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Von Peter Helmes
Zu viele junge Menschen ohne Ausbildung – Die Zahl derjenigen, die im Alter von 20 bis 34 J. keinen Berufsabschluß haben, liegt auf Rekordhoch und ist noch mal im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.
Über 14 Prozent der jungen Erwachsenen haben keinen beruflichen Abschluß in der Tasche. Das geht aus dem neuen Berufsbildungsbericht hervor, der vor kurzem vorgestellt wurde. Deutlich wurde auch: Migranten sollen zunehmend die Lücken füllen, die sich bei den Nachwuchskräften in den Betrieben auftun. Welch eine Hoffnung!
Die schlechte Nachricht zuerst: Noch nie zuvor gab es so viele junge Menschen ohne Berufsausbildung wie heute. Die Zahl der Ungelernten zwischen 20 und 34 Jahren hat einen neuen Negativrekord erreicht.
Förderprogramme zur beruflichen Bildung: Zu viele Angebote, zu unklare Zielsetzung. Vor allem hier liegt es im Argen!
Der Berufsbildungsbericht ist rd. 200 Seiten stark, allein 30 Seiten sind gefüllt mit allen möglichen Förderprogrammen, die es da gibt. Man kann also beileibe nicht sagen, daß es zu wenig Angebote gibt.
Nein, leider zu viele. Man braucht eine „gefühlte Ewigkeit“, nur um eine Bestandsaufnahme zu machen, welche Förderprogramme es gibt.
Vom Bund, von den Bundesländern und auf kommunaler Ebene gibt es welche, dann gibt es von den Unternehmen welche und noch zahlreiche andere. Und vor allem: Viele Modellprojekte, viele dieser Programme sind befristet – und das ist ein Hemmschuh für eine nachhaltige Förderung.Weniger wäre mehr
Da werden Strukturen aufgebaut, und dann läuft das Programm nach Jahren aus, wird irgendwann wieder aufgelegt, unter neuem Namen, aber in der Zwischenzeit werden die Strukturen zerschlagen. Und die Leute, die dort arbeiten, haben in der Regel nur befristete Arbeitsverhältnisse, da herrscht teilweise Wildwest in diesem Bereich.
Hier wäre deutlich weniger im Ergebnis mehr. Und dann verbunden mit einer ordentlichen finanziellen Ausstattung; denn diese Investitionen lohnen sich oder würden sich lohnen. Aber hier haben sich die Systeme mittlerweile irgendwie ineinander verhakt. Es besteht also ein immenser Reformbedarf!
2,1 Millionen Jugendliche hatten im Jahr 2017 keinen beruflichen Abschluß in der Tasche
Das sind über 14 Prozent dieser Altersklasse. Im Jahr davor waren es – in Anführungsstrichen – „nur“ 1,88 Millionen. Angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels kein Ergebnis, mit dem die Wirtschaft zufrieden sein kann. Demgegenüber steht die gute Nachricht:
Wer eine Lehre macht, hat heute bessere Berufschancen als noch vor ein paar Jahren.
„Die Chance, vom Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden, ist vom letzten Bildungsbericht bis zu diesem weiter gestiegen. Es wurden fast Dreiviertel der Auszubildenden weiterbeschäftigt, und das ist ein Anstieg von 6 Prozent“, betont Bundesbildungsministerin Anja Karliczek. Und kommt zu dem Schluß: „Die berufliche Bildung in Deutschland ist ein attraktives Instrument für den Einstieg ins Berufsleben.“
Mehr Ausbildungsplätze als Bewerbungen
Der Bericht kommt zu dem Schluß:
„Der Anstieg bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen sowie das gestiegene Ausbildungsinteresse sind in erster Linie auf die höhere Ausbildungsbeteiligung von Menschen mit Fluchthintergrund zurückzuführen.“
Trotz der vielen, die aus unterschiedlichen Gründen durch das Raster fallen: Insgesamt stehen die Chancen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, gut. Auf 100 Bewerbungen kommen 106 Ausbildungsangebote. Mehr als 531.000 Ausbildungsverträge wurden im Ausbildungsjahr 2017/18 neu abgeschlossen – ein Plus gegenüber dem Vorjahr um 1,6 Prozent. Hinzu kamen noch einmal 178.000 junge Menschen – in der großen Mehrzahl Frauen – die eine schulische Berufsausbildung im Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialwesen begannen.
