Was Ossis und Wessis im Jahr 30 nach dem Mauerfall über tatsächliche und eingebildete Benachteiligung lernen können.

(www.conservo.wordpress.com)

Von DR.PHIL.MEHRENS

Diskriminierung!

Wer erinnert sich in diesen Tagen nicht, oft mit wehmütigen, häufig auch mit nostalgisch verklärenden Gefühlen an die Wendezeit vor dreißig Jahren? Der Jubel an der Mauer, das Staunen über die plötzliche Grenzöffnung, mit der in dieser Form wohl niemand gerechnet hätte, feiernde Menschen unterm Brandenburger Tor …

Und wer erinnert sich nicht an Trabbi-Witze, den Besserwessi und die Vorurteile gegen vermeintlich rückständige Ossis, den Neid auf das von der reichen Bundesrepublik huldreich an den armen Ostdeutschen verschenkte Begrüßungsgeld, der erinnerte an die Missgunst des Bruders im Jesus-Gleichnis vom „verlorenen Sohn“ (Lukas 15), den der Vater mit offenen Armen empfängt, obwohl er sein Erbe verprasst hat, und den der dem Vater stets treu ergebene Bruder als Konkurrenten beargwöhnt?

Als nach ein paar Monaten, spätestens aber im Jahr eins nach der Wiedervereinigung die erste Euphorie verflogen war, waren im Westen auch Stimmen zu hören, die forderten, die Mauer schnellstens wieder hochzuziehen in Anbetracht der vielen Neubürger, die sich angeblich im Westen breit machten.

Heute ist viel von Diskriminierung die Rede im wiedervereinigten Deutschland. Homosexuelle, Zuwanderer, Menschen mit anderer Religion, Menschen mit Behinderung, Frauen: Schon diese Auflistung zeigt, dass es in Deutschland wohl mehr Menschen geben muss, die diskriminiert werden als solche, die von dieser Seuche, dieser Pest des modernen Zeitalters, bisher verschont geblieben sind. Denn als solche, als schlimmstmögliche Geißel der Menschheit, muss jeder die Diskriminierung empfinden angesichts der rhetorischen Bewaffnung und des Panikmodus, die das Thema landauf, landab entfesselt.

Bei jedem Christopher Street Day frage ich mich allerdings, wofür diese Menschen auf die Straße gehen, wo doch in jedem dritten Film aus der Sparte Fiktion aller deutschen Sendeanstalten die Belange dieser Minderheit hervorragend belobbyt werden. Ich fürchte:

Mit kaum einem Wort wird hierzulande so viel Missbrauch getrieben wie mit dem Wort „Diskriminierung“. Besonders augenfällig ist die Verwischung dessen, was das deutsche Recht, namentlich das Grundgesetz, als Diskriminierung ächtet, mit dem, was bestimmte Lobby- und Interessengruppen gern als geächtet sähen, weil es ihre Ideologie so will.

Die wörtliche Bedeutung von „Diskriminierung“ steht in keiner Verbindung zu einem Rechtsverstoß. Die deutsche Vokabel leitet sich ab vom lateinischen „discrimen“, das übersetzt nicht mehr und nicht weniger bedeutet als „Unterschied“. Man muss nicht darüber diskutieren, dass es Unsinn wäre, dem Menschen seine kognitive Unterscheidungsfähigkeit zu untersagen, die Fähigkeit also, bei der Betrachtung von unterschiedlichen Dingen – und auch Menschen – das, was diese unterscheidet, festzustellen und zu bewerten.

  • War es nicht auch reizvoll, gerade in den Nachwendejahren, zu beobachten, worin sich der so genannte Wessi und der so genannte Ossi unterschieden, und daraus Rückschlüsse zu ziehen?
  • War es nicht sowohl soziologisch-historisch als auch in banalen Alltagsgesprächen attraktiv, darüber nachzudenken, wie sich vierzig Jahre unterschiedlicher polit-kultureller Prägung auf Menschen, die, von diesen vierzig Jahren abgesehen, sehr viel gemeinsam haben, auswirkten?

