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Von Dr.Phil. Mehrens
Schon im Frühjahr blamierte sich das Flaggschiff der öffentlich-rechtlichen Fernsehberichterstattung bis auf die Knochen, als es den Brand von Notre-Dame als drittrangiges Tagesgeschehen einstufte. Dieser Trend hat sich in dieser Woche spektakulär fortgesetzt: Mit den beiden Aufmachern am 11. und 13. Juni 2019 scheint sich die 20-Uhr-Tagesschau nun endgültig vom seriösen Journalismus verabschiedet zu haben. Die beiden Sendungen waren eine eindrucksvolle Werbung für die Abschaffung der Rundfunkgebühr.
Manchmal ist eine Botschaft schon eine Botschaft, ohne dass von ihr auch nur ein Wort verlesen worden ist, ganz einfach dadurch, wo und wann dies geschieht. In dem hier beleuchteten Fall lautet die Botschaft, salopp formuliert: »Ist das nicht toll?« und ausgestrahlt wurde sie am 11. Juni 2019 um 20 Uhr in der Tagesschau. An erster Stelle. Und genau das gibt dieser Botschaft ihre besondere Bedeutung. Denn: »Ist das nicht toll?« war natürlich nur der Subtext der Meldung.
Vordergründig ging es in der »Spitzennachricht« des Tages um die Ankündigung eines Gesetzes durch Bundesgesundheitsminister Spahn, das eine Therapieform für Homosexuelle, die sich mit ihrer Orientierung unwohl fühlen, untersagen soll. Reduziert auf ihren bloßen Sachinhalt liefert die Nachricht selbstverständlich keine zulängliche Erklärung dafür, was ihr diesen vorrangigen Platz in den Hauptnachrichten verschafft hat.
Genau genommen betrifft sie nämlich nur einen verschwindend geringen Anteil der deutschen Bevölkerung: Menschen, die eine homosexuelle Neigung aufweisen und sich in einem christlichen Milieu bewegen oder dazu Zugang haben, in dem Homosexualität als geistliches Problem aufgefasst wird. Laut der 2016 veröffentlichten Studie des Umfrage-Unternehmens Dalia sind 7,4 Prozent der Deutschen solche nicht heterosexuell empfindenden Menschen.
Einer statistischen Erhebung der Evangelischen Nachrichtenagentur Idea zufolge waren 2015 rund 273.000 Menschen Mitglied einer deutschen Freikirche (rund 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung). Von wie vielen Menschen sprechen wir hier also? Rechnet man das einmal grob durch, könnte das angekündigte Gesetz für jeden viertausendfünfhundertsten (in Zahlen: 4.500.) Deutschen eine Relevanz haben. Aber auch diese Zahl muss noch eingeschränkt werden, weil erstens längst nicht alle Freikirchen die fragliche Therapie anbieten und zweitens viele im Umfeld der Freikirchen ihre Homosexualität verbergen und somit auch keine Kandidaten für das umstrittene Heilungsverfahren sind.
Schließlich ist auch noch zu beachten, dass die Tagesschau-Meldung nicht die Verabschiedung eines neuen Gesetzes zum Inhalt hatte, sondern lediglich die Ankündigung eines solchen. Eine der wichtigsten Regeln im Journalismus indes lautet: das Wichtigste zuerst, weniger Wichtiges an den Schluss. Noch einmal also die Frage: Was bewog die Redaktion der Tagesschau, einen Beitrag zur Ankündigung eines Gesetzes, das nur eine verschwindend geringe Anzahl von Deutschen betrifft, auf einen derart prominenten Sendeplatz zu setzen?
Wer verstehen will, wie es ein Beitrag an die erste Stelle von Deutschlands wichtigster Nachrichtensendung schafft, muss Hintergründe kennen. Er muss wissen, wie Redaktionen funktionieren und wie sie zusammengesetzt sind:
Auf so genannten Redaktionskonferenzen wird in der Regel unter der Leitung des Chefredakteurs über die Zusammensetzung der Sendung, der Zeitung, der Webseite debattiert und festgelegt, womit »aufgemacht« wird. Was ist das heißeste, das folgenschwerste, brisanteste, bedeutendste Thema? An dieser Stelle kommt ein Phänomen ins Spiel, das der SPIEGEL-Redakteur Jan Fleischhauer als »Peer-group-Journalismus« bezeichnet: Redakteure orientieren sich bei der Themenauswahl gern an dem, was bei anderen Journalisten gut ankommt. Nicht der Leser, nicht der Zuschauer steht bei der Auswahl der Meldungen und ihrer Gewichtung im Zentrum, sondern der Kollege. Einfacher gesagt: Man will in der Redaktion nicht anecken. Es könnte einem sonst ja auch ein Schicksal blühen wie Eva Herman, der in Ungnade gefallenen NDR-Moderatorin.
Einer statistischen Erhebung der Freien Universität Berlin aus dem Jahr 2010 zufolge neigt nicht einmal jeder zehnte bei einem deutschen Leitmedium tätige Politikjournalist konservativen Positionen zu (zur Zeit der Befragung noch vertreten durch CDU/CSU). Die weitaus meisten gaben bei ihrer Parteipräferenz, sofern sie diese offenlegen wollten, die Grünen an, im Abstand von knapp 12 Prozentpunkten dahinter: die SPD. In diesem Licht sind die distanzlose Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu den »Fridays for Future«-Demonstrationen zu sehen, die AfD-Phobie und viele andere einseitige Tendenzen im selbsternannten Qualitätsjournalismus der Gegenwart.