Flüchtlinge interessieren sich für Handwerksberufe
Allerdings gibt es auch bei vielen Betrieben Vorurteile gegen Ausländer. Türkisch- und arabischstämmige Jugendliche haben es laut Bericht besonders schwer, eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Karliczek empfiehlt: Praktika.
„Wenn man die Hürde, sich nicht zu kennen, abgebaut hat, dann wird es häufig einfacher, sich miteinander zu überlegen, klappt das mit der Ausbildung. Man muß, glaube ich, bei den jungen Leuten mit migrantischem Hintergrund gucken, zum Teil sind die noch nicht so fit in deutscher Sprache. Wenn sie gerade erst bei uns sind, daß sie eine Ausbildung schaffen können, dann bieten wir auch Einstiegsszenarien, mit denen man im Grunde schon mal reingehen und sich kennenlernen kann.“
Dennoch ist die Zahl der jungen Flüchtlinge, die eine Lehre begannen, zuletzt deutlich angestiegen. Geflüchtete Männer interessieren sich überproportional häufig für einen Handwerksberuf: 50 Prozent von ihnen wählen diesen Weg. Junge geflüchtete Frauen machen dagegen weit weniger häufig eine Lehre. Migranten füllen also zunehmend die Lücken, die sich bei den Nachwuchskräften in den Betrieben auftun.
Berufliche Bildung wurde nicht genug gefördert
Allerdings machen Ausländer mit einem Drittel auch den größten Teil der Jugendlichen ohne Berufsabschluß aus. Selbst bei Jugendlichen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, liegt der Anteil der Ungelernten noch bei 18 Prozent, bei Personen ohne Migrationshintergrund sind es immerhin noch 8,5 Prozent, die ohne Abschluß bleiben. Viel zu viel, sagt FDP-Bildungspolitiker Jens Brandenburg. Die steigende Zahl junger Ungelernter sei ein Alarmsignal. Viel zu lange habe die Bundesregierung die berufliche Bildung links liegen lassen. Und auch die Gewerkschaften fordern, endlich mehr zu tun, um jungen Menschen ohne Berufsabschluß zu helfen. (Da ist allerdings auch der DGB recht spät wachgeworden.)
Was ist zu tun?
2,1 Millionen ohne beruflichen Abschluß – das ist eine gewaltige Zahl und damit eine besondere Aufgabe für die Politik und Wirtschaft.
Für die Jüngeren wird es darum gehen, die Zahl derjenigen, die es aus welch Gründen auch immer nicht schaffen, in eine Ausbildung reinkommen, deutlich zu reduzieren. Das wird zwar schon seit vielen Jahren versucht, aber ein anhaltender Erfolg bleibt bis heute aus. Zudem konzentriert sich das Bemühen zumeist auf bestimmte Regionen, zum Beispiel das Ruhrgebiet, kleinere oder mittlere Städte in Hessen, Niedersachsen, den Norden von Schleswig-Holstein, während es andere Regionen – Bayern, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg – gibt, wo man händeringend nach jungen Leuten sucht, die man aber dort kaum findet.
Mobilität fordern – und fördern!
Das heißt, es bestehen sehr große Ungleichgewichte. Und das bedeutet, wenn sich der Zugang zu einer Ausbildung für junge Leute in bestimmten Regionen äußerst schlecht darstellt, dann kann eine Teillösung zum Beispiel sein, deren Mobilität zu fördern. Bei Studenten kann man sehen, wie solche Beispiele funktionieren: Für Studenten gibt es zahlreiche Wohnheime in den Hochschulstädten. Hier, das wird schon seit vielen Jahren gefordert, müßten wir eigentlich eine gewaltige Wohnbauanstrengung für Lehrlinge im beruflichen Bildungssystem unternehmen, damit überhaupt die Voraussetzung für eine solche Mobilität geschaffen werden kann.
