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Von Dieter Farwick, BrigGen a.D., Publizist *)
Das unwürdige Personengeschacher nach den Wahlen verhindert den Blick auf wichtige Ergebnisse, die die Zukunft der EU bestimmen werden
# Die vier Tobjobs sind auschließlich von Vertretern West-, Süd- und Zentraleuropas besetzt worden. Es gibt keine Vertreter des Nordens und Ostmitteleuropas.
Die Kluft zwischen Frankreich, Deutschland, Portugal und Belgien auf der einen Seite und den anderen Mitgliedsstaaten wird ohne Not breiter und tiefer.
# Das „Spitzenkandidatenmodel“ ist – besonders von Macron – schnell beerdigt worden. Es wird schwer werden, es wieder zu reanimieren.
Macron hat sich schnell gegen Weber entschieden, der mit seiner Partei Verluste eingefahren, aber der als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei den sozialdemokratischen Timmermans geschlagen hat.
Nach dem „Spitzenkandidatenmodel“ wäre Weber der nächste Präsident der EU geworden.
Da Frau Vestager nicht Spitzenkandidatin der Grünen war, wurde sie nicht berücksichtigt. Als Spitzenkandidaten der Grünen hätte sie große Chancen gehabt.
Mit Frau Merkels Hilfe schickte Macron den Holländer Timmermans ins Rennen. Dieser wurde jedoch von den mittelosteuropäischen Ländern strikt abgelehnt.
Darauf zog Macron ein frankophiles As aus dem Ärmel: Ursula von der Leyen: Diese hatte Macron mit ihrer frankophilen Haltung imponiert.# Zum ersten Mal seit Gründung der EU wurde eine Frau gewählt – mit einer sehr knappen Mehrheit von neun Stimmen (383 zu 374).
# Die bisherige gemeinsame absolute Mehrheit von EVP und Sozialdemokraten ging klar verloren. Sie können ihre zukünftigen Projekte nicht ohne weitere Partner durchbringen. Der Prozess der Entscheidungsfindung wird komplizierter und langwieriger
Insgesamt hat die EU an Ansehen und Rückhalt weiter verloren. Die hohe Wahlbeteiligung kann auch mit dem Hinweis auf die Spitzenkandidaten in Zusammenhang gebracht werden. Viele Wähler fühlen sich jetzt jedoch von der EU betrogen, da das Modell der „Spitzenkandidaten“ von Macron von Anfang an abgelehnt wurde.
Das kann sich negativ auf die Wahlbeteiligung in fünf Jahren auswirken.
Das wäre auch ein Schlag für die Demokratie in Europa
Auswahl des Führungspersonals
# Macron ist der Sieger. Er war der geschickteste Strippenzieher.
Die Vereitelung von Weber war der größte Coup von Macron. Sein Versuch, mit Hilfe von Merkel Timmermans an die Spitze zu bringen, scheiterte am Widerstand besonders der mittelosteuropäischen Staaten. Diese haben nicht vergessen, dass Timmermans sie stark kritisiert und ein Verfahren gegen sie eingeleitet hat. Außerdem wollten sie Timmermans wegen dessen Nähe zu Macron verhindern.
# Mit dem Vorschlag, von der Leyen zur Präsidentin zu wählen, hatte er mehr Erfolg. Er hat die – ebenfalls – frankophile von der Leyen ins Rennen geschickt. Er hat ihr Engagement für ein stärkeres Europa – auch militärisch – für das deutsch-französische Projekt eines Kampfflugzeuges und für eine europäische Sicherheitspolitik anerkannt. Hinzu kommen ihre Zweifel an der Zuverlässigkeit der USA unter dem amerikanischen Präsidenten Trump.
Die Tatsache, dass Frau von der Leyen die schlechteste Verteidigungsministerin Deutschlands war, spielte überraschenderweise keine Rolle. Sie erwartet eine Vernehmung des Untersuchungsausschusses des Bundestages in Sachen „Externe Berater“. Es geht um einen dreistelligen Millionenbetrag durch regelwidriges Verpflichten von teuren externen Beratern.
Ihre von ihr persönlich eingestellte Staatssekretärin Suder hat es nicht geschafft, den Rüstungsbereich umzustrukturieren, schlanker und effizienter zu machen. Bei ihrem Weggang hat sie Chaos hinterlassen.
Es ist ein Rätsel, dass Deutschland eine so belastete Ministerin als Kandidatin um das hohe Amt in der EU gefördert hat.
Sie hat die Bundeswehr personell und materiell an die Wand gefahren. Noch wichtiger ist, dass sie den Korpsgeist der deutschen Streitkäfte durch eine Art von „ Christenverfolgung“ zerstört hat. Sie hat es „geschafft“, dass die BW und ihre Streitkräfte nur noch als „bedingt einsatzbereit“ bezeichnet werden müssen.
