Polit. Islam – Religiöse Normen nicht an die Stelle weltlicher Normen setzen!

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Eigener Bericht

Die Ethnologin Susanne Schröter rief dazu auf, das Grundgesetz gegen den politischen Islam zu verteidigen. „Wir müssen aufpassen, dass die individuellen Freiheitsrechte uns nicht verlorengehen“, sagte Schröter im Dlf. Religiöse Normen dürften nicht an die Stelle weltlicher Normen treten. (Susanne Schröter im Gespräch mit Andreas Main, Dlf *)

Andreas Main: Heute zu Gast: Susanne Schröter, Professorin in Frankfurt. Sie ist Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Universität, ein Zentrum, das gerade sein fünfjähriges Jubiläum gefeiert hat. Auf Susanne Schröter bezog sich neulich auch der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache, als sich Verbandspräsidentin Jaqueline Schäfer besorgt zeigte, was die Meinungsfreiheit in Deutschland betrifft. Eines ihrer Beispiele, eine Frankfurter Konferenz über das Kopftuch im Islam, die von wütenden Protesten und Rassismusvorwürfen gegen die verantwortliche Professorin begleitet wurde, gegen Susanne Schröter. Zuletzt ist von ihr erschienen das Buch „Politischer Islam: Stresstest für Deutschland“. Es ist das Buch, wenn ich es richtig gelesen habe, einer Liberalen durch und durch, einer Frau, die Religionsgemeinschaften und Staat nicht verwischt wissen möchte, nicht verwoben und vermischt. Wir sitzen uns im Studio des Hessischen Rundfunks in Wiesbaden gegenüber und zeichnen dieses Gespräch auf, beziehungsweise haben es aufgezeichnet. Schön, dass Sie hier sind, Susanne Schröter, guten Tag.Main: Frau Schröter, egal, ob Titel und Untertitel Ihres Buchs auf Ihr Konto oder das Konto des Verlags gehen, aber „Politischer Islam: Stresstest für Deutschland“ ist schon eine Ansage. Stress macht nervös, macht krank. Sollten wir allergisch reagieren auf das, was als politischer Islam bezeichnet wird?

Schröter: Nun, allergisch sollte man nicht reagieren, sondern man sollte das als Auftrag vielleicht nehmen, wenn man sich genügend Informationen angeeignet hat, um zu handeln, um auch in bestimmten Bereichen, in denen es meiner Meinung nach Stress gibt, gegenzusteuern. Letztendlich geht es um die Islampolitik in Deutschland, die meiner Meinung nach einen Drall gekriegt hat in Richtung einer Empowerment des politischen Islam, also großer Organisationen, die ich aus vielerlei Gründen für problematisch halte. Und ich denke, dass die Politik besser beraten wäre, wenn sie liberale, humanistische und säkulare Muslime, die nun auch die Mehrheit bei uns stellen, stärker einbezieht in Gremien oder in Partizipationsmodelle jeglicher Art.

Kritik am politischen Islam

Main: Sie deuten an, wer den Stress macht. Nennen Sie den Stressmacher.

Schröter: Nun, Stressmacher sind die großen muslimischen Verbände, die in erster Linie aus dem Ausland heraus organisiert werden. Der größte von allen ist die DITIB. Die DITIB ist letztendlich – obwohl sie Vereinsstatus genießt hier in Deutschland – sie ist nichts anderes als eine Auslandsdependance der türkischen Religionsbehörde, also untersteht direkt Erdogan, der in der Türkei die Religionsbehörde unter seinen Fittichen hat und den Vorsitzenden ernennt. Und bei der DITIB ist es nicht anders. In allen Gremien haben türkische Beamte die Majorität. Also es passiert nichts, was Herrn Erdogan nicht gefällt. Die DITIB ist bis in die kleinste Moscheegemeinde hinein abhängig von der Türkei. Die bekommt die Imame gestellt. Auch die Ausbuchstabierung der Religion in Form von Inhalten, von Freitagspredigten et cetera – all das kommt aus der Türkei. Sie ist eine absolut auslandsabhängige Organisation.

