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Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)
Dem von Merkel inszenierten Aufstieg von AKK aus der saarländischen Provinz in die „Kampfarena Berlin“ liegen eine schlechte Personenkenntnis oder eine Intrige von Merkel zu Grunde. Es ist kaum vorstellbar, dass eine Findungskommission im Auftrag von Merkel nicht erkannt haben soll, dass AKK eine brave Ministerpräsidentin im hochverschuldeten, beschaulichen Saarland sein konnte, aber nicht das Potential für eine Führungsposition in Berlin hatte. Vielleicht war das überhaupt keine ernsthafte Frage, sondern ein Trick der „Magierin des Machterhaltes“. Sie wollte vielleicht nicht als Parteivorsitzende für die vorhersehbaren Wahlschlappen in den drei Ost-Bundesländern die Verantwortung übernehmen müssen. Sie wollte vermutlich ihr persönliches Image für den Rest ihrer Kanzlerschaft – und darüber hinaus? – pflegen.
In der Frage des beliebtesten Politikers (oder Politikerin) liegt Merkel in der Spitzengruppe, AKK auf einem Abstiegsplatz.
Ihre Rechnung ist bisher aufgegangen – im In- und Ausland zu Lasten von AKK. Der „Spiegel“ 45/2019 vom 2. November kommt zu einer knappen, zutreffenden Bewertung:
„In der Union wachsen Zorn und Frust über die beiden Frauen an der Spitze. Die eine hat die Macht, will aber nicht führen. Die andere kann nicht führen, weil sie machtlos ist.“
Für AKK ist die angestrebte Kanzlerkandidatur in weite Ferne gerückt. Sie suchte einen Befreiungsschlag – und fand ihn mit ihrem Vorschlag, in Nordsyrien eine internationale Schutzzone mit Beteiligung deutscher Soldaten einzurichten.
Der Befreiungsschlag wurde zu einem „ Rohrkrepierer“
Es stellte sich schnell heraus, dass der Befreiungsschlag von AKK ein Alleingang war – weder national noch international vorbereitet. Der Koalitionspartner wurde auf dem falschen Fuß erwischt. In einem Koalitionsgespräch am Abend zuvor hat AKK keinen Hinweis auf ihren Vorschlag des nächsten Tages gegeben. Der Außenminister Maas, der in solchen sicherheitspolitischen Fragen in der Regierung die Federführung hat, fühlte sich übergangen und reagierte verschnupft – wie auch der Vizekanzler Scholz, der einer der wenigen Politiker in der SPD ist, der noch vehement für den Erhalt der GroKo eintritt.
Ob ihm diese Haltung hilft, im Dezember Vorsitzender der SPD zu werden, steht in den Sternen. AKKs Ansehen in der eigenen Partei ist stark gesunken. Ihre Qualifikation,Nachfolgerin von Merkel zu werden, ist stark umstritten. Ihre Widersacher kommen aus der Deckung und kritisieren sie heftig. Stand heute hätte sie große Probleme, gegen die Rivalen Laschet oder Merz oder Spahn zu bestehen. Auch in der NATO hat sich AKK unvorbereitet in ein getarntes Minenfeld begeben.
Noch mehr als in Deutschland muss sich jeder Politiker hüten, nationale Alleingänge zu starten.
Das gilt besonders in der NATO, deren Generalsekretär Jens Stoltenberg sehr schnell den Stecker gezogen hat. Die Ablehnung mehrerer NATO-Mitgliedsstaaten wurde – wie in der NATO üblich – offiziell sehr schonend für AKK formuliert. In kleinen Gesprächsrunden wurde der Vorschlag gnadenlos zerrissen und abgelehnt. Ihr Alleingang hat ihr und Deutschland empfindlich geschadet. Die Verteidigungsministerin wird es kaum schaffen, den angerichteten Schaden zu beheben. Aus der Sicht der NATO stellt sich für mich die Frage, ob sie überhaupt diese Zeit bekommen sollte. Soll der unerfahrene Außenminister Maas die Stimme Deutschlands in den höchsten NATO-Gremien sein? Das ist kaum zu verantworten.
Wie sieht es in Deutschland aus?
Für mich ist es überraschend, dass der Vorschlag von AKK wenige Tage überhaupt überlebt hat. Einige Beobachter – sogar ehemalige Generäle der Bundeswehr – sehen in ihrem Vorschlag ein Zeichen dafür, dass Deutschland endgültig mehr Verantwortung in sicherheitspolitischen Fragen übernehmen will. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie deutsche Politiker bei der jährlich stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz erstaunlich mutige Reden gehalten haben – vom Ex-Präsidenten Gauck über Ex-Verteidigungsministerin von der Leyen bis hin zum Ex-Außenminister Steinmeier. Das internationale Publikum – überwiegend ausgewiesene Experten in Fragen der globalen Sicherheitspolitik – schaute ungläubig und fragend in die Runde.
Erlebten sie einen historischen Paradigmenwechsel Deutschlands nach Jahren des Wegduckens und des offenkundigen Niedergangs der deutschen Streitkräfte?
Bald stellte sich heraus, dass den mutigen Reden keine Taten folgten. Die deutschen Streitkräfte blieben deutlich unterfinanziert und schrumpften weiter. Selbst für kleine Kontingente deutscher Soldaten des Heeres mussten für Auslandseinsätze in Deutschland verstreute Truppenteile „ausbluten“ – personell und materiell.
Das Fazit: Die deutschen Streitkräfte sind selbst für Einsätze im Rahmen von Krisenbewältigung im Ausland nur „bedingt einsatzbereit“.
Jetzt sollen plötzlich rd. 2500 deutsche Soldaten für den Einsatz in einer gefährlichen Schutzzone in Nordsyrien eingesetzt werden. Dazu stellen sich viele Fragen, u.a.:
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- Im Rahmen welcher „ Koalition der Willigen“, aus der sich die USA bereits abgemeldet haben?
