Nach Macrons Meinung – und der vieler „Europäer“ – müßten die europäischen Mitgliedsstaaten Souveränität abgeben; denn der Grenzen-Schutz ist nach wie vor national organisiert. Das heißt aber, die einzelnen Mitgliedstaaten müßten noch mehr Souveränität aufgeben; die Außengrenzen würden „vergemeinschaftet“. Da aber werden die nationalen Mitgliedsstaaten nicht mitspielen.
Und dann – typisch französischer Etatist – der Ruf nach neuen „staatlichen“ Eingriffen und Behörden, wie nach einer „Agentur für den Schutz der Demokratie“, i.e. eine Agentur zum Schutz vor Wahlmanipulationen, oder einen „Europäischen Rat für Innere Sicherheit“. Wenig originell! Und wenig akzeptabel für die europäischen Nachbarn, die von solchen Ideen aus grundsätzlichen Erwägungen wenig halten, zumal Vieles oft an der Weigerung scheitert, noch mehr nationale Souveränität abzugeben.
Und generell bemerkt: Wir brauchen nicht für alles gleich neue Institutionen! Wir haben schon genug, nein, viel zu viele Behörden, Instanzen, Gremien, sondern viel wichtiger wäre es, die bestehenden Institutionen und ihre Aufgaben voll auszuschöpfen – und zu kontrollieren.
Beispielsweise: Die soziale Grundsicherung von Nord bis Süd und ein europaweiter Mindestlohn sind keine neue Idee. Sie klingen nach einer Antwort auf die Gelbwesten in Frankreich und ansonsten nach sehr viel Zukunftsmusik.
Aus französischem Grundverständnis heraus geplante staatliche Regelungen sind schon per se in vielen Ländern nicht willkommen – etwa seine Ideen zur Regelung des Wettbewerbs und vor allem zu einer im Grunde EU-staatlich gesteuerten Industriepolitik. Das steht fest in französischer Tradition: Fast immer steht der Staat und seine Machtvollkommenheit an erster Stelle.
Aber das Pathos kennt noch Steigerungen: Macron hat Großes vor:
– Einen Vertrag über Verteidigung und Sicherheit, im Einklang mit der Nato.
– Einen europäischen Sicherheitsrat unter Einbeziehung Großbritanniens. Und, noch gewagter:
– ein Europa, in dem Großbritannien einen vollwertigen Platz hat.
Und das sagt der französische Präsident just zu dem Zeitpunkt, in dem der Brexit ins Haus steht. Visionen sind halt Träume. Umsetzbar erscheint mir allerdings sein Vorstoß für einen gemeinsamen Grenzschutz. Dafür müssten die Länder mit Schengen-Außengrenzen jedoch Souveränität abgeben – die alte Kalamität.
Macrons europäischer „Wurf“ hat etwas geradezu Rührendes. Pathetisch der Ruf nach einer Neuerfindung der Zivilisation, nach einem Neubeginn Europas, wie er das schon verlangt hat. Mit Realpolitik hat das alles wenig zu tun.