(www.conservo.wordpress.com)
Von DR. PHIL. MEHRENS
Der grausame Terroranschlag von Halle markiert einen Scheidepunkt: Die Mehrheitsgesellschaft muss sich entscheiden, ob sie wirklich Demokratie will oder lieber ein postdemokratisches Gesinnungsregime, das abweichende Meinungen kriminalisiert.
Hans-Christian Ströbele, langjähriges Mitglied des Bundestages, wurde 1975 aus der SPD ausgeschlossen, weil er die RAF „liebe Genossen“ genannt hatte. Das Landgericht Berlin verurteilte ihn 1980 zu einer 18-monatigen Haftstrafe auf Bewährung, weil es als erwiesen ansah, dass er an der Bildung einer kriminellen Vereinigung (der RAF) mitgewirkt hatte. Ströbele gehörte zu den wichtigsten Gründungsmitgliedern der Grünen bzw. deren Berliner Vorläufer AL. Er verteidigte den Terroristen Andreas Baader. Die Verbrechen von Christian Klar, einem der gefährlichsten Linksterroristen mit Verstrickungen in die Ermordung von Siegfried Buback, Hanns Martin Schleyer und Jürgen Ponto, relativierte er mit den Worten, Kapitalismuskritik sei per se „keine Aufforderung zu Gewalt und Terrorismus“.
Auf das Konto der RAF gehen erwiesenermaßen insgesamt mehr als dreißig Morde. Hans-Christian Ströbeles politische Karriere ist nur ein Beispiel von vielen für die enge Verflechtung zwischen Grün-Alternativen und dem militanten Linksterrorismus der siebziger und achtziger Jahre. Im Rahmen der Hamburger G-20-Ausschreitungen trat er noch einmal zutage. Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen machten sich für Rückzugscamps für militante Aktivisten stark.
Wenn nun Olaf Scholz (SPD), der während der G-20-Krawalle Hamburger Bürgermeister war, der AfD, wie am Dienstag öffentlich wurde, eine Mitverantwortung an der Bluttat von Halle unterstellt, wenn Politiker wie Alexander Dobrindt, Lars Klingbeil und – besonders abwegig, da Parteifreundin von Ströbele – Katrin Göring-Eckardt, mehr oder minder klar die Ächtung der Partei durch eine entsprechende Bewertung des Verfassungsschutzes verlangen, weil einzelne Mitglieder, so wird zumindest unterstellt, eine Verbindung zur rechtsextremem Szene haben, dann ist das ein besonders erschütternder Fall von doppelter Moral. Während Hans-Christian Ströbele Mitglied des Bundestages war, hatten die Grünen nicht nur einen Vertreter im Bundestagspräsidium (was der AfD bis heute verweigert wird), sie waren sogar an etlichen Landesregierungen und zwischen 1998 und 2005 sogar an der Bundesregierung beteiligt, ohne dass ein Alexander Dobrindt, ein Olaf Scholz oder ein Lars Klingbeil daran erkennbar Anstoß genommen hätten. Es gab sogar – nämlich in Berlin – eine Regierung mit grün-alternativer Beteiligung, als die RAF noch terroristisch aktiv war. Man muss es leider so klar sagen:
Wer jemals mit einem nach § 129 (1) StGB Vorbestraften wie Hans-Christian Ströbele politisch zusammengearbeitet oder eine solche Zusammenarbeit toleriert hat, der hat jedes moralische Recht verwirkt, zur Distanzierung von Björn Höcke aufzurufen.
Man muss aber nicht bei dem Vorwurf der doppelten Moral stehen bleiben. In einem weiteren Schritt wäre zu fragen: Was können wir aus der Entwicklung, die die Grünen genommen haben, seit sie dem zum Teil gewaltbereiten und verfassungsfeindlichen Sumpf von Linken und Autonomen entstiegen sind, genommen haben? Die Gewaltbereitschaft der linksextremen Kreise war genährt von der Überzeugung der Täter, dass in diesem Land etwas fundamental in die falsche Richtung geht, dass der Staat nicht kritikfähig und nicht dialogbereit ist, dass er stattdessen – vor allem in der Ära Schmidt und in den frühen Kohl-Jahren (Innenminister Zimmermann!) repressiv mit einer politischen Bewegung Andersdenkender, deren Zielen, Werten und Überzeugungen umgeht. Das schürte Hass. Er wurde genährt von der Überzeugung, selbst gehasst zu werden.