Die Spitze ihrer Attacken war das Abhängen des Bildes von Helmut Schmidt in der nach ihm benannten BW-Uni in Hamburg, weil er in Wehrmachtsuniform abgebildet war.
Das letzte Vertrauen der Soldaten hat sie durch den Vorwurf eines „Haltungsproblems“ der Führung verloren.
Sie hat persönlich viele Verfahren gegen „Rechte“ eingeleitet und vor Ort recherchiert, was kaum die Aufgabe einer Ministerin ist. Die meisten Ermittlungen wurden von Staatsanwaltschaften eingestellt.
In einem Fall hat sie bei einem Offizier ohne eine Untersuchung zuständiger Stellen abzuwarten, von einem „rechten Netzwerk“ in der Bundeswehr geredet. Auch um diesen Fall ist es merkwürdig ruhig geworden.
Ihr ist es nicht gelungen, ein kompetentes Team um sich zu scharen.
Bis zum Ende hat sie die Soldaten nicht verstanden – mit ihren Einstellungen, ihrem Berufsverständnis und ihren Interessen.
Sie ist eine Meisterin der Ankündigungen – ohne Folgen.
Ihre unbestrittene Fähigkeit zum öffentlichen Auftritt mit ihrer Gestik, Mimik und Körpersprache hat bei der Wahl zur EU-Präsidentin den Ausschlag für ihren Sieg gegeben.
Das Amt der Präsidentin wird sie zu glänzenden Auftritten zu ihrem persönlichen Vorteil nutzen
Wie in ihrer Bewerbungsrede vom 16.07.19 wird sie viele Ideen entwickeln, deren Umsetzung weniger glänzend sein werden.
Es muss verhindert werden, dass sie z.B. ihre unausgegorene Idee eines deutsch-französischen Kampfflugzeuges mit Hilfe von Macron mit hohen Kosten weiter entwickelt.
Die überregionalen Zeitungen „FAZ“ und „SZ“ haben über ihre Wahl am 18.7.2019 wohlwollend berichtet:
# Die „FAZ“ erreicht mit ihrem kritiklosen Bericht das Niveau einer „Hofberichterstattung“.
# Die „SZ“ räumt der neuen EU-Prädentin am 18.7.2019 eine ganze Seite für ein Interview ein.
Es bleibt sehr vage. Wichtig sind ihr: Verständnis, Flexibilität und Nachsicht.
Sie überspielt geschickt, dass sie auch „Populisten“ und „Nationalisten“ ihren knappen Sieg verdankt. Diese werden von ihr Dankbarkeit erwarten.
In den Medien wird Weber nach seiner „Einarbeitung“ von Frau von der Leyen mit dem Satz zitiert, dass er überrascht sei, wie wenig sie von Europa versteht. Woher auch? Der Geburtsort Brüssel reicht nicht aus.
# Die Wahl von Christine Lagarde zur Präsidentin der EZB war keine Überraschung. Nachdem eine Deutsche mit seiner Unterstützung gute Chancen hatte, für Deutschland einen Sitz im Führungsquartett zu erobern, war den Weg frei für Frankreich. Macron hatte schon früher gesagt, dass dieser Posten der wichtigste für Frankreich sei.
Damit war der besonders qualifizierte Deutsche Jens Weidmann endgültig aus dem Spiel für den Posten des EZB-Präsidenten.
Frau Lagarde ist keine Finanzexpertin. Sie hat noch nie in einer Bank gearbeitet. Sie ist Ökonomin und Juristin. Bei der Rettung Griechenlands im Mai 2011 war sie als Präsidentin des Internationalen Währungsfonds aktiv für die Durchsetzung französischer Interessen tätig.
Jetzt wird sie belohnt.
Sie wird die Politik des losen Geldes von Draghi fortsetzen und zusätzlich versuchen, das Bargeld abzuschaffen.
# Zum Außenbeauftragter der EU wurde der Spanier Joseph Borrell bestimmt.
# Charles Michel, Belgiens liberaler Premierminister, gilt als Verbündeter von Macron. Er wird als Nachfolger von Tusk Präsident des Europäischen Rates.
# Merkel ist die große Verliererin. Die ehemals „wichtigste Frau Europas“ hatte offensichtlich kein Konzept – im Gegensatz zu Macron.
Ihren Parteifreund Weber hat sie im Wahlkampf nur halbherzig unterstützt. Sie war von seiner Qualifikation für das hohe Amt nicht überzeugt. Sie hat ihn bereits in der ersten Kungelrunde „geopfert“.