Die zweite große wäre die Millî Görüş. Auch die hat ihre Wurzeln in der Türkei. Auch sie ist hierarchisch organisiert und auslandsabhängig.

Aber wer eine wichtige Rolle spielt, jedoch in der ganzen Debatte sehr wenig vorkommt, das sind verschiedene Organisationen, die man als „muslimbrudernah“ bezeichnet. Ich sage „muslimbrudernah“, weil all diese Gruppen eigentlich behaupten, sie seien keine Muslimbruderorganisation.

Main: Damit meinen Sie auch den Zentralrat der Muslime in Deutschland?

Schröter: Ich meine zumindest einen Teil der Organisationen, die unter dem Dach des Zentralrats sind. Das ist die ‚Muslimische Gemeinschaft in Deutschland‘. Das sind aber auch eine ganze Reihe von ‚Islamischen Zentren‘.

Und die dritte große Gruppe, auch die ist nicht sonderlich in der Öffentlichkeit präsent, sind vom Iran abhängige Gruppen, also schiitische Gruppierungen. Es gibt natürlich auch Schiiten, die aus dem Libanon kommen, aus dem Irak kommen – aber in Deutschland sieht es so aus: Die gehen alle letztendlich organisatorisch auf das Islamische Zentrum in Hamburg zurück. Das Zentrum ist eine Vorfeldorganisation der iranischen Mullahs. Der Leiter ist immer Stellvertreter des obersten Führers im Iran.

Das sind sozusagen die drei großen Blöcke: die von der Türkei abhängigen Organisationen, dann die Organisationen, die mehr oder weniger auf den Iran zurückzuführen sind, und jene Organisationen, die man im Umfeld der Muslimbruderschaft verorten kann.

Liberale Muslime in der Defensive

Main: Stress hängt ja immer auch davon ab, wie dick mein Fell ist. Was sagen Sie denen, die kein Interesse an Stresstests haben und die die Vertreter des politischen Islams, so, wie Sie sie eben skizziert haben, als Teil der politischen Kultur ansehen, als Stimme unter vielen?

Schröter: Wenn sie nur Stimmen unter vielen wären, wäre es möglicherweise gar kein großes Problem. Aber wenn Sie sich mal anschauen, in welcher Weise diese Gruppen privilegiert werden, beispielsweise in der Deutschen Islamkonferenz. Die ist ja mal einberufen worden, damit man Muslimen bessere Möglichkeiten der Teilhabe in Deutschland bietet. Da hat man am Anfang sowohl die großen Verbandsvertreter eingeladen als auch liberale Kritiker und Kritikerinnen. Nach einiger Zeit hat man dann die …

Main: Dann waren die draußen.

Schröter: Ja, dann waren die wieder draußen. Warum? Weil die Verbandsvertreter nicht mit denen zusammenarbeiten wollten. Das war auch nicht sonderlich produktiv, weil die Unterschiede schon sehr groß sind. Aber dass man jetzt ausgerechnet die Liberalen, die im Prinzip wesentlich besser zu unserer Gesellschaft passen, dass man die nicht mehr eingeladen hat, das war meiner Meinung nach ein Fehler. Und letztendlich hat man dadurch eine kleine Gruppe von Muslimen, die allerdings sehr gut organisiert sind, muss man sagen, hat man stilisiert zu den Stellvertretungsorganen der Muslime in Deutschland. Das ist falsch, weil allerhöchstens 20 Prozent aller Menschen, die sich hier als Muslime bezeichnen in Deutschland, mit diesen Organisationen zusammenhängen. Und dann sind es ausgerechnet diejenigen, deren Islamverständnis am wenigsten zu unserer Gesellschaft passt.