- Welches Land hat angedeutet, sich beteiligen zu wollen?
- In welcher Stärke? Mit welcher Bewaffnung und Ausstattung?
- Gibt es schon ein definiertes Terrain für das deutsche Kontingent?
- Gibt es Schuhe für deutsche Soldaten, deren Sohlen sich im heißen Wüstensand nicht ablösen?
- Können Unterstützungs- und Kampfhubschrauber in Nordsyrien überhaupt eingesetzt werden? Der Absturz von zwei deutschen Hubschraubern in der Wüste Malis ist hinsichtlich der Einsatztauglichkeit bereits ausgewertet worden.
- Wie ist die sanitätsdienstliche Versorgung sicherzustellen?
- Gibt es Absprachen mit Russland und der Türkei, die gerade selbst eine Sicherheitszone in Nordsyrien aufbauen?
- Gibt es ausreichende Erkenntnisse von kurdischen, syrischen Milizen – oder auch dem IS in Nordsyrien?
- Wer ist für die strategische, operative und taktische Aufklärung zuständig?
- Wer bestimmt die „Rules of engagement“?
- Wie wird die Bedrohung durch reguläre und irreguläre Truppen – mit moderner Bewaffnung und Ausstattung durch Auklärungs- und Kampfdrohnen eingeschätzt?
- Wie ist die Truppe untergebracht und gegen Überfälle abgesichert? Solche Einsätze dauern länger als man vorher vermutet hat – siehe Afghanistan, Kosovo und Mali oder Russland in Syrien. Mit einer „Schicht“ von rd. 2500 Soldaten ist es nicht getan. Bisher gilt die Regen, dass man fünf „Schichten“ braucht, um den Einsatz nachhaltig zu führen. Dazu kommen ständige Verpflichtungen von NATO und EU, die tausende Soldaten binden.
- Was bleibt an Kampftruppen übrig für die Landes- und Bündnisverteidigung, die offiziell wieder erste Priorität erhalten sollen?
- Welcher Anstrengungen und welches Zeitraums bedarf es, Streitkräfte, die heute „bedingt einsatzbereit“ sind, auf einen „Kriegseinsatz” vorzubereiten, zu erziehen und auszubilden sowie bedrohungsgerecht auszustatten? Nach meiner Auffassung sind das weder Wochen und Monate, sondern Jahre. Diese Verbesserungen kosten viel Geld, das in der mittelfristigen Finanzplanung nicht vorgesehen ist.
- Wie sieht der Zeitplan für einen Einsatz in Nordsyrien aus? Wer beantwortet diese Fragen und wer übernimmt die Verantwortung für diesen überaus gefährlichen Einsatz, in dem sich irreguläre Gruppen an keine Kriegsregeln halten und für die Brutalität gegen Soldaten und die Zivilbevölkerung ein Mittel der Einschüchterung ist. Lehren aus den Einsätzen in Afghanistan, im Kosovo und in Mali sind nur bedingt übertragbar.
Es ist ein „schmutziger Krieg“, in den AKK deutsche Soldaten schicken will – mit dem Einverständnis der Kanzlerin. Es muss mit mehr menschlichen Opfern zu rechnen als bei den Einsätzen in Afghanistan, Kosovo und Mali. Ist Deutschland und seine Bevölkerung darauf vorbereitet?
Meine Bewertung ist die eines erfahrenen Truppenführers mit der Verantwortung für unsere Soldaten.
Wie geht es weiter?
Zur Klarstellung: Nach dem Ende des Kalten Krieges und der erfolgreichen Wiedervereinigung habe ich mich immer für eine „wehrhafte Demokratie“ eingesetzt – nach innen und außen. Ich habe mich auch für militärische Auslandseinsätze im Verbund mit anderen NATO-Staaten ausgesprochen – wenn die Voraussetzungen stimmen. Dazu gehört die Beachtung der vitalen nationalen deutschen Interessen, ein ausreichender Behauptungs- und Verteidigungswille der Mehrheit unserer Bevölkerung – einschl. der Mehrheit der Familien der zum Einsatz vorgesehenen Soldaten -, der klaren Mehrheit des deutschen Bundestages und der Unterstützung durch ein robustes Mandat von der NATO und der EU sowie einer der Bedrohung angemessenen Bewaffnung und Ausrüstung sowie sanitätsdienstlicher Versorgung.
Wichtig sind auch eine standfeste politische Leitung und verantwortungsbewusste militärische Führung. Nur auf dieser Grundlage kann man den notwendigen Kampfgeist der Truppe erwarten.
Die meisten dieser Voraussetzungen sind aus heutiger Sicht in Deutschland auf absehbare Zeit nicht zu erfüllen.
Die aufgeworfenen Probleme und Fragen sollten jedoch eine Messlatte für die notwendigen Fragen und Antworten der Zukunft unserer Streitkräfte sein. Die entscheidende Frage muss sein: Was müssen deutsche Streitkräfte in 10-20 Jahren leisten können?
Die politische Leitung und die militärische Führung unter Merkel haben ihr Restvertrauen verspielt.
Sie müssen mit wenigen Ausnahmen zeitnah ausgewechselt werden. Leitung und Führung muss eine neue politische und militärische Gruppe übernehmen, die unbelastet ist von den gravierenden Fehlern und groben Versäumnissen der letzten rd. 14 Jahre. Der Anfang sollte die Ablösung der überforderten Verteidigungsministerin sein, die mit ihrem Vorschlag in den Ruhestand gehen sollte. Diese Maßnahmen werden zu politischen Verwerfungen und Turbulenzen führen, aber besser jetzt als zu spät oder nie.