Je älter, desto schwieriger
Die zweite Gruppe – junge Menschen vielleicht mit Ende 20, die noch keine Ausbildung haben – stellt Politik und Wirtschaft vor schwierigere Aufgaben; denn wer ist da noch daran interessiert, auch ältere Lehrlinge einzustellen?
Es handelt sich um Leute, die vor vielen Jahren, als wir noch viel zu wenig Ausbildungsplätze hatten – das ist noch gar nicht so lange her – durch das Raster gefallen sind. Sie haben keine Ausbildung gemacht oder machen wollen und sind jetzt so etwas wie eine „Risikogruppe“.
Es gibt schon seit Jahren die Forderung, diese immerhin ein paar Hunderttausend zu Handwerkern, Facharbeitern weiterzuqualifizieren. Aber sie sind ja in einer anderen Lebenslage, die werden sich nicht mit 300, 400 Euro Monatsvergütung und einem normalen Berufsschulbesuch abspeisen lassen.
Da müßte der Staat, so er das überhaupt will, gemeinsam mit der Wirtschaft nach Lösungen suchen, z.B. Geld in die Hand nehmen und sagen: Okay, die bekommen eine bessere Ausbildungsvergütung, damit sie sich überhaupt dieser Anstrengung einer Ausbildung unterziehen und einen Anreiz haben.
Hier haben die Bundesregierungen, egal welcher Couleur, in der Vergangenheit geblockt, Geld in die Hand zu nehmen, das aber gut angelegt wäre; denn diese Ausgebildeten zahlen dann ja die Jahre danach Steuern und Sozialversicherungsbeiträge aus höheren Einkommen, so daß sich die „Vorleistung“ mehrfach refinanzieren würde. Aber am Anfang steht erst mal natürlich eine größere Summe, die man investieren müßte.
Also mal abwarten, ob jemand – und wer – aus dem Berufsbildungsbericht 2019 Konsequenzen zieht. Oder anders ausgedrückt: Hier könnte sich ein Minister (oder eine Ministerin) profilieren.
Nachtrag – zu Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU):
Ich kenne die Dame nicht und weiß nur von Wikipedia: „Anja Maria-Antonia Karliczek ist eine deutsche Bankkauffrau, Hotelfachfrau sowie Diplom-Kauffrau und CDU-Politikerin. Seit dem 14. März 2018 ist sie Bundesministerin für Bildung und Forschung im Kabinett Merkel IV. Bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 errang Karliczek im Wahlkreis Steinfurt III das Direktmandat.“
Brav, gell?! Aber mir ist aufgefallen, daß sie sich – wenn´s paßt – höchst unklar auszudrücken beliebt, ob mit oder ohne Absicht, sei einmal dahingestellt. Bei ihrer Beschreibung der Ausbildungssituation bestimmter Personen liefert sie vier Begriffe, die eigentlich deutlicher differenziert werden müßten:
So spricht sie wahlweise und erkennbar inkonsequent von:
- „Migranten“
- „Flüchtlingen“
- „Menschen mit Fluchthintergrund“
- „Menschen mit migrantischem Hintergrund“
Entweder kennt Frau Ministerin nicht die unterschiedlichen Bedeutungen dieser Begriffe, oder sie vermischt sie ganz bewußt – was ja durchaus in der Tradition unserer Willkommenspolitiker läge.
Es wäre aber schon interessant (und wichtig) zu erfahren, welcher – neutral ausgedrückt – „bisherige Ausländer“ denn an einer Berufsausbildung interessiert ist. Da dürfte es himmelweite Unterschiede geben z. B. zwischen den „Wohlstandsflüchtlingen“ und den Verfolgten, die hier um Schutz bitten, usw.
Haben wir nicht das Recht, das zu erfahren? Es sind ja immerhin unsere Steuergelder, die dahin fließen. (Quelle: Berufsbildungsbericht 2019, Dlf, eigene Recherchen PH)