Noch Ende der sechziger Jahre war Ulrike Meinhof als professionelle Journalistin eine viel beachtete Stimme in der Gesellschaft, die nach ihrer Radikalisierung 1970 ihre Ansichten unter dem Titel „Natürlich darf geschossen werden“ sogar im SPIEGEL einer breiten Öffentlichkeit zur Diskussion stellen durfte. Wörtlich stand in dem Text: „Wir sagen, natürlich, […] der Typ in der Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch“ (SPIEGEL 25/1970). Man braucht nicht darüber zu streiten, dass sich in dieser Aussage blanker Hass verbal Bahn bricht.
Dieselbe Radikalisierung, zu der sich die Mitglieder der Baader-Meinhof-Bande damals öffentlich bekannten, verzeichnen wir in der Bundesrepublik der Gegenwart: Terrorakte sind Taten von Überzeugungstätern, von Menschen, die aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen mit der Welt nicht mehr klarkommen, die ihrem Umfeld entfremdet sind und diesem daher zunehmend frustriert gegenüberstehen – erst frustriert, dann feindlich, schließlich mit blinder Wut, die in blutige Gewalt ausarten kann.
Die RAF-Terroristen waren Menschen, die das scheinbar hilflose Mitansehenmüssen von – aus ihrer ideologisch verengten Sicht – total falschen, geradezu irrwitzigen Fehlentwicklungen in der Gesellschaft nicht mehr ertrugen, die sich fortwährend einer grassierenden Ungerechtigkeit ausgesetzt sahen, wie es sie eigentlich nur in Diktaturen gibt, und die daraus die Berechtigung ableiteten, mit Gewalt Abhilfe zu schaffen. Die daraus resultierenden Terrorakte sind die maximale Form der Provokation. Sie provozieren wie 2011 die Bluttat von Anders Breivik den größtmöglichen gesellschaftlichen Aufschrei, der denen, die sie ausüben, Linderung für ihr egomanisches Leiden an der Zeit verschafft.
Es gibt weitere alarmierende Parallelen zwischen einst und jetzt: So verhasst wie den Kriegern der Stadtguerilla die aus ihrer Sicht tendenziöse Springer-Presse war (auf deren Verlagshaus 1972 sogar ein Terroranschlag verübt wurde), sind vielen „Rechten“ hierzulande die so genannten „Mainstream-Medien“. In den sechziger Jahren sah man in den zu reaktionärem Konsens verschworenen „monopolistischen Medien“ die Gefahr der Meinungslenkung, durch die „eine Mentalität erzeugt“ wurde, „für die Recht und Unrecht, Wahr und Falsch vorherbestimmt sind“ (Herbert Marcuse). Ganz ähnlich urteilt heute das rechte Lager über die deutschen Leitmedien, in denen allseits die Gleichung gilt: Links = wahr, rechts = falsch.
Tatsächlich spielen die links unterwanderten Medien in den ideologischen Grabenkämpfen der Gegenwart eine entscheidende Rolle. Sie sollten die Kritik des Herrn Marcuse, dessen Theorien vielen Journalisten in ihrem Studium begegnet sind, beherzigen und endlich wieder eine Debattenkultur pflegen, in der nicht Hass, Intoleranz und Orwellsche Denkverbote regieren, sondern echte Freiheit. Völlig zu Recht hat der ehemalige Bundespräsident Gauck in jüngster Zeit mehrfach zu dem aufgefordert, wozu seinem Nachfolger von der linken SPD bisher der Mut fehlte: Toleranz gegen Rechts.
Rechte, also im herkömmlichen Sinn: bürgerlich-konservative Auffassungen vertragen sich nämlich seit jeher blendend mit Freiheit und Demokratie, weil diese das Ergebnis einer bürgerlichen Revolution sind (1789), während Linke bis heute praktisch mit jedem wichtigen Symbol unserer freiheitlichen Grundordnung, Hymnen und Nationalfarben, und auch mit dem Text des Grundgesetzes in seiner jetzigen Fassung auf dem Kriegsfuß stehen.
Darauf wird seitens der „monopolistischen Medien“ in unserer Gesellschaft viel zu wenig hingewiesen und die Verschiebung des Denkens und der Moral nach links – wie am Beispiel „Homo-Ehe“ zu sehen – als gewünschte Normalität hingestellt. Mit bedenklichen Folgen: Bestimmte Kreise innerhalb der Gesellschaft, die eine gesunde Demokratie im Sinne des Pluralismus viel mehr einbinden müsste, entfremden sich. Warum beispielsweise hat es im ZDF nie ein angemessenes Nachfolgeformat für das erzkonservative ZDF-Magazin gegeben, in dem sich die erklärten Feinde linker Weltdeutungsmuster journalistisch austoben und damit traditionell rechten Zusehern ein Forum bieten konnten, auf dem deren Werte und Anschauungen repräsentiert sind – mit gleichzeitiger Ventilfunktion für allfällige Empörung?