Es war sehr überraschend, dass sie Macrons ersten Ansatz unterstützt hat, Timmermans zum Präsidenten zu wählen. Der Mann hat die Absprache gebrochen, dass der Sieger des Spitzenkandidatenduells dem Parlament zur Wahl vorgeschlagen wird.
Er hat bei Konservativen seinen Kredit damit verspielt.
Darüber hinaus hat er wiederholt gefordert, „die Nationalstaaten auszuradieren“.
Warum hat Merkel ihn unterstützt? War es wieder das deutsch-französische Verhältnis, das unter ihr gelitten hat und das sie verbessern wollte?
Insgesamt wird die EU noch frankophiler. Es besteht die Gefahr, dass sie ein Werkzeug für Macron wird auf dem Weg in eine „tiefe Integration“ Europas – das Gegenteil vom „Europa der Vaterländer“. Deutschland muss sich bemühen, mit dem Norden und Ostmitteleuropa enger zusammenarbeiten – auch unabhängig von der EU. Das gilt auch für die europäischen Staaten, die nicht Mitglied der EU werden wollen.
Es gilt die Differenzierung mehr denn je: Die EU ist nicht Europa.
Auswirkungen auf Deutschland
Deutschland muss sich entscheiden: mit Macron oder gegen ihn. Es muss bei der Besetzung der 26 Kommissare – ohne Deutschland – aufpassen, wenn es nicht weiter an Einfluss verlieren will.
Die Nachfolge von Ursula von der Leyen hätte für Merkel eine Chance sein können, die politische
Leitung und die militärische Führung zu stärken.
Nach vier überforderten Ministern von CDU/CSU haben die Bundeswehr und die Streitkräfte nach langen Jahren ein Anrecht auf einen kompetenten Minister.
Nachhaltig negativ war die Aussetzung der Wehrpflicht ohne saubere Vorbereitung über einen längeren Zeitraum. Es war Freiherr zu Guttenberg, der in einem Alleingang eine wesentliche Kernkompetenz von CDU/CSU auf Jahre zerstört hat.
Wer kommt jetzt?
Sie kommt wie ein Blitz aus dem Dunkeln: Annegret Kramp-Karrenbauer. Der Schock sitzt noch tief. Muss es tatsächlich eine Frau sein, damit die Frauenquote erhalten bleibt? Haben das die Bundeswehr und ihre Soldaten verdient? Ein klares Nein !
Herrmann Hesse: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne! Den kann man heute nicht fühlen und für die Zukunft auch nicht erwarten.
Frau AKK hat vor einiger Zeit einen deutsch-französischen Flugzeugträger gefordert. Auf welcher Grundlage und mit welchem Einsatzprofil?
Man kann nur hoffen, dass dieser große Ballon sehr schnell zum Platzen gebracht wird.
Frau AKK übernimmt von Frau von der Leyen einen Scherbenhaufen, der nicht mehr zusammengebaut werden kann. Weder von einem Mann noch von einer Frau.
Es bedarf einer „Operation an Haupt und Gliedern“.
Die einzige Maßnahme von Frau Kramp-Karrenbauer kann sein, ein Team zusammenzustellen, um eine ehrliche Bestandsaufnahme durchzuführen – mit aktiven und ehemaligen Beamten und Soldaten.
Es rächt sich, dass Frau Merkel als langjährige Parteivorsitzende es nicht für notwendig erachtet hat, für qualifizierten Politikernachwuchs für den Bereich „ BW und Streitkräfte“ zu sorgen.
Ausblick
Die Zukunft der EU und der BW ist gleichermaßen düster.
Die Aufgabe der Präsidentin, die 26 Kommissare zu benennen, mit denen ein Interessenabgleich zu erzielen wäre, ist immens für die unerfahrene vdL. Mit ihrer Wahl zur Präsidentin hat Deutschland kein Anrecht mehr auf einen Kommissar. Das ist für deutsche Interessen abträglich.
Die EU ist bereits de facto gescheitert. Sie wird mit großem finanziellen Aufwand künstlich am Leben erhalten.
Die BW wird in den nächsten Jahren nicht die Ressourcen erhalten, die ihre Einsatzbereitschaft deutlich verbessern könnten. Daran wird AKK nichts ändern.
Sie sitzt jetzt auf dem Schleuderstuhl, der sie kaum auf den Kanzlerstuhl schleudern wird.
Auf die Soldaten der BW kommen weitere schwere Zeiten zu.
Die Kanzlerin und AKK werden für Ansehen und Rückhalt der Soldaten weiterhin wenig machen.
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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.
Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.
Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.
In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.
Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.
Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.
Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.
Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.