Die rot-grüne Schlagseite der Redaktionen führt dazu, dass sich viele Meldungen und vor allem Moderationstexte in den meinungsorientierten Formaten Tagesthemen und Heute-Journal oft anhören, als hätten Robert Habeck oder Annalena Baerbock den zuständigen Redakteuren den Text mal eben reingereicht. Eine Kostprobe aus Caren Miosgas Tagesthemen-Anmoderation zum Bericht über Spahns Gesetzesvorhaben:
»Auch wenn es gar nicht so viele Eiferer gibt, die diesen Unfug [die umstrittene Konversionstherapie] anbieten, so ist es doch ein wichtiges Signal, wenn der Bundesgesundheitsminister dies nun verbieten will.«
Mehr einseitige Parteinahme ist bei einem Streitthema nicht möglich. Als »Eiferer« werden Menschen diffamiert, die nichts anderes tun, als die grundgesetzlich geschützte Glaubens- und Gewissensfreiheit für sich in Anspruch zu nehmen, und was sie tun, ist selbstverständlich »Unfug« (schließlich sagen das die Linken und Grünen schon lange), umso begrüßenswerter das »wichtige Signal« von Jens Spahn, der sich, ganz nebenbei bemerkt, mit dem Gesetz kräftig anstrengt, dass der Wunschzettel der Grünen um eine Forderung kleiner wird. Und Caren Miosga nickt kräftig dazu, damit die CDU nicht am Ende noch auf die Idee kommt, ihren Linkskurs zu korrigieren und wieder zum Rechtsabweichler zu werden.
Dabei wäre es für eine kritische Journalistin wie die Frontfrau der Tagesthemen gar nicht so schwer gewesen, das von Spahn, einem offen homosexuell lebenden Politiker, vorgestellte Gesetz als das Werk eines persönlich befangenen Menschen zu beargwöhnen.
Wenn in den USA ein Verteidigungsminister, dessen Frau eine Schusswaffenfabrik leitet, ein neues, noch liberaleres Waffengesetz angekündigt hätte, wären die kritischen Kommentatoren ja auch zur Stelle gewesen. Hätte Miosga deren Kritik dann auch als »Unfug« abgetan?
Es wäre zweitens nicht schwer gewesen, den illiberalen staatlichen Angriff auf die Therapiefreiheit des Bundesbürgers, auf das Recht des Individuums auf Selbstbestimmung und Gewissensfreiheit zu kritisieren. Im Sinne einer ausgewogenen Darstellung unterschiedlicher Auffassungen, zu der die öffentlich-rechtlichen Medien laut Verfassungsgerichtsurteil eigentlich in besonderer Weise verpflichtet sind, hätte man von einer moderierenden Ansagerin drittens auch erwarten können, dass sie den Standpunkt der Gegenseite würdigt. »Ein Teil der homosexuell empfindenden Menschen erlebt das eigene sexuelle Empfinden als nicht stimmig, nicht zu ihnen passend«, argumentiert beispielsweise das den angefeindeten Freikirchen nahestehende Bündnis C, und habe dieses Gefühl »auch dann, wenn das Umfeld homosexuelle Orientierungen und Beziehungsformen begrüßt. Angebote, die zu einer Akzeptanz der eigenen homosexuellen Orientierung verhelfen wollen, werden von diesen Menschen als nicht hilfreich erlebt, da sie nicht ihren inneren Wünschen und Sehnsüchten entsprechen.«
Doch wenn es um die heiligen Kühe von Linken und Grünen geht – und eine der heiligsten (neben der derzeit amtierenden Oberkuh Klimaschutz) ist nun mal das Thema sexuelle Vielfalt –, drücken deutsche Medienschaffende reflexhaft den Knopf für kritische Distanz und schalten diese einfach ab. Warum Distanz bei einer offensichtlich guten Sache wahren? Und so wiederholte sich zwei Tage später dieselbe journalistische Tragödie:
Zwischen der arabischen Halbinsel und dem Iran wird der Tanker einer deutschen Reederei Opfer eines Sprengstoffanschlags, die Lage ist brisant, aber die Tagesschau macht um 20 Uhr schon wieder mit einer Verordnung auf, die es zwar noch nicht gibt, die aber auf der politischen Agenda der Bündnisgrünen einen festen Platz hat. Diesmal war es die Sorge um das Wohlergehen männlicher Hühner, die die gesamte Weltpolitik zum Zaungast bei der Tagesschau degradierte.
Aber warum nicht den besten TV-Sendeplatz zur Kanzel zur Verkündigung des Guten, Wahren und Richtigen umfunktionieren?, wird sich die »Peer-group« in der Tagesschau-Redaktion gefragt haben. Vielleicht, lieber NDR, weil eine Nachrichtensendung nicht der Hamburger Michel sonntags um halb elf ist? Vielleicht, weil das Journalisten-Idol und Tagesthemen-Urgestein Hanns Joachim Friedrichs verlangte, dass guter Journalismus sich nie mit einer Sache gemein macht, auch nicht mit einer guten?
Doch diese Maxime wirkt wie ein Relikt aus der Steinzeit der journalistischen Arbeit, als harte Fakten noch harte Fakten waren und die schreibende Zunft Texte ohne den Segen von Birkenstocklatschenträgern, Christopher-Street-Day-Flamingos und Kirchentagsfeministinnen im lila Weglauflook abliefern konnte. Eigentlich ist sie ganz gut damit gefahren.