Die Empörung hat sich notgedrungen ins Internet verlagert, sieht sich in so genannte Echokammern gesperrt, anstatt ihren Platz dort zu haben, wo sie hingehört: im gesellschaftlichen Diskurs und dort als gleichberechtigte Stimme, auf einem offenen Forum, das der Radikalisierung vorbeugt, weil auf ihm Rede und Gegenrede ihren festen Platz haben. Doch wer hierzulande in den letzten Jahren beispielsweise auf Asylmissbrauch, das skrupellose Abgreifen von Sozialleistungen oder auch nur auf die mangelnde Mitwirkungsbereitschaft von Migranten beim Pauken deutscher Vokabeln hinweisen wollte, stand automatisch am Rassismuspranger. Eine ideologisch bedingte Verweigerungshaltung, eine überhebliche Besserwissermentalität hat in unserer angeblich so weltoffenen und toleranten Gesellschaft mutwillig Radikalisierung, Frustration und Filterblaseneinseitigkeit gefördert. Es ist an der Zeit gegenzusteuern.
Und es ist noch nicht zu spät. Denn die aktuelle politische Lage hat derjenigen in den RAF-Terrorjahren eines voraus:
Die Bewegung der Unzufriedenen und Aufsässigen, der Establishmentkritiker und Rebellen ist bereits parlamentarisch repräsentiert. Das ist etwas, worauf die Achtundsechziger-Revolutionäre mehr als zehn Jahre warten mussten.
Es ist kein Zufall, dass dem linksextremistischen Terror in dem Maße die Luft ausging, wie die Grünen als Sammelbecken der linken, ökologischen Protestbewegung – mit RAF-Verteidigern wie Otto Schily und Hans-Christian Ströbele an vorderster Front – von der Bevölkerung mit einem Mandat betraut wurden, an der Gestaltung und, wo nötig, Veränderung der Gesellschaft mitzuwirken, und, zunächst auf Landesebene, sogar Regierungsverantwortung übernehmen durften. 1998 gab es die erste rot-grüne Regierung auf Bundesebene; im selben Jahre erklärte die RAF ihre Selbstauflösung.
Die Rolle, die in den Achtzigern die Grünen ausübten, kommt in der gegenwärtigen politischen Lage ohne Frage der AfD zu, die als Oppositionspartei mit klarem eigenen Profil das dringend erforderliche Repräsentationsorgan für die Empörten und Unzufriedenen, die Konservativen und Patrioten ist. Sie macht buchstäblich alternative Vorschläge zu Fragen der nationalen Identität und Ethnizität und diese müssen, damit sich nicht noch mehr Menschen in einer Art und Weise radikalisieren, wie wir sie in Deutschland nie wieder erleben möchten, endlich auch in den Leitmedien als gleichberechtigte Diskursbeiträge angesehen werden.
Mit einem bedingungslosen Ja zum Grundgesetz und seinen Werten (wie es das AfD-Parteiprogramm erkennen lässt) kann die junge Partei Heimat und Korrektiv zugleich werden: Heimat für Zornige und Frustrierte und Korrektiv für all diejenigen unter ihnen, die meinen, mit ihrer Entrüstung das Recht erworben zu haben, unsere gesamte Grundordnung und als Teil deren ein klares Ja zu jüdischem Leben in Deutschland in Frage zu stellen. Der Regulierungs- und Zähmungseffekt, den die Grün-Alternativen dereinst auf den bunten, gärigen Haufen aus Neomarxisten, Atomkraftgegnern, Feministen, Pazifisten, Eine-Welt-Aktivisten, geistigen Rotarmisten und militanten Linksfaschisten hatten, kann also schon jetzt greifen. Aber nur, wenn unsere Gesellschaft diese vom parlamentarischen System gewollte Rolle durch ein klares Ja zur Freiheit der Andersdenkenden endlich rückhaltlos anerkennt, anstatt permanent den blindwütigen Versuch zu unternehmen, die AfD, und ihre Anhänger, wie zuletzt seitens der etablierten Parteien geschehen, zu diffamieren, zu diskreditieren und zu delegitimieren. Das hat damals bei den Grünen auch nicht funktioniert.