Main: Ist das ein Kriterium, dass das Islamverständnis zu unserem Demokratie-verständnis passt? Könnte man nicht auch mit Fug und Recht sagen, dass das so was wie eine imperialistische Attitüde ist, wenn ich mir meinen Kuschel-Islam zurechtbastele und dann besonders Sympathien für liberale Muslime entwickele, so nach eigenem Gusto, Islam „light“ ohne Ecken und Kanten? Ist das nicht auch ein bisschen heikel?

Schröter: Dazu muss man zwei Sachen sagen. Es wird ja hier nicht ein Islam geschaffen, sondern es gibt unterschiedliche Spielarten des Islam in Deutschland. Die sind da. Und jetzt muss man überlegen: Mit wem arbeitet man zusammen? Also, ich meine, wir arbeiten ja auch nicht mit Rechtsradikalen zusammen. Da haben wir ja auch eine klare Kante. Und in politische Kategorien übersetzt sind diese Verbände in ihrem Programm nichts anderes als Rechtsradikale, also verortet ganz, ganz arg am rechten Rand, teilweise sogar explizit.

Also, weil sie den Zentralrat der Muslime angesprochen haben, die größte Gruppe, die ATIB, ist eine ultranationalistische türkische Organisation, deren Mitglieder gerne den Gruß der Grauen Wölfe zeigen. Und diese Grauen Wölfe waren in der Türkei lange Zeit als rechte Terrororganisation verschrien. Also, da muss man sich mal überlegen, wo sich diese Leute tatsächlich positionieren. Oder wenn ich mir überlege, wenn man einen Islam tatsächlich als einzig richtigen empfindet, der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen absolut ablehnt, dann ist das sicherlich nicht ganz unproblematisch. Das heißt nicht, dass man diese Leute jetzt negieren muss. Aber sie sind glücklicherweise nur ein kleiner Teil – und wir müssen nicht so tun, als ob sie die wichtigsten von allen sind.

Das Grundgesetz verteidigen

Main: Verstehen Sie sich als Laizistin?

Schröter: Ach, sagen wir mal so: Ich habe viel Sympathie für religiöse Bräuche, für Rituale. Ich mache auch alles mit. Ich habe hier in Wiesbaden dreieinhalb Jahre lang eine ethnografische Forschung bei allen Moscheegemeinden durchgeführt, auch bei all denen, die dem politischen Islam angehören. Ich habe mit denen in der Moschee gesessen. Ich habe mit denen gebetet. Wir haben zusammen gefrühstückt. Wir haben Gespräche geführt. Ich bin also durchaus nicht religionsfeindlich.

Ich habe nur ein Problem damit, wenn religiöse Normen anstelle der weltlichen gesetzt werden. Und da, muss ich sagen, glaube ich, dass wir hier einiges zu verteidigen haben. Also unser Grundgesetz und alle die individuellen Rechte, die Rechte der Individuen, die Freiheitsrechte, die hier ja mühsam erkämpft worden sind. Ich glaube, da muss man schon aufpassen, dass sie uns nicht verlorengehen.

Main: Wer ist für Sie in der islamischen Gemeinschaft in Deutschland neben den liberalen Muslimen ein Gegenpol zu jenen, die Sie als reaktionär bezeichnen?

Schröter: Nun, im Prinzip sind es die ganzen unorganisierten säkularen Muslime, ja.

Main: Also die absolute Mehrheit?

Schröter: Das ist nun wirklich die absolute Mehrheit. Das sind Leute, die nehmen hier ganz normal teil an dem gesellschaftlichen Leben wie andere Menschen auch. Die empfinden die Religion als eher eine Privatangelegenheit, in die keiner reinreden muss. Wenn jemand aber glaubt, dass überall islamische Normen implementiert werden müssen, dann verursacht das natürlich Reibungen. Das ist logisch.