Ossi und Wessi sind selbstverständlich diskriminierende Begriffe. Aber wo ist der Schaden? So berechtigt es war, Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen zu beobachten und zu analysieren, so berechtigt ist es selbstverständlich auch, zwischen Deutschen und Zuwanderern aus weit entfernten Kulturkreisen und mit erheblichem Einfluss auf unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt Unterschiede zu beobachten und zu bewerten. Zu diesen Unterschieden gehören ebenso selbstverständlich auch diejenigen, die besonders und zuallererst ins Auge springen: Haut- und Haarfarbe und alles, was sonst zum äußeren Erscheinungsbild gehört. So wie es Kriterien für die Unterscheidung von Ossis und Wessis gab, so ist es auch jetzt: Unterschiede werden beobachtet und bewertet. Das ist nicht verwerflich. Und es ist auch nicht rassistisch.

Rassismus und Diskriminierung werden erst dann ein Fall für die Rechtsprechung, wenn im Sinne von Artikel 3 des Grundgesetzes Menschen aufgrund sicht- oder bemerkbarer Unterschiede Nachteile erwachsen. Denn – so regelt es das Grundgesetz eindeutig – „niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Diskriminierung wird also erst dann im juristischen Sinne zum Problem, wenn jemand aufgrund seiner Hautfarbe oder seines sächsischen Akzents – und nur aus diesem Grund – aus einem deutschen Tennisverein geworfen wird, gegenüber einem schlechter qualifizierten Kandidaten bei der Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz das Nachsehen hat oder in einer öffentlichen Bibliothek kein Buch ausleihen kann. Wenn jedoch dreißig Personen, die am selben Ort aufgewachsen sind, bei dreißig kriminellen Akten erwischt und dafür rechtskräftig verurteilt werden, dann ist es ein Gebot der Logik, eine Verbindung zwischen Herkunft und krimineller Neigung zu vermuten.

Der Nachweis, dass es eine solche Verbindung tatsächlich gibt, bleibt genaueren Nachforschungen vorbehalten. Aber ist er erbracht, dann gilt es im Sinne und zum Wohle der Allgemeinheit zu handeln! Weil es legitim ist, auf der Grundlage empirischer Daten Wahrscheinlichkeitsberechnungen anzustellen und mit bestimmten Personengruppen in Verbindung zu bringen, sind beispielsweise Homo- und so genannte Transsexuelle, die zum Zeitpunkt der Blutentnahme nicht seit etlichen Monaten sexuell enthaltsam leben, von der Blutspende ausgeschlossen. Sie gelten als HIV-Risikogruppe. Auch hier liegt kein Fall von (rechtlich zu beanstandender) Diskriminierung vor, sondern von simpler Logik.

Die Ost-West-Dichotomie, an die wir anlässlich des Mauerfalls in diesen Tagen so oft erinnert werden, kann uns also helfen, in der hochproblematischen Frage der Diskriminierung endlich den rechten Durchblick zu bekommen.

Jeder, der sich in der Vergangenheit beispielsweise mit dem Vorwurf des Rassismus konfrontiert gesehen hat, ob als Politiker, PEgIdA-Demonstrant oder Privatperson, kann sich per Selbsttest vergewissern, ob an dem Vorwurf was dran ist: Er muss dazu nur die Frage beantworten, ob er einer anderen Person auf der Grundlage der Kriterien, die Artikel 3 GG nennt, einen Nachteil eingebrockt hat oder nicht. Alles andere fällt, auch wenn die Feinde der bürgerlichen Freiheiten es gern anders hätten, unter Meinungsfreiheit und das Recht auf eigenständig logisches Denken.

Wer sich allerdings, als Bürger eines der neuen Bundesländer, schon einmal übervorteilt gefühlt hat, der ist womöglich selbst Opfer von Diskriminierung geworden. Er sollte sich aus diesem Grund sofort mit dem für ihn zuständigen Kreisverband der Grünen oder Linken in Verbindung setzen. Denn für Diskriminierte tun die bekanntlich alles.

www.conservo.wordpress.com     9.11.2019
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