Nehmen Sie mal die Schule. Da sieht man das ja am deutlichsten, deshalb habe ich das in meinem Buch auch besonders hervorgehoben: Die ganzen Konflikte, die entstehen, wenn Mädchen sich bei vielen Dingen nicht beteiligen dürfen – Sportunterricht, Klassenfahrt, Schwimmunterricht. Dann sollen die nicht neben Jungen sitzen. Dann sollen die sich nicht an Spielen beteiligen, wo sich auch Jungen beteiligen. Sie sollen bestimmte körperliche Sachen gar nicht machen – rennen, springen, klettern. Das ist natürlich für unser Schulsystem, für unsere Vorstellung von Bildung, in der Mädchen und Jungen ja gleichermaßen Zugang zu allem haben sollen, das verursacht natürlich Stress.

Und wenn es dann noch so weit geht, dass die Mädchen plötzlich mit Kopftuch in die Schule kommen, dass die Kinder anfangen zu fasten in der heißen Jahreszeit, dann nicht mehr die Leistungen in der Schule bringen, vielleicht zusammenklappen, dass Kontrolle ausgeübt wird.

Ich habe viele Interviews geführt mit Schulleiterinnen: Da werden die muslimischen Kinder kontrolliert von ihren ultra-fundamentalistischen Klassenkameraden. Zum Teil gehen die mit in die Waschräume und gucken, ob da jemand heimlich Wasser trinkt. Also, ich meine, da muss man letztendlich intervenieren.

Fundamentalistisches Religionsverständnis

Main: Frau Schröter, Sie haben mehrfach … oder wir haben beide mehrfach den Begriff „politischer Islam“ benutzt. Um das jetzt mal zu definieren, setzen Sie das gleich mit Islamismus oder grenzen Sie es ab? Was meint „politischer Islam“ für Sie?

Schröter: Ja, „politischer Islam“ ist eine Bezeichnung, die sich in den letzten Jahren durchgesetzt hat, den Begriff des „Islamismus“ ein bisschen verdrängt hat. Der Begriff des Islamismus ist immer von Muslimen als nicht adäquat abgelehnt worden, weil Islam eben da drinsteckt und das dann so eine negative Konnotation bekommt.

Politischer Islam bedeutet auf der einen Seite, dass man ein fundamentalistisches Islamverständnis hat. Das heißt, dass man die wesentlichen Quellen des Islam, vor allem den Koran und die Sunna, also die Überlieferung zum Leben Mohammeds, dass man die in einer wortwörtlichen Weise nimmt und nicht wie progressive Theologen an die Texte herangeht. Die sagen: Na ja, wir müssen unterscheiden zwischen den Versen, die einen Ewigkeitswert haben, und den Versen, die kontextuell und zeitlich begrenzt waren. Das heißt, da, wo Gott speziell zu Mohammed in einer bestimmten Situation gesprochen hat, da galt das eben auch nur für diese Situation, aber nicht für alle Ewigkeit.

Und mit diesem Herangehen kommen progressive Theologen dann darum herum, diese Verse festschreiben zu müssen. Und Fundamentalisten, für die gilt das aber immer. Das heißt, da gelten auch diese frauenfeindlichen Verse, die Gehorsam von Ehefrauen verlangen, die sogar Züchtigungsrecht den Männern zugestehen, wenn die Frauen ungehorsam sind. Also fundamentalistisches Religionsverständnis hat von vorneherein eine problematische Ebene für Menschen, die heute leben in einer Zeit, in der es Menschenrechte gibt. Die gab es ja früher nicht. Ist ja logisch.

Main: Und, wenn es sehr politisch wird, dann trifft dieser Satz zu aus Ihrem Buch, den ich einfach mal zitiere: „Im Kern geht es überall um die Durchsetzung eines totalitären und menschenrechtsfeindlichen Systems.“

Schröter: Genau. Und das ist der zweite Schritt. Das erste, die Basis, ist ein fundamentalistisches Islamverständnis.…

Main: …was dann eben politisch umgesetzt werden soll…

Schröter: Genau. Und das zweite ist, dass man es nicht in einer quietistischen Weise lebt und sagt, wir haben hier unsere kleine abgeschiedene Community und wir leben nach diesen Normen….

Main: …das ist dann superfromm und stört Sie nicht in dem Maße ….

Schröter: Das ist superfromm und stört nicht. Aber das wäre in Deutschland natürlich für die Jugendlichen schon ein Problem, wenn jemand in so einer Gemeinschaft aufwächst. Das ist ja nicht nur bei Muslimen so. Das ist ja auch bei christlichen Fundamentalisten so, dass die Jugendlichen dann schlecht zurechtkommen in der Schule und in der Gesellschaft. Also von daher ist es auch ein Problem.

Aber: Diese Leute haben nicht den Anspruch, die Gesellschaft umzugestalten nach ihren Vorstellungen und auch den ganzen Bereich des Politischen zu übernehmen. Und das ist der Punkt des politischen Islam. Und deshalb sage ich, dass dieser politische Islam nicht kompatibel ist mit unserer Gesellschaft, weil er die Freiheitsrechte, die Menschenrechte letztendlich negiert. Und die Unterwerfung der gesamten Gesellschaft unter ein göttliches Recht ist meiner Meinung nach, Gott sei Dank, überholt.

„Das Kopftuch ist mehr als ein Stück Stoff“

Main: Sie reden nicht um den heißen Brei herum, Frau Schröter, weder hier im Gespräch noch in Ihrem Buch. Ich zitiere einen Satz, der es in sich hat. Da heißt es wörtlich: „Der Grat der Islamisierung einer Gesellschaft lässt sich an der Anzahl verschleierter Frauen ablesen.“ Gehen Sie damit womöglich denen auf den Leim, die genau das durchsetzen wollen?

Schröter: Nein, tue ich nicht. Ich habe in meinem Buch einige Länderbeispiele zitiert. Ich meine, der politische Islam – oder überhaupt der Islam – ist ja keine nationale Religion, sondern eine globale Religion. Ich habe mir angeschaut: Wo geschieht die Durchsetzung des politischen Islam – also in Gesellschaften, in denen vorher eher moderate Verhältnisse geherrscht haben, die jetzt plötzlich in einer politischen Weise islamisiert werden?

Da ist absolut auffällig, rein empirisch, dass die Frage der Verhüllung der Frauen und Mädchen – vor allem das Kopftuch, aber auch die Körperverhüllung, dass die ganz am Anfang stand. Und das geschieht immer, nahezu ausnahmslos, in drei Stufen. Die erste Stufe: Man führt einen Freiheits- und Emanzipationsdiskurs. „Ich bin eine gläubige Frau, und ich möchte gerne mit Kopftuch als Schülerin in die Schule gehen, als Lehrerin oder als Verwaltungsangestellte auf den Arbeitsmarkt gehen.“

Sobald das durchgesetzt ist, gibt es einen moralischen Diskurs, der alle Frauen, die verschleiert sind, als ehrbar, gläubig, gottesfürchtig bezeichnet und all diejenigen, die nicht verschleiert sind, als ehrlos, gottesfern und möglicherweise Kandidatin für das Höllenfeuer bezeichnet.

Davon ausgehend gibt es dann in einem weiteren Schritt den Druck auf Institutionen, Regularien zu erlassen, die Frauen in bestimmten Einrichtungen nur noch zulassen, wenn sie verschleiert sind. Und die letzte Stufe ist – und das kann man natürlich in vielen Ländern eindrucksvoll besichtigen –, dass Verschleierungspflicht für alle Frauen erlassen wird.

Diese Verschleierungspflicht und Verhüllungspflicht, die kommt nicht allein. Das ist ein Teil eines Paketes von Verhaltensrichtlinien für Frauen und Mädchen, die den Ausschluss aus vielen Bereichen in der Öffentlichkeit bedeuten, dass sie nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr ohne männliche Begleitung – also: Verwandter oder Ehemann – auf die Straße gehen können. Mit der Begründung kann man ihnen verschiedene Berufe vorenthalten, nämlich alle diejenigen, wo man nicht nach Einbruch der Dunkelheit zu Hause ist.

Dann kommt dazu das islamische Familienrecht, das Frauen in ganz krasser Weise diskriminiert. Also, beim Scheidungsrecht haben Frauen ein großes Problem, beim Unterhalt haben sie ein großes Problem et cetera, also eine ganz lange Liste, die quasi zusammenhängt. Aber das äußere Zeichen ist immer ganz auffällig und es hat eine enorme symbolische Wirkung. Und gerade um diese Verschleierung wird überall gestritten. Deshalb war das sicherlich auch bei meiner Kopftuchkonferenz der Fall, dass da so ein großer Protest plötzlich kam. Also das Kopftuch ist wirklich mehr als ein Stück Stoff. Das steht für eine gesamte Ordnung.

 Main: Ist es ein religiöses Symbol?

 Schröter: Ja, das ist jetzt die Frage. Es ist nicht per se ein religiöses Symbol. Man kann es so sehen, wenn man eine sehr fundamentalistische Form der Exegese praktiziert. Aber moderne Theologen würden es verneinen. Das ist nicht eindeutig, ganz sicherlich nicht.

Das sehen wir in islamischen oder islamisch geprägten Ländern: Wenn immer es dazu kommt, dass diese Kopftuchfrage diskutiert wird und sich dann das Kopftuch durchsetzt, dann haben wir immer sehr reaktionäre islamische Kräfte am Werk, die sich gerade durchsetzen gegen alle anderen, die möglicherweise auch fromm sind, aber den Glauben in einer ganz anderen Weise leben möchten.

Hysterische Debatten

Main: Wenn ich Ihnen so zuhöre und auch, wenn ich Ihr Buch lese, bekomme ich den Eindruck einer großen Sachlichkeit. Es ist alles sehr nüchtern. Und ich erlebe Debatten rund um den Islam in der Öffentlichkeit oft als sehr hysterisch.

Schröter: Ja.

Main: Und trotzdem reagieren manche auch auf Sie hysterisch. Wie erklären Sie sich das?

Schröter: Ja, manche reagieren aus unterschiedlichen Ecken hysterisch auf mich. Eine extreme Position wäre, ich dürfe gar nicht über den Islam oder Muslime überhaupt schreiben und sprechen, weil ich keine Muslimin bin. Nur Muslime dürfen das. Die gleichen Leute versuchen auch, Muslimen kritische Positionen zu untersagen. Das muss man immer mal betonen, dass es nicht nur mich trifft als Nicht-Muslimin, sondern meine Freunde, die Muslime und Musliminnen sind und eine kritische Haltung haben, die werden eigentlich noch stärker angegriffen als ich.

Aber, um bei der Wahrheit zu bleiben, ich werde nicht nur aus dieser Ecke angegriffen, sondern es gibt natürlich auch viele, die eher im rechten Bereich angesiedelt sind oder im komplett säkularen oder atheistischen Bereich…

Main: …für die sind Sie eine Islam-Versteherin…

Schröter: Ja, für die bin ich eine Islam-Versteherin. Für die bin ich eine derjenigen, die dem Islam hier die Steigbügelhalterin der Islamisierung Deutschlands, so etwas, ja. Das höre ich eben auch. Oder mir wird selbst von wohlmeinenden Menschen gesagt: Wieso sagen Sie immer politischer Islam? Sagen Sie doch Islam. Der Islam ist eine gewaltverherrlichende Religion. Da muss ich sagen, das ist Unfug. Das heißt, ich habe den nicht sehr bequemen Platz zwischen zwei Stühlen.

Main: Sie machen für vieles ja eben die muslimischen Organisationen verantwortlich, die Sie als zum Teil islamistisch beschreiben. Da schreiben Sie dann wörtlich: „Fatalerweise sind diese Organisationen auf lokaler oder auf Bundesebene oft genug Partner des Staates und anderer zivilgesellschaftlicher Einrichtungen.“ Wie erklären Sie sich den Schmusekurs, der in Teilen der Kirchen zu beobachten ist?

Schröter: Ja, ich habe zwei Erklärungen. Das eine ist, dass man möglicherweise angesichts des eigenen Bedeutungsverlustes, dass man da die Muslime dringend braucht oder glaubt zu brauchen, um einen religiösen Block zu stärken. Es gibt auch solche Aussagen, die darauf hindeuten, dass man sagt, Hauptsache religiös. Jeder Religiöse, egal welcher Religionsangehörigkeit, ist einem immer noch lieber als ein säkularer Mensch.

Zum anderen haben die Kirchen institutionell gearbeitet, um den Kontakt mit den Muslimen am Laufen zu halten. Das heißt, es gibt Islambeauftragte auf allen Ebenen. Diese Islambeauftragten werden aber alle arbeitslos, wenn man nicht mehr mit den großen Verbänden zusammenarbeitet. Also ich glaube, solche strategischen Allianzen stehen vielfach dahinter.

Das Erbe der Aufklärung: Alles darf kritisiert werden

Main: Mögen Sie den Begriff Islamophobie?

Schröter: Ich halte den für vollkommen absurd. Denn die Kritik am Islam ist keine Krankheit, genauso wenig wie sie rassistisch ist, um gleich den nächsten Begriff mal aufzugreifen, nämlich „antimuslimischer Rassismus“. Kritik ist erlaubt. Vor allem Kritik an totalitären Strukturen ist sogar wünschenswert, egal, ob sie religiös oder nicht religiös daherkommen. Von daher ist Islamismuskritik bitter nötig, meiner Meinung nach. Aber selber jemand, der Islamkritiker wäre, wäre auch nicht schlimm. Es gibt auch Kirchenkritiker. Es gibt Menschen …

Main: Ist aber noch nicht zum Schimpfwort geworden.

Schröter: Nein. Es gibt Menschen, die sind komplett atheistisch. Die sind sogar der Meinung, alle, die nicht atheistisch sind, die sind komplett von gestern, die haben es noch nicht verstanden. Und dennoch …

Main: Es sollte auch Atheismus-Kritik geben dürfen.

Schröter: Ja, es soll auch Atheismus-Kritik geben dürfen! Man darf jede Weltanschauung kritisieren, meiner Meinung nach. Das ist das Erbe der Aufklärung. Das ist sozusagen eines der Fundamente, auf dem wir stehen, dass man alles kritisieren darf. Man sollte dabei die Menschen nicht in verachtender Weise behandeln.

Und deshalb unterscheide ich auch die Begriffe antimuslimischer Rassismus und Islamophobie von der Feindschaft oder Feindseligkeit gegenüber Muslimen. Das ist eine ernste Sache. Das muss auch absolut zurückgewiesen werden. Aber eine Religion darf man kritisieren, selbstverständlich.

Main: Zum Schluss und zum Ende unseres Gesprächs, der letzte Satz Ihres Buches, Ihr Schlusssatz:

„Eine freie Gesellschaft lebt von einer freien Debatte, gerade dann, wenn es um eine totalitäre Bewegung geht, die im Namen von Religionsfreiheit und Toleranz an den Fundamenten unserer Gesellschaft sägt.“

Was ist das Rezept, damit wir den eingangs besprochenen Stresstest für Deutschland bestehen?

Schröter: Vernünftige Regularien, vor allem in Orten, in denen es Stress gibt, wie in Schulen. Da würde ich mir wünschen: Handreichungen der Kultusministerien, damit die Lehrer und Lehrerinnen mal aus dem Stress rauskommen. Und ansonsten eine beherzte Debatte über alle möglichen Punkte, die besprochen werden müssen, ohne Denk- und Redeverbote.

Main: Susanne Schröter war das. Professorin und Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Universität. Danke für das Gespräch.

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(Susanne Schröter: „Politischer Islam: Stresstest für Deutschland“, Gütersloher Verlagshaus, 382 Seiten, 25 €)

* Quelle: Dlf (13.12.2019): https://www.deutschlandfunk.de/politischer-islam-in-deutschland-wir-haben-einiges-zu.886.de.html?dram:article_